Das Gebeinhaus - P.J. Parrish

  • Englischer Originaltitel: A Thousand Bones



    Klappentext
    Die junge Polizistin Joe Frye muss in ihrem neuen Job gleich hart ran. In der Kleinstadt Echo Bay im Norden Michigans verschwindet ein Mädchen nach dem anderen. Als im Wald menschliche Knochen gefunden werden, scheint sicher, dass ein psychopathischer Serienmörder sein Unwesen treibt. In der kleinen Gemeinde macht sich Hysterie breit, und nicht nur Joe fühlt sich völlig überfordert ...




    Über den Autor
    P.J. Parrish ist das Pseudonym der Schwestern Kelly Nichols und Kris Montee. Ihre Krimis um den Ermittler Louis Kincaid sind in den USA Bestseller. Nach sieben Kincaid-Büchern haben sie eine Nebenfigur aus der Reihe, Louis’ Freundin Joe, zur Hauptfigur einer neuen Reihe erkoren. Ihren Einstand gibt Joe mit „Das Gebeinhaus“. In einer Rückschau erzählt sie ihrem Geliebten von den traumatischen Ereignissen, die sie als frischgebackene Polizistin durchstehen musste.



    Eigene Meinung
    Joe ist Polizistin. Wie oben erwähnt, erzählt sie das Geschehen in der Klammerhandlung rückblickend von 1988 auf das Jahr 1975. Sie ist als junge Polizistin in ihrem Heimatort in Michigan. Kinder finden ein paar Knochen. Einer ihrer Kollegen ist davon überzeugt, es handelt sich um ein vor einigen Jahren verschwundenes Mächchen. In diesen Fall hat er sich damals verbissen.
    Joe muss als einzige Frau (zur Erinnerung, wir befinden uns im Jahre 1975 in der amerikanischen Provinz) um ihren Stand bei der Polizei kämpfen. Noch ihre Mutter konnte nur Politesse sein, sie hat ihre Ausbildung durchlaufen. Bald erweist sich aber, das sie das Talent zu einer guten Ermittlerin hat. Das erkennt auch der hinzugezogene Bundesbeamte, mit dem sie bald ein Team bildet. Schon bald haben sie einen Verdächtigen. Aber das ganze ist etwas verwickelter als es scheint.


    Was mir an diesem interessant aber auch nicht unbedingt innovativ klingenden Krimi gefallen hat, ist die Art und Weise, wie er geschrieben ist. Das ganze Buch durchzieht eine leise Melancholie. Joe ist zwar die Hauptperson, aber nicht die Ich-Erzählerin. Wir sind ihr zwar nahe, aber kennen nicht jeden ihrer Gedanken. Das schafft eine gewisse Distanz, was für mich der einzige Kritikpunkt ist.
    Die Geschichte wird ruhig erzählt, die Ermittlungen werden gut, aber nicht langweilig erklärt. Damals war es noch nicht möglich, DNS zu ermitteln und das macht die Zuordnung der Knochen und das Herausfinden des Täters schwieriger.


    Die Autorinnen gehen sehr behutsam mit der ganzen Tragik der Geschichte um. Es tauchen Eltern vermisster Mädchen im Ort auf, die hoffen, endlich zu erfahren, was mit ihren Kindern geschah. Joe selbst wird verletzt und traumatisiert. Das ganze wird so gefühlvoll und dezent, ohne jeden Kitsch beschrieben, das es mir wirklich nahe gegangen ist. Es gibt so etwas wie einen kleinen Showdown, und was mit dem Täter geschieht ist auch ungewöhnlich. Aber nachdem der Täter gefasst wurde, kommt noch die Aufarbeitung der ganzen Knochenfunde, und das ist wirklich berührend geschrieben ohne zu sentimental oder kitschig zu werden.


    Mir hat dieser kleine Thriller wirklich gut gefallen. Er ist kein literarisches Meisterwerk, aber sehr einfühlsam geschrieben und die Geschichte und ihre Entwicklung ist ungewöhnlicher als der Klappentext ahnen lässt.
    Ich mag keine Serienhelden, aber ich habe mich gestern nach Zuklappen des Buches dabei ertappt, wie ich hoffte, das die beiden Autorinnen Joe weiterarbeiten lassen und den Faden aufnehmen, den sie auf den letzten Seiten legen.

