Grausamkeiten sichtbar machen oder Rücksicht auf die Leser nehmen?

  • Hallo,


    in der Leserunde der "Hexenschwester" (deren Thema die Hexenverfolgung in Hessen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ist) ist eine Frage aufgeworfen worden, die ich so interessant finde, dass ich sie hier zur allgemeinen Diskussion stellen möchte.


    Einige Leser schrieben dem Sinn nach (ich möchte hier nur Tereza zitieren):


    Zitat

    Für den Verzicht auf brutale Folter-Details war ich sehr dankbar.


    Whisky vertrat demgegenüber die Meinung:



    Ich kann beides gut nachvollziehen und würde gern eure Meinung dazu wissen.

  • Purer Realismus - ja
    Brutalität ausschmücken - nein


    Ich bin ein visueller Typ mit einer ausgeprägten Vorstellungskraft und für mich können es gern ein paar brutale Details weniger sein. Ich weiß, dass schlimme Dinge passiert sind und noch passieren und wahrscheinlich auch immer passieren werden, aber um mir dessen klar zu sein, muss ich es nicht brutal unter die Nase gerieben bekommen. Grausamkeiten und Brutalität in Büchern stoßen mich ab.


    Außerdem gehen mir die Bilder, die beim Lesen dabei entstehen ewig nicht mehr aus dem Kopf.


    Wenn ich also die Wahl habe: Erspart mir die schlimmsten Details!

    - Freiheit, die den Himmel streift -

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  • Die Frage ist doch, was wir von Büchern erwarten: wollen wir ein wenig Unterhaltung oder wollen wir uns beim Lesen auch bilden?
    Für die erste Variante ist es sicher besser, zu schönen, was zu schönen geht, etwas Spannung, ein klein wenig Nervenkitzel und Blut, aber nur keinen Realismus und nichts, worüber wir ins Nachdenken kommen könnten. Das hat durchaus sein Recht gerade in der Literatur! Ich will das an dieser Stelle nicht einfach schlecht reden. Ich lese das auch immer mal ganz gern, einfach nur zum Abschalten und Entspannen. Nur sollte man sich als Leser auch darüber im Klaren sein, was man da liest.


    Die andere Variante bedeutet: Lesen ist neben der der Unterhaltung auch Bildung. Dann sollte es zum Nachdenken anregen, dann sollte Literatur historisch sauber und adäquat bleiben. Und wenn da über Grausamkeiten berichtet wird, dann auch so, dass deutlich wird, worum es geht. Ich will damit keinem sinnlosen Blutrausch das Wort reden und keinen literarischen Gewaltorgien, aber denke doch, dass Verharmlosung dann auch fehl am Platz ist. Es ist ein enger Grat, den ein guter Autor und ein guter Verlag da gemeinsam sehr verantwortungsvoll zu beschreiten haben. Aber ich denke, es zeichnet die Qualität von Autor und Verlag aus, da eine gute Mischung zu finden.

  • Es sollte das aufgeschrieben werden, was für die Geschichte notwendig ist. Und wenn das halt irgendwelche Grausamkeiten sind, dann ist das eben so. Grausamkeiten aber beschreiben, die ohne einen Bezug zur Geschichte sind, mehr also dem Selbstzweck frönen, die sollte man weglassen.


    Das Leben ist nun einmal keine Kuschelveranstaltung.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe jahrelang "historische Romane" gelesen. Der Grund, warum ich in diesem Genre das Handtuch geworfen habe ist, dass es nahezu kein Buch mehr ohne Gewaltexzesse auskommt. Diese ganzen Prügel-, Folter- und Vergewaltugungsszenen haben mich definitiv aus dem Genre "historischer Roman" vertrieben.


    Wenn es für die Handlung wichtig ist, dann soll der Autor es halt erwähnen, und dann mit dem Inhalt fortschreiten. Immer mehr Autoren in diesem Genre neigen jedoch dazu, sich in diesen Dingen auszulassen, als gäbe es kein Morgen.
    Was soll mir das als Leser bringen, ausser, dass ich mich massiv abgestossen fühle? Warum soll die Information, wie und wo gefoltert wird wichtig sein? Warum muss eine Frau 3x vergewaltigt werden, um ihr Leid zu verdeutlichen?
    Spannung in Romanen wird in meinen Augen nicht durch Handgreiflichkeiten erzeugt, sondern mit Hilfe stilistischer Mittel. Ich habe in diesem Genre oft den Eindruck, dass Autoren - statt eine eine entsprechende Atmosphäre aufzubauen - lieber zu Gewaltszenen greifen, anstatt sich mit einem Thema, wie Gewalt, auseinanderzusetzen. Das wäre für mich als Leserin viel interessanter.


    Wenn ein Autor tatsächlich "Grausamkeiten sichtbar machen" möchte, dann brauche ich als Leserin das sicherlich nicht, indem mir die neusten Foltermethoden des Mittelalters vorgeführt werden. Das ist nämlich das Endergebnis einer Grausamkeit, die bereits viel früher, nämlich im Kopf des Folternden beginnt. Fragen nach dem Sinn & Zweck von Institutionen, wie Inquisition & Co., werden in Romanen allerdings selten aufgegriffen, eine Auseinandersetzung hierzu findet kaum statt.
    Das wäre für mich als Leserin jedoch viel interessanter, statt dass sich der Autor in den Qualen der Protagonisten wälzt.
    Was soll ich mir als Leserin daraus ziehen, ich bin schließlich kein Sadist. Und ein Roman ist kein Sachbuch über das Mittelalter und seine diversen Grausamkeiten, die nebenbei bemerkt nicht nur aus Folter & Co. bestanden. Das ist mir viel zu platt. Wenn ich einen Roman lese, muss das für mich einen Unterhaltungswert haben. Und den beziehe ich nicht daraus, dass jemand einem sadistischen Folterknecht ausgeliefert ist, in welchen Verkleidungen der auch immer auftreten mag.


    Das es auch anders geht, zeigen Autoren wie Rebecca Gable und Eric Walz, um nur zwei zu nennen. Hier gibt es durchaus gewaltätige und grausame Szenen, aber sie dienen der Geschichte, und sorgen dafür, dass der Inhalt weiter transportiert wird. Und so sollte es in meinen Augen auch sein.

  • Wenn es zur Geschichte gehört, sollte es ruhig erwähnt werden, auch um nicht vergessen zu werden. Es steht ja jedem Leser frei sich mit dem Buch einzulassen oder nicht. Ich persönlich habe ein oberflächliches Wissen über einige der Dinge die geschehen sind und wenn ich mehr wissen möchte kann ich mich ja weiter informieren.
    Allerdings bin ich jemand der zur Entspannung liest und deshalb z.B. Karen Slaughter und ähnliches auslässt. Ich stehe dazu das ich zwar ein bisschen Spannung ganz schön finde aber keine Gewalt lesen möchte.

    Diese Eintrag wurde bisher 47 mal bearbeited, zultzt gerade ebend, wegen schwere Rechtsschreipfeler.

  • Ich denke auch, dass der Leser ja die Wahl hat was er liest. Wenn es um ein krasses Thema geht, kann er sich ja vorher mit Rezenssionen etc. darüber informieren wie hart es geschrieben ist. Wenn es Tatsachen sind muss es eben so geschildert werden, man kann Bücher über KZs ja auch nicht beschönigen. Wenn es aber z.b Thriller sind wo so brutal, eklig und whatever geschildert wird was passiert muss man sich eben vorher inforieren und wissen ob man das lesen will oder nicht.

  • @ Kamelin: für mich entscheidet die Art und Weise, wie etwas erzählt wird sehr darüber, ob das für mich OK ist. Wenn es in die Geschichte (und in die Zeit) gehört, dass Frauen vergewaltigt wurden, das blindwütige Gemätzel stattfanden, dann gehört das auch ins Buch, dass den Anspruch hat, neben der Unterhaltung auch zu bilden. Nur stellt sich die Frage, wie das geschildert wird: Ich brauche nicht lüstern auf jedes Detail zu starren und jede einzelne Bewegung nachverfolgen. Mir reicht aber auch der Satz: "XY wurde wieder einmal vergewaltigt und ihre Leiden wurden immer schlimmer." absolut nicht aus.
    Wie gesagt: der Grat ist ein schmaler und für mich entscheidet sich u.a. daran, wie gut ein Autor da einen Weg findet, die Entscheidung zwischen Qualität und Kitsch.

  • Du lieber Himmel, was für ein Problem! :rolleyes


    Ja, ich rolle mit den Augen und ich werde mal versuchen zu erklären, warum.


    In einer längst vergangenen Zeit, als es beim Geschichtenerzählen, auf welche Art auch immer, mündlich, schriftlich, gesungen, bildlich oder von mir aus getanzt, noch darum ging, die Geschichte so darzustellen, wie es die Geschichte erforderte, gab es Fragen solcher Art überhaupt nicht.
    Die Darstellung von Gewalt hing ab von gesellschaftlichen Konventionen zu dem Thema und wurde entsprechend künstlerisch umgesetzt.
    Ein Beispiel: die Hexe in der Geschichte von Hänsel und Gretel wird am Ende verbrannt. Das ist grausam, Details brauchte man nicht zu erzählen, weil die ZuhörerInnen wie die ErzählerInnen mit großer Wahrscheinlichkeit schon miterlebt hatten, wie es ist, wenn ein Mensch verbrennt. Nicht nur infolge eines Gerichtsurteils, wohlgemerkt, sondern weil Feuer lange Jahrhunderte hindurch grundsätzlich eine Lebensgefahr für Menschen darstellte. Hausbrände waren häufig, Kriege ebenso.
    Die Nennung des Umstands allein genügte, um die in der Vorstellungswelt aller existierenden Assoziationen dazu wachzurufen, die Geräusche, den Geruch, die Bewegungen. Das Alltagserlebnis, die Realität.


    Zugleich ist die Geschichte Fiktion, Kunst. Alltagsvorstellung und Überhöhung ins Künstlerische fanden in der Vorstellungswelt der ZuhörerInnen zusammen. Die Geschichte hatte einen bestimmten Ablauf und eine fixe Figurenbühne. Am Ende muß die Hexe brennen. Dder Gedanke, sie ins Zuchthaus zu stecken oder sie gar davonkommen zu lassen, würde die gesamte Geschichte zerstören.
    Die Grausamkeit muß also sein, damit das Kunstwerk erhalten bleibt.


    Und darum ging es lange Zeit: die Erfordernisse dessen, was erzählt werden sollte, bedingten, wie erzählt wurde. Die ältere und alte Literatur ist unglaublich grausam.


    Heutzutage leben wir hierzulande etwas beschützt. Das rührt auch daher, daß wir einen gewissen humanistischen Erkenntnisstand erworben haben. Dennoch gibt es Grausamkeiten. Und deswegen werden sie dargestellt.
    Für die Kunst gilt dabei die gleiche Regel, wie eh und je: die Darstellung hängt davon ab, was auf welche Weise erzählt werden soll. Die Eigendynamik der Geschichte bestimmt das. Es ghört auch zur Begabung der/des Schreibenden, zu erkennen, welches Maß angewendet werden muß.


    In den letzten Jahren allerdings, als sich der Unterahltungsmarkt ausbreitete, kam ein neuer Faktor dazu, die Publikumserwartung. Das ergibt sich nun wieder aus der erwünschten möglichst hohen Verkaufszahl.
    Ob also die Geschichte, die erzählt wird, nach künstlerisch-literarischen Kriterien eine mehr oder eine weniger ausführliche Darstellung von Gewaltszenen erfordert oder nicht, ist nicht mehr wichtig.
    Wichtig ist, die Reizschwelle des Publikums zu beachten. Die Frage des 'Unterhaltungswerts' regiert.
    Und hier erlaube ich mir dann mit den Augen zu rollen.


    Für mich ist die Frage dann letztlich sehr einfach zu beantworten: Autorin/Autor muß sich nur entscheiden, für wen sie schreiben will. Für diejenigen, die's gern blutig haben oder für die, die's nicht so genau wissen wollen.
    Da die Zahl derer, die Splatter gern lesen, im Vergleich zur Zahl derjenigen, die's gern etwas gemäßigter haben, wohl geringer anzusetzen ist, liegt die Lösung doch auf Hand.
    Letztlich ist es nur ein Zahlenspiel.


    Ich wundere mich bloß, daß Verlage zu dem Thema noch kein Marktforschungsinstitut beauftragt und die Ergebnisse den fleißigen AutorInnen flugs weitergemeldet haben.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für eure bisherigen Meinungen zu dem Thema!
    Ich würde die Frage gern noch einmal präzisieren.
    Es ging mir nicht um Gewaltdarstellungen als Stilmittel oder darum, ob es legitim ist, sie zur Erhöhung der Spannung einzusetzen. Das wäre ein anderes Thema.


    Es geht mir um diesen Punkt:

    Zitat

    Original von MissKazumi
    Wenn es Tatsachen sind muss es eben so geschildert werden, man kann Bücher über KZs ja auch nicht beschönigen.


    Whisky hat quasi eingefordert, dass der Autor den Leser nicht schonen darf, wenn es die systematische Ermordung bestimmter Gruppen geht, weil man dies den Opfern schuldet.
    Dem könnte man entgegenhalten, dass die individuelle Toleranz aus sehr verschiedenen Gründen sehr unterschiedlich ist, was das Ertragen grausamer Details ist. (Ich habe eine Freundin, die als Kind schon am Frühstückstisch Gespräche darüber erlebt hat, wer aus der Familie alles im KZ umgekommen ist. Sie möchte nur noch "harmlose" Geschichten mit happy end lesen, und ich finde, man kann es ihr nicht verdenken.)
    Man könnte dem auch entgegenhalten, dass es schon ein wichtiger Schritt sein kann, das Bewusstsein für bestimmte Tatsachen zu wecken und es dem Einzelnen zu überlassen, wie weit er sich darüber hinaus noch mit Detailwissen versorgen möchte/muss.

  • Katerina
    Das muss dann aber auch aus dem Klappentext hervorgehen. Wenn ich mir ein Sachbuch oder eine Biographie aus der Nazizeit kaufe, muss ich mich nicht wundern, wenn es erschütternd grausam ist.
    Aber nochmals: Brutalität und Gemetzel werden oft als Stilmittel eingesetzt.
    Der Roman "Die Bücherdiebin" hat mir überdeutlich gezeigt, dass man sich mit der Nazizeit beschäftigen und die Grausamkeiten aufzeigen kann, ohne sich über die Details der Vernichtung zu verlieren. Hiebei handelt es sich allerdings um einen Roman, und ich wusste vorher ganz genau, was ich kaufe.
    Das ist oft leider nicht so. Die Klappentexte sind ein Witz geworden und sagen immer weniger etwas über den Inhalt aus.



    Zitat

    @ Kamelin: für mich entscheidet die Art und Weise, wie etwas erzählt wird sehr darüber, ob das für mich OK ist. (...)
    Wie gesagt: der Grat ist ein schmaler und für mich entscheidet sich u.a. daran, wie gut ein Autor da einen Weg findet, die Entscheidung zwischen Qualität und Kitsch.


    Das ist auch für mich der springende Punkt. Das Wie sagt mir oft mehr über den Autor als über die Geschichte. Wo liegt der Schwerpunkt? Effekthascherei oder geht es wirklich um Tiefe, um den Inhalt?

  • @ Katerina: Ich sehe das Problem nicht. Es gibt, wie Du zu Recht schreibst, verschiedene Ansprüche an Bücher und verschiedene Toleranzgrenzen. Entsprechend gibt es verschiedene Arten von Büchern. Nun kann man sich entscheiden, was man möchte: Möchte ich freundlich unterhalten werden? - dann finde ich sicher eine ganze Reihe von netten Romanen im historisierenden Ambiente mit netten Geschichten. Warum nicht, sowas kann schön sein. - Bitte sehr.


    Oder ich möchte Bücher lesen, die mich neben der Unterhaltung noch bilden und die einigermaßen authentisch sind. Dann kann muss ich aber auch in den sauren Apfel beißen, die Authentizität auf mich wirken zu lassen. Dann kann man nichts beschönigen oder verharmlosen. (Wie gesagt, die Qualität eines Buches läßt sich dann daran messen, ob das dann immer noch angemessen und im Rechten Maß geschrieben wird.) Aber ich kann nicht sagen: Wasch mich, aber mach mich nicht nass.
    Wenn ich Bücher über das Leben im KZ lese, weiß ich, dass es da um äußerste Grausamkeiten gehen wird. (Lesetip: Elie Wiesel, Die Nacht -- Da werden die Grausamkeiten sehr klar beleuchtet, ohne voyeuristische Attitüde)
    Wenn ich Bücher über den 30-jährigen Krieg oder über Kreuzzüge oder über Hexenverfolgung lese, werde ich mich darauf einstellen, dass es nicht gerade kuschlig sein kann. Alles andere wäre Verfälschung. Für mein Empfinden hat es Umberto Eco in Baudolino oder aber auch im Namen der Rose bestens geschafft, beispielhaft den schmalen Grat zwischen Voyeurismus und Verharmlosung zu gehen.

  • Zitat

    Original von licht
    Die Frage ist doch, was wir von Büchern erwarten: wollen wir ein wenig Unterhaltung oder wollen wir uns beim Lesen auch bilden?


    Okay, ganz krass: wenn zum „bilden“ gehört, daß ich mir ausführlich beschriebene Gewaltszenen welcher Art auch immer antun muß, dann verzichte ich lieber auf die Bildung. Aus reinem Selbstschutz.


    Daher - sorry Katarina - werden weder die „Hexenschwester“ noch etwa Astrid Fritz’ „Die Hexe von Freiburg“ von mir gelesen werden. Und viele andere Bücher ebenfalls nicht.


    In der tendenziellen Einschätzung stimme ich mit kamelin überein. Bücher, in denen ich solche Schilderungen vermute, fallen bei mir sofort durch das Raster, bekommen also gar keine Chance gelesen zu werden.



    Zitat

    Original von Voltaire
    Das Leben ist nun einmal keine Kuschelveranstaltung.


    Richtig. Aber warum soll ich mir das dann in Büchern auch noch antun? Um mich selbst von anderer Stelle zu ziteren:


    (Für hier jetzt: Ich will keine übertriebenen oder zu genauen Gewaltdarstellungen), weil ich in der Realität schon genug Realität habe, das reicht dann mit der Realität. Da brauche ich mir die in Büchern nicht nochmals, wie in einem Spiegel, vorhalten zu lassen.


    Salopp ausgedrückt: Wenn ich die Realität will, lese ich Zeitung oder sehe Nachrichten. Wenn ich das nicht will, lese ich ein Buch.



    Zitat

    Original von Katerina
    Whisky hat quasi eingefordert, dass der Autor den Leser nicht schonen darf, wenn es die systematische Ermordung bestimmter Gruppen geht, weil man dies den Opfern schuldet.


    Gut, wenn es angesprochen wird, ein Beispiel. Vor vermutlich um die zwanzig Jahren hatte ich beruflich in Dachau zu tun. Ich hatte noch rund 45 Minuten Zeit, war auf dem Gelände des ehemaligen KZ und bin dann als Besucher hinein. Wie gesagt, ich hatte rund 45 Minuten bis zur Schließung, habe also nur einen Teil der Ausstellung gesehen. Ich habe Jahre gebraucht, bis es mir endlich gelungen war, die Eindrücke zu verdrängen. Von verarbeiten will ich gar nicht schreiben. Ich werde nie wieder eine solche Stätte betreten - aus reinem (psychischen) Selbstschutz. Und ich mache seither in aller Regel einen großen Bogen um die ganze Thematik - ebenfalls aus Selbstschutz.




