Leon de Winter - Das Recht auf Rückkehr

  • Der Autor
    Leon de Winter, geboren 1954 in 's-Hertogenbosch ist Sohn niederländischer Juden, lebt in Holland und den USA. 2002 erhielt er den WELT-Literaturpreis.


    Klappentext
    Als der vierjährige Bennie spurlos verschwindet, denkt sein Vater, Bram Mannheim, erst an einen Unfall, dann an ein Verbrechen. Dass das Verschwinden des Jungen mit Weltpolitik zu tun haben könnte, entdeckt er erst viele Jahre später. Und er tut alles, um seinen Sohn wiederzubekommen.


    Meine Meinung
    Israel 2024: Der Staat ist mittlerweile auf die Fläche von Groß-Tel-Aviv zusammengeschmolzen. Alle jungen Menschen haben das Land verlassen, zurückgeblieben sind fast nur die Alten, ein paar die aufgrund von Vorbestrafungen kein Visum in einem anderen Land erhalten, und fanatische Zionisten. Halten kann sich der Kleinstaat inmitten seiner Feinde nur durch seine überlegene Technologien, zu denen auch die Möglichkeit gehört,anhand von DNA-Analysen an den Grenzposten zu erkennen, ob es sich bei Einreisenden um Juden oder Araber handelt. Auch sonst hat sich die Welt ziemlich verändert, Polen gehört zu den reichsten Ländern Europas und Russland unter dem Diktator Putin ist das mächtigste Land der Welt.
    Das ist der Hintergrund von Leon de Winters Politthriller Das Recht auf Rückkehr. Held des Romans ist Bram Mannheim, ein israelischer Historiker. 2004 wurde Brams Sohn Bennie entführt. Jahrelang ist er davon ausgegangen, dass er von einem Pädophilen ermordert wurde. Doch plötzlich finden sich Hinweise, dass sein Sohn möglicherweise noch am Leben ist und sein Verschwinden einen ganz anderen Hintergrund hat.
    Leon de Winters Roman ist solide geschrieben und hinreichend spannend. Brams Leiden, nachdem sein Sohn verschwunden ist, wird viel Raum gegeben. Das mag man als unnötige Längen empfinden, mir hat diese psychologische Komponente gefallen. Problematisch finde ich allerdings die politische Haltung des Romans. Natürlich darf man die Meinungen der Protagonisten nicht einfach mit denen Autors gleichsetzen. In diesem Fall hat man jedoch sehr stark das Gefühl, dass eine Hardliner-Position im Nahost-Konflikt vertreten wird. Bram und andere wichtige Protagonisten des Romans sind ehemalige "Tauben", die jedoch aufgrund ihrer Erfahrungen im Nahen Osten gegenüber den Arabern unbeugsam geworden sind. Muslime tauchen im Roman eigentlich nur als nach jüdischen Blut lüsternde Fanatiker auf. Daher ist auch der einzige Lösungsweg aller Personen im Roman: vernichtet sie, bevor sie uns vernichten. So eine undifferenzierte Darstellung ist nicht nur politisch problematisch, sondern nagt auch an den literarischen Qualitäten des Romanes. Schade!

  • Zitat

    Original von Clio
    Muslime tauchen im Roman eigentlich nur als nach jüdischen Blut lüsternde Fanatiker auf. Daher ist auch der einzige Lösungsweg aller Personen im Roman: vernichtet sie, bevor sie uns vernichten. So eine undifferenzierte Darstellung ist nicht nur politisch problematisch, sondern nagt auch an den literarischen Qualitäten des Romanes. Schade!


    Das ist wohl letztendlich aus der Herkunft de Winters zu erklären. Ich schätze seine Bücher und nicht zuletzt auch seine politischen Ansichten sehr. Herzlichen Dank für deine sehr interessante Rezi.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Am Ende eher unzufrieden


    Im Jahr 2024 ist von Israel nur noch Tel Aviv übriggeblieben, dazu ein weitgehend entvölkertes Areal drumherum. Jerusalem gehört den Palästinensern, und die schwindende jüdische Bevölkerung im kleinen Rumpfstaat altert schneller als die Rettungswagen fahren können. Einen dieser Rettungswagen fährt Abraham Mannheim, genannt Bram, Professor für Geschichte, Sohn eines Nobelpreisträgers für Physik, in seiner Freizeit ehrenamtlich, wie viele andere Israelis auch. Mannheim betreibt hauptberuflich eine Agentur, die nach Spuren verlorener Kinder sucht. Da erschüttert ein Selbstmordattentat die Stadt. Obwohl die Übergänge DNA-gesichert sind und kein nichtjüdischer Mensch sie passieren können dürfte, schafft es ein Attentäter und sprengt den Kontrollpunkt in die Luft. Wie sich herausstellt, besaß dieser Attentäter jüdische DNA. Und die Spur zu diesem Attentäter führt Mannheim in die eigene Vergangenheit.


    Früher, in unserer Jetztzeit, war Mannheim glücklich. Er hatte eine großartige Frau, einen geliebten Sohn, ein Angebot aus Amerika für eine Dozentenstelle in Princeton. Das er annahm, als Sohn und Frau beinahe bei einem Anschlag ums Leben kamen.
    Doch ausgerechnet im sicher geglaubten Amerika, in einem Haus, so groß, dass die Bevölkerung Israels aus dem Jahr 2024 darin Platz hätte, tritt die Katastrophe ein. Benny Mannheim, der Sohn, verschwindet. Bram Mannheims Leben verändert sich schlagartig, und auch er ändert sich, gerät in einen Wahn, der ihn an die Magie bestimmter Zahlen glauben lässt und in eine Irrfahrt zwingt. Jahrelang sucht er, meistens auf der Straße lebend, die USA nach dem verschwundenen Sohn ab. Bis er eines Tages zufällig die Tochter eines jüdischen Millionärs rettet. Und wieder ändert sich alles.


    De Winters neuer, selbstverständlich vortrefflich formulierter Roman ist vielschichtig, fast ein bisschen zu vielschichtig für meinen Geschmack. Das verbindende Thema, nämlich die Zukunft Israels, die politischen Interessen, die blutrünstige Gewaltbereitschaft der "Gegenseite", der unbedingte Überlebenswille, der Kampf gegen den Terror und vieles mehr aus diesem Kanon schleifen die persönliche Geschichte der Hauptfigur zur Nebenhandlung. Daran ändert die ergreifende, schmerzvolle Schilderung der tragischen Ereignisse und ihrer Konsequenzen nur wenig. "Das Recht auf Rückkehr" ist ein Statement, eine wütende Prognose, eine Anklage. Es ist eine fraglos vorstellbare Fiktion, die de Winter eindringlich, aber keineswegs selbstherrlich entwirft. Eine, die den Wahnsinn der absoluten Gottesfürchtigkeit, aber auch des "Kampfes gegen den Terror" und ihre jeweiligen Konsequenzen für das Weltgefüge vielleicht nicht auf neue, wenigstens aber auf originelle Weise beleuchtet.


    Am Ende war ich eher unzufrieden. In "Malibu" hat de Winter selbst den Maßstab dafür gesetzt, wie erschütternd man einen Verlust wie jenen, den auch Bram Mannheim erleben muss, schildern kann, und es gelingt ihm in "Das Recht auf Rückkehr" nicht, das zu wiederholen. Und die Geschichte ist zwar spannend, facettenreich, provozierend und nicht selten erschreckend, wirkt aber häufig nüchtern konstruiert und ist so sehr von plakativer Metaphorik durchsetzt, dass auch die brillante Sprache nicht davon abzulenken in der Lage ist, dass sich der bärenstarke Leon de Winter hier um ein paar Zehntel Gramm verhoben hat. Trotzdem ein lesenswertes, (weil) sehr politisches Buch.

  • In der Tat ein düsteres Szenario, das Leon de Winter hier entwirft.
    Insgesamt herrscht im Roman eine sehr radikale und ketzerische Stimmung, die beträchtlich auf die eigene Stimmung drückt. In politischer Hinsicht hinreichend provozierend und polemisch aber sicher nicht als Zukunftsszenario oder Gegenwartsdarstellung ernst zu nehmen.


    Mir hat der Roman allerdings sehr gut gefallen. Es war mein erster de Winter und somit fallen Vergleichsmöglichkeiten natürlich weg. Trotzdem, ich war von Anfang an im Bann der Geschichte und völlig gefesselt von der Ezählkunst des Autors.


    In de Winters Israel 2024 werden Nicht-Juden von Juden über DNA-Kontrollen identifiziert. Es gibt nur noch einen kleinen Stadtstaat Israel um Tel Aviv herum, indem man abends nur noch auf die Straße geht um Medikamente zu holen oder sich von einem Ehekrach abzukühlen. Tel Aviv selbst besitzt den Flair einer Geisterstadt. Es gibt nur noch alte Menschen, die von ihren nicht viel jüngeren Nachkommen gepflegt werden. Die jungen Menschen haben nach Möglichkeit die Kurve gekratzt. Und doch schaffen es Terroristen trotz DNA-Kontrollen und Personenscans sich einzuschleichen und Anschläge auszuführen. Die Aufklärung dieser Tatsache ist ein Hauptstrang des Romans und erschreckend realistisch.


