Rowohlt, 2009, 141 Seiten
Aus dem Ungarischen von Kristin Schwamm
Kurzbeschreibung
In einem Budapester Schwimmbad erfuhr Imre Kertesz 1977 zufällig, dass in der Neuen Zürcher Zeitung eine Rezension seines in Ungarn kaum beachteten Erstlings Roman eines Schicksallosen erschienen war. Die Verfasserin war Eva Haldimann, die, selbst ungarischer Abstammung, das Literaturgeschehen in ihrer ehemaligen Heimat mit ihren hoch geschätzten Buchbesprechungen in der NZZ über Jahrzehnte zuverlässig begleitete, um den Autoren ein kleines Fenster nach dem Westen zu öffnen. Zwischen der Rezensentin und dem Autor entwickelte sich ein Briefwechsel, der seine höchste Intensität erst nach der anderen großen Öffnung, der europäischen Wende, erreichte und damit zu einem sehr persönlichen und einem Zeitdokument über das Jahrzehnt zwischen Kertesz erstem literarischen Erfolg in Deutschland und dem Nobelpreis 2002 geworden ist - seinen einzigartigen Aufstieg vom verkannten ungarischen Schriftsteller zum Weltautor.
Der Autor
Imre Kertesz, geboren 1929 in Budapest, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Sein autobiografischer "Roman eines Schicksallosen", den er Anfang der 70er Jahre abgeschlossen hatte, wurde zunächst von den Verlagen abgelehnt und nach seiner Veröffentlichung 1975 jahrelang ignoriert. Erst nachdem sich die politische Situation in Ungarn geändert hatte, brachte die Neuausgabe dem Autor die lange versagte Anerkennung und schließlich sogar den Nobelpreis für Literatur 2002. Weitere Werke: "Fiasko" (1988), "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind" (1989) und "Ich ein anderer" (1997).
Meine Meinung:
Die Briefe von Imre Kertesz an die Schweizer Literaturkritikerin Eva Haldimann umfassen die Jahre 1977 bis 2002. Der Schwerpunkt der Briefe liegt jedoch in den 90ziger Jahren.
Eva Haldimann hat 1977 früh schon Imre Kertesz Roman eines Schicksalslosen positiv besprochen. Der damals noch nicht so bekannte Autor war darüber so erfreut, dass er ihr schrieb. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Der Briefwechsel endete dann 2002 mit dem Gewinn des Literaturnobelpreises, woraufhin Kertesz so beschäftigt war, dass sie von da an telefonierten anstatt Briefe zu schreiben.
Die allermeisten Briefe stammen von Kertesz, nur wenige von Eva Haldimann.
Die Briefe lassen sich sehr mit Gewinn lesen, sie sind so gut geschrieben und so geistreich, dass es nie langweilig wird.
Die Briefe werden durch umfangreiche Anmerkungen und einen dokumentarischen Anhang ergänzt, so dass eigentlich drei anstatt 1 Leseband benötigt würden. Es empfiehlt sich sehr, diese informativen Anmerkungen zu den Briefen gleich zu lesen, nachdem man jeweils einen dazugehörigen Brief gelesen hat. So ergibt sich ein gutes umfassendes Bild, nicht nur über den Literaturnobelpreisträger, sondern auch über fast die komplette ungarische Literatur, ihr Auf und Ab und der Wandel. Öfter erwähnt werden zum Beispiel Peter Esterhazy, Peter Nadas, György Konrad, György Dalos und viele andere.
Dazu kommen kleine Skandale, wie antisemitische Artikel eines Mitglieds des ungarischen Schriftstellerverbandes, woraufhin Imre Kertesz aus dem Verband austrat. Andere Autoren folgten seinem Beispiel. Weiterhin noch antisemitische Äußerungen des Leiters des Haus Ungarn in Berlin.
Sehr interessant sind auch die Abschnitte über die unterschiedlichen Übersetzungen von Kertesz Büchern, u.a. von Ilma Rakusa, und über die Veröffentlichungen in deutschen Verlagen, insbesondere Rowohlt.
Ein lohnenswertes Buch. Man hätte nicht gedacht, dass Briefe so spannend und unterhaltsam sein können.