Du auf deinem höchsten Dach - Anatol Regnier

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    Hinter jedem großen Mann steht eine starke Frau. Das scheint bei berühmten Dichtern nicht anders zu sein. Rückten zuletzt zwei Biografien Thomas Manns Ehefrau Katia ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit, so erzählt uns nun Anatol Regnier die Lebensgeschichte von Tilly Newes, die 1906 den damals noch um seine literarische Anerkennung kämpfenden Dramatiker und Lyriker Frank Wedekind heiratete.
    Wie in anderen Fällen zeigt sich auch hier: Mit einem großen Schriftsteller zu leben, dessen Ego und Schaffensdrang viel Raum beanspruchen, ist alles andere als einfach -- umso mehr als in diesem Fall 22 Jahre Alterunterschied und eine künstlerische Abhängigkeit erschwerend hinzukommen. Als blutjunge Schauspielerin begegnet Tilly dem Dramatiker, weil sie in seinem berüchtigten Stück Die Büchse der Pandora die Lulu darstellt. Nach der Hochzeit spielt sie dann nur noch in den Dramen des Gatten, unterwegs von einem Gastspiel zum nächsten, und steht unzählige Male mit ihm gemeinsam auf der Bühne.


    Leben und Kunst -- im Fall der Familie Wedekind besitzen beide gehöriges dramatisches Potenzial, was die Lektüre zu einer fesselnden Angelegenheit macht. Sein Geschick im Umgang mit biografischem Material stellte der Autor bereits bei Damals in Bolechow unter Beweis, einer ergreifend und sensibel erzählten Überlebensgeschichte ostgalizischer Juden während des Zweiten Weltkrieges.


    Du auf deinem höchsten Dach ist aber noch in anderer Hinsicht etwas Besonderes: Anatol Regnier ist der Enkel von Tilly und Frank Wedekind und kennt alle Porträtierten (bis auf seinen Großvater) aus nächster Nähe. Darüber hinaus konnte er für das Buch bisher der Öffentlichkeit unzugängliche Teile des Familienarchivs auswerten und widmet auch seiner Mutter Pamela und seiner Tante Kadidja längere Passagen dieser äußerst lesenswerten "Familienbiografie".


    Man begegnet hier einerseits großen Namen aus der Literaturszene -- z.B. ist Tilly als Witwe mit Gottfried Benn liiert; Pamela verlobt sich mit Klaus Mann und stürzt sich dann kurzfristig in eine Ehe mit dem Dramatiker Carl Sternheim. Anderseits aber viel Menschliches, Allzumenschliches: Eifersucht, Selbstmordversuche, finanzielle und künstlerische Engpässe sowie mehr oder weniger verzweifelte Versuche, dem langen Schatten eines großen Schriftstellers zu entkommen. Unbedingt zur Lektüre zu empfehlen! --Christian Stahl



    Der Autor:
    Anatol Regnier wurde 1945 als zweites Kind von Pamela Wedekind und Charles Regnier geboren.
    Nach Musikstudium und langjähriger Lehrtätigkeit am Konservatorium in München lebte er in Australien und Israel. 1997 veröffentlichte er DAMALS IN BOLECHOW, ein Buch über das Schicksal einer jüdischen Familie aus Galizien. Anatol Regnier lebt in München.



    Eigene Meinung:

    Anfangs war ich ja geradezu hingerissen vom Gebotenen….mit der Zeit hat sich die Begeisterung dann ein bisschen relativiert.


    Praktisch der gesamte Aufbau dieser Biografie erfolgt über Zuhilfenahme von diversesten Dokumenten: vor allem aus Briefen, Tagebüchern, Büchern…. und was sich halt sonst noch so alles im Nachlass der Verstorbenen finden liess.
    Nur gerade im letzten Fünftel, so schien es mir, hat der Autor möglicherweise auch das eine und andere aus Erzählungen aus dem Familienkreis und eigenen Beobachtungen einfliessen lassen….aus jener Zeit halt, wo er am Geschehen persönlich teilnehmen konnte.


    Die Hauptpersonen dieser Biografie sind die 3 Wedekind-Damen: Tilly, die Frau von Frank Wedekind und deren zwei Töchter, die Pamela und die Kandidia.
    Pamela war in 2. Ehe mit dem Schauspieler und Regisseur Charles Regnier verheiratet. Aus dieser Ehe stammt der Autor dieses Buches, Anatol Regnier.


    Jedoch erzählt Regnier die Geschichte so, als ob ihn das Ganze überhaupt nichts anginge, als würde er über Menschen berichten die ihm völlig fremd sind, nicht die kleinste Spur eines persönlichen Bezuges ist zu finden.
    Somit wirkte das Geschriebene mit der Zeit auf mich irgendwie unterkühlt, und auf eine seltsame Weise „hart“.

    Einerseits hat das wohl damit etwas zu tun, dass sich fast pausenlos und dicht gedrängt Namen über Namen und die damit verbundenen Ereignisse aneinanderreihen. Ich habe mal flüchtig die Leute die im Buch auftauchen zusammengezählt, anhand des angehängten Namenregisters. Dort sind zumindest mal diejenigen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad aufgeführt… es sind so um die 400!

    Alleine schon in der nahen Verwandtschaft sind einige Berühmtheiten zu finden, dazu kommen noch die Angeheirateten und deren Ex-Frauen und Ex-Männer, dann der lange Reigen der Liebhaber und deren „Nebenfrauen“…. :grin Des weiteren der ganze illustre Freundes- und Bekanntenkreis: Carl Sternheim, G. Benn, G. Gründgens, die Mann-Geschwister Erika und Klaus, Heinrich Mann, Viktor Barnowksy, , Hans Albers, Erich Mühsam, Tilla Durieux, Werner Krauss, Fritz Kortner, usw. usw. usw.……


    Andererseits hat sicher auch diese ganz bewusst gewählte Distanzierung der Autors zu diesem seinem famliären Thema/Stoff dazu beigetragen, dass sich bei mir auch eine Art der „Befremdumg“ eingeschlichen hat. Jedoch hat wohl gerade dieser grösstmögliche Abstand dem Autoren geholfen, absolut objektiv zu bleiben. Und er hat wirklich ungeschönt die Fakten auf den Tisch gelegt, teilweise recht harte Fakten, denn es gibt nicht nur Ruhmreiches zu berichten. Manchmal dachte ich mir: „So was gibt’s doch nicht, das kann doch nicht wahr sein!“….und doch, es sind alles Vorkommnisse, die eben in Briefen und sonstigen Dokumenten aufgeführt und belegt sind.


    Spannend auch, was nach dem Tode eines Literaten so alles abgehen kann bei den Erben. In diesem Falle mancherlei unsägliche Querelen untereinander, die Rechtsstreitigkeiten, und was die einander so alles an den Kopf geschmissen haben in ihren Briefen....zwischendurch auch wieder jahrelange Kontaktpausen.


    Ja, ich habe doch ganz enorm viele interessante neue Informationen sammeln können: im Zusammenhang des beruflichen Schaffens und des gesellschaftlichen und privaten Lebens mancher dieser Berühmtheiten, Einsicht nehmen können in ihre Hochs und Tiefs, ihre Erfolge und Misserfolge, Einblick in vielschichtige und oft auch unergründliche Charaktere. Wirklich eine regelrechte Fundgrube ist dieses Buch an unbekannten, weil bisher noch nicht veröffentlichten Geschichten und Geschichtchen.... in dieser Hinsicht ein ungemein reichhaltiges Buch.


    Es gibt davon auch ein Hörbuch. Darüber HIER eine informative Besprechung.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()