John Niven - Coma

  • Kurzbeschreibung
    In Ardgirvan, einer kleinen Stadt an der Westküste Schottlands, leben zwei Brüder, die wenig miteinander zu tun haben, gemeinsam ist ihnen nur die Mittelmäßigkeit, in dem, was sie tun: Gary arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr in der Verwaltung von Henderson’s Gabelstaplerwerk, seine größte Leidenschaft gilt dem Golf spielen, das er nicht kann, die zweitgrößte seiner Frau, ehemals Maikönigin von Ardgirvan, die ihn nicht lässt. Während er sich seinen neun Löchern widmet, betrügt sie ihn mit dem lokalen Teppichbaron. Lee ist ein untalentierter Gangster, der wegen eines geplatzten Drogendeals die berüchtigtste Verbrecherdynastie der Stadt am Hals hat. Als Gary von einem Golfball am Kopf getroffen wird und ins Koma fällt, nehmen die Ereignisse eine jähe Wendung. Gary erwacht und leidet fortan an einer speziellen Form des Tourette Syndroms: permanent spürt er den Drang, öffentlich zu masturbieren. Aber er kann plötzlich Golf spielen und qualifiziert sich für ein Turnier nach dem anderen. Währenddessen erhält Lee den Auftrag, eine unschuldige Frau zu töten, um seine Schulden zu begleichen. Auf verhängnisvolle und sehr komische Weise kreuzen sich die Wege der beiden Brüder, und alles läuft auf einen großen Showdown bei der British Open Championship zu.


    Über den Autor
    John Niven arbeitete selbst mehrere Jahre als A&R-Manager einer Plattenfirma, bevor er sich dem Schreiben widmete. Sein erstes Buch, die halbfiktionale Novelle »Music from big pink« über Bob Dylan und The Band in Woodstock in den späten Sechzigern, erschien 2006. Die Filmrechte wurden an CC Films verkauft. John Niven schreibt Drehbücher und arbeitet bereits an einem neuen Roman.


    Meine Meinung
    Nivens neuer Roman hat wenig mit dessen Vorgänger gemein. Das fängt schon damit an, dass der Hauptcharakter aus "Kill Your Friends" ein absolut widerlicher Typ ist, während Gary, die Hauptfigur in "Coma", als sehr sympathisches Kerlchen gezeichnet wird, das total vom Golfsport fasziniert ist, sich jedoch im Hinblick auf das Ausüben dieser Sportart als absolut talentfrei erweist, was dem guten Mann wirklich sehr zusetzt.


    Darüber hinaus verzichtet Niven in diesem Buch weitestgehend auf die Darstellung derber Gewaltszenen. Lediglich im Rahmen des von Ganoven besetzten Handlungsstranges kommt es zu der einen oder anderen brutalen Handlung, die sich im Vergleich zu den Geschehnissen des Vorgängerromans jedoch nicht mal ansatzweise als hardcore-verdächtig erweisen.


    Ganz allgemein bin ich nach Lektüre des Romans etwas überrascht darüber, dass Heyne dieses Buch in der Hardcore-Ecke platziert hat, denn mit Ausnahme von einigen Fäkalausdrücken, die dem Leser im Zusammenhang mit Garys Tourette-Syndrom entgegenspringen, beinhaltet "Coma" keine weiteren hardcore-verdächtigen Elemente. Und mal ehrlich, die etwas prollige Bezeichnung für ein weibliches Geschlechtsmerkmal treibt heutzutage doch bestenfalls nur noch irgendwelchen Gebetsschwestern die Schamesröte ins Gesicht, oder?


    Sieht man über diesen Etikettenschwindel hinweg, erwartet den Leser eine rasant vorgetragene, von schwarzem Humor geprägte Komödie im Buchformat, die sich flüssig lesen lässt und aus mehreren Handlungssträngen besteht, die im Verlauf des Buches feinsäuberlich miteinander verwoben werden. Das Ganze gestaltet sich zwar recht vorhersehbar, bereitet aber trotzdem großen Lesespaß.


    Was jedoch unbedingt erwähnt werden sollte: Das Thema Golfsport fordert in diesem Buch einen großen Teil für sich ein. Über Seiten werden bestimmte Schlagabfolgen beschrieben und Niven wirft mit Fachausdrücken nur so um sich. Entweder überfliegt man diese Passagen nur, oder - was ich für die bessere Variante halte - man bemüht eine Suchmaschine und lässt sich das Einmaleins des Golfsports ausspucken, denn so weiß auch der Laie, wovon Niven da gerade berichtet.


