"Der Bastard von Tolosa" - Ulf Schiewe

  • Kurzbeschreibung:
    Jofré Montalban wird von seiner Familie, speziell von seiner Mutter und seinem Onkel, schwer enttäuscht. Sie erlauben nicht, dass er seine große Liebe heiratet und zwingen ihn zur Ehe mit einem ihm unbekannten Mädchen. Nicht lange nach der unglücklichen Eheschließung zieht er aus Trotz mit dem Fürsten Raimund von Toulouse nach Outremer, um dort als Soldat Christi Jerusalem von den Heiden zu befreien.
    Viele Jahre später, als Kastellan der größten Christenfestung der Kreuzfahrerstaaten, wird eines Tages seine Geliebte Noura brutal ermordet. Da er des Tötens bereits müde ist und ihn nun nichts mehr in Outremer hält, begibt er sich auf die Reise nach Hause ins Frankenreich…


    meine Meinung:
    Was Ulf Schiewe mit diesem Erstlingswerk geschaffen hat, steht den historischen Romanen bekannter Autoren wie Ken Follett, Rebecca Gablé oder auch Noah Gordon (um nur ein paar zu nennen) um nichts nach.
    Von Beginn an zieht einem die Erzählung Jaufrés in den Bann. Das Buch ist in der „Ich-Perspektive“ geschrieben, was vielleicht etwas Skepsis hervorrufen mag. Diese ist jedoch völlig unbegründet, da Schiewe diesen Part der Erzählweise perfekt beherrscht. Mit einem glatten, schnörkellosen und pointierten Sprachgestus lässt er seinen Protagonisten von seinem Leben berichten. Perfekt gesetzt sind die Übergänge von der Gegenwart Jaufrés zu seiner Vergangenheit. Die Figuren wirken lebendig, glaubhaft und authentisch. Mit viel Feingefühl und Empathie zeigt Schiewe auch die Grausamkeiten der Kreuzzüge, ohne dabei ins Voyeuristische oder Reißerische abzugleiten.
    Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite prall gefüllt mit Ereignissen. Ob es die Schlachten mit den Türken, eine Auseinandersetzung mit dem Vetter von Jaufrés Lehnherrn oder die Trauer um seine Frau, der Leser steht mitten im Geschehen. Als Jaufré für seine Abreise in die Heimat auf einem Basar herumstreicht, um Geschenke für seine Familienangehörigen zu kaufen und sich mit schönen Dingen die im Frankenreich unbekannt sind, einzudecken, kann man die Händler förmlich ihre Ware anpreisen hören und die fremdartigen Gewürze riechen.


    Fazit:
    Über 900 Seiten pures Lesevergnügen. Ein hervorragender Debütroman, der sich hervorhebt in der Masse der angebotenen historischen Romane. Man darf hoffen, von diesem Autor noch viele Bücher dieser Qualität lesen zu können.
    Eine unbegrenzte Leseempfehlung!

  • Ich hatte mich auf das Buch sehr gefreut.
    Das Lesen gestaltete sich dann aber zum reinsten "Flickenteppich", ich kam absolut nicht in die Geschichte rein, was einerseits wahrscheinlich am Ich-Erzähler lag, der mir nicht liegt, andererseits aber auch an den generell, wie ich fand, farblosen Figuren. Schade, denn die Themen um einen kriegsmüden Helden in einem nicht enden wollenden Krieg haben mich wirklich sehr interessiert.


    Nach knapp 300 Seiten hab ich der Quälerei dann ein Ende bereitet und das Buch weggelegt.


    Edit: aus der Punktevergabe halte ich mich raus. Es wäre nicht fair, weil ich ja nicht mal die Hälfte gelesen habe. Aber überzeugt hat es mich bis dorthin eben nicht.

  • Ein schöner, schlichter Einband, der einiges verspricht. Schön sind auch die Karten mit dem Gebiet "Christliche Eroberung im Heiligen Land" und "Corbieras", welches im Gebiet Narbonne-Carcassonne-Perpignan (heuteTeil des Languedoc-Roussillon) liegt.
    Für mich endet hier der positiv Eindruck mehr oder weniger. Weder Einband noch Karte können darüber hinwegtäuschen, dass hier auf über 900 Seiten etwas "angestrengt" geschrieben wurde.


    Die Ich-Form ist öfter schwerfällig, ich werde das Gefühl nicht los, dass hier quasi von der dritten in die erste Person "übersetzt" wurde.
    Einiges am Verhalten von Jaufré ist nicht nachvollziehbar und kaum vorstellbar, dass er so und nicht anders handelt.
    Oft, zu oft, fällt die Sprache in eine flapsig-saloppe Jetztzeit. Sei dies, dass Jaufré von seinen Jungs spricht. Er knurrt des öftern Sätze, er kichert und er biegt sich vor lachen. Ein Kumpane von ihm "krähte, dass die Höllenhunde herkommen sollen". Irgendwann kam ein "Reiter mit einem ausgezeichneten Arabergaul" auf die Burg. Gaul und ausgezeichneter Araber, das passt einfach nicht. Er und die anderen Protagonisten sprechen eine unpassende Sprache für damalige Zeiten und Verhältnisse.


    Ein Fauxpas ist jedoch die ständige Einflechtung fremdsprachiger Wörter aus der okzitanischen und katalanischen Sprache. Mir sind diese Ausdrücke vom französischen (und Aufenthalten in der Provence und Languedoc-Roussillon) her vertraut, aber die Sätze sind schwerfällig zu lesen und können mögliche Leser sogar abschrecken.
    Schade, dass der Autor mit Sprache und Ausdruck so oft über die Stränge geschlagen hat.
    Von der Geschichte und dem historischen Hintergrund her wäre es ein spannender Roman, leider ist der Funke nicht richtig übergesprungen.

  • Zitat

    Original von fabuleuse
    Ein Fauxpas ist jedoch die ständige Einflechtung fremdsprachiger Wörter aus der okzitanischen und katalanischen Sprache. Mir sind diese Ausdrücke vom französischen (und Aufenthalten in der Provence und Languedoc-Roussillon) her vertraut, aber die Sätze sind schwerfällig zu lesen und können mögliche Leser sogar abschrecken.


    Es sind doch alle Ausdrücke stets ein paar Wörter danach erklärt, weshalb ich nicht glaube, dass dies jemanden abschreckt.
    Geschmäcker sind natürlich verschieden, keine Frage.
    Die Kleinigkeiten, wenn von "Arabergäulen" oder "Jungs" die Rede ist, sind mir schon aufgefallen, jedoch sind sie angesichts des 900Seiten Umfangs des Buches und der ansonsten hervorragend zusammengesetzten Geschichte und Erzählung m.E. zu vernachlässigen.
    Es wird wohl kein Buch geben, auch nicht von den ganz großen Literaten, wo nicht der eine oder andere etwas störend empfindet. Das Gesamtpaket jedoch finde ich mehr als gelungen.


    Aber: Lest selbst und bildet euch euer Urteil.

  • Zitat

    Original von Olympia


    Es sind doch alle Ausdrücke stets ein paar Wörter danach erklärt, weshalb ich nicht glaube, dass dies jemanden abschreckt.
    Geschmäcker sind natürlich verschieden, keine Frage.


    *meld*
    Mich schon, aber ich will darauf jetzt auch nicht näher eingehen. Außer, dass es mich überrascht und irritiert, dass ich darauf so reagiert habe (mit Abneigung, weil es sich gleich zu Beginn so häufte und auch nicht nachließ), denn eigentlich bin ich in Sachen Fremdsprachen eine der ersten, die "HIER!" schreit und stolz darauf sein kann, wenn sie das finnische Wort für "Hund" weiß, als Beispiel.
    Dass es einer der Hauptgründe dafür war, dass ich in dieses Buch nicht reinkam, hat mich selbst noch am meisten verwundert.


    Und selbstverständlich soll jeder selbst lesen und sich ein Urteil bilden. Ich gebe lediglich meinen persönlichen Eindruck wieder, der um Himmels willen nicht eine generelle, allgemeingültige Wertung darstellen soll.

  • Zitat

    Original von Olympia
    Es sind doch alle Ausdrücke stets ein paar Wörter danach erklärt, weshalb ich nicht glaube, dass dies jemanden abschreckt.
    Geschmäcker sind natürlich verschieden, keine Frage.
    Die Kleinigkeiten, wenn von "Arabergäulen" oder "Jungs" die Rede ist, sind mir schon aufgefallen, jedoch sind sie angesichts des 900Seiten Umfangs des Buches und der ansonsten hervorragend zusammengesetzten Geschichte und Erzählung m.E. zu vernachlässigen.
    Es wird wohl kein Buch geben, auch nicht von den ganz großen Literaten, wo nicht der eine oder andere etwas störend empfindet. Das Gesamtpaket jedoch finde ich mehr als gelungen.


    Diese Kleinigkeiten kommen ja auch nicht nur die zwei, drei von mir benannten Male vor, sondern immer wieder. Und das auf über 900 Seiten, das ist dann doch zuviel des Guten.


