Über den Autor
Will Gatti, 1949 geboren, arbeitete in vielen unterschiedlichen Berufen - u. a. als Lagerarbeiter auf den Docks von Bordeaux, als Dekorateur und LKW-Fahrer -, bevor er Lektor für Kinderbücher wurde. Er lebte einige Jahre an der Westküste Irlands, wohin er noch heute jeden Sommer zurückkehrt.
Gleich vorweg: „Diebe“ ist kein Kinderbuch und auch nichts für zartbesaitete Jugendliche und Erwachsene. Bei Amazon wird es ab 12 empfohlen und das halte ich definitiv für zu früh.
Rasant und schonungslos wird aus dem Leben von zwei fiktiven Waisenkindern erzählt, die in einer namenlosen südamerikanischen Großstadt leben. Zusammen mit anderen Kindern übernachten sie bei Fay, die sie zu Dieben erzieht. Nur wenn sie genug stehlen, schweigen und ihr gehorchen, dürfen die Kinder bleiben. Baz wurde nach dem Ort benannt, an dem sie gefunden von Fay gefunden wurde und ihr Partner Demi möchte gerne in jeder Hinsicht doppelt so groß werden, wie er momentan ist. Die beiden sind ein gutes Team, flink, für ihre Opfer unsichtbar und geschickt. Aber eines Tages stiehlt Demi statt Geld etwas anderes und bringt sich und andere damit in Lebensgefahr…
Will Gatti beschreibt das Leben in dem Ghetto namens Barrio (dt. Nachbarschaft), wo es keine Straßennamen gibt und ein Mann namens Mr. Moro den Ton angibt. An ihn müssen alle Schutzgelder zahlen und nachdem Demis heiklem Diebstahl sind auch, aber nicht nur, Mr. Moros Konsorten hinter ihm her. Baz und Demi leben in einer Welt, in der echte Freundschaften sehr dünn gesät sind, Hilfe und Vertrauen Menschenleben kosten können.
Baz träumt von einer Familie, etwas, das sie selbst nie kennenlernen durfte. Gemeinsam mit Fay träumt sie manchmal davon, dass sie in den unbekannten Norden gehen würden, wenn sie eines fernen Tages genug Geld beisammen haben. Fays Name soll vermutlich an Fagin aus dem Roman „Oliver Twist“ von Dickens erinnern, der einige Kinder um sich gescharrt hat, die er zu Dieben macht. Auch Fay ist die Drahtzieherin hinter den Diebstählen der Kinder, ist aber deutlich jünger als Fagin und birgt ein eigenes dunkles Geheimnis in ihrer Vergangenheit, das sie hart gemacht hat und manchmal auch bitter. Über ihre Vergangenheit hätte ich gerne mehr erfahren. Demi bleibt als Figur leider ein wenig blass und schablonenhaft, vielleicht deshalb, weil seine Gedanken und seine Vergangenheit im Dunkeln bleiben. Er ist ein jugendlicher Draufgänger, der jedoch meist kühl kalkuliert und sich der Risiken bewusst ist. Ein großes Mundwerk, hinter dem sich sehr gut versteckt ein weiches Herz verbirgt.
Die erste Hälfte des Romans las sich etwas zäh, was weniger an der Geschichte selbst lag, als an dem gewollt fehlerhaften Englisch. Ein Beispiel von Seite 116: „You better off if you be a little more like Baz. She don´t bother me some like you.” Die zweite Hälfte des Romans ist so rasant, dass die Seiten nur so dahinflogen. Will Gatti gönnt seinen Figuren und Lesern keine Verschnaufpause mehr bis hin zum glaubwürdigen Ende.
Fazit: Kein Kinderbuch, sondern ein sehr realistischer Jugendroman, der einen Einblick in das Leben in Südamerika bietet. Der Autor beschreibt schonungslos die Zustände in südamerikanischen Armenvierteln, statt Disney-Romantik herrscht hier knallharte Realität.