  • Autorenpaar P.J. Parrish - erinnert mich an Autorenpaar (Mutter, Tochter) P.J. Tracy. Scheint aber ein ganz anderer Stil zu sein, schade, denn von denen kommt ja gar nichts mehr. Auch schade, dass es diese Kincaid-Bücher hier gar nicht gibt. Trotzdem Wunschliste ;-)

  • Ich habe das Buch jetzt auch beendet und Darcys Rezension noch einmal gelesen. Sie beschreibt die Stimmung des Buches ganz gut, die Melancholie, die Ruhe. Auch ich war zum Teil von der Geschichte berührt. Auf jeden Fall ist es ein Thriller der anderen Art, was daran liegt, dass hier nicht bis zum Schluss ein Irrer gejagt und kurz vor Schluss mit großem Aha! identifiziert und gestellt wird, sondern der Täter schon nach knapp der Hälfte des Buches bekannt ist - und zwar uns als auch der Polizei.


    Es gibt wieder Passagen aus Sicht des Täters, was ich normalerweise nicht mag, da diese meist übertrieben irre dargestellt werden (gut, was weiß ich, was da realistisch ist, war ich doch nie in so einem Kopf, aber mir kommt es eben meist unglaubhaft vor). Hier ist der Täter weniger abstrakt und weniger überzogen irre, sage ich mal, was es auch schwer macht, KEIN Mitleid mit ihm zu empfinden.


    Die Polizistin Joe und ihre Kollegen sind mir ans Herz gewachsen, ich fand es erfrischend, mal zu lesen, wie ganz normale Kleinstadtpolizisten, die vorher noch nie mit einem größeren Verbrechen konfrontiert wurden, sich behutsam und neugierig an so einen großen Fall machen. Die unvermeidliche Zusammenarbeit mit der Staatspolizei verläuft ziemlich manierlich, nicht so, wie man es aus anderen Büchern oder Filmen kennt, wo es jedes Mal ein riesen Gerangel um Zuständigkeiten und Beanspruchung des Falles gibt. Auch hier gibt es mal Auseinandersetzungen, aber die arten nie aus.


    Mir gefiel auch, dass der Emanzipationsprozess Joes als einzige Frau unter ihren Kollegen relativ zurückhaltend geschildert wurde. Auch das nervt in anderen Romanen immer wieder, wenn zu sehr darauf herumgeritten wird.


    Es geht hier auch viel um Beziehungen. Joe und ihr Freund Brad, der sie beschützen will und dem es nur solange nicht allzu schwer fällt, ihren Job zu akzeptieren, bis es gefährlich wird. - Joe und ihr Vorgesetzter, Sheriff Leach, der sie ein wenig unter seine Fittiche nimmt, aber nicht zu sehr, um sie halt zu einer guten, starken Polizistin reifen zu lassen. Aber trotz seiner guten Motive fühlt sich Joe von ihm etwas zu väterlich herablassend behandelt. Ganz anders dagegen Rafsky von der Staatspolizei, der sie für die Ermittlung als Partnerin erwählt. Er behandelt sie mit vollem Respekt und nimmt sie richtig ernst, da er ihr Potential erkennt. Nicht umsonst nennt sie ihn rückblickend ihren Mentor.


    Und die Spannung? Die kommt auch nicht zu kurz. Es ist kein atemloser Thriller, aber hintergründig ist fast immer eine feine Spannung da und es gibt ein paar Szenen, in denen diese anschwillt, insgesamt ist es aber wie gesagt eher ein ruhiges Buch. Es gibt ein einschneidendes Erlebnis (aus welchem nicht nur Joe stark angeschlagen hervorgeht), nach welchem die Stimmung des Romans zunehmend düsterer wird.


    Das Ende dann, der von Darcy genannte "kleine Showdown", ist sehr schwierig für den Leser zu verdauen, jedenfalls ging es mir so. Man hat daran zu knabbern.