    Im Vordergrund der Geschichte steht Bram Mannheim, Professor für Geschichte - spezialisiert auf den Nahen Osten. Bram nimmt im Jahre 2004 eine Professur an einer amerikanischen Universität in Kalifornien an - kurz nachdem seine Frau und sein Sohn durch Glück und/oder Zufall einem Terroranschlag in einem israelischen Kindergarten entkommen. Nachdem Bram erst Zweifel hegt die Stelle anzunehmen, entscheidet er sich nach dem Anschlag doch dazu. Er sieht darin die Möglichkeit seiner Familie eine sichere Zukunft aufzubauen. Kaum in den USA angekommen jedoch ereilt ihn ein harter Schicksalsschlag: sein vierjähriger Sohn Bennie verschwindet plötzlich aus dem Haus als er ihn einen Moment lang wegen eines Telefonats unbeaufsichtigt lässt.


    Im Anschluss verfällt Bram in einen Zustand aus Wahn und Verrücktheit. Er verliert seine Frau, seine Anstellung, sogar sich selbst und treibt sich zwei Jahre als Obdachloser in Kalifornien herum, stets im eigenen Auftrag seinen Sohn ausfindig zu machen. Geistig klammert sich Bram an die Ordnung der Zahlen, die oftmals kaum nachvollziehbar wirken, um nicht vollständig dem Wahnsinn zu verfallen. Bram entkommt diesem Zustand mehr oder weniger nur durch Zufall.


    Erst spät führt Leon de Winter die Fäden des Romans zusammen. Auch wenn man sich eigentlich recht früh schon über den Ausgang der Geschichte im Klaren ist, wird es nicht langweilig. Leon de Winter kann wirklich hervorragend erzählen.


    Bei der Beurteilung des Buches muss man wohl differenzieren: das eine ist die radikale politische Einstellung des Autoren, die hier klar hervortritt, und das andere ist der Plot. Letzteres ist meines Erachtens wirklich hervorragend gelungen. Die Stimmung des geisterhaft verlassenen Israels im Jahre 2024 ist grandios eingefangen. Großartiges Kopfkino wird hier angestartet. Einzig die zwei Jahre des Wahnsinns von Bram Mannheim erschienen mir ein wenig langatmig und unnötig ausschweifend.


    Was die politische Ausrichtung angeht: ich habe mich nach der Hälfte des Buches ein bisschen über Leon de Winter kundig gemacht und dabei festgestellt, dass er nicht einfach ein provozierendes und polemisches Buch schreiben wollte, sondern tatsächlich seine eigene Haltung, die sich aus dem heutigen Zustand im Nahen Osten ergibt [1][2], widerspiegelt. Insofern wunderte ich mich danach nicht mehr über die die doch sehr einseitigen Haltungen der Protagonisten.


    "Also quatsch nicht von Frieden und von >mit dem Feind reden<. Dieser Feind ist ein Untier. Er wird deine Eingeweide fressen, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt. Und wenn du nicht dort lebst, wenn du das nicht aus eigener Erfahrung kennst, dann steht dir kein Urteil zu."


    Ich finde es ein wenig deplaziert diese extreme politische Haltung in Romanform zu “verkaufen”. Sehr gerne würde ich auf sachlicher und wesentlich differenzierterer Ebene mehr von Leon de Winter und seinem Standpunkt erfahren. Aber hier in diesem Roman waren sie meiner Meinung nach fehl am Platz. Zu pauschal, zu trivial aufgeführt.


    Fazit: Als spannende Lektüre sehr empfehlenswert! In politischer Hinsicht allerdings mit Vorsicht und vor allem Weitsicht zu genießen. Ich freue mich dennoch sehr auf Sokolows Universum, was hier schon bereit liegt.


    Sonstige Infos
    Den im Buch erwähnten Terroristen Samir Kuntar, der einen Vater vor den Augen seiner vierjährigen Tochter erschoss und im Anschluss den Schädel des Mädchen zertrümmerte, gab es wirklich.
    --> Wikipedia zu Samir Kuntar


    Interviews mit Leon de Winter
    [1] Interview von news.de mit Leon de Winter zum Roman
    [2] Interview des Tagesanzeigers mit Leon de Winter zum Angriff auf die türkische Schiffsflotte mit 10 Toten im Mai 2010