So 'n Gedicht ...

  • Für die Expressionisten muss ich in Stimmung sein. Wie wärs stattdessen mit Heine:


    Das Fräulein stand am Meere

    Das Fräulein stand am Meere

    Und seufzte lang und bang,

    Es rührte sie so sehre

    Der Sonnenuntergang.


    Mein Fräulein! sein Sie munter,

    Das ist ein altes Stück;

    Hier vorne geht sie unter

    Und kehrt von hinten zurück.



    Ja, wenn die Mädels mal so romantisch gewesen wären! :lache

  • Was zu glücklich, um zu leben,

    Was zu scheu, um Klang zu geben,

    Was zu lieblich zum Entstehen,

    Was geboren zum Vergehen,


    Was die Monde nimmer bieten,

    Rosen aus verwelkten Blüten,

    Tränen aus dem jungen Leide

    Und ein Klang verlorner Freude.


    Du weißt es, alle, die da sterben

    Und die für immer scheiden gehn,

    Die müssen, wär's auch zum Verderben,

    Die Wahrheit ohne Hehl gestehn.


    So leg ich's denn in deine Hände,

    Was immer mir das Herz bewegt,

    Es ist die letzte Blumenspende,

    Auf ein geliebtes Grab gelegt.


    ASIN/ISBN: 3458324313

  • Ich wandre und kenne nicht Zeit noch

    Raum

    Und lächle ins Leben, als sei es ein

    Traum,

    In wehenden Gärten, die Dämmerung umflicht -

    Ich staun' wie ein Kind in das zitternde

    Licht. -

    Sie sagen, ich altere Jahr um Jahr,

    Mir welke die Wange, mir bleiche das

    Haar,

    Am Ende des Weges, da harre der Tod,

    Weiß nicht ob er lächelt, weiß nicht,

    ob er droht,

    So wandre ich, wandre ich Nacht und

    Tag

    Wolken, Sternen und Schatten nach.



    ( Peter Baum, 1869 - 1916, deutscher Dichter des frühen Expressionismus, gefallen im Baltikum 1916)


    ASIN/ISBN: 3458174400

  • Für meine Söhne

    Hehle nimmer mit der Wahrheit!
    Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
    Doch, weil Wahrheit eine Perle,
    Wirf sie auch nicht vor die Säue.

    Blüte edelsten Gemütes
    Ist die Rücksicht; doch zuzeiten
    Sind erfrischend wie Gewitter
    Goldne Rücksichtslosigkeiten.

    Wackrer heimatlicher Grobheit
    Setze deine Stirn entgegen;
    Artigen Leutseligkeiten
    Gehe schweigend aus den Wegen.

    Wo zum Weib du nicht die Tochter
    Wagen würdest zu begehren,
    Halte dich zu wert, um gastlich
    In dem Hause zu verkehren.

    Was du immer kannst, zu werden,
    Arbeit scheue nicht und Wachen;
    Aber hüte deine Seele
    Vor dem Karrieremachen.

    Wenn der Pöbel aller Sorte
    Tanzet um die goldnen Kälber,
    Halte fest: du hast vom Leben
    Doch am Ende nur dich selber.

    Theodor Storm

  • Ich weiß nicht, wie ich

    vom heutigen Ufer

    ans Ufer von morgen gelangen soll.


    Der Fluß entführt inzwischen

    die Wirklichkeit dieses Abends

    in Meere ohne Hoffnung.


    Ich blicke nach Osten, nach Westen.

    Ich blicke nach Süden und nach Norden...

    Die ganze goldene Wahrheit,

    die meine Seele umgab -

    gleich einem vollendeten Himmel -

    fällt, zerbrochen und falsch.


    ... Ich weiß nicht, wie ich

    vom heutigen Ufer

    ans Ufer von morgen gelangen soll.


    ASIN/ISBN: 3257203888

  • Die Krähe...


    auf dem Fensterbrett

    starrte in mein Zimmer

    in mein Gesicht


    Die Krähe

    dieses rätselhafte Tier

    hackte mein rechtