Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten - Die zwiespältige Beziehung von Mensch und Insekt" von May R. Berenbaum
Die Autorin:
Insektenforscherin May R. Berenbaum leitet die Abteilung für Entomologie an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Seit 1994 ist sie Mitglied der National Academy of Sciences der USA. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die chemischen Wechselwirkungen zwischen pflanzenfressenden Insekten und ihren Wirtspflanzen sowie die ökologische und evolutionäre Bedeutung dieser Wechselwirkungen. Berenbaum organisiert alljährlich das "Fears of Insects Film Festival". (Autorentext im Buch)
Die englische Wikipediaseite gibt zudem bekannt:
May R. Berenbaum wurde 1953 geboren und hat 1975 an der Yale-University ihren Abschluss in Biologie gemacht und 1980 noch einen Ph. D. in Ökologie und evolutionärer Biologie angehängt. Sie hat zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften Verfasst und 3 Bücher über Insekten veröffentlicht.
Oh, und ein sehr witziger Fun-Fact (jedenfalls wenn man wie ich in den Neunzigern Akte X hoch und runter geschaut hat Es gibt einen Charakter in der Serie, der nach ihr benannt wurde - Dr Bambi Berenbaum, eine berühmte Entomologin und zeitweilige Schwärmerei von Agent Mulder.
Das Buch:
Allgegenwärtige Insekten
hc. Elefant und Löwe mögen uns als Wildtiere zwar beeindrucken; ihre Bedeutung im Rahmen der globalen Biologie ist indes marginal im Vergleich zur Insektenwelt. So sind schätzungsweise 80 Prozent aller Tierarten Insekten mit einer Gesamtzahl von 10 Trillionen. Ein Drittel unserer Nahrung entsteht nur dank Bestäubung der Blüten durch Insekten. Die kleinen Sechsbeiner können aber auch Krankheit und Tod bringen, von Malaria und Gelbfieber bis zum Massaker an Napoleons Soldaten, wo 1812 in Russland 300 000 Mann dem durch Läuse übertragenen Fleckfieber erlagen.
Die amerikanische Insektenforscherin May Berenbaum hat sich zum Ziel gesetzt, die in der Öffentlichkeit meist nur als ekelhafte Viecher zur Kenntnis genommenen Tiere ins rechte Licht zu rücken. In einem lehrreichen wie amüsanten Buch gibt sie eine Einführung in die Physiologie und das komplexe Sozialverhalten der Insekten und stellt dann die zwiespältige Beziehung zwischen Mensch und Insekt von der Antike bis zur Gegenwart dar. Es ist beeindruckend, mit welchem Erfindergeist die Menschen den Plagegeistern (oftmals erfolglos) zu Leibe rückten. Insekten sind aber auch Kulturgut; sie sind in der Kunst gegenwärtig (etwa in Japans Prosa und Malerei), beschäftigen die Juristen (wem gehört ein schwärmendes Bienenvolk?) oder beleben den Speisezettel (400 Gramm Termiten decken unsern Tagesbedarf an Energie, Eiweiss, Phosphor und Eisen). Das Buch ist eine populärwissenschaftliche Perle.
(Züricher Zeitung, kopiert von Amazon)
Sie produzierne Honig oder Gift, bringen Glück oder nächtliche Alpträume. Gemeinsam ist ihnen nicht allein die Zugehörigkeit zur Klasse der Insekten. Sie zeigen auch Verhaltensweisen, die an die menschlichen erinnern, und Lebensformen, die unsere beeinflussen. Unterhaltsam und lehrreich zugleich verdeutlicht dieses eloquente, kenntnisreiche Buch die zentrale Rolle, die Insekten im Getriebe der Natur spielen. Es erläutert ihre große Bedeutung innerhalb der Ökosysteme und vor allem ihre ambivalente Beziehung zum Menschen, der sie gleichermaßen verabscheut, mystifiziert und wirtschaftlich ausbeutet.
(Buchrückseite)
Meine Meinung:
Eine populärwissenschaftliche Perle... ja, das trifft es ganz gut!
Berenbaum schafft es wie kaum eine zweite, den nahezu perfekten Spagat zwischen populärer Unterhaltung und gut recherchiertem Wissen zwischen die Seiten zu bannen. Über all den angestrebten Unterhaltungswert verliert sie die Wissenschaftlichkeit nicht aus den Augen. In den Sparten, in denen ich mir ein Urteil erlauben kann, sind mir keine größeren Schnitzer in den sachlichen Daten aufgefallen. Natürlich sollte man (gerade bei Populärwissenschaft) immer mit wachem Geist und gesunder Skepsis lesen, aber bei Berenbaum hatte ich das Gefühl, dass es ihr sicherlich nicht nur um ein "schneller, ekliger, unglaublicher" geht, sondern sie sehr sorgfältig ist bei dem was sie schreibt.
