The Complete Stories of J.G. Ballard

  • 1200 Seiten, 98 Kurzgeschichten, 36 Schaffensjahre.


    Mein erstes großes Leseprojekt im neuen Jahr sind die gesammelten Kurzgeschichten des britischen Schriftstellers J.G. Ballard. Vereinzelt kenne ich bereits Erzählungen, mehrere Romane und natürlich die zwei sehr gelungenen Verfilmungen von THE EMPIRE OF THE SUN (Steven Spielberg) und CRASH (David Cronenberg).


    Ich habe vor, die Geschichten chronologisch zu lesen, was bei mir und Kurzgeschichtenbänden sonst oft nicht der Fall ist.

  • Prima Belladonna spielt in Vermillion Sands, einer Art Beach Resort, während einer Rezession. Ansonsten sind Zeit und Ort unbestimmt. Die Uhren scheinen stehen geblieben und die Produktivität zu einem Stillstand gekommen zu sein. Die Leute hängen in Bars und Casinos herum und langweilen sich.


    Der Ich-Erzähler verbringt die meiste Zeit auf seinem Balkon, bier-trinkend mit seinen zwei Freunden Tony und Harry. Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich sein Musikgeschäft. Eines Tages beobachten sie eine faszinierende Frau wie sie fast nackt durch ihr Apartment im benachbarten Wohnhaus läuft. Nur ist das keine gewöhnliche Frau und das Musikgeschäft, das der Ich-Erzähler betreibt, ist auch kein gewöhnliches Musikgeschäft. Die Frau ist eine Mutantin mit goldener Haut und Insektenaugen und – wie sich später herausstellt – eine Sängerin, die neu in dem Ort ist. Im Musikgeschäft gibt es auch keine normalen Tonträger, sondern der Ich-Erzähler verkauft dort selbst gezüchtete musikalische Pflanzen.


    Am nächsten Morgen kommt die Frau in sein Geschäft und ist besonders faszinierend von einer Arachnid-Orchidee, einer besonders exzentrischen Pflanze, die eine Breite von 24 Oktaven beherrscht. Verkaufen möchte er die Pflanze aber nicht.


    Zitat

    I had never heard the Arachnid sing before. I was listening to it open-eared when I felt a glow of heat burn against my arm. I turned and saw the woman staring intently at the plant, her skin aflame, the insects in her eyes writhing insanely. The Arachnid stretched out towards her, calyx erect, leaves like blood-red sabres.


    Der Ich-Erzähler und die Frau gehen eine Beziehung miteinander ein und die Frau und die Pflanze eine Art konkurrierende Symbiose, die nicht gut enden kann.


    Für eine erste Veröffentlichung eines Autoren eine bemerkenswert gute Geschichte. 1956 erschienen, was man der Story nicht anmerkt.


    Ballard schrieb noch weitere Geschichten, die in Vermillion Sands spielen. 1971 kam dann ein Band mit den gesammelten Geschichten aus dieser Welt heraus.

  • Escapement, ebenfalls aus dem Jahre 1956, ist eine fast klassische Mystery-Story. Eine Variante der alptraumhaften Zeitschlafengeschichten wie man sie z.B. durch den Firm „Und täglich grüßt das Murmeltier“ kennt. Ein Ehepaar sitzt abends vorm Fernseher und lässt sich berieseln. Er löst Kreuzworträtsel und sie näht dabei. Da fällt ihm auf, dass sich das Fernsehprogramm alle 15 Minuten wiederholt, und zwar auf allen Kanälen. Seine Frau will ihm aber nicht glauben. Dann merkt er, dass nicht nur das Fernsehprogramm springt, sondern dass in der Zeit zwischen 9 Uhr und 9.15 gefangen ist. Er findet sich mit der Situation fast schon ab, sicher dass es sich nur um einen vorübergehenden Zustand handelt:


    Zitat

    In fact there was nothing else to do except sit tight and wait for it to wear off...


    Until then I had an unlimited supply of whisky waiting form e in the half-empty bottle standing on the sink, though of course there was one snag: I’d never be able to get drunk.


    Doch dann verkürzt sich die sich wiederholende Zeitspanne immer mehr. Eine sehr klaustrophische Geschichte.

  • Concentration City spielt in einer Stadt, die sich scheinbar endlos in alle Richtungen erstreckt. Die Distrikte sind horizontal durch eine Art U-Bahn verbunden und vertikal durch Aufzüge. Der Protagonist, ein Physik-Student, träumt vom Fliegen, wobei nicht die Konstruktion eines entsprechenden Flugapparats das Problem ist, sondern der Mangel an Platz in dieser Welt, die nur aus würfelartigen, überbevölkerten Einheiten zu bestehen scheint, in der jeder Kubikzentimeter eine Funktion hat. Der Protagonist begibt sich auf eine mehrwöchige U-Bahn-Reise auf die Suche nach „free space“.

  • Ich lese die Geschichten in der deutschen Übersetzung, die Stories sind -leider wohl nicht ganz vollständig- in 2 Bänden erschienen.


    Prima Belladonna ist recht gut erzählt, aber etwas vorhersehbar; es ist schnell klar, worauf die Geschichte hinausläuft, und wie sie endet kann man auch erahnen. (7/10)


    Hemmung (Escapment) ist eine spannende, beängstigende Geschichte, die lange vor "Und täglich grüßt das Murmeltier" geschrieben wurde und um Längen besser ist. Klasse ist auch die Pointe am Ende der Geschichte. (9/10)


    Die Konzentrationsstadt (Concentration City) : Eine sehr plastische Darstellung der Riesenstadt, deren Ende der Prot. auf seiner Reise sucht.
    Eine ganz nette Geschichte über eine entfernte Zukunft. (7/10)