Kuwait und Irak, März bis April 2003, der Journalist Evan Wright begleitet "embedded" ein Platoon von Marines des First Recon Aufklärungsbataillons in den ersten Wochen der Invasion in den Irak. Der Verlauf der Invasion ist bekannt, innerhalb von wenigen Wochen hat das amerikanische Militär im "Blitzkrieg"-Stil die irakische Armee besiegt, deren Soldaten sich oftmals kampflos ergeben haben, Bagdad erreicht und den Irak besetzt. Evan Wrights Artikel erschien zunächst im "Rolling Stone" Magazine und wurde von ihm später zu einem Buch erweitert, auf dem die gleichnamige siebenteilige Mini-Serie "Generation Kill" beruht.
Der wesentliche Unterschied zwischen Buch und Serie ist die Perspektive aus der der Zuschauer oder Leser die Handlung erfährt. Journalist Evan Wright lässt Erläuterungen und Informationen zur Verständniserklärung von Anfang an in sein Buch einfließen. Er hatte die Möglichkeit mit Offizieren zu sprechen und bis zur Veröffentlichung seines Artikels für das Magazin "Rolling Stone" gab es genügend Informationen zum Verlauf der Invasion. Die Mini-Serie "Generation Kill" setzt kurz vor Ankunft von Evan Wright bei den Marines ein und beschreibt im Wesentlichen das, was Wright selbst miterlebt hat, aber aus der Perspektive und auf dem Informationsstand der Marines zu diesem Zeitpunkt.
Recon(naissance) Marines sind von Ausbildung und Jobbeschreibung hochspezialisierte und sehr gut ausgebildete Soldaten, die zur Aufklärung in kleinen Gruppen hinter feindlichen Linien arbeiten und Information sammeln, um diese an die militärische Führung weiterzuleiten oder auch als Scharfschützen-Teams, um gezielt Gegner auszuschalten. Recon Marines werden normalerweise nicht als Bodentruppen zu Gefechten eingesetzt. Nach Planung des US-amerikanischen Oberkommandos sollte die Invasion mit einem "relativ kleinen" militärischen Kontingent durchgeführt werden und für diese war das First Recon Batallion ausgewählt worden, als "shock troops" / Speerspitze zu dienen.
In der ersten Episode, "Get Some", wird der Zuschauer direkt in die Handlung hineingeworfen, militärische Begriffe werden ohne Erläuterung verwendet* und die Marines in ihren identischen Uniformen, kurzgeschorenen Haaren und oft mit Kopfbedeckung sind für einen Außenstehenden zunächst kaum auseinanderzuhalten. (* Es gibt ein der DVD beigefügtes Booklet, betitelt "Basic Training", in dem der Aufbau eines Platoons und seitenweise militärische Akronyme und Insider-Jargon erläutert werden).
Diese ursprüngliche Unüberschaubarkeit für den Zuschauer und das langsame Kennenlernen der Charaktere war von den Produzenten von "Generation Kill" auch genau so beabsichtigt, wie wir aus dem Audiokommentar erfahren, wie der Zivilist Evan Wright die Situation erlebt hat, aber auch wie ein Marine es erleben kann, der neu in ein Platoon kommt und sich in der Hackordnung zurechtfinden und Respekt erst verdienen muss.
Produzenten und Drehbuchschreiber von "Generation Kill" sind David Simon und Ed Burns, die Macher von The Wire. Da ich den Stil von David Simon und Ed Burns kenne und sehr schätze, war es vielleicht für mich als Zuschauer etwas einfacher, mich auf diese anfängliche unübersichtliche Situation einzulassen, da ich wusste, das sich das Bild nach und nach zusammenfügen würde. Die erste Episode habe ich aber direkt zwei Mal nacheinander gesehen, um in die Handlung hineinzufinden.
Nach wochenlangem Warten im Camp Matilda in Kuwait sind viele Marines froh, dass es "endlich losgeht". Am ersten Tag unterwegs im Irak sind einige der Marines sogar enttäuscht, dass sie noch nicht in Kampfhandlungen verwickelt waren, ihre Waffe noch nicht im Ernstfall abfeuern und einen Iraker töten konnten, sozusagen als Initiation ein "richtiger" Marine zu sein. Als sie schließlich in Gefechtssituationen sind, wirkt es bei einigen so, als wären sie in Echtzeit in einem Computerspiel gelandet. Schießen, und dass "Figuren" bluten und umkippen, nehmen sie zunächst kaum anders als die animierte Handlung eines Ballerspiels wahr. Die meisten Marines der niedrigen Dienstgrade sind um die zwanzig, viele kommen aus armen und/oder zerrütteten Familien, und sind, wie Evan Wright es in seinem Buch bezeichnet, "the first generation of disposable children". Viele dieser jungen Marines sind sich dessen auch bewusst und ihre Grundeinstellung ist ziemlich zynisch. Sie erwarten, von ihrer Regierung belogen zu werden. Politik und die Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes im Irak ist für viele kein Thema. Das Militär ist für sie ein Job und für viele auch ein Familienersatz.
Der Irakkrieg ist von Beginn an von irakischer Seite Guerillakampf, selten gibt es Gefechte der amerikanischen Truppen mit regulären irakischen Truppen. Jederzeit können die amerikanischen Soldaten aus umliegenden Häusern beschossen werden, oder eine am Straßenrand deponierte Bombe kann explodieren. Nach einem Angriff verschwinden die irakischen Kämpfer wieder unter der Zivilbevölkerung. Wenn es keinen klar erkennbaren Feind in Uniform gibt, ist es für die amerikanischen Soldaten dementsprechend oftmals schwer, die Lage einzuschätzen und dies führt zu zivilen Opfern.
"Winning Hearts and Minds" war schon in Vietnam der Slogan, aber wie in Vietnam war dies auch im Irak früh zum Scheitern verurteilt, da durch Fehleinschätzungen der Befehlshabenden, die Erwartungen der irakischen Bevölkerung, die sich auf die Hilfe der Amerikaner verlassen wollten, oftmals enttäuscht wurden. In den Platoons vor Ort sieht man den Handlungsbedarf anders, als es die Offiziere in der weit entfernten Kommandozentrale tun, die ihre "Strategie" verfolgen. Das Militär ist hierarchisch strukturiert und die Marines vor Ort müssen ihre Befehle befolgen, obwohl sie vielleicht nicht damit einverstanden sind. In einer dieser Situationen sagt der Lieutenant zu dem Reporter, "Tell it like you want to, I won't stop you." "Generation Kill" zeigt nur einen Ausschnitt von einigen Wochen von einem Krieg, der sich zu einem Guerillakrieg ausgedehnt hat und nach 7 Jahren immer noch andauert. Bereits am Ende der ersten Wochen gibt es bei vielen der Beteiligten das Gefühl der Ernüchterung über das, was sie erlebt haben.
"Generation Kill" hat keine belehrende Antikriegsbotschaft, noch gibt es blütenweiße Helden oder patriotische Verherrlichung oder Rechtfertigung dieses Krieges. Die Sprache der Marines ist oft vulgär, das Verhalten scheint rassistisch. Im Laufe der Episoden zeigt "Generation Kill", wie diese ersten Wochen der Invasion für diese Gruppe von Marines verlaufen sind und überlässt es dem Zuschauer, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Militärische Berater bei den Dreharbeiten waren drei Marines, die in dem beschriebenen Platoon bei der Invasion dabei waren, einer dieser Marines spielt sich selber. Das erklärte Ziel von David Simon und Ed Burns ist es, spezifische Gruppen so darzustellen, das sich diese in der Wirklichkeit wiedererkennen. Es gab vor Ausstrahlung auf HBO eine Preview von "Generation Kill" in Camp Pendleton in Kalifornien, einer der größten Militärbasen in den USA, und auf Amazon.com und anderen Websites gibt es diverse Reviews und Kommentare, die von Soldaten oder Marines, ehemaligen oder noch aktiven, verfasst wurden. Die Meinung ist einhellig, dass die Darstellung von Ereignissen und Verhalten der Marines bis ins Detail realistisch ist.
"Generation Kill" ist eine ernsthafte Darstellung der realen Situation, aber gleichzeitig auch ein Kriegs-"Roadmovie", mit vielen prägnanten Charakteren. "Generation Kill" ist sehr dialoglastig, sehr zynisch und daraus resultierend wiederum oft sehr witzig.
Zehn Punkte
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