1. Kapitel - ein schrecklicher Tag -
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Es war schon sehr spät als Julia diesen Nachmittag von der Schule heimkam. Sonst versuchte sie immer sich zu beeilen, doch heute ging es nicht anders und sie musste bis um 15.00 Uhr dort bleiben. Sie hatte schon Angst, was sie daheim wieder vorfinden würde und beeilte sich. Doch sie kam zu spät.
Schon im Flur hörte sie ihre kleinen Geschwister kreischen und ihre Mutter rumbrüllen. Sie schloss die Haustür auf und erschrak. Es stank fürchterlich in der Wohnung und ihre jüngste Schwester lag auf dem Boden und weinte. Julia nahm die Kleine hoch und versuchte sie zu beruhigen. Dann lief sie in die Küche und sah ihre Mutter vor dem Ofen kauern. Ihre Haare waren fettig, sie trug nichts außer einer Unterhose und brüllte den zweijährigen Kevin an, der sich erschrocken und mit weit aufgerissen Augen unter den Küchentisch versteckt hatte.
Julia stand ebenfalls verschreckt in der Küchentür und sah sich kurz das Theater an. Dann drückte sie Lukas Ruby in die Arme und befahl ihm, mit Lena ihrer zweijährigen Schwester ins Kinderzimmer zu laufen. Sie wollte nicht, dass die Kleinen alles mitkriegten. Kevin tat ihr schon so sehr Leid. Dann lief sie entschlossen zu ihrer betrunkenen Mutter, packte diese am Arm zog sie hoch und schrie sie an. „ Mam, wie kannst du nur? Lass Kevin in Ruhe. Geh weg! Lass uns endlich in Ruhe!“ Andrea schaut ihre 14-jährige Tochter verwundert an, erhebte die Hand, ließ sie nach einem kurzen Augenblick wieder fallen und torkelte ins Wohn-Schlafzimmer.
Julia seufzte erleichtert auf und ging auf Kevin zu. Dieser kauerte unterm Küchentisch und schluchzte.
„ Hey, mein Schatz. Alles ist wieder gut! Komm zu mir.“ Sie nahm den Kleinen auf den Arm und lief ins Kinderzimmer. Dort sah sie Lukas mit ihren zwei Schwestern auf dem Bett sitzen. Eng umschlungen. Bei diesem Anblick hätte sie zum Weinen anfangen mögen. Aber Julia weinte nie. Das konnte sie ihren Geschwistern nicht antun. Julia behielt immer die Nerven. Julia wusste immer, was zu tun war. Sie ging mit Kevin auf die anderen zu und drückte sie. „ Alles wird wieder gut!“ Doch dann klingelte es an der Tür und schon in diesem Moment wusste sie, das nichts wieder gut werden würde.
Sie wusste, dass vor der Tür das Jugendamt stand. Bestimmt hatte ein Nachbar dort angerufen. Wie schon so oft. Und das letzte Mal hatte ein Polizist ihrer Mutter schon gedroht ihr die Kinder weg zunehmen. Und jetzt war es so weit. Julia spürte das.
Lukas lief zur Tür und machte auf. Draußen standen wirklich zwei Polizisten und eine Frau. Diese war bestimmt vom Jugendamt. Julia nahm die vier Monate alte Ruby auf den Arm und begrüßte die 3 mit einem gequälten Lächeln.
Sie wollte so tun als wäre als Ordnung, dann würden sie vielleicht auch gar nicht in die Wohnung wollen!?
Die Frau lächelte und sagte mit einem Ton, der bedeuten sollte, dass alles in Ordnung wäre:
„ Hallo. Bist du Julia? Wir haben vor ungefähr einer halben Stunde einen Anruf bekommen, dass es hier in der Wohnung etwas laut gewesen wäre. Zu laut. Und es ist unsere Pflicht, nur mal zu schauen, ob auch alles in Ordnung ist. Könnten wir uns vielleicht mal umschauen?“
„ Das müssen wir nicht mehr!“ sagte einer der Polizisten und deutete auf etwas hinter Julias Rücken. Diese drehte sich langsam um. Natürlich wusste sie schon, was sie da sah. Ihre Mutter! Ihre Mutter, bekleidet mit nur einer Unterhose, fettigen Haaren, eingefallenen Gesicht und sturzbetrunken.
