Frauen und Töchter - Elizabeth Gaskell

  • Elizabeth Gaskell – Frauen und Töchter: Eine alltägliche Geschichte
    Originaltitel: Wives and Daughters
    872 Seiten
    Manesse-Verlag


    Über die Autorin: Elizabeth Gaskell wurde 1810 als Tochter eines Pfarrers in Chelsea (London) geboren, die Mutter verstarb kurz nach ihrer Geburt. Elizabeth verbrachte ihre Kindheit zu größten Teilen bei einer Tante in Knutsford (Cheshire), dort fand sie auch die Inspiration für eines ihrer späteren Bücher, "Cranford".
    Um 1832 heiratete sie William Gaskell, einen Geistlichen und Universitätsdozenten, mit dem sie nach Manchester zog und vier Kinder bekam. Die Industriestadt Manchester bot ihr auch das Ausgangsmaterial für ihre bekanntesten Werke wie "Mary Barton" und "North and South".
    Elizabeth Gaskell war gut bekannt mit John Ruskin, Harriet Beecher Stowe und Charles Dickens, Charlotte Bronte gehörte zu ihren engsten Freundinnen. Nach Charlotte Brontes Tod war es Elizabeth Gaskell, die die erste Biografie der Autorin verfasste und damit nicht unwesentlich zu Charlottes späterer Berühmtheit betrug.
    Elizabeth Gaskell starb 1865 im Alter von 55 Jahren. Zu ihren bekanntesten Werken gehören neben zahlreichen Novellen und Kurzgeschichten vor allem die Romane "Mary Barton", "North and South", "Cranford" und "Wives and Daughters".


    Meine Meinung: Eine viktorianische Pfarrersfrau als Romanschriftstellerin – das mag zunächst vielleicht langweilig und verstaubt klingen. Und ja, Elizabeth Gaskell schreibt sicher "gemäßigter" als eine Emily Bronte und auch weniger spitzzüngig als eine Jane Austen. Dennoch habe ich Elizabeth Gaskells Romane, allen voran "North and South" und "Wives and Daughters" ("Frauen und Töchter") lieber gelesen, weil sie einfach ihren ganz besonderen Reiz haben. Obwohl ich kein besonders "geduldiger" Leser bin und eher dazu tendiere, Zeilen zu überfliegen, musste ich mich damals beim Lesen von Elizabeth Gaskells Roman "Frauen und Töchter" ganz auf das Buch einlassen. Das lag vor allem daran, dass ich meine Magisterarbeit über die Gaskell-Romane geschrieben habe, da war Überfliegen natürlich nicht drin! ;)
    Die Geduld beim Lesen zahlt sich allerdings aus. Denn Elizabeth Gaskell schildert unheimlich sorgfältig und sehr bildhaft. Sie überschüttet den Leser nicht mit unnötigen Details, sondern schaut einfach genau hin. Anders als z.B. Jane Austen kommentiert sie nicht, sondern beobachtet – und der Leser beobachtet auch. Ihr Ton ist weder humorvoll noch ironisch, sie nimmt sich zurück. Wenn sie "kritisiert", dann höchstens auf subtile Weise.


    Elizabeth Gaskell beschreibt "Frauen und Töchter" im Untertitel selbst als "alltägliche" Geschichte – und das ist sie auch. Es ist eine so alltägliche Geschichte wie sie sich auch heute noch zutragen könnte: Es geht um ein junges Mädchen, Molly, dem der eigene Vater mit recht wenig (?) Überlegung eine (ziemlich "inkompatible") Stiefmutter und eine Stiefschwester vor die Nase setzt. Die Kulisse ist unspektakulär, ein kleines Dorf im ländlichen England. Obwohl nach außen nicht viel "passiert" in "Frauen und Töchter", passiert zwischen den Charakteren doch eine ganze Menge. Trotz seiner 872 Seiten habe ich den Roman auch niemals als langweilig empfunden. Was mir ganz besonders gefallen hat: Molly ist eine sympathische Heldin – warmherzig und mitfühlend, doch ohne "Heiligenschein". Überhaupt finde ich Elizabeth Gaskells Charakterdarstellung bemerkenswert, denn Schwarzweißmalerei gibt es bei ihr nicht.


    Auch in "Frauen und Töchter" gibt es (natürlich) romantische Verwicklungen für die Hauptfigur Molly, die aber am Ende nicht mehr vollständig aufgelöst werden konnten, da die Autorin zu früh verstorben ist. "Frauen und Töchter" fehlen also eigentlich noch ein paar Seiten – schade.


    Lange Zeit waren die Gaskell-Romane eher "Insider-Tipps", inzwischen sind sie aber durch die BBC-Verfilmungen von "Cranford", "North and South" und "Wives and Daughters" viel bekannter geworden. Auch die Verfilmung von "Frauen und Töchter" kann ich übrigens wärmstens empfehlen! Ich finde sie sehr gelungen.


    Wer kann, der sollte "Frauen und Töchter" unbedingt im englischen Original lesen. Erst dann, finde ich, kann man Elizabeth Gaskells Erzählstil wirklich "genießen". :)


    Ein Zitat aus "Frauen und Töchter" hat mir immer besonders gut gefallen, leider kann ich es hier nur auf Englisch wiedergeben: "But fate is a cunning hussy, and builds up her plans as imperceptibly as a bird builds her nest; and with much the same kind of unconsidered trifles." (Wives and Daughters, Kapitel 7)