    Und wenn ein Autor Fremdwörter/anderssprachige Worte benutzt, um sie dann kurz darauf zu erklären, dann hat er für mich das Ziel verfehlt.
    Schön, wenn der Autor in einer Fremdsprache parlieren kann, aber das muss er der Leserschaft nicht immer wieder beweisen.

  • Zitat

    Original von CorinnaV
    Und selbstverständlich soll jeder selbst lesen und sich ein Urteil bilden. Ich gebe lediglich meinen persönlichen Eindruck wieder, der um Himmels willen nicht eine generelle, allgemeingültige Wertung darstellen soll.


    Da bin ich bei dir, Corinna ;-)
    Ich habe meine Meinung zum Buch kundgetan und mehr nicht. Es ist jedem unbenommen, sich das Buch zu kaufen oder auszuleihen und danach hier oder anderswo eine Rezi zu schreiben.

  • Ui, da wünsch ich euch gute Unterhaltung mit dem Buch!
    Ich habe ja schon bei einer Leserunde mit Ulf mitmachen dürfen. Er steht stets für Fragen zur Verfügung und begleitet die LR wirklich toll!


    Hoffentlich finden sich viele Interessierte ein!!

  • Habe das Buch jetzt beendet. Es hat mir im großen und ganzen gefallen. Teilweise waren mir ich glaube man nennt es Adjektive wie z. B. grimmig, ächzend, seufzend etc. zu viel. Die Erzählweise und Art gefielen mir gut. Vom Inhalt her hätte ich mir persönlich gewünscht, dass Jaufre nicht immer nur "kämpfen" muss, gegen wenn auch immer :lache, und auch mehr die ruhigen Zeiten beschrieben werden, weil der Autor wirklich sprachlich sehr gut Bilder im Kopf entstehen lassen kann, aber das ist reine Geschmackssache. Ich schwanke zwischen 7 oder 8 Punkte und vergebe letztendlich 8 Punkte. Ich bin gespannt auf ein neues Buch und werde es gespannt lesen.


    Gruss tweedy

  • Wieder einmal ein Versuch, Ordnung in den Wirbel der Gedanken zu bringen


    Das Leben ist ein Abenteuer.
    Da macht sich manchmal einer selber auf, die Welt zu erfahren, um Dinge zu tun, die er für richtig hält, vielleicht auch angelockt von Worten, die nicht unbedingt das bedeuteten, was sie zu sagen schienen. So war das schon immer, so ist das heute und so wird es auch wohl immer sein. So wie damals bei Jaufré Montalban, der voller Leidenschaft ob der Worte eines Papstes – nicht nur, natürlich - aufbrach, um mit anderen das Grab Christi zu befreien.
    Ein anderer setzt sich an den Schreibtisch, um eine Geschichte aufzuschreiben. Ein Abenteuer auch das, die Länder, die er bereist, bereist er nicht alleine, die Schlachten seiner Protagonisten schlägt er selber, vielleicht küsst er mit diesem auch eine schöne Frau. So möchte ich es mir gerne vorstellen, zum Beispiel bei Ulf Schiewe, der sich den Gefahren des Bücherschreibens ausgesetzt hat.
    Und dann ist da ja auch noch jemand, der es sich mit einem Buch gemütlich macht, die erste Seite aufschlägt, die ersten Sätze liest - und, wenn beide zusammen passen, wird auch das ein Abenteuer. Wie denn auch nicht, gilt es doch neue Bekanntschaften zu machen, neue Lieben zu erleben, interessanten Gesprächen zu lauschen, Aufregungen zu verkraften, Abschiede zu nehmen. So ging es mir mit dem Buch „Der Bastard von Tolosa“.


    Wenn ein müder Held nach Hause kommt, was erwartet er dann? Was erwartet ihn? Passen diese beiden Erwartungen überhaupt zusammen? Ulf Schiewe begeht nicht den Fehler, die Daheimgebliebenen in pure Freundtänze ausbrechen zu lassen, als Jaufré in seine Heimat zurückkehrt. Die Vorsicht, mit denen die Dorfbewohner, die Zurückhaltung, mit denen seine Frau Berta dem Kreuzfahrer begegnen, erscheinen mir sehr glaubwürdig dargestellt – denn wer da kommt, wer ist das eigentlich? Wie viel von dem Jüngling, der auszog, Jerusalem zu befreien, steckt noch in dem Mann, der einfach nur nach Hause will? Von jener Begeisterung ist nichts mehr übrig geblieben, Jaufré ist desillusioniert, aber nicht demoralisiert. Er hat sich trotz allem, was er erlebte, was er dulden musste, was er selber tun musste, etwas bewahrt, was nicht gering zu schätzen ist, nämlich einen Sinn für Gerechtigkeit und Menschlichkeit, auch wenn diese beiden Begriffe damals vielleicht einen ein wenig anderen Klang hatten wie heute. Die Hoffnung auf ein friedliches Leben auf seiner Burg ist allerdings auch noch in anderer Hinsicht in Frage gestellt, nämlich durch das Abenteuer seiner wahren Herkunft.
    So seltsam das vielleicht klingen mag, aber ich hatte fast immer das Gefühl von zwei Büchern in einem. Auf der einen Seite der Kreuzfahrer, das Leben unter einer fremderen Sonne, die Gedanken, die sich Jaufré – und übrigens nicht nur dieser macht -, auch noch der Heimkehrer und seine Schwierigkeiten, wieder dort Fuß zu fassen, wo er sich zu Hause wähnt. Auf der anderen Seite die Geschichte um das Abenteuer, das sich daraus ergibt, dass andere ihm den Platz neiden, der ihm vielleicht von Geburts wegen zustände.
    Bei den meisten Figuren des Romans ist es mir leicht gefallen, sie zu mögen; den manchmal so spöttischen Jaufré, dessen Nachdenken über Gott und Kirche mir nicht fremd erscheinen, Hamid, der immer das Rechte zu sagen weiß, Berta, eine Frau, die gelernt hat, stark zu sein, und all die anderen, die namentlich aufzuzählen den Rahmen sprengen würde. Und bei denen, die ich nicht mag, hat es mir der Autor ebenso leicht gemacht, einen guten Grund dafür zu finden.


    Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?...
    (1. Elegie, Rainer Marie Rilke, Duineser Elegien)


    Wer mag sie hören, die Schreie der Gefolterten, der Geschändeten, der Sterbenden? Ewiges Rätsel, woher er das wohl hat, der Mensch, der so erfindungsreich ist, so planvoll vorgehen kann, wenn es heißt, andere zu quälen. Jenes Wesen, von dem die Bibel sagt, er sei nach dem Antlitz Gottes geschaffen, jenes Wesen, das sich seinen Plan von der Welt gemacht hat, dem sich alles unterzuordnen hat – auch Gott? -, und wehe dem, der dies nicht tut. Ulf Schiewe scheut nicht davor zurück, die ganze Brutalität, die Grausamkeit zu zeigen, die Kriege, im Großen wie im Kleinen, mit sich bringen, er zeigt, wozu Menschen fähig sind, allerdings nicht nur im Bösen, sondern auch im Guten. Viele Szene des Buches sind mir schwer gefallen zu lesen; mir hätten oftmals Andeutungen gereicht, wo detailliert beschrieben ist. Aber das ist eine sehr persönliche Ansicht.


    Wer mag sie wohl wahrnehmen, wer „hört“ auch sie, die Seelenqualen, die Pein, die Alpträume derer, die zu viel sehen mussten; die selber töteten, weil sie dachten, im Recht zu sein?
    Ein jeder muss mit seinen Nöten fast alleine fertig werden, wie Jaufré und sein Freunde mit ihren Erlebnissen, wie die Frauen, denen Gewalt angetan wurde und die weiterleben müssen. Schon damals scheinen mir die Engel ein wenig rar gewesen zu sein; würde es sie geben, wie sollten sie in dem Meer aus Klagen die einzelne Stimme heraushören?


    Es hat mir gefallen, das Buch „Der Bastard von Tolosa“. Ausgesprochen gut sogar. Trotzdem, sozusagen. Oder vielleicht auch gerade deswegen, weil da nichts ausgelassen wird. Weil da so viel rüberkommt von dem Schrecken, von dem Grauen, und doch den meisten Lesern das allerletzte Entsetzen erspart bleibt. Weil es weitergeht. Weil nach dem Weinen und Klagen dann doch ein Lachen kommt. Weil das so glaubwürdig für mich war, wie die Personen handelten. Weil es nicht nur die düsteren Szenen gibt, sondern auch die voller Licht und Sonnenschein und Hoffnung.
    Und wenn mir das eine oder andere Wort, die eine oder andere Formulierung vielleicht nicht passend erschien, ich mir anderes gewünscht hätte oder vorstellen konnte, ändert das für mich nicht viel an meiner persönlichen Einschätzung. Ich werde sie vermissen, Jaufré und Berta, Hamid und Ramon und all die anderen.


    Es ist schon ein seltsam Ding um das menschliche Hirn. Warum nur sind mir beim „Bastard von Tolosa“ ständig Verse Rilkes durch den Sinn gegangen? Ohne jede Schwierigkeit hätte ich allein aus den Duineser Elegien Satz für Satz herauspicken können, um vielleicht deutlicher zu machen, was mir alles durch den Kopf ging; es hätte wahrscheinlich auch mehr Sinn ergeben als das, was ich hier mit meinen mageren Worten nur andeuten kann; besser geklungen hätte es allerdings auf jeden Fall.
    Und Musik, natürlich; andererseits hätte ich das Buch nicht zu Ende gelesen. Welche? Ein wenig verwunderlich mag es anmuten: Von Avo Pärt das „De Profundis“ und das „Magnificat“ und von Gustav Mahler die „Kindertotenlieder“.
    Warum? Ich weiß es nicht - und manchmal erscheint es mir besser, nicht zu hinterfragen, was ein Wort, eine Szene, eine Person auslöst.

  • Ich wollte hier schon länger meinen Senf abgeben: ein Mittelalterrroman aus männlicher Perspektive ist ja heutzutage eher untypisch. Ich gebe zu, für mich war es auch ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn es ging hautptsächlich um Krieg und Kriegsführung, was mich nicht so wirklich interessiert. Allerdings wurde auch glaubwürdig vermittelt, wie ein Mann denkt, für den Krieg sein Beruf geworden ist.


    Jaufré ist im Grunde ein netter Kerl, nur manchmal etwas raubeinig und unsensibel, wie Krieger eben so sind. Er muss lernen, allein mit der ziemlich selbstbewussten Tochter klar zu kommen, nachdem er seine langjährige Geliebte verloren hat. In der Heimat wartet als neue Herausforderung zunächst Berta, seine lang verschmähte Gattin, die er unter Zwang geheiratet hat. Sie erweist sich als unerwartet anziehend, aber auch als störrisch und stolz, indem sie ihm das Burgtor vor der Nase zuknallt. (Fand ich übrigens klasse :grin) Jaufré muss erkennen, dass er die Gemahlin anfangs völlig falsch eingeschätzt hat.
    Dann beginnt der nächste Krieg, in dem Jaufré seinen Besitz verteidigen muss.


    Insgesamt ein lebendiger, spannender Roman, der das Mittelalter durchaus in seiner Brutalität zeigt, aber deutlich macht, dass auch damalige Menschen menschliche Empfindungen und nette Seiten hatten.


    Das Klagen über die Sprache kann ich nicht nachvollziehen, denn sie scheint mir keineswegs unhistorisch. Die Begriffe aus dem Provenzalischen sind zeitgemäß und werden immer gleich erklärt.


    Viele Grüße


    Tereza

  • In seinem Erstlingswerk mit stolzen 928 Seiten beschreibt Ulf Schiewe die Lebensgeschichte des Edelmanns Jaufré Montalban. Trotz der Dicke es Buches, gelingt es dem Autor, die Geschichte so lebendig und spannend zu gestalten, dass der Leser die Anzahl der Seiten nicht wahrnimmt.


    Jaufré erzählt in der ich-Erzählform seine Lebensgeschichte. Von dem Gedanken getrieben, alles für die Nachwelt und vor allem für seinen Sohn festhalten zu wollen, diktiert er die Geschichte seit seinem Weggang aus Outremer einem jungen Mönch.


    Der Autor wechselt in dem Buch immer wieder zwischen den Erlebnissen des Jaufré Montalban und den Szenen, wo diese Geschichte dem Mönch diktiert wird. Diese Unterbrechnungen im fortlaufenden Text stellen für den Leser eine willkommene Ruhepause dar, in der sich vom Tempo der Erzählung etwas erholen und über das Gelesene nachdenken kann.


    Die Landschaftsbeschreibungen sind sehr bildhaft gestaltet und die Figuren wirken so lebendig, dass man als Leser nach Beendigung des Buches das Gefühl hat, Freunde verlassen zu müssen.


    Nebst den historischen Details um die Krieger Christi, werden auch die Kampfszenen unverblümt beschrieben.


    Die Sprache wurde zwar recht modern gehalten, doch durch das Einfließen von alt-provenzialischen Worten, wird das Lesen ein echter Genuss.


    Das Buch ist ausgestattet mit Karten, Anmerkungen des Autors und Informationen zu den historischen Personen.
    Als zusätzliches Highlight bekommt der Leser ein zum Buchcover passendes Lesezeichen. Das Lesezeichen beinhaltet ein Personenregister, was das Nachschlagen am Buchende überflüssig macht, sowie ein Kurzinterview mit dem Autor.



    Fazit: Der Leser sollte sich keinesfalls von der Dicke des Buches abschrecken lassen, denn hat er einmal angefangen zu lesen, wird er traurig sein, Outremer so schnell wieder verlassen zu müssen.