Grausamkeiten sichtbar machen oder Rücksicht auf die Leser nehmen?

  • Ich muss gestehen... mir ist das egal :grin


    Es gibt Bücher, bei denen finde *ich*, dass die Grausamkeiten auch besser umschrieben werden könnten (aber manche Autoren können eben nur platt und plastisch), aber aus Effekthascherei so richtig brutal geschrieben werden. Ken Follet ist so ein Kandidat auf meiner Liste und da lese ich dann diagonal, weil dort m.E. die Beschreibung die Story nicht voran bringt.


    Und dann gibt es wiederum Bücher, da sind auch die Grausamkeiten gut geschrieben und sind auch für die Geschichte nötig. Die lese ich dann auch und da brauche ich auch keine Rücksichtnahme.


    Und als Leser bleibt mir ja immer: Buch in die Tonne kloppen. Es gibt ja gottseidank für mich als Hobby-Leser keinen Lesezwang. :grin


    .

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    @ Gummi: ich habe das Buch auch auf meinem SUB. Ich denke da hilft nur mal Reinlesen ;-). (Bevor Du es dann in die Tonne kloppst :lache)


    Ich hätte es eigentlich verkauft oder eingetauscht, aber er hat reingekritzelt, samt "Autogramm". Ich glaub, ich lese mal rein.

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Zitat

    Original von Gummibärchen
    woelfchen : Das Buch von Daniela Larcher ist so "schlimm"? Ich hab das hier liegen, weil es mir mein Lieblingsbuchhändler mal in die Hand gedrückt hat. Der hat es wohl nicht mehr haben wollen und meinte, ich kann das mitnehmen. Ich hatte nicht vor, es zu lesen, da es sich eher nach Krimi als nach Thriller angehört hat und das ist nicht so meins, aber dass es so brutal zugeht, hätte ich nicht gedacht. Hm, ob ich es doch noch lesen soll? :grin


    Also es gab Szenen, die ich extrem unappettilich fand.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Es sollte das aufgeschrieben werden, was für die Geschichte notwendig ist. Und wenn das halt irgendwelche Grausamkeiten sind, dann ist das eben so. Grausamkeiten aber beschreiben, die ohne einen Bezug zur Geschichte sind, mehr also dem Selbstzweck frönen, die sollte man weglassen.


    Das Leben ist nun einmal keine Kuschelveranstaltung.


    Das ist auch genau meine Meinung. Man sollte nicht aus reinem Unterhaltungswillen alles mit Brutalität ausschmücken, aber es gibt einfach Themen, bei denen es nichts zu schönen gibt und die schlichtweg grausam und brutal waren. Und ich denke damit sollte man sich dann auch auseinandersetzen und es nicht wegreden. Denn sonst passiert genau das, wovon am Anfang die Rede war...es wird vergessen.

  • Grausamkeiten sollten, passend zum Plot, auch beschrieben werden. Was nützt mir ein Buch über z.B. die Inquisition, wenn ich nicht erfahre, wie es nach dem peinlichen Verhör weitergeht?
    Allerdings sollte nicht aus reiner Effekthascherei das Blut nur so spritzen.


    Außerdem ist ja der Leser mündig und kann das Buch weglegen, wenn es ihm zu viel wird. Denn was dem einem zu viel ist, ist für den anderen genau richtig.

  • Ein ganz erstaunlicher Thread. :wow


    Hier ist häufiger davon gesprochen worden, dass die Dinge in ein Buch gehören, die zur Geschichte gehören. Verblüffend.
    Was "gehört" zur Geschichte?
    Jede Story lässt sich in drei, vier Sätzen zusammenfassen. Wirklich jede, vom "Zauberberg" bis hin zu "Nimm mich, Du geiler Vampir, Du!". Wenn man dem Prinzip "Was nicht zur Geschichte gehört, muss/sollte auch nicht erzählt werden" in aller Konsequenz folgen würde, bestünden die meisten Romane aus zwei oder drei Seiten. Horst will Uschi, aber Uschi ist doof, und eigentlich ist Susi viel besser, weil die auch in Horst verliebt ist, und am Ende merkt er das. Genaugenommen könnte man diese "Story" sogar im Titel des Buches komplett erzählen - und ansonsten leere Seiten abliefern. Romane bestehen zum überwiegenden Teil aus Beiwerk. Atmo. Figurenzeichnung. Beschreibungen. Nebenhandlungen. Undsoweiter. Das meiste davon ist nicht nötig, wenn man so will, "gehört nicht zur Geschichte". Jedenfalls zur Kernstory.


    Aber Romane bestehen eben nicht nur aus einer, aus der Geschichte. Sie sind Weltskizzen, Vehikel für Lebensanschauungen, nicht selten Hommagen, Humoresken, Uto- oder Dystopien und vieles mehr, im Kleinen wie im Großen. Viele Autoren wollen nicht einfach nur die Geschichte von Horst, Uschi und Susi erzählen, sondern etwas zeigen, und dieses Etwas kann ziemlich umfangreich werden. Horst, Uschi und Susi sind selbst nur Bestandteile davon, und auch wenn es um deren Geschichte geht, geht es doch niemals nur darum. Und um was es geht, das ergibt sich aus den vielen Details, von denen manche auf den ersten Blick überflüssig erscheinen, aber eigentlich gibt es das nicht: Denn jedes Element, auch diejenigen, die uns redundant vorkommen, machen genau diese Geschichte aus - so, wie sie dieser Autor uns erzählen wollte.


    Stimmt schon, Gewaltdarstellungen dienen manchmal der Effekthascherei, sollen (recht storyfern) schockieren oder provozieren, gehen vielleicht sogar in Richtung Selbstzweck - aber das gilt für viele Elemente in anderen Genres auch. Möglicherweise bauen einige Autoren derlei nur ein, weil sie oder ihre Lektoren glauben, das müsse so sein. Schlecht recherchierte "historische" Romane (und die Mehrheit ist schlecht recherchiert!) mögen tatsächlich inflationär mit so etwas ausgestattet sein, um von der schlechten Recherche abzulenken, wie doofe Chick-Lit haufenweise Lustich-lustich-Slapstickszenen und Verwechslungen enthält, aber hier entstehen Kategorien, und das ist bitteschön jedem Autor erlaubt. Man muss den Krempel ja nicht lesen.


    Gute Autoren komponieren stimmige Geschichten. Weniger gute Autoren mögen ihre Romane mit Exzessen versalzen, weil sie ihren eigenen Fähigkeiten nicht trauen. Aber Geschichten sind nichts, an das man als Leser exakte Erwartungen stellen sollte, sonst wird man, bei guten wie bei schlechten, Opfer dieser Erwartungshaltung, die ohnehin keiner erfüllen kann.

  • Zitat

    Original von Tom
    Ein ganz erstaunlicher Thread. :wow


    Hier ist häufiger davon gesprochen worden, dass die Dinge in ein Buch gehören, die zur Geschichte gehören. Verblüffend.
    Was "gehört" zur Geschichte?


    Um mal Kurt Vonnegut zu zitieren:


    Zitat

    Every sentence must do one of two things -- reveal character or advance the action.


    Link


    Man kann sicherlich darüber streiten, aber mir persönlich wäre ja eine Geschichte, die sich mit vier Sätzen zusammenfassen lässt und deren Rest eine mehr oder wenig kunstvolle Aneinanderreihung von Nebensächlichkeiten und Geschwafel ist, viel zu wenig.

  • Googol :


    Dann schnapp Dir doch einfach mal ein paar Bücher von Kurt Vonnegut und untersuch jeden einzelnen Satz auf diese Prämisse. :grin


    Und außerdem wäre es nett, wenn Du mir, sagen wir: fünf Romane nennen könntest, deren Handlung sich nicht in drei oder vier Sätzen zusammenfassen ließe.

  • Zitat

    Original von Tom


    Dann schnapp Dir doch einfach mal ein paar Bücher von Kurt Vonnegut und untersuch jeden einzelnen Satz auf diese Prämisse. :grin


    Das habe ich gerade eben kurz auf die Schnelle gemacht und ich behaupte, dass seine Sätze diese Prämisse zu etwa 42,0815% erfüllen, womit er immer noch weit über dem Durchschnitt liegt. Leider hat sein Altersgeschwafel seinen Schnitt versaut.


    Zitat

    Original von Tom


    Und außerdem wäre es nett, wenn Du mir, sagen wir: fünf Romane nennen könntest, deren Handlung sich nicht in drei oder vier Sätzen zusammenfassen ließe.


