„Gut gemeint, aber nix geworden“ wäre ein etwas zu hartes Urteil für dieses Buch, leider tendiert es aber schon in diese Richtung. Die Thematik zumindest ist spannend: es geht um den tausendfachen Mord an behinderten Kinder im Rahmen von Hitlers Euthanasieprogramm.
Held der Geschichte ist der kleine Hugo, kurz vor Hitlers Machtergreifung geboren, hat er schon früh unter den Misshandlungen seines Vaters zu leiden. Folge ist eine tiefe Persönlichkeitsspaltung (ob das psychologisch überhaupt denkbar oder doch eher Küchenpsychologie ist, kann ich nicht beurteilen), die den Jungen, obwohl ausgesprochen intelligent, zu einem Fall für das „Leipziger Universitätsklinikum für jugendliche Psychopathen“ macht. Obwohl Hugo immer wieder auf wohlmeinende Menschen trifft, landet er schließlich doch in den Fängen von skrupellosen Wissenschaftlern, die mit diesem exemplarischen Fall ihren wissenschaftlichen Ruhm zementieren wollen.
Das ganze Buch hat mich an ein ZDF-Dokudrama erinnert: reale Zeitgeschichte wird anhand eines erfundenen persönlichen Schicksals dokumentiert. Das ist prinzipiell eine gute Idee. Und auch die wechselnden Perspektiven, teils die des kleinen Hugo und seines „abgespaltenen“ Ichs, seines früh verstorbenen Zwillingsbruders Fritz, teils die des unbeteiligten Geschichtsschreibers, sind durchaus interessant.
Aaaber:
manchmal wird die Geschichte fast, nein sie wird unerträglich kitschig. Die Figuren sind gut oder böse, was sich darin manisfestiert, dass sie Hugo gut oder schlecht behandeln. Pfarrer sind prinzipiell gut, sind sie es nicht, dann sind sie Kinderschänder, und gerade die, ungerecht ist die Welt, entkommen Hitlers Hatz auf Schwule. Ganz unerträglich gut ist Hugo selbst. Nicht nur dass er ausgesprochen klug ist, was (zumindest die guten) Erwachsenen entzückt, nein, er hält auch immer zu den Schwächeren (was die guten Erwachsenen auch gut finden, die bösen aber, die eher dem Sozialdarwinismus anhängen, natürlich nicht), arbeitet fleißig und sieht zudem noch aus wie der Prototyp des Ariers: groß und schlank, blond und blauäugig. Und dass diesem Traum von Kind auch noch scheinbar alles passiert, was in einer tragischen Kindheit so passieren kann, setzt der Sache die Krone auf. Prädikat: extrem unglaubwürdig.
Nur nebenbei erwähnt sei, dass dieses Buch etliche Längen hat und für meinen Geschmack sprachlich dann doch zu simpel war.
Schade, schade, dass der wirklich sehr ambitionierte Versuch des Autors, diesem Grauen ein Gesicht zu geben, in großen Teilen so in die Hose gegangen ist. Dass die wirklich guten Passagen des Buches (und davon gibt es einige) in den unglaublich pathetischen schlechten untergehen. Allerdings besteht Hoffnung: das Buch ist in einer neuen, überarbeiteten Auflage erschienen, womöglich wurden da die schlimmsten Scharten ausgewetzt. Wert wäre es dieses Thema allenthalben, eine Öffentlichkeit zu finden.