    9/10

  • Männer, die auf Hartgummibälle starren


    Wenn ein recht vorhersehbarer Roman, der sich auch noch einem Sujet widmet, das eigentlich als Synonym für Langeweile steht (nämlich: Golfsport), dennoch Spaß macht, muss das seine Gründe haben. Und das sind die folgenden:


    Der mediokre Schotte Gary Irvine hat die sehr attraktive Pauline "abgekriegt", und damit änderte sich sein Leben. Alle Ambitionen wichen den Problemen des Alltags, und statt in Glasgow zu studieren, ist Gary Angestellter eines Gabelstaplerherstellers geworden. Vom Vater infiziert, ist er außerdem ein erfolgloser Golfverrückter; der Sport dient ihm nebenbei als Ausgleich dafür, dass sich die Ehefrau frigide gibt - tatsächlich pimpert sie heimlich mit dem lokalen Teppichbaron, der auch gerne mehr wollen würde, nach einer Scheidung aber pleite wäre.


    Garys Bruder Lee ist ein dusseliger Kleinganove, ein Asi mit entsprechender Ausstattung: Sozialhaus, rotzige Kinder, anstrengendes Weib. Lee ist ein ebenso erfolgloser Krimineller wie sein Bruder vergeblich perfekte Schläge übt. Als Lee unter Dope eine Ladung Drogen im Wald vergräbt, aber später nicht mehr wiederfindet, muss er um sein Leben fürchten, denn mit dem lokalen Gangsterboss Ranta, dem Lieferanten der Ladung, verscherzt man es sich nicht. Als Gegenleistung für den Verlust wird er zum Auftragskiller: Er soll die Frau jenes Teppichbarons ermorden, die einer glücklichen Verbindung zwischen diesem und Garys Noch-Frau im Weg steht. Schließlich ist Pauline schon dabei, die Villa für das gemeinsame Glück auszusuchen.


    Dann wird Gary von einem Golfball am Kopf getroffen. Nach dem Erwachen aus dem Koma leidet er unter einer Sonderform des Tourette-Syndroms, die ihn dazu zwingt, pausenlos übelste Beschimpfungen auszustoßen oder zu masturbieren, notfalls auch öffentlich. Als netter Nebeneffekt ist Gary plötzlich ein exzellenter Golfer, und nahezu unfähig, schlecht abzuschlagen. Folgerichtig stellt er einen Platzrekord nach dem anderen auf und steht bald darauf im Finale der British Open.


    Tätigkeiten, die einem als sonderbar oder wenigstens langweilig vorkommen, muss man vermutlich einfach mal ausprobieren, um die Faszination zu verstehen. Tatsächlich gelingt es Niven, die Faszination der sonderbaren Tätigkeit "Golf" durchaus zu vermitteln: Das Bemühen, perfekte Schläge abzuliefern, den "Sweet Spot" zu treffen, kommt offenbar einer Sucht gleich. Wenn die akribisch-amüsanten Berichte von Schlägen, Fairways, Grüns, Eisen, Drivern und Wedges manchmal auch etwas überhand nehmen, kommt selbst bei jemandem, der diesen Sport für so gut wie überflüssig hält, doch Spannung und Interesse auf: Man versteht die Leidenschaft.


    Die Handlung ist, wie angedeutet, durchaus vorhersehbar, und die Figuren sind so konturiert, wie das ein humoriger Roman offenbar erfordert. Trotzdem macht das Buch Spaß, weil Niven lakonisch erzählt, das Geschehen wirklich amüsant ist und das holzschnittartige Personal dennoch Identifikation erlaubt. Außerdem sind Garys Tourette-Ausbrüche unglaublich lustig. Damit, dass man letztlich über die Symptome einer Krankheit lacht, muss jeder Leser selbst zurechtkommen.


    "Coma" (der deutsche Titel ist etwas unglücklich gewählt, der Originaltitel lautet "The Amateurs") ist keine literarische Offenbarung und längst nicht so hart wie sein Vorgänger "Kill Your Friends", aber auch keine Weichei-Lektüre. Sondern schlicht ein spannendes und unterhaltsames, manchmal sehr vergnügliches Buch über Underdogs, Schottland, Kriminalität, Liebe und ein sonderbares Hobby, bei dem man meistens kleinen Hartgummibällen hinterherschaut.

  • Ich fand Coma überaus unterhaltsam, nicht nur, dass man deutlich merkt, dass der Autor passionierte Golfspieler ist, stellt er doch die so seltenen euphorischen Momente und die serh häufigen absolut nervenzerfetzend suizidalen Niederlagen, also das tägliche Brot eines jeden Golfers, absolut punktgenau dar.


    Ich konnte mich zu jeder Zeit in die aktiven Spieler des Clubs hineinfühlen :-]


    Die Tourettegeschichte ist nicht nur schräg, sondern auch zum tragischtotlachen in die Dialoge von Gary integriert und geht weit über einen durch Fäkalwortschatz (der übrigens erstaunlich kreativ ausfällt) angefeuerten Schenkelklopferhumor hinaus.


    Die parallellaufende Gangstergeschichte hat mich persönlich nicht sehr überzeugt, oder interessiert, ist aber ein nettes Beiwerk, da die Verquickungen der doch eher durchgeknallten Familie damit herrlich ausgeschmückt wurden.


    Ein empfehlenswertes Buch, vielleicht auch für Nichtgolfer :grin



    angetane Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson