Die Nachteile des Plebiszits - Schweizer stimmen gegen Minarett-Neubauten

  • Zitat

    Original von fabuleuse
    Die Schweiz hat keine Berufspolitiker. Die Damen und Herren treffen viermal jährlich zu einer Session zusammen, die jeweils drei Wochen dauert. In der Regel haben alle einen Beruf (Angstellte oder eigene Firma) und müssen alles unter einen Hut bringen. Und sie sind als Vertreter des Volkes gewählt, ob sie dann auch die Volksmeinung vertreten, steht auf einem anderen Blatt.


    Ok. Dann keine Berufspolitiker, aber Leute, die sich mit dem Thema Politik mehr beschäftigen, als der Normalbürger, der "nur" zu Wahlen und Abstimmungen geht. Natürlich ist nicht sichergestellt, dass gewählte Politiker auch die Meinung des Volkes vertreten. Das ist eben ein Nachteil der repräsentativen Demokratie, die auf jeden Fall auch nicht perfekt ist.

  • Zitat

    Original von Glass
    ... Ok. Dann keine Berufspolitiker, aber Leute, die sich mit dem Thema Politik mehr beschäftigen, als der Normalbürger, der "nur" zu Wahlen und Abstimmungen geht. ...


    Wer schon mal während einer Session im Bundeshaus war, der zweifelt ab und an, ob die Damen und Herren sich tatsächlich mehr mit dem Thema Politik beschäftigen als der Normalbürger. Er zweifelt auch, wenn er gewisse Protagonisten in den Medien hört oder sieht oder sie einem direkt gegenüber stehen.
    Aber das ist ein anderes Thema...

  • Hallo, Fabuleuse.


    Natürlich gibt es nie ein absolutes "Richtig" oder "Falsch". Es gibt mehrere (genaugenommen: unendlich viele) Basen, von denen aus man etwas für richtig oder falsch halten kann, und je nachdem, von welcher Basis aus man urteilt, kann eine Entscheidung richtig oder falsch erscheinen. Das relativiert sich allerdings, wenn man etwas "breiter" denkt und den Kontext einbezieht. Die Schweiz ist ein Land, das qua Verfassung die Religionsfreiheit garantiert, und wenn man das zugrundelegt, kommt das verfassungsmäßige Verbot des Baus von Minaretten einem relativ objektiven "Falsch" zumindest sehr nahe. Es ist jedenfalls ein Schritt in eine andere Richtung als diejenige, die die Verfassung und damit die Verfassungsmacher vorgegeben haben. Die Entscheidung macht aus dem "Ja" der Verfassung zur Religionsfreiheit ein "Jein", denn die Religionsausübung ist mindestens eingeschränkt, wenn wesentliche Teile davon verboten sind. Und Minarette sind wesentliche Bestandteile von Moscheen - und damit der Ausübung des muslimischen Glaubens. Die Bemerkung, man könne ja trotzdem Muslim sein und seiner Religion nachgehen, auch wenn Moscheen ohne Minarette gebaut werden müssen, zieht das ganze nur ins Lächerliche. Das ist auch nicht vergleichbar mit Kopftuchverboten für Beamte, Kruzifixen in Schulräumen oder ähnlichem. Das eine gehört zur Religion, das andere ist Symbolik, die ihrer Verbreitung oder dem öffentlichen Dafüreintreten dient. Letzterem muss oder kann man Grenzen setzen, wenn die Veranstaltung "säkularer Staat" heißt. Die Freiheit - jede Freiheit - endet dort, wo eine andere anfängt. Wenn es Überschneidungen gibt, muss man Kompromisse finden.


    Ja, es wird in vielen Ländern - offenbar auch in der Schweiz - einiges dafür getan, Integration zu vermitteln oder sogar umzusetzen. Toll, dass Arbeitgeber Deutschkurse für ausländische Mitarbeiter finanzieren. In vielen anderen Ländern stellt sich die Frage nach der Finanzierung nicht einmal, aber das ist ein anderes Thema.