    Was gibt es zu meckern? Ich denke, stilistisch lässt das Buch etwas zu wünschen übrig, denn trotz des Lobes bleibt irgendetwas unbefriedigtes zurück. Die Geschichte ist sehr vielfältig und dicht, aber so ganz gelingt es den Autorinnen nicht, sie in eine würdige Form zu bringen, finde ich.


    Alles in allem ist "Das Gebeinhaus" aber ein lesenswertes Buch! 8 Punkte

  • Mich wundert es, dass ich von diesem Autorenpaar und auch von dem Buch noch nichts gehört habe. Ich hab es nur im Regal der Bücherei stehen sehen und dachte, dass ich das mal mitnehmen sollte. Und ich bin froh, dass ich es getan habe.


    Mir hat die Geschichte um Joe sehr gut gefallen. Sie ist mutig und hat ein Herz für andere. Auch ich hoffe, dass sie weiter macht.


    Komisch fand ich, dass das Buch soweit in der Vergangenheit spielt. Ist die Erstausgabe schon früher erschienen? Meine Ausgabe war von 2009 und das Buch spielt ja irgendwann in den 70ern glaub ich.


    Ich hoffe auch, dass


    Von mir gibt es 9 Punkte.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Hallo Catherine,


    es gibt auf Deutsch nur dieses eine Buch, also hast Du nichts verpasst. Lies mal, was in Darcys Beitrag unter "Autor" steht. Obwohl das auch nicht erklärt, weshalb die Gegenwart in dem Buch 1988 ist. Vielleicht spielen diese Kincaid-Bücher auch in den 80ern, wer weiß.

  • Ich fand das Buch ganz nett, aber nicht weltbewegend. Es fehlte mir ein wenig die Spannung und viel zu schnell ist klar, wer der Täter ist. Diese Indianerlegende wird zwar erwähnt, aber so richtig dann doch nicht engebunden. Um ehrlich zu sein, finde ich die Beweggründe etwas schleierhaft.
    Da die ganze Zeit nie von einem 'Endkampf' die Rede ist, finde ich das dann zum Schluss auch etwas unpassend, dass es für ihn nur ein passendes Ende gibt.


    Was den Showdown angeht, sehe ich es wie Rafsky und finde es grenzt schon an Selbstjustiz und die steht Polizisten einfach nicht zu.


    Was die Ermittlungsarbeit angeht, ist es interessant zu lesen, wie das alles so ganz ohne DNA-Vergleich und wirkliche Forensik passiert.


    Alles in allem war es okay......ist aber kein Buch, das man gelesen haben muss.

  • Auf der Suche nach dem 2. Roman des Duos entdeckt, daß ich hier die Rezi vergessen habe...


    Das Buch hat mich total gefesselt, daß ich den 2. erhältlichen Roman gleich gekrallt habe. Die Darstellung der Ermittler hat mir gut gefallen, und die Handlung schildert solide Polizeiermittlung, wobei auf extreme Schilderungen der Mordfälle verzichtet wird. Die Handlung war gut und spannend und ich war sehr gut unterhalten!

    Gruss Hoffis :taenzchen
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    :lesend Der fünfte Tag - Jake Woodhouse
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  • Joe Frye ist eine junge, aufstrebende Polizistin in den 70er Jahren. Damals war es noch lange nicht selbstverständlich, Frauen in der Truppe zu beschäftigen. Auch Joe hatte eigentlich nie mit dem Gedanken gespielt, bevor ihr jetziger Captain sie an der Uni angesprochen und ihr eine Stelle in seiner Dienststelle angeboten hat. Jetzt muss sie sich unter all den anderen Männern beweisen, die sie weder für voll noch für gleichberechtigt nehmen. Deshalb weist man ihr auch gerne mal Tätigkeiten wie Kaffee kochen, Protokoll schreiben und Beweismittel katalogisieren zu. Genau da ist sie aber bestens eingesetzt, denn es gelingt ihr mit unvoreingenommenen Blick Wichtiges zu erkennen, was von ihren Kollegen als Unwichtig eingestuft wird.


