Helmer Verlag, September 2009
Broschiert, 348 Seiten
Kurzbeschreibung
Ende der Zwanziger Jahre begegnen sich in Hamburgs Chinesenviertel fremde Welten: Zwei schrille junge Frauen schlendern Arm in Arm durch St. Pauli. Die eine trägt kurzes, kupferrotes Haar und einen kurzen Rock, die andere gar Männerkleider. Staunend schaut ihnen die Prostituierte Mai Ling nach: Diese Frauen benehmen sich wie ein Liebespaar! Besonders die aufgeweckte Rothaarige hat es Mai Ling angetan. Eigentlich kann Mai Ling kaum noch etwas zum Staunen bringen. Elend kennt sie schon aus Shanghai gut genug. Ihre Familie verarmte, weil der Vater wegen politischer Aktivitäten verfolgt wurde. So war das Leben als wohlbehütete Tochter aus gutem Hause schon vorbei, ehe der Zuhälter Deng Wu sie nach Deutschland schmuggelte. Der geldgierige Chinese betreibt von Hamburg aus nicht nur Frauenhandel, er schreckt auch vor Kokaingeschäften mit Rechtsradikalen nicht zurück. Seine Dealerei hat schlimme Folgen für Mai Ling, die von den Männern brutal misshandelt wird. Als Retterin in der Not erweist sich ausgerechnet Deng Wus Schwägerin, eine »Langnase«. Die Deutsche versteckt Mai Ling bei einer Freundin, die die Schwerverletzte eher ungern aufnimmt: Die hübsche Alexandra mit dem kupferroten Haar zöge lieber weiterhin mit ihrer Anzüge tragenden Freundin Sarah durch die Bars. Sie liebt das Leben, hasst ihren Sekretärinnenjob und träumt von Erfolgen als Jazzsängerin. Doch mehr und mehr schließt sie ihren Schützling ins Herz. Die Ereignisse spitzen sich zu. Sarah, eine Jüdin, wird von Rechtsradikalen zusammengeschlagen, und Mai Lings Versteck fliegt auf. Erst als sie verschwunden ist, merkt Alexandra, dass sie sich längst in die Chinesin verliebt hat. Sie macht sich auf die Suche und kämpft für einen Ausweg für sich und Mai Ling...
Von einer zauberhaften Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, erzählt Tereza Vanek vor dem Hintergrund von Geschehnissen, die bereits das Jahr 1933 ankündigen. Die unbeschwerte Alexandra hört erstmals von Anfeindungen, denen Juden und andere Minderheiten ausgesetzt sind, und erfährt deren Brutalität am eigenen Leib. Zum historischen Hintergrund des Romans: Nicht nur in San Francisco oder London gab es Chinatowns. Auch in Hamburg entstand nach dem Ersten Weltkrieg ein chinesisches Vierte: im Stadtteil St. Pauli. Hamburger Reedereien beschäftigten zunehmend Chinesen, vor allem als Heizer und Kohlenzieher. Im Laufe der NS-Herrschaft gerieten die chinesischen Migranten verstärkt in den Blick der Behörden. Razzien gehörten zu ihrem Alltag. Im Zuge der »Chinesenaktion« 1944 nahm die Gestapo 130 chinesische Männer fest und verschleppte viele von ihnen in Arbeitslager. Nach der Befreiung zogen die Überlebenden aus Deutschland fort.
Über die Autorin
Teresa Vanek, 1966 in Prag geboren, kam als Kind gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland. Nach einem philologischen Studium kehrte sie nach Prag zurück, wo sie als Fremdsprachen-Dozentin tätig war. Tereza Vanek lebt und arbeitet heute in München.
Meine Meinung
Im chinesischen Hafenviertel von Hamburg ist Mai Ling eine der wenigen chinesischen Frauen. Aus einem Bordell in Shanghai verkauft, muss sie, illegal in Deutschland, als exotische Schönheit weiter als Prostituierte für ihren Zuhälter Liang arbeiten.
Ganz anders das Leben der lebenslustigen und auffälligen Alexandra, die das bunte Treiben im Hafenviertel liebt. In kurzen Kleidern mit modischem Haarbob zeigt sie sich öffentlich mit ihrer androgynen Freundin Sarah. Alexandra arbeitet als Sekretärin, liebt aber den Jazz so sehr, dass sie von einem Erfolg als Jazzsängerin träumt.
Aber auch die ersten kurzhaarigen, großen, blonden jungen Männer sieht man durch Hamburgs Straßen marschieren.
Nach ihrer gescheiterten Beziehung zu Sarah lässt sich Alexandra zu unüberlegten Äußerungen hinreißen, die schwerwiegende Konsequenzen für die jüdische Sarah haben. Getrieben von Schuldgefühlen schließt sich Alexandra einem sozialen Projekt ihrer Freundin Greta an, die Prostituierten in Sankt Pauli helfen möchte.
So kommt es, dass Alexandra Mai Ling, nachdem diese von einem Freier schwer misshandelt und verletzt wurde, bei sich aufnimmt.
Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Frauen entwickelt sich allmählich eine zarte Beziehung, die aber nicht unbemerkt und komplikationslos bleibt.
Tereza Vanek beschreibt auf sehr intensive Weise, wie vielfältig das Leben und die menschlichen Schicksale in Hamburgs Hafenviertel Ende der 1920er Jahre waren.
Viel Wert legt die Autorin auf eine genaue und tiefgreifende Darstellung ihrer facettenreichen Charaktere.
Gleichzeitig entsteht eine Spannung, die besonders durch den erzählerischen Perspektivwechsel zwischen Mai Ling und Alexandra hoch gehalten wird. Auch die eingebauten Rückblenden in Mai Lings Vergangenheit, bevor sie nach Hamburg kam, sind bewegend zu lesen.
Obwohl der Schwerpunkt auf den zwischenmenschlichen Beziehungen der Protagonisten liegt, spürt man die zunehmende Bedrohung durch den aufkommenden Rechtsradikalismus. Frauen- und Drogenhandel spielen auch dabei keine geringe Rolle.
Tereza Vanek schreibt über eine ungewöhnliche Liebesbeziehung zu Zeiten der jüngeren deutschen Vergangenheit. Ihre Protagonisten agieren authentisch und entwickeln sich im Laufe der Geschichte deutlich. Die Örtlichkeiten und Hintergründe sind gut recherchiert und lebendig beschrieben.
Ein Roman, dessen Realitäten eins ums andere Mal erschrecken, der aber vor allem eins ist: berührend und mit viel Liebe verfasst.
10 Punkte!
Ich habe das Buch im Rahmen der Leserunde gelesen, die auch noch in vollem Gange ist. Man kann also noch prima einsteigen.
Danke an Dich, Tereza, für die informative und sympathische Begleitung. Ich werde natürlich weiter mitlesen :-).