    Das wird mir kaum gelingen, aber mein Punkt war eigentlich: kann man nicht erwarten, dass eine Geschichte in ihrer Entwicklung (also über die in drei oder vier Sätzen zusammenfassbare Prämisse) eine gewisse konsequente Abfolge von Handlungs- und Charakterentwicklung darstellt. Man kann das als Creative-Writing-Quatsch abtun, aber sollte eine Szene nicht eine entsprechende Funktion haben und jede Szene vielleicht auch so etwas wie eine kleine Geschichte darstellen? Insofern könnten z.B. auch Gewaltszenen eine Funktion haben oder eben nicht. Wäre das nicht enttäuschend wenn man aus einem Roman eine Seite nach der anderen herausreißen könnte, und der Geschichte würde das überhaupt nicht schaden?

  • Zitat

    Original von Googol
    Insofern könnten z.B. auch Gewaltszenen eine Funktion haben oder eben nicht.


    Die Frage ist: Funktion wofür?
    Für den Fortgang der Handlung? - Dann könnte man vermutlich tatsächlich die meisten Sätze in jedem Roman streichen oder zumindest durch Raffungen ersetzen.
    Aber für die Stimmung, das Feeling eines Romans? - Das entsteht durch die Details, die geschilderten Einzelheiten und die Art und weise, wie sie dargestellt werden.
    Einen Roman, den man zum Beispiel gut kürzen könnte, ohne dass er dadurch für mich uninteressanter würde, ist "Moby Dick". Diese seitenlangen Abhandlungen über den Walfang könnten alle raus. Aber dennoch wäre es dann ein anderes Buch - vielleicht nicht mehr das, das Melville hat schreiben wollen.

  • Was diskutiert ihr hier so schön umeinander herum? Ihr gebt euch doch selber die Antwort. Die Geschichte um Horst, Uschi und Susi ist in einem Satz oder gar im Titel ERZÄHLT. Aber ERZÄHLT ist sie ja langweilig. Autor Hans Mustermann (wahlweise Kurt Vonnegut) will die Geschichte ja gar nicht erzählen. Der will die Geschichte ja zeigen.


    Oh, stöhnt die Menge auf, ein Creative-Writing-Guru! Huch?


    Nönönö, mal langsam. Die Geschichte ist in zehn Worten erzählt. Aber um ein Buch draus zu machen, wird sie gezeigt. Nämlich die Entwicklung von Horst vom Uschi-Schmachter zum Susi-Verehrer. Und eben für dieses ZEIGEN dieser Entwicklung vom Horstchen zum Horst sind dann diese ganzen anderen Elemente vonnöten - die Nebenstränge, die Charakterzeichnungen, die WARUMS. Warum ist Horstchen in Uschi verliebt? Warum ist er blind für Susi? Warum ist Uschi blöd? Nehmen wir mal an, Uschi frönt 100%ig selbstbezogener SM-Praktiken, die Horst ja, wenn er sich selbst gegenüber ehrlich ist, so überhaupt nicht mag (andere mögen sowas *goil* finden). Und um darzustellen, was Horst daran so ab- und von Uschi wegstößt, hat Autor Mustermann oder Vonnegut plötzlich fast schon die "Pflicht", die entsprechenden SM-Szenen einzubauen. Das weiß man vorher nicht, wenn es nicht im Klappentext erwähnt ist, dass es um sowas geht - und ist dann der Punkt, an dem der SM-abgeneigte Leser das Buch "in die Tonne kloppt" und sagt, es sei ja viel zu gewaltverherrlichend.


    Es hat was mit Leser-Erwartungshaltung zu tun. Der Autor hat seinen Weg im Kopf, diese Geschichte zu erzählen. Manche Geschichten, die einer MIT Gewaltszenen erzählt, könnte ein anderer ganz ohne Gewalt erzählen. Gib zehn Autoren Toms Horst-Uschi-Susi-Kurzfassung, und du kriegst zehn verschiedene Bücher heraus (ein anderer verarbeitet sie vielleicht so, dass es Horst auf Dauer anwidert, dass Uschi ihm wöchentlich einen neuen Pulli strickt, wohingegen Susi lieber mit ihm aufm Sofa vorm Fernseher kuschelt, und er mag ja sowieso keine gestrickten Pullis. Man kann sich mit Stricknadeln locker gegenseitig die Augen ausstechen, aber es ist für die Schlüssigkeit einer solchen Verarbeitung nicht zwingend notwendig, also kann hier die Gewalt außen vor bleiben, und wir kommen dennoch von A nach B und können die Story nach Toms Vorgaben zusammenfassen ...)


    Ich geh jetzt arbeiten ... genug getippt für heute! :wave