Sie scheut sich auch nicht davor, Fachbegriffe zu benutzen, ABER sie schafft es auf sehr charmante Weise, den Leser trotzdem nicht damit zu überfordern. Wo Fachbegriffe sinnvoll sind benutzt sie sie, aber sie schmeißt nicht haltlos damit um sich. Eine Erklärung zu den Begriffen befindet sich immer direkt im Text (entweder als erläuternder Nebensatz oder in Klammern dahinter), und zwar so oft, wie das nötig ist. Wenn sie im vorangegangenen Kapitel den wissenschaftlichen Namen eines Insektes erwähnt hat, setzt sie nicht vorraus, dass der Leser den nun für den Rest des Buches gespeichert hat, sondern erläutert diesen (zumindest kurz ein Stichwort damit man wieder weiß, welche Art Tier man gerade vor sich hat) in jedem Kapitel separat, aber doch so unauffällig, dass es nicht beginnt zu nerven. So verliert man auch dann den Faden nicht, wenn man das Buch nicht am Stück herunterliest.
Allgemein gefällt mir der reine Aufbau das Buches recht gut, unabhängig von dessen Inhalt. So hat sie ihr Buch in 11 Themenkomplexe unterteilt, die sich zB mit der Systematischen Einordnung von Insekten befassen, mit der Physiologie der Insekten, deren Sozialverhalten, Ernährung (zB pflanzliche Kost, Parasitismus und "merkwürdigen" Vorlieben wie die Ernährung von Kot oder Aas) und die Beziehung von Insekten und Menschen in verschiedenen Aspekten (Kunst, Symbolik, Gesetzte, Geschichte, in der Ernährung usw). Jeder dieser Komplexe ist in ca 4-8 Kapitel unterteilt, die jeweils mit einem kurzen, passenden Zitat beginnen. Und was mir ganz besonders positiv aufgefallen ist: Die umfangreichen Quellen zu jedem Kapitel hat sie nicht etwa am Ende des Buches zusammengetragen, sondern schon jeweils am Ende eines Komplexes. Mir persönlich gefällt diese Lösung viel besser, weil man so doch eher mal die Quellen anschaut, als wenn man erst nach hintern blättern muss.
Am Schluss des Buches befindet sich ein Anhang, in dem sie über jeweils etwa eine halbe Seite die wichtigsten Insektenordnungen kurz vorstellt.
Nun aber das wichtigste - Der Inhalt. Ich kann nur sagen: ich habe rein gar nichts vermisst! Alles was mich zum Thema Insekten auch nur ansatzweise interessieren könnte wurde angerissen.. und darüber hinaus noch einiges mehr, von dem ich im Vorfeld nicht einmal eine bewusste Ahnung hatte, dass dieses Thema so an die Insektenwelt gekoppelt ist. Sie geht auf die teilweise doch sehr entscheidende Rolle der Insekten in Kriegen ein und wie Insekten allgemein den Lauf der Geschichte beeinflusst haben (zB wie die Pest als von Flöhen übertragene Krankheit den Aufschwung der Arbeiterklassen bewirkt haben könnte usw), wie Insekten in Arzeneien verarbeitet wurden, wie man versuchte ihnen mit verschiedenen Maßnahmen Herr zu werden, wie sie sich in Gerichtssälen als Angeklagte oder Zeugen oder Gegenstand eines Streits schlugen (und noch schlagen natürlich), wie sie verehrt und verteufelt wurden und so weiter und so fort.
Sie klebt bei ihren Beschreibungen nicht immer ganz eng am Insekt selber, sondern geht auch auf die von Insekten tangierten Gebiete weiter ein (wieder das Beispiel mit der Pest: Man erfährt auch, welche Arten der Pest es gibt, wo sie erstmals auftrat, wie sie sich weiter ausbreitete usw), ohne aber zu weit abzuschweifen und ins Schwafeln zu verfallen.
Insgesamt ist dieses Buch durchaus empfehlenswert für jeden, der gerne Popolärwissenschaft liest im allgemeinen, und Menschen die eine Faszination für Krabbelzeugs (sei diese nun eher aus einem Gefühl des Ekels oder einem Gefühl der Bewunderung entsprungen) empfinden insbesondere.
Da das Buch leider trotzdem ein bis zwei Längen aufweist, die sich aber in einem Buch mit dem Anspruch, nicht nur auf oberflächliche Effekthascherei aus zu sein, kaum vermeidbar ist und eventuell auch von persönlichen Interessenschwerpunkte des Lesers abhängt denke ich, bekommt es von mir sehr gute 8 von 10 Punkten und eine ausgesprochende Leseempfehlung.
Lieben Gruß
aj