    Grundsätzlich ist die Frage schwer zu beantworten. In einem Fantasy-Roman vertrage ich Gewaltdarstellungen besser als etwa in einem historischen. Aus mancherlei Gründen habe ich mich zur „Heile-Welt-Fraktion“ gesellt. Es müssen für mich schon Gründe vorhanden sein, wenn ich aus diesem Schema „ausbreche“ (beispielsweise, weil mich das Thema Native Americans interessiert und der Ausgang dieser Geschichte nunmal bekannt ist). Bücher, in denen ich viele Grausamkeiten vermute (etwa solche über Hexenverbrennungen oder aus der Zeit derselben, selbst wenn die Protagonistin im letzten Augenblick überlebt) fallen für mich im Normalfall von vornherein weg. Es sind für mich in den Klappentexten Warnworte (etwa Hexenverbrennung / 30 jähriger Krieg / grausame Verfolgung und etliche mehr) die das Buch für mich vom Kauf und vom Lesen ausschließen.



    (Offline nach Katerinas Beitrag geschrieben)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Für mich und meine lebhafte Phantasie gilt da "so viel wie nötig, so wenig wie möglich".


    Bei der "Hexenschwester" werden die Foltermethoden mehrfach genannt, das reicht mir völlig. Detaillierte Beschreibungen, wie die einzelnen Personen gefoltert werden, wie sie sich dabei fühlen, wie weit das Blut wohin spritzt, benötige ich nicht. Ähnlich eine Szene, in der erwähnt wird, dass die eingesperrten Frauen nicht mehr nach draußen zum Abort dürfen. Danach geht es weiter in der Handlung und ich kann mir auch so vorstellen, wie es in dem Verlies aussah und roch.


    Beschönigend oder verharmlosend finde ich das nicht. Die Methoden werden ja genannt und teilweise auch genauer geschildert, wie eine vermeintliche Hexe "geprüft" wird. Die Art und Weise der Beschreibung verursachte Gänsehaut, das Grauen wurde eindringlich vermittelt. Meiner Meinung nach ist in solchen Fällen weniger Detail wirksamer, weil die Phantasie Spielraum bekommt. Ausführliche Splatter-Szenen würden auf mich nicht so stark wirken. (Abstoßend ja, aber nicht eindringlich.)

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Das Thema gab es doch schon wiederholt.


    Unsere Zeit mit dem Anspruch niemandem auf die Zehen zu treten, auf alle Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, das Gewalterlebnisse die Ausnahme sind und nur einigen wenigen widerfährt, dürfte in der Geschichte der Menschheit wohl Einzigartig sein.


    Es gibt Autoren, die auf dieses „Kuschel“-Bedürfnis Rücksicht nehmen und es gibt Autoren, die die Realität ohne Beschönigung abbilden wollen. Beides hat seine Existenzberechtigung.


    Der Leser muss selbst entscheiden, was er will und kann nicht erwarten, dass sich alle Autoren nach seinem Gusto richten. Dafür gibt es ja die Vielzahl von Büchern.


    Passt mir der Inhalt eines Buches, wird es weggelegt und an einen weitergegeben, der es mag und der findet sich in der Regel immer