    Und zur Frage der Boykottierung: Wenn ich zu der Auffassung gelangen muss, dass eine Fragestellung etwa im Rahmen eines Volksentscheids nicht nur ethischen Grundsätzen, sondern sogar der Verfassung meines Landes widerspricht, ist es mir unmöglich, mich an der entsprechenden Abstimmung zu beteiligen, denn dadurch würde ich sie subjektiv wie objektiv legalisieren. An ihr teilzunehmen würde für mich bedeuten, mich dem Ausgang zu unterwerfen, und ich würde mir dadurch die Möglichkeit verschließen, gegen ihr Ergebnis zu protestieren, es mit allen Mitteln zu bekämpfen. Hätte es eine vergleichbare Abstimmung in Deutschland gegeben, wäre ich auch nicht hingegangen, und zwar aus eben jenen Gründen. Ich würde, um es mal hart auszudrücken, auch nicht zu einer Abstimmung gehen, bei der es darum geht, Anhänger einer bestimmten Glaubensrichtung z.B. durch Aufnäher an der Kleidung zu kennzeichnen. Sorry, aber diese Minarett-Geschichte kommt dem zumindest tendentiell durchaus nahe. Eine (nicht eben kleine) Gruppe von Gläubigen wird aktiv benachteiligt, also ausgegrenzt, in ihrem Selbstwertgefühl beschnitten, sogar qua Verfassung. Wenn man diesen Gedanken weiterdenkt, eröffnen sich fürchterliche Dimensionen. Meiner Auffassung nach wurde in der Schweiz eine Schleuse geöffnet, mit der man das besser nicht getan hätte. Ich bin ehrlich, mir fehlen die Hintergrundinformationen über die Entstehung dieser Plebiszite, aber meiner Auffassung nach hätte es zu dieser Abstimmung überhaupt nicht kommen dürfen.


    Es geht nicht nur um Leute, die "die Türme nicht wollen". Seien wir ehrlich, es geht darum, dass viele Leute diesen Glauben und seine Ausbreitung nicht wollen.


    Und damit fing es schon häufiger an.

  • Tom : Ich bin bikulturell erzogen worden und zwar mit zwei relativ diametral entgegengesetzten Lebensvorstellungen. Wenn ich meine mütterliche Kultur im Strassenbild von Paris, Milan oder New York leben würde, würde ich negativ auffallen und mich selbst isolieren.
    Als Ausländer ist man nur Teil der jeweiligen Gesellschaft in der man lebt, wenn man sich anpasst und die Werte und Gepflogenheiten respektiert. Man muss sie deswegen nicht unbedingt teilen.


    Mexiko wie auch die USA; Brasilien, Argentinien oder Südafrika sind grösstenteils von Einwanderern aus vielen Nationen besiedelt worden. Natürlich gibt es Little Italys, Chinatowns, deutsche Viertel oder Städte wie Blumenau in denen Menschen 3. oder gar 8. Generation kulinarische Traditionen und ein paar Volkstänze ihrer Vorfahren hochhalten, aber der Erfolg eines solchen Staates kommt nur zustande, wenn alle zu einem gemeinsamen Konsens fähig sind. Er ist nicht möglich, wenn sich die Bürger nicht zur neuen Heimat bekennen und sich absondern. Äussere Anzeichen sind z.B. übliche Vornamen aus der Herkunftgesellschaft bei den Kindern oder andere Kleiderordnungen. Gleiches gilt für einheimische Minderheiten, sie müssen sich ausserhalb ihrer Heimat den Gepflogenheiten der Mehrheit anpassen.
    Eine Frau im Sari in Columbus, Ohio sticht hervor, aber ist u.U. mit der dort üblichen Kleidung kompatibel. Ein Guarani im Lendenschurz in Buenos Aires wird mindestens angestarrt, obwohl er von Geburt an Argentinier ist.
    Ich hoffe Du verstehst auf was ich hinaus möchte.
    Wenn sich die Mehrheit daran stört, dann muss ich mich dahingehend verändern, dass sich diese nicht daran reibt und ein Dialog entstehen kann.


    Was die Minarette angeht: Diese Türme erfüllen nur den Zweck die Betenden zusammenzurufen. Wenn diese dazu nicht genutzt werden, dann erübrigt sich auch der Bau, oder?


    Edit: Wie gesagt, die Mehrheit der Schweizer hat sich gegen Türme entschieden, das hat respektiert zu werden, egal ob es einem passt oder nicht oder ob man das hinterwäldlerisch oder adequat findet.

  • Zitat

    Original von Oryx
    Edit: Wie gesagt, die Mehrheit der Schweizer hat sich gegen Türme entschieden, das hat respektiert zu werden, egal ob es einem passt oder nicht oder ob man das hinterwäldlerisch oder adequat findet.


