Die Flüsterer - Orlando Figes

  • Die Flüsterer – Leben in Stalins Russland – Orlando Figes


    Klappentext:
    Viele Darstellungen behandeln die sichtbaren Aspekte der stalinistischen Diktatur: die Verhaftungen und Prozesse, die Versklavung und das Morden in den Gulags. Kein Buch hat jedoch bislang die Auswirkungen des Regimes auf das Privat- und Familienleben der Menschen untersucht, den Stalinismus, der uns alle ergriff , wie es ein russischer Historiker einmal formuliert hat. Auf der Basis von Hunderten Interviews mit Zeitzeugen und zahllosen bislang unbekannten Dokumenten liefert nun Orlando Figes in Die Flüsterer erstmals einen unmittelbaren Einblick in die Innenwelt gewöhnlicher Sowjetbürger und zeigt an zahlreichen eindringlichen Beispielen, wie Einzelne oder Familien in einem von Misstrauen, Angst, Kompromissen und Verrat beherrschten Alltag um ihr Überleben kämpften. Für die Zeit der Revolution von 1917 bis zu Stalins Tod und darüber hinaus rekonstruiert Figes das moralische Gespinst, in dem sich die allermeisten Russen gefangen sahen: Eine einzige falsche Bewegung konnte eine Familie zerstören oder am Ende womöglich deren Rettung bedeuten. Keiner konnte sich sicher fühlen, nicht einmal die überzeugtesten Anhänger des Regimes. Wahrheit und Wahn, Schuld und Unschuld waren in diesem Unterdrückungssystem immer wieder auf fatal miteinander verquickt. Orlando Figes neues Meisterwerk in seiner erzählerischen Wucht und Aufrichtigkeit vergleichbar mit Grossmans Jahrhundertroman Leben und Schicksal ist das breit angelegte Porträt einer Gesellschaft, in der jeder nur noch flüstert entweder um sich und andere zu schützen oder um zu verraten. Ein ebenso schonungsloser wie ergreifender Bericht davon, wie schwach und wie unvorstellbar stark Menschen in einer von Paranoia geprägten totalitären Gesellschaft werden können.


    Zum Autor (Klappentext)
    Orlando Figes lehrt Geschichte am Birkbeck College in London. Über sein preisgekröntes Standardwerk „Die Tragödie eines Volkes“ schrieb der große Historiker Eric Hobsbawm, es werde „mehr zum Verständnis der russischen Revolution beitragen als irgendein anderes Buch“. Auch „Natascha Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands“ erhielt zahlreiche hervorragende Besprechungen.


    Meine Meinung:
    Die systematische Zerstörung des privaten Raums und familiärer Loyalität bis hin zur physischen Zerstörung ganzer Familien, die Sippenhaft bewusst einschloss, ist der Inhalt dieses mehr als tausendseitigen Buches.
    Figes Darstellung zeichnet sich dadurch aus, dass er als Grundlage für diese Untersuchung zahlreiche Zeitzeugen in ausführlichen Interviews über die Zeit des Stalinismus befragt hat, in denen sie ihre Familiengeschichten erzählen und somit die unmittelbaren Konsequenzen der stalinistischen Diktatur und des Terrors für Privatpersonen und Familien aufzeigen.
    Figes stellt dar, wie die Familie und menschliches Vertrauen systematisch zerstört wurden. Die Aneinanderreihung von Zitaten mit häufig sehr ähnlichen Motiven und Inhalten kann auf Dauer (nach einigen hundert Seiten) ermüden und teilweise auch verwirren, wenn man nicht mehr die Anfänge der fortgeführten Familiengeschichten parat hat. Diese Ausführlichkeit ist aber zum Verständnis dafür, dass es nicht um Einzelfälle, sondern um offensichtlich typische Vorgänge und Verhaltens- sowie Reaktionsweisen ging, durchaus nachvollziehbar, zumal ein Buch wie dieses nicht unbedingt von der ersten bis zur letzten Seite gelesen werden muss, um gewinnbringend zu sein. Zumindest für jene, die des Russischen mächtig sind, ist die Homepage von Orlando Figes sicher interessant, auf der Familiengeschichten und Interviews der befragten Personen zugänglich sind.
    Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch für alle, die sich für Stalinismus und seine unmittelbare Auswirkung auf das (Privat-)Leben der Menschen interessieren. Ein wenig Vorwissen über die Zeit ab der Revolution erleichtert die Einordnung bestimmter Vorgänge oder Entwicklungen, die von Figes nicht näher erläutert werden.

  • Ich habe ziemlich lange überlegt, ob ich hier etwas zu den "Flüsterern" schreibe (eine Rezension würde ich es nicht nennen), weil ich das Gefühl habe, dieses umfassende Buch nicht wirklich fassen zu können. Deswegen möchte ich noch auf eine Rezension von Jörg Baberowski, einem Historiker, der viel über den Stalinismus geforscht hat, verweisen, der einige wichtige Aspekte aufgegriffen hat, zu deren Darstellung ich mich nicht fähig fühle. Sein Buch "Der Rote Terror" ist übrigens eine relativ kurze und gut verständliche Einführung zum Thema "Stalinismus".


    Rezension

  • Ich fand Die Flüsterer ebenfalls sehr gut. Ich denke, um den Stalinismus zu verstehen, ist dieses Buch unerlässlich, weil es tatsächlich in der Lage ist, die psychologischen Prozesse zu erklären, die dieses Terrorsystem zulassen konnten. Darüber hinaus ist es - für das Werk eines Historikers, die eher für ihre trockene Schreibe bekannt sind- wirklich gut und lesbar geschrieben. Zum Teil ließt es sich fast wie ein Roman. Kann ich unbedingt empfehlen.