Der weite Weg nach Hause - Rose Tremain

  • Titel: Der lange Weg nach Hause
    Autorin: Rose Tremain
    Origingaltitel: The Road Home, 2007 bei Chatto & Windus, London
    Verlag: Suhrkamp
    ISBN: 978-3518461204
    Preis: € 14,90


    Über die Autorin:
    Rose Tremain, 1943 geboren, wuchs in London auf und studierte an der Sorbonne. Sie war Dozentin für Englisch, Lehrerin und Lektorin, veröffentlichte Romane und Kurzgeschichten, schrieb aber auch für Film, Funk und Fernsehen.Ihre Bücher, für die sie mit zahlreichen Preisen aufgezeichnet wurde (u.a. dem Prix Femina Etranger) erschienen in 14 Sprachen. Für Melodie der Stille erhielt sie 2000 den Whitebread-Preis. Sie lebt in Norfolk.



    Kurzbeschreibung
    Eine Geschichte von der Trauer um die Vergangenheit und die Schönheit des Neuanfangs.
    Lev ist ein Glückssucher: Aus seinem osteuropäischen Dorf ist er nach London aufgebrochen, um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Stadt ist ihm fremd - der Rhythmus des Lebens, die Sprache, die Ambitionen der Menschen. In seiner Einsamkeit denkt er zurück an seine geliebte, jung verstorbene Frau Marina, an seine kleine Tochter Maya und an die verrückten Erlebnisse mit seinem besten Freund Rudi. Doch Lev ist entschlossen, sich eine Zukunft zu erkämpfen: Er entdeckt ein ungeahntes Talent, er findet Freunde und sogar eine neue Liebe, er schickt Geld nach Hause. Und als ihn von dort schlechte Nachrichten erreichen, hat er eine große, eine abenteuerliche Idee ...


    Der neue, preisgekrönte Roman von Rose Tremain ist eine bewegende Geschichte über das Gefühl der Entwurzelung in der Welt von heute. Kraftvoll und klar, voller Menschlichkeit, Herzenswärme und befreiendem Humor erzählt Tremain von einem, der akzeptieren muss, dass bei jedem Aufbruch etwas zurückbleibt.



    Meine Meinung:
    Lev, Anfang vierzig, Witwer, verläßt sein osteuropäisches Dorf um in England viel Geld zu verdienen das er seiner Mutter und seiner 5jährigen Tochter nach Hause schicken will. Denn da wo er herkommt, den Ort den er verläßt, gibt es keine Arbeit mehr. Und der Erlös der Schmuckstücke die seine Mutter in Handarbeit herstellt reicht nicht aus um die Familie zu ernähren.
    Nach einer mehr als 50stündigen Busfahrt kommt er müde, schmutzig und äußerst naiv in London an.


    "Die Engländer haben Glück. Aber, dachte Lev, jetzt fahre ich in ihr Land, und ich werde sie zwingen, es mit mir zu teilen: ihr verteufeltes Glück."


    Doch Lev ist nicht der Typ der jemanden zwingt. Er ist ein Träumer und die harte Realität holt ihn sehr bald ein. Sein erster Job besteht darin für eine Dönerbude Prospekte zu verteilen und bald muss er erkennen, dass dieses Geld bei weitem nicht ausreicht seinen Lebensunterhalt zu verdienen, geschweige denn dass er davon noch etwas an seine zurückgebliebene Familie schicken kann.
    Mit Hilfe von Lydia, einer Mitreisenden aus der alten Heimat, zu der er lange Zeit Kontakt hält, findet er im Anzeigendschungel der englischen Tageszeitungen, ein Zimmer zur Untermiete und einen Aushilfsjob in einer Küche. Er hat Glück, sein Vermieter wird ihm ein echter Freund und er kann sich auch wieder, obwohl der ständig an seine verstorbene Frau denken muss, auf die Liebe einlassen.
    Er verfolgt seine Ziele, manchmal bis an den Rand der Erschöpfung. Der Weg den er beschreitet ist hart und bitter, aber immer voller Hoffnung.