    Dass die Mehrheit der Schweizer so entschieden hat, heißt nicht, dass man diese Entscheidung nicht in Frage stellen darf.


    fabuleuse oder wer sich sonst mit dem politischen System der Schweiz auskennt: gibt es in der Schweiz ein Verfassungsgericht oder eine ähnliche Instanz, die man anrufen kann, wenn man das Ergebnis eines Volksentscheides als verfasssungswidrig erachtet?


    Ich habe letztens nur gehört, dass die Grünen in der Schweiz überlegen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Das klang irgendwie so, als gäbe es in der Schweiz selbst keine Möglichkeit, etwas zu tun.


    Edit: Außerdem hat sich nicht die Mehrheit der Schweizer gegen die Minarette entschieden, sondern die Mehrheit derer, die abgestimmt haben.
    Das ist nicht der Grund, weswegen ich das Abstimmungsergebnis kritisiere, ich wollte das nur nochmal sagen.

    In der Einsamkeit wird Liebe entstehen.

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  • Zitat

    Original von Tom
    Und zur Frage der Boykottierung: Wenn ich zu der Auffassung gelangen muss, dass eine Fragestellung etwa im Rahmen eines Volksentscheids nicht nur ethischen Grundsätzen, sondern sogar der Verfassung meines Landes widerspricht, ist es mir unmöglich, mich an der entsprechenden Abstimmung zu beteiligen, denn dadurch würde ich sie subjektiv wie objektiv legalisieren. An ihr teilzunehmen würde für mich bedeuten, mich dem Ausgang zu unterwerfen, und ich würde mir dadurch die Möglichkeit verschließen, gegen ihr Ergebnis zu protestieren, es mit allen Mitteln zu bekämpfen. Hätte es eine vergleichbare Abstimmung in Deutschland gegeben, wäre ich auch nicht hingegangen, und zwar aus eben jenen Gründen. Ich würde, um es mal hart auszudrücken, auch nicht zu einer Abstimmung gehen, bei der es darum geht, Anhänger einer bestimmten Glaubensrichtung z.B. durch Aufnäher an der Kleidung zu kennzeichnen. ...


    Nur, wenn jeder so denken würde und findet, das Thema passt mir nicht, ich boykottiere diese Abstimmung oder diese Wahl, dann würde die Demokratie ad absurdum geführt, dann würde die Stimmbeteiligung wohl noch deutlicher zurückgehen.
    Dann ebnet man dem "Gegner" ja Tür und Tor, das kann ja nicht sein.
    Und boykottieren ist die wohl schlechteste Idee und hat den Beigeschmack des beleidigtseins und des nichtazekptierenwollens eines möglicherweise anderen Resultaters als man es selber gerne hätte. Ich nehme an, das mit dem Boykott ist dein subjektives Empfinden. Denn es wurde weder zum Boykott der Abstimmung aufgerufen noch sonstwie dagegen Stimmung gemacht. Und noch einmal, die Stimmbeteiligung war deutlich höher und es gingen nicht "die anderen ungefähr 50 Prozent zur Urne, die sonst nicht hingehen".


    Wie heisst es so schön: Die anderen kann ich nicht ändern, nur mich selber. Also habe ich mit guten Argumenten dafür zu sorgen, dass der gesunde Menschenverstand eingeschaltet wird und man eben trotzdem oder erst recht an die Urne geht, um zu zeigen, dass man nicht willens ist, den Antrag der Gegenseite so hinzunehmen. Denn je mehr hingehen, um so knapper wird das Resultat.
    Und knappe Resultate fordern noch mehr auf, zu überlegen, wie man einen Entscheid umsetzt, um der fast gleich grossen Gegenseite gerecht zu werden.
    Ein aktuelles Beispiel ist die Abstimmung vom Mai dieses Jahres, wir hatten über die Einführung des biometrischsen Passes zu befinden. 49.9% stimmten dagegen, 50.1% stimmten dafür, Stimmbeteiligung war 38 Prozent. Lediglich 5504 Personen mehr haben ja gestimmt. Auch da kann nicht von einem Boykott gesprochen werden. Aber das knappe Resultat gab doch zu denken und es wird nun einiges überdacht.