    Daher halte ich diese Diskussion für überflüssig


    meint Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson


  • Ich schließ mich dem vollkommen an. Natürlich soll ein Buch auch bilden und nichts "verheimlichen", dennoch halte ich es für unnötig, alles bis in die kleinste Grausamkeit zu beschreiben. Das kann sich ohnehin jeder vorstellen. Lesen ist für mich Unterhaltung und Bildung in einem und dennoch verzichte ich in meiner Freizeit gerne darauf mich ausgiebig mit Brutaliät zu befassen. Davon gibt es ohnehin genug auf dieser Welt. Ein gutes Buch für mich ist eines, das mit etwas beibringt, mich unterhält, mich zum Nachdenken und meine Phantasie anregt und mich dazu bringt, mich mit bestimmten Themen näher auseinander zu setzen, wenn ich dies möchte. Grausame Beschreibungen, bis ins kleinste Detail empfinde ich dagegen als abschreckend. Das ist mitunter ein Grund, warum ich in letzter Zeit immer weniger Thriller lese. Wenn ich am Klappentext schon Sachen lese wie, bestialisch ermordet etc dann :yikes und weg damit.

  • Wenn ich einen historischen Roman lese, erwarte ich, dass dieser möglichst authentisch ist und die Umwelt der Protagonisten so darstellt, wie sie war, mit aller Gewalt und den Grausamkeiten die nun mal in den meisten Epochen dazugehören, dabei brauche ich keine seitenlangen Beschreibungen eben dieser Grausamkeiten, aber sie sollten schon realistisch dargestellt sein, den Rest besorgt meine Phantasie.


    Zum Beispiel habe ich vor kurzem Kind 44 von Tom Rob Smith gelesen, darin ging es u.a. auch um die Verhörmethoden unter Stalin, es wurde nicht direkt eine Folterung beschrieben aber das Innere der Lubjanka, dem russischen gefängnis für politische Gefangene wurde sehr detaliert beschrieben (wie weit diese Beschreibungen der Realität entsprechen, kann ich nicht beurteilen), das hat mehr als ausgereicht, um sich vorstellen, was da vor sich gegangen sein könnte.

  • Ich antworte jetzt mal direkt auf die Threadüberschrift bezogen:


    Ja, für mich können Grausamkeiten sichtbar gemacht werden und auf mich muss als Leserin keine Rücksicht genommen werden.


    Wenn ich etwas nicht ertragen kann oder will ( was noch nie der Fall war ), würde ich das Buch eben beenden oder die entsprechenden Teile überspringen.

  • Zitat

    ...auf die Befindlichkeiten des Lesers, der gerne unangenehmes verdrängen will,...


    Diese Formulierung ist für mich so nicht in Ordnung! Wenn ich historische belegte Grausamkeiten nicht in allen Details beschrieben haben möchte, bedeutet das noch lange nicht, dass ich diese Dinge verdrängen möchte! Ich kann mir dessen durchaus bewusst sein, diese schlimmen Zeiten und Ereignisse in meiner Erinnerung bewahren, ohne mich in Romanen durch exzessive Beschreibungen grausiger Details zu kämpfen.


    Und zwischen "beschönigen" und "Verzicht auf übermäßige Ausschmückung" besteht meiner Ansicht nach ein wesentlicher Unterschied!


    Um mal hier bei Katerinas Buch zu bleiben: meiner Ansicht nach wurden hier alles an- und ausgesprochen, das nötig ist, um dem Leser diese Zeit der Bigotterie und des Aberglaubens in aller Deutlichkeit nahe zu bringen. Mich persönlich berührt es mehr, wenn die Dinge beim Namen genannt werden und der Leser zum Nachdenken angeregt wird. Wird alles bis in jede Kleinigkeit beschrieben, bleibt kein Platz zum Nachdenken - ich jedenfalls neige in dem Fall eher zum Überblättern und dann auch zum Verdrängen!


    Aber prinzipiell sollte das jeder Autor bzw. Leser für sich selbst entscheiden. Es gibt absolut genug Auswahl in jedem Genre - vereinheitlichen sollte man gar nichts!

  • Zitat

    Original von magali
    Ich wundere mich bloß, daß Verlage zu dem Thema noch kein Marktforschungsinstitut beauftragt und die Ergebnisse den fleißigen AutorInnen flugs weitergemeldet habe


    magali


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es entsprechende Daten gibt, die dann bei Fragen des Lizenzerwerbs eine Rolle spielen. "Das mögen unsere Leser nicht, das ist denen zu blutig."

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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