    In einem Wäldchen wird ein Knochen gefunden, der eindeutig als weiblicher Beckenknochen identifiziert wird. Julian Mack, Joes Kollege und verantwortlich für den Fall, ist überzeugt, dass der Knochen zu der vermissten 16-jährigen Annabell gehört. Kurz darauf finden sich noch weitere Knochen, sowie ein Bettelarmband und eine Brille. Obwohl Annabell weder Armband noch Brille gehören, ist Mack von seiner These überzeugt. Nur Joe ist davon überzeugt, dass die Gegenstände zu weiteren vermissten Mädchen gehören und nicht als Abfall im Wald deponiert wurden. Sie beginnt, eigene Ermittlungen aufzunehmen, sehr zum Unmut ihrer Kollegen. Schon bald stößt sie auf ernste Hinweise, die auch ihre Kollegen nicht mehr ignorieren können. Unterstützt wird sie dabei von Sergeant Raffsky vom FBI, der sie auch als Mann beeindruckt. In ihrer Beziehung mit Brad, einem Tierarzt, kriselt es, wegen ihrer Arbeitszeiten sehen sie sich nur sehr selten und Brad fühlt sich in dieser kalten Gegend einfach nicht wohl. Bald schon überschlagen sich die Ereignisse und Joe und ihre Kollegen geraten in Lebensgefahr, denn sie haben es tatsächlich mit einem skrupellosen Serienmörder zu tun.


    Die ganze Geschichte wirkt etwas langatmig und künstlich aufgebauscht durch die Wendigo Geschichte. Ein Wendigo kommt in den kalten Winternächten, er ernährt sich von Menschenfleisch. Ein bisschen indianischer Mythos, ein paar seltsame Zeichnungen und schon wird eine Verbindung und der Zusammenhang hergestellt. Natürlich nur von Joe, denn das ist eindeutig Weiberkram. Erst als bei den Zeichnungen an den Bäumen auch weiter Knochen gefunden werden, wird auch den letzten männlichen Kollegen klar, dass es doch eine Bedeutung hat. Immer wieder gibt es kurze Kapitel aus der Sicht des Mörders, in denen wir erfahren, dass er eine grausame Kindheit mit einem prügelnden Vater hatte und seine Mutter ihm indianische Märchen vorgelesen hat. Schon nach der Hälfte des Buches wird der Mörder verraten und der Rest handelt nur noch von der Jagd nach ihm.


    Interessant ist natürlich die Tatsache, wie es vor fast vierzig Jahren noch bei der Polizei zuging. Computer und DNS waren Zukunftsmusik, Vermisstenphotos wurden mit der Post geschickt und säuberlich in Ordnern abgeheftet. Es gab keine Handys und Digitalkameras, die Arbeit war wesentlich mühsamer als heutzutage. Der Kampf um Anerkennung begleitet Joe täglich und die Überheblichkeit anderer Männer ihr gegenüber ist schon fast grenzenlos - wobei sich das bis heute auch noch nicht wirklich überall geändert hat. Sie und ihre Kollegen wirken merkwürdig abgestumpft, was die Autoren auch unterstützen, indem sie sie eine Vergewaltigung als zum Job gehörig anzunehmen zwingen. Auch das Ende ist merkwürdig, es ist teilweise unmenschlich und nicht passend, auch nicht für die damaligen Verhältnisse. Joe ist ein schwieriger Charakter, relativ emotionslos in ihrem Privatleben, verbissen im Berufsleben. Das Ende und die Auflösung sind viel zu lang gezogen, die ganze Geschichte erinnert stark an ein Drehbuch. Der Originaltitel, seine Bedeutung klärt sich in den letzten Sätzen, hätte auch viel besser gepasst als der deutsche Titel, der fast gar nichts mit der Geschichte zu tun hat.



    Fazit


    Die Polizeiarbeit in den 70er Jahren ist das eigentliche, wirklich spannende Thema in diesem Thriller. Die Jagd nach dem Mörder und seinem Motiv, die Knochenfunde und die Schwierigkeiten, sie zuzuordnen wirken schon fast nebensächlich. Die Geschichte wird unnötig aufgebauscht und in die Länge gezogen, das Ende ist merkwürdig und unpassend.