    Schade ist, dass die Gegner der Minarettinitiative (erst jetzt) zur nüchternen Erkenntnis kommen, sie hätten als Partei oder Gruppierung wohl zu wenig aktiv ins Geschehen eingegriffen, sie hätten zu wenig informiert, sie hätten die Ängste der Leute nicht ernst genommen und noch so einiges mehr. Ich habe schon Fraktionssitzungen erlebt, da bleibt nur noch Kopfschütteln übrig. Leider sind einige der Intellektuellen zu abgehoben und weltfremd geworden und verstehen die Bürger nicht mehr.
    Da besteht starker Handlungsbedarf. Oder hat von euch jemand mitbekommen, was ein Professor diesen Sommer gefordert hat? Der hat den Initianten mehr als nur in die Hände gespielt .
    NZZ - Scharia
    Tages-Anzeiger - Scharia
    "Man" ging halt davon aus, dass sich das legen werde, dass das eh kaum jemand mitbekomme und mit dem Thema nichts zu tun habe.
    Da wurden die Hausaufgaben grobfahrlässig nicht gemacht.


    Aber deshalb Abstimmungen boykottieren? Nein, das führte zu weit, wäre zu kurz gedacht und einfach nur dumm.



    Oryx, du hast das Glück, bikulturell erzogen worden zu sein und bereits in verschiedenen Ländern gelebt zu haben. Es erweitert den Horizont und lässt einen weiter blicken als nur über den Tellerrand. ;-) Was nicht heisst, dass m an zu allem ja und amen sagt.

  • Glass, das gibt es. Dafür ist das Bundesgericht zuständig.


    Dann folgt das Aber...


    Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Bundesrichter über den Verfassungsartikel des Minarettverbotes hinwegsetzen. Die Bundesrichter sind die obersten Verfassungshüter. Sie können einen Entscheid des Verfassungsgebers selbst kaum in Frage stellen.
    Sie werden versuchen müssen, die Verfassungsbestimmungen miteinander in Einklang zu bringen. So könnte möglicherweise das Minarettvorbot abgeschwächt werden.


    Denn wie schon geschrieben: Die bisherigen Minarette hatten wie alle anderen Bauten Auflagen der Ortsplanung, Raumplanung, Kulturgüter- und Heimatschutz etc. etc. zu erfüllen und wurden von den jeweiligen Kantonen, die dafür zustsändig sind, bewilligt.
    Von daher sind die Ängste an sich unberechtigt, denn jede Gemeinde muss Baugesuche öffentlich auflegen/ausschreiben und Bürger oder Gruppierungen/Parteien können dagegen Einsprache erheben. Egal, ob es sich um Nachbars Wintergarten handelt (dort kann allerdings der von drei Strassen weiter nichts einwenden) oder um eine Mobilfunkantenne (für die ganze Gemeinde Einsprachemöglichkeit).
    Danach folgen Einspracheverhandlungen und so weiter. Und auch das kann bis vors Bundesgericht führen.

  • Glass, diese Diskussion, dass die Mehrheit der Abstimmenden Ja oder Nein sagten, die gibt es jedesmal.


    Diese Diskussion wird auch immer wieder an Gemeindeversammlungen gestellt, da entscheidet dann die Minderheit der Stimmberechtigten über das Wohl der Gemeinde (Finanzen, Schulhausbau, Strassenbau, Steuererhöhungen/-senkungen etc.).



    Und jedes Mal kann nur immer wieder gesagt werden, dann geht halt nächstes Mal an die Urne oder an die Gemeindeversammlung statt am Stammtisch grosse Sprüche zu klopfen.
    Das Argument, man habe am Sonntag keine Zeit, ins Wahllokal zu gehen, zieht nicht. Die Unterlagen werden früh genug zugestellt, damit man entweder brieflich abstimmen oder die Unterlagen zur Gemeindeverwaltung bringen kann. Man weiss schon ein Jahr vorher, wann die nächsten Gemeindeversammlungen stattfinden. Zweimal jährlich finden diese in der Regel statt, das sollte doch einzurichten sein.

  • Ich bin ja wie gesagt auch nicht der Meinung, dass das ein Argument gegen die Abstimmungen ist. Ich wollte den Satz von Oryx bloß klarstellen.


    Bei der Bundestagswahl in Deutschland stimmt auch nicht das ganze Volk ab. Das ist eben so, dem könnte man nur begegnen, wenn man eine Wahlpflicht einführen würde. Das halte ich nicht für sinnvoll - ist aber eine andere Diskussion.


    Die Bundesrichter in der Schweiz haben dann scheinbar einen anderen Stellenwert als die Verfassungsrichter in Deutschland, die ein Gesetz, dass sie für verfassungswidrig halten, eben kippen dürfen - obwohl es, wenn auch in Deuschland nicht direkt sondern indirekt durch das Parlament, vom Volk legitimiert ist. Voraussetzung dafür ist, dass das Gericht eben angerufen wird, z.B. von einem Drittel der Mitglieder des Bundestages. Damit hat das BVerfG natürlich weitreichende Macht, die ihm als "Hüter" der Verfassung aber eben auch zugestanden wird.


    Ich kann aber auch verstehen, dass das Problem sich nochmal anders darstellt, wenn nicht das Parlament, sondern das Volk direkt entschieden hat.

  • Die Entscheidung der Schweizer haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Hier nun überdemokratisch urteilen zu wollen, halte ich für verfehlt.


    Extrem bedenklich finde ich, wenn sich nun deutsche Politiker hinstellen und meinen, Volksentscheide seien nach wie vor super, man muss nur von vornherein das so einfädeln, dass bestimmte Themata nicht behandelt werden sollen. Das ist verlogen! Entweder ich will Volksentscheidungen - dann muss ich auch mit den Ergebnissen leben, wie sie nun mal sind bzw. zu erwarten sind. Oder ich möchte, dass Volksvertreter als gewählte Repräsentanten der Bevölkerung (möglichst) sinnvoll und Grundlage bestmöglicher Informationen und unter Berücksichtigung politischer, ethischer und sonstiger Grundlagen Entscheidungen treffen.


    Ich halte es für ausgeschlossen, dass ich als kleiner Bürger alle Hintergründe und Konsequenzen einer Entscheidung verstehen kann. Entsprechend würde ich nie wagen wollen, auf solcher Grundlage entscheiden zu wollen. Ich halte mich für leidlich politisch interessiert und informiert... Nun gehört zur Bevölkerung aber auch ein immenser Anteil von Leuten, die ausschließlich auf die vorgefassten Meinungen der verschiedenen Medien und Meinungsmacher zurückgreifen.
    Das Modell eines Volksentscheides wird doch angesichts der gegenwärtigen Medienlandschaft und des gegenwärtigen Medienverhaltens völlig sinnentleert und zur Schlacht einzelner Meinungsmacher und Kampagnenchefs. Am Ende siegt, wer am meisten investiert. Das war nie der Sinn von Plebisziten und das kann er nicht sein. Gegenwärtig liefe es aber m.E. genau darauf hinaus.


    Darum meine Meinung: laßt die Leute entscheiden, die wenigstens die Chance haben, sich zu informieren und ausgewogen zu entscheiden, wegwählen können wir die immer noch.
    (Etwas anderes ist es in der Kommunalpolitik, wo ich mir deutlich mehr Plebiszite wünsche, weil da aber auch die Chance informiert und sachlich angemessen zu entscheiden bedeutend höher ist.)

  • Zitat

    Original von janda
    Ich habe keine Angst vor Religion - sondern vor Extremisten, egal ob sie unter einem Kirchturm beten oder und einem Minarett.


    Das geht mir genauso!! Ich kann das völlig unterschreiben und ergänze: auch egal ob sie gar nicht beten.

  • Ich wünsche mir in der Debatte etwas mehr demokratische Kultur. Dazu gehört nicht nur, über alles abstimmen zu dürfen, sondern auch, ein Abstimmungsergebnis zu akzeptieren, auch und gerade dann, wenn die eigene Meinung sich nicht durchsetzen konnte. Wenn dies nicht mehr gegeben ist, wird Demokratie zur Witzveranstaltung.


    Tom hat eine Bürgerbefragung in Berlin erwähnt, die "Pro-Reli"-Initiative. Ihr Anliegen war, den Religionsunterricht, ähnlich wie in den meisten (wenn nicht allen) anderen deutschen Bundesländern, auch in Berlin dem Ethikunterricht gleichzustellen. Ich habe lange überlegt, ob ich diese Initiative mit einer Spende unterstützen solle, da ich nicht in Berlin wohne. Ich habe das dann gemacht, weil Berlin auch meine Hauptstadt ist und zudem durchaus die reale Möglichkeit besteht, dass ich in meinem Berufsleben einmal ein Angebot bekomme, das einen Umzug nach Berlin attraktiv erscheinen lässt.
    Die Initiative ist gescheitert. Jetzt bin ich der Meinung: Dieses Votum sollte akzeptiert werden. Die Argumente haben sich aus meiner Sicht zwar ebenso wenig geändert wie meine Präferenz, aber die Entscheidung ist gefallen. Wer immer nur diskutiert und nie zur Umsetzung kommt, der stagniert. Die Berliner wollen den Religionsunterricht weiterhin als eine Art freiwillige Arbeitsgemeinschaft betreiben und den Ethikunterricht verpflichtend haben. Also bitte: Das sollte respektiert werden, so muss es gemacht werden. Punkt.


    Natürlich hat das auch eine Lenkungswirkung. Für mich ist das durchaus eine Frage, die das Klima an einem Ort, an dem ich wohnen könnte, prägt. Wenn ich heute ein berufliches Angebot bekäme, bei dem ich mich zwischen den Standorten Berlin und, sagen wir, Stuttgart entscheiden könnte, würde dieser Umstand gegen Berlin sprechen. Tendenziell werden also wohl weniger Menschen mit meinen Wertepräferenzen nach Berlin ziehen. Andere werden aus dem gleichen Grund Berlin bevorzugen.
    Ebenso werden nun vermutlich weniger Muslime in die Schweiz einwandern wollen und sich stattdessen vielleicht für Österreich oder Deutschland entscheiden.
    Sowohl die Berliner als auch die Schweizer werden diesen Aspekt bei ihrer Entscheidung bedacht haben.

  • Kurzes Beispiel, warum ich die Entscheidung immer noch gut finde.


    Man stelle sich eine Wohngemeinschaft vor. Eine Wohnung, 4 Zimmer und 3 Bewohner.
    Jeder hat sein eigenes Zimmer, daß er nutzen kann wie er mag, das vierte Zimmer dient allen als Treffpunkt und wird von allen gleichmäßig gestaltet.
    Ein Bewohner ist Christ, ein Bewohner Muslim, ein Bewohner Atheist. Der Christ hängt in seinem Zimmer ein Kreuz auf, beide anderen Bewohner bewundern dieses Kreuz ob seiner feinen Machart und Schönheit und sehen es sich im Zimmer des Christen gerne an.
    Weil der Christ sich nun bestätigt und akzeptiert fühlt bringt er am nächsten Tag ein größeres noch schöneres Kreuz mit und hängt es in den gemeinsam genutzten Raum. Auch dieses Kreuz finden der Muslim und der Atheist schön, machen aber dem Christen klar, daß sie sich mit diesem Kreuz nicht identifizieren können und es sich auch nicht jeden Tag im Wohnzimmer ansehen wollen. Die Mehrheit ist also gegen das Kreuz im Hauptwohnraum.


    Wie reagiert der Christ nun?
    Hängt er das neue Kreuz ab und in seinem eigenen Zimmer auf und alles ist gut?
    Beharrt er auf seine Religionsfreiheit und zwingt als Minderheit den beiden anderen sein Kreuz auf?
    Oder zieht er aus, in eine christliche Wohngemeinschaft, in der er sein Kreuz aufhängen darf wohin er will?


    Was genau ist an einem Land so viel anders, als an einer Wohngemeinschaft im Kleinen?

  • nur leider wird hier im Thread höchst selten argumentiert, dass Minarette beim Pauschalurlaub in der Türkei ganz hübsch anzusehen sind, nicht aber in die Schweiz passen, sondern als Argument gegen Minarette werden Zwangsehen, Mädchen, die nicht zum Schwimmunterricht dürfen und die Scharia angeführt.
    Es wäre ehrlicher gewesen, wenn die Schweiz gefragt hätte: wollen wir Muslime, die als solche zu erkennen sind, in der Schweiz haben.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    nur leider wird hier im Thread höchst selten argumentiert, dass Minarette beim Pauschalurlaub in der Türkei ganz hübsch anzusehen sind, nicht aber in die Schweiz passen, sondern als Argument gegen Minarette werden Zwangsehen, Mädchen, die nicht zum Schwimmunterricht dürfen und die Scharia angeführt.Es wäre ehrlicher gewesen, wenn die Schweiz gefragt hätte: wollen wir Muslime, die als solche zu erkennen sind, in der Schweiz haben.


    Was ist daran falsch? :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    weil ich, wenn ich auf die Frage, warum ich kein Minarett im örtlichen Industriegebiet haben will, mit "weil ich gegen Zwangsehen bin" antworte, das Thema verfehlt habe.


    .....ich denke man muss das Minarett wohl als Symbol für eine voranschreitende Islamisierung ansehen. Insofern verfehlt man nicht das Thema, wenn man als Gegenargument Zwangsehen usw. anführt.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • dann sollte man dies nicht an diesem dämlichen Minarett aufhängen.
    Und was soll dann das Ding mit dem Volksentscheid? Man will das Grundgesetz ändern, wegen so einem diffusen Gefühl der fortschreitenden Islamisierung (so wie du das Wort verwendest, ich schließe mich eher Toms Definition an). Was soll denn dann dieses Gesetz bewirken? Das Muslime freiwillig wegbleiben? Dass die, die da sind erst recht keine Lust mehr haben, sich in die gesellschaft zu integrieren?


    Und erklär mir mal bitte, woran du fortschreitende Islamisierung festmachst? Dass die Türken mittlerweile im Bundestag sitzen und erfolgreich Bücher schreiben und Filme machen? Oder hat der Einfluss des Islams auf dein persönliches Leben in der letzten Zeit dramatisch zugenommen?

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Bernard
    Ich wünsche mir in der Debatte etwas mehr demokratische Kultur. Dazu gehört nicht nur, über alles abstimmen zu dürfen, sondern auch, ein Abstimmungsergebnis zu akzeptieren, auch und gerade dann, wenn die eigene Meinung sich nicht durchsetzen konnte. Wenn dies nicht mehr gegeben ist, wird Demokratie zur Witzveranstaltung.


    Dieses Hinweis kommt in der Debatte um das Verbot immer wieder und ich finde ihn absurd. Es ist doch kein Zeichen von demokratischer Kultur, dass man über Entscheidungen nicht diskutieren kann und auch seine Ablehnung zum Ausdruck bringt. Im Gegenteil, das abzulehnen ist Zeichen eines sehr merkwürdigen Demokratieverständnisses.

  • Seufz... ich sehe hier marschieren unsere Freiheitskämpfer um jeden Preis mit ihrem Fähnchen durch den Fred und jegliche andere argumentation ist von Dummheit, nationalsozialistischem Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit geprägt....


    Reicht mir schon wieder, warum hab ich gleich noch mal hier reingeguckt? Ach ja, weil ich dachte es hätte vielleicht irgendwer klar sagen können, warum eine Mehrheitsentscheidung eines einzelnen Landes um die Frage, ob eine Minderheit nun Türme bauen darf oder nicht, für so einen Wirbel sorgt. Man kann diese Religion auch ohne Türme ausüben, es wird also NIEMAND in seiner persönlichen Form der Religionsausübung behindert, es wird lediglich von der MEHRHEIT klar gesagt, wir wollen keine Türme....


    Demokratie ist darauf ausgelegt, sich nach dem Willen der Mehrheit zu richten, der wurde hier mehr als deutlich artikuliert, aber das ist wohl zu unbequem....das will man dann doch auch nicht, denn das Volk ist ja zu dumm, um zu entscheiden, was es wirklich will... (genau das hat Draper ja in einer der vorausgehenden Beiträge geschrieben).... hui... saftige Aussage muß ich zugeben... ehrlich... da braucht das Volk doch einen intelligenten Menschen der es in die richtige Richtung führt.... oder? !
    (Ok, wenig witzig... aber ich muß gestehen, ich habe doch mal gekichert)


    Zitat

    Original von DraperDoyle
    Das Problem ist nun leider, dass das Volk oft schlicht und ergreifend keine Ahnung hat.


    Nur um das noch mal schnell zitiert zu haben...



    Edit:
    Außerdem fiel mir soeben auf, daß es ja schlicht und ergreifend um NEUBAUTEN geht... sprich, die bereits vorhandenen Minarette bleiben bestehen.
    Hat wer eventuell eine Zahl bei der Hand, wie viele das wohl sind? Ist es dann nicht vielleicht so als Zeichen zu werten, wir haben genug Minarette?