Nora London, Gottfried Kraus: George London - Von Göttern und Dämonen

  • Klappentext:
    George London, als Sohn russischer Einwanderer in Montreal geboren und in Amerika aufgewachsen, hat seine kometenhafte Karriere 1949 an der Wiener Staatsoper begonnen. In wenigen Wochen wurde er zum Abgott des Wiener Opernpublikums, in nur drei Jahren folgten die Festspiele in Glyndebourne, Edingburgh, Bayreuth und Salzburg., die Mailänder Scala und die Metropolitan Opera, zu deren Stars er über Jahre gehörte. Als unvergleichlicher Don Giovanni stand London im Mittelpunkt der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, er sang als erster Nicht-Russe den Boris Godunow am Bolschoi Theater in Moskau, zu seinen Glanzrollen zählten Eugen Onegin, Mandryka in „Arabella“, der Mephisto in „Faust“ und Scarpia in „Tosca“ - vor allem aber wurde er als Amfortas, Holländer und Wotan zum führenden Wagner-Bariton seiner Generation.
    Dem allzu frühen Ende seiner Sängerkarriere folgte eine ebenso reiche Tätigkeit als Regisseur, Opernintendant und als Lehrer und Mentor einer neuen Sängergeneration, für die er bis heute als wichtige Identifikationsfigur gilt.
    Zum ersten Mal erscheint Nora Londons berührende Darstellung seines Lebens, seiner Erfolge und seines tragischen frühen Todes in deutscher Sprache. Dazu hat Gottfried Kraus zahlreiche Dokumente – Briefe, Schriften und umfangreiches Datenmaterial – zusammengetragen, welche die herausragende Stellung George Londons auf der Opernbühne des 20. Jahrhunderts und die unveränderte Nach-Wirkung seiner dramatischen Darstellungskunst belegen.


    Die Autoren (dem Klappentext entnommen):
    Nora London, 1924 als Tochter russisch-jüdischer Eltern in Berlin geboren und in Paris aufgewachsen, war seit 1955 mit George London verheiratet. Seit seinem Tod führt sie das von ihm ins Leben gerufene Förderungsprogramm für junge Sänger weiter; sie ist Präsidentin der George London Foundation for Singers, die in New York jährlich Föderungsstipendien von mehr als 50.000 $ vergibt und junge Sänger der Öffentlichkeit präsentiert; sie ist auch Ehrenpräsidentin der George London-Stiftung, die vom Verein der Freunde der Wiener Staatsoper in Wien mit ähnlicher Zielsetzung verwaltet wird. Nora London lebt in Manhattan unweit der Metropolitan Opera. Ihr erstes Buch „Aria for George“ erschien 1987 in New York, das zweite mit dem Titel „Of Gods and Demons“ 2005.


    Gottfried Kraus, geboren 1936 in Wien, studierte Cello, Gesang und Musikwissenschaft. Ab 1959 war er als Musikkritiker führender österreichischer Zeitungen – Die Presse, Salzburger Nachrichten – und als Mitarbiter in- und ausländischer Fachzeitschriften, Rundfunkstationen und Schallplattenlabels tätig. 1972 übernahm er die Leitung der Musikabteilung des Österreichischen Rundfunks in Salzburg, 1979 die Hauptabteilung Musik im ORF-Hörfunk in Wien. Seit 1986 freier Publizist, Autor in Hörfunk und Fernsehen, Schallplattenproduzent, Herausgeber der CD-Editionen „Salzburger Festspieldokumente“ und „Wiener Staatsoper live“ und anderer historischer Reihen. Von ihm sind unter anderem die Bücher „Furtwängler – Ein Maß, das heute fehlt“ (1986) und „Musik in Österreich“ (1989) erschienen.


    Meine Meinung:

    „So lange Musik und Oper den Menschen etwas bedeuten, werden die Stimme und das Künstlertum von George London Gegenwart bleiben.“
    (Seite 259)


    Ein Buch, dessen Preis mich zunächst schlucken ließ, aber:


    Zunächst ein Wort zum Äußeren:
    Das Buch hat 370 Seiten, davon stammen 259 von Nora London, die restlichen Seiten sind von Gottfried Kraus gestaltet und „Nachlass“ benannt. Hier finden sich Briefe von George London an seine Eltern und an George London von Wieland Wagner, es finden sich zwei wunderbare Aufsätze von dem Sänger über Don Giovanni und Wieland Wagner, die Aufzeichnung eines Gesprächs über Mozart und seine „Zauberflöte“, eine Würdigung seiner Aufnahmen sowie ein Verzeichnis der Ton- und Video-Aufnahmen. Daten zur Karriere und ein umfangreiches Register runden das Buch, dessen Text mit zahlreichen Fotos bestückt ist und daneben noch zwei größere Fototeile enthält, ab. Und, als wenn das überhaupt noch notwendig wäre: Es liegt dem Buch eine CD bei, auf der George Londons herrliche Stimme zu bewundern ist.


    Nora London erzählt in bewunderungswürdiger Weise vom Leben, von der Karriere, vom Wirken und Wirkung ihres Mannes, ohne falsches Pathos, ohne George London auf ein Podest zu heben, denn sie weiß – so glaube ich -, dass sein Platz in den Herzen all derer ist, die seine einzigartige Stimme bewunderten und immer noch bewundern. Sie verschweigt aber auch nicht die Schwierigkeiten, die es gab, weder am Anfang seiner Karriere noch am Ende seines Lebens. Das Buch ist flüssig zu lesen, der Ton ist voller Wärme; dass mit zunehmender Dauer der Lektüre der Kloß in meinem Hals immer dicker wurde, ist den Autoren in keiner Weise anzulasten, sondern allerhöchstens jenem mir grausam erscheinenden Schicksal, jenen Göttern, die George London erst alles schenkten, eine Stimme, eine Statur und ein Aussehen, das ihn zum Ideal eines Don Giovanni schon äußerlich werden ließ, sie schenkten ihm einen Platz an der Spitze – und dann nahmen sie ihm alles, erst die Stimme, dann die Gesundheit, zum Schluss das Leben. „Wen die Götter lieben...“, George London ist für diese Verse wohl ein Paradebeispiel.


    Die Wirkung, die das Buch über George London auf mich hatte, hat die Wirkung, die seine Stimme auf mich immer wieder hat, noch verstärkt. Er war mein erster Amfortas, ich bezweifle, dass ein anderer Sänger jemals in der Lage sein wird, die Bilder, die beim Anhören des „Parsifal“ in mir heraufbeschworen werden und die stets die Züge George Londons – nicht nur im Bühnenkostüm, sondern erst recht als den leidenden Menschen auf dem Krankenlager - tragen, abzulösen durch andere; allenfalls Thomas Quasthoff würde ich dieses zutrauen.


    Für mich wird es wohl ein ewiges Rätsel bleiben, wie ein damals so junger (und gesunder) Mensch in der Lage war, die "Schmerzensmänner" wie den Amfortas, den Boris Godunow, auch den Onegin des letzten Aktes zu gestalten, etwas in die Stimme zu legen, was er aus eigener Erfahrung nicht kennen konnte. Und quasi im selben Atemzug die Machtgier eines Scarpia, die Lebens- und Liebesgier eines Don Giovanni zum Leben zu erwecken.


    „George London – Von Göttern und Dämonen“ hat mich mit tiefer Dankbarkeit erfüllt, zum einen für Nora London, dass sie ihr Erleben mit diesem außergewöhnlichen und wunderbaren Sänger mitteilt, zum anderen aber auch dafür, diese Stimme kennengelernt zu haben, sie konserviert zu wissen auf Schallplatten, auf CDs und auf wenigen DVDs.
    Auch dem Verlag gilt mein Dank, die deutsche Ausgabe war meines Erachtens überfällig, auch wenn ein Verlag sorgsam abzuwägen hat, welche Bücher er sich "leisten" kann.

  • Danke für die schöne Rezi; das Buch werde ich mir wohl zulegen müssen.


    Ich entsinne mich, daß ich in meiner Jugend mehr oder weniger zufällig über Geroge London "gestolpert" bin und dann bewußt nach Aufnahmen von ihm gesucht habe. Aber das ist im Laufe der Jahre irgendwie verschüttet gegangen. Ich muß die nächsten Tage mal meine alte Schallplattensammlung durchsuchen, da müßte sich einiges von ihm finden.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")