„ Es ist nicht so, wie es ausschaut.“ Versuchte Julia zu erklären. Doch keiner glaubte ihr. Die Jugendamtfrau sah sich noch kurz die Wohnung an, die stank, und von Abfall überquoll. Dieser Anblick reichte ihr. Die Polizisten befahlen Andrea, sich etwas anzuziehen und dann mitzukommen. Bis jetzt hätten sie ja noch beide Augen zugedrückt, aber so könnte es nicht weitergehen.
Die Frau wollte, das Julia etwas Kleidung, etwas Spielzeug, Waschsachen die wichtigsten Sachen für Ruby und Kevin, die ja noch Windeln und Flaschen brauchten, einzupacken. Als Julia damit fertig war, sie hatte nur zwei Reisetaschen, da die fünf Geschwister nur sehr wenig Sachen besaßen, seitdem der Vater vor 8 Monaten gestorben war und die Mutter die Arbeit durch den ewigen Alkohol verlor.
Dann stand sie etwas verloren im Flur herum. Die Jugendamtfrau fand noch die wichtigsten Papiere der fünf, also Ausweis und Krankenkarte und dann sagte sie zu Julia. „ Wir nehmen euch jetzt mit. Das ist besser so. Glaub mir. Ihr könnt euch noch von eurer Mutter verabschieden. Sie sitzt unten im Auto und dann suchen wir ein für euch geeignetes Kinderheim. Bestimmt könnt ihr bald raus. Ok?“ Die Geschwister nickten und dann schlossen sie die Haustür und gingen runter auf den Parkplatz vor dem Hochhaus. Alle Nachbarn sahen aus dem Fenster und beobachteten die Szene die unten passierte. Julia schämte sich schrecklich und wollte auch nicht zu ihrer Mutter an den Polizeiwagen gehen. Sie hasste sie dafür, was sie ihr und ihren Geschwistern in der letzten Zeit angetan hatte. Von Gebrüll bis zu Schläge hatten alle fünf, sogar die kleine Ruby, was abbekommen. So sehr sie Andrea hasste, liebte sie ihre Mutter auch. Vor dem Tod des Vaters war sie die beste Mutter die es gab. Sie bastelte mit ihnen, las den Kindern Geschichten vor, ging mit ihnen schwimmen, klettern…usw.
Doch dann war sie so verzweifelt und fing nach der Geburt von Ruby zu Trinken an. Zuerst waren es zwei Gläser Rotwein am Tag, dann zwei ganze Flaschen und nichts war mehr so wie vorher. Julia konnte einige Zeit nicht in die Schule gehen, weil sie die Kleinen nicht alleine lassen konnte. Manchmal war Andrea gut drauf, und konnte selber auf ihre Kinder aufpassen, oder es war so schlimm dass Julia zu Hause blieb.
Und immer hatte sie gehofft, dass wieder alles gut würde, doch jetzt hatte sie den Glauben daran, ganz verloren. Sie würde in ein Kinderheim kommen! Sie wusste nicht, wie es dort ablief und malte sich in der 3-stündigen Fahrt alles sehr schrecklich aus. Sie hatte Lukas auf dem Schoß, die drei Kleinsten saßen hinten in ihren Kindersitzen und schliefen. Zum Glück weinten sie nicht. Julia erzählte ihrem Bruder eine Geschichte nach der anderen. Sie wollte nicht von der Jugendamtfrau, die den Wagen fuhr, in ein Gespräch verwickelt werden. Als sie nach der langen Fahrt endlich ankamen, war sie sehr überrascht. Vor sich sah sie ein großes Haus. Einen Gutshof, erklärte ihr Frau Perl, die Frau vom Jugendamt. Sie hielten vor dem Tor und Frau Perl hupte dreimal. Da kam ein etwas älterer Herr heraus und begrüßte die 6 mit einem freundlichen Lächeln und einen starken Händedruck. Er stellte sich als der Leiter des Kinderheimes vor und er freue sich, den Umständen entprechend, sie kennen zulernen.
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