    Eine Geschichte voller Wehmut und Sehnsucht, die mir das Herz erwärmt hat. (dk)


    Volle Punktzahl

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Das Buch habe ich gerade in der Mangel und dachte mir, guckste mal, ob es dazu hier schon was gibt. Faszinierend, wie man in bestimmten Threads immer auf die üblichen Verdächtigen trifft :grin

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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    Ein Leben im Exil, Zusammenprall der Kulturen, das Fremde in einer Gesellschaft: was eigentlich nach einem großen Thema klingt, wurde hier leider zu einem höchst ärgerlichen Roman verarbeitet, der weniger die Tragik des Fremdseins zeigt, als vielmehr die Überheblichkeit des Westens gegenüber dem Osten.


    Schon alleine die Tatsache, dass Lev von der Autorin keine nationale Identität bekommt, zeigt eine Form britischer Arroganz, wie sie eigentlich aus Kolonialzeiten bekannt ist. Lev ist der “edle Wilde“ („ein prachtvolles Mannsbild“), aber ein Banause, kennt weder Hamlet noch Edgar Elgar.
    Da kann er aber nix für, kommt er doch aus einem rückständigen Land, irgendwo tief im Osten, in dem zwar die Landschaft friedlich ist und die Menschen gut sind, aber der Fortschritt irgendwo in der Mitte des letzten Jahrhunderts stehengeblieben ist. Das alte Festnetztelefon seines Freundes Rudi ist dafür ein Symbol, dass auch noch neben einer kaputten Kuckucksuhr hängt (im Gegensatz zu Levs neuem Handy, dass ihn zu einem „modernen menschlichen Wesen“ macht). Oder der altersschwache Tschewi, den Rudi als Taxiunternehmer fährt, offensichtlich die einzige Möglichkeit, in diesem rückständigen Land seinen Lebensunterhalt zu verdienen, will man sich nicht als Schwarzmarkthändler verdingen.


    Auch kulturell ist im finstren Osten nichts zu holen, der Höhepunkt sind Folkloreveranstaltungen in der nahe gelegenen Kleinstadt und von Hamlet, ich erwähnte es bereits, hat dort noch niemand je gehört (interessanterweise findet diese kulturelle Einöde in der Heimat seines irischen Freundes Christy ihre Entsprechung, die außer Fiddelmusik in der Kneipe nur trunksüchtige Familienväter zu bieten hat.).


    Überhaupt hat die Autorin eine eher vage, dafür aber umso krudere Vorstellung vom Kommunismus. So wurde im Elternhaus des Helden die Ikonen im Schrank versteckt, weil „ religiöse Rituale verboten waren“ und das alte Karussel in seiner Heimatstadt wurde nur wegen deren Ineffizienz von den Kommunisten nicht abgeschafft. Dass sie nicht einmal zwischen Vor- und Nachwendezeit differenziert, wird da deutlich, wo Lev „60 Jahre kommunistisches Essen“ in seiner Heimat beklagt, aber versichert, dass Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker mittlerweile jederzeit zu bekommen seien.


    Trotz dieser sehr ungünstigen Sozialisation ist Lev bereit für die freie Marktwirtschaft. Vorallem seine sklavische Leidensfähigkeit zeigt, dass er kapiert, wie der Westen tickt und auf was es ankommt. Wie es sich gehört, fängt er in einer Spülküche an und ist dankbar für den Job, auch wenn ihn der Küchenchef nicht nur ausbeutet, sondern auch regelmäßig beschimpft. Oder später, nachdem er sich als Spargelstecher verdingt: nur Dankbarkeit, besonders als der Bauer ihm seinen Lohn auszahlt und ihm doch tatsächlich zwei Pfund geschenkt! So viel Unterwerfung wird, so sieht es die reine Lehre des Kapitalismus wie auch die Autorin vor, also doch belohnt.


    Diese völlig bruchlose Einordnung Levs ins System macht dieser Figur gleichwohl ziemlich unglaubwürdig. Hier gibt es kaum Reibung, der Held macht keine Entwicklung durch, er leidet ein wenig an Heimweh und hat mal ein bisschen Liebeskummer, das sind aber auch seine einzigen inneren Konflikte. Wenn es denn mal zum Krach kommt, dann mit der avantgardistischen Kunstszene, doch selbst das ist die Stammtischempörung des „kleinen Mannes“ und weniger ein Clash der Kulturen.


    Alles in allem ist dieses Buch nicht ein warmherziges Plädoyer für das Fremde, sondern die romangewordene Gutsherrenmentalität der Autorin. Schlimm.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich lese das Buch jetzt und finde es sehr anrührend, aber auch lustig. Die Erinnerungen Levs sind wirklich herzerwärmend (die Schilderung, wie er auf dem Markt immer verzweifelter wird, weil es keine Weihnachtssterne gibt, welche er seiner Mutter schenken wollte - es ist halt noch nicht Weihnachten - hat mich richtig getroffen, zum Glück ging diese Geschichte aber gut aus), seine Erfahrungen in der Gegenwart zum Teil schwer zu ertragen, weil die Autorin alles so schildert, dass man sehr stark mit Lev mitfühlt.


    Wie gesagt gibt es aber auch immer wieder etwas zum Lachen! Mehr dann, wenn ich es ausgelesen habe.

  • Tja, hundert Seiten später, und noch nicht einmal die Mitte dieses Romans erreicht, hat die Freude an dem Buch schon nachgelassen. Die Geschichte schleppt sich ganz schön hin und es wird mir langsam doch etwas zu kitschig. Als Sophie erzählt, dass sie, die sich in einer Restaurantküche abschuftet, ihre Sonntage ehrenamtlich in einem Altersheim verbringt, ahnte ich schon nichts gutes, und tatsächlich quälte ich mich einigermaßen durch die Passage, als Lev sie dann am Weihnachtsfeiertag dorthin begleitet. Ich muss der Autorin aber zugute halten, dass sie die Situation in diesem Heim nicht allzu sehr beschönigt. Die sozialkritischen Äußerungen, die sie Sophie in den Mund legt, empfand ich aber doch als arg banal.


    Ich werde erstmal weiterlesen, Lev hat sich in dem neuen Land schon viel besser zurechtgefunden, sein Charakter gewinnt langsam an Tiefe, sodass ich hoffe, dass es wieder etwas interessanter wird.

  • Ich habe das Buch nun ausgelesen und es hat mir gefallen. Wenn ich daran zurückdenke, wie Lev nach London kam, an seine Busfahrt und die ersten Tage danach, erscheint es mir fast wie ein Wunder, wohin er es am Ende dann geschafft hat. Aber nein, es ist kein Wunder, es ist das Leben. Die Verhältnisse können sich über einen gewissen Zeitraum so stark verändern, dass man sich fragt, ob das wirklich das eigene Leben war, das man noch vor ein, zwei oder fünf Jahren geführt hat.


    Obwohl mir nicht alles an der Geschichte gefallen hat (vor allem gegen Ende rafft die Autorin plötzlich sehr stark - sonst wären es wohl noch 600 Seiten geworden...) und ich auch die Sprache der Autorin (oder die Übersetzung?) hier und da bemängeln muss, war es doch insgesamt eine interessante und bewegende Geschichte eines vielschichtigen Charakters, der einem durchaus auch manchmal richtig unsympathisch werden kann. Heimat und Fremde, Entfremdung von der Heimat, Vergangenheit und Zukunft, die Schwere des Lebens in manchen Lebensabschnitten und die große Gefahr, sich davon niederdrücken zu lassen, diese Themen verarbeitet die Autorin in ihrem Roman mit viel Einfühlungsvermögen und so, dass man sich als Leser auch sehr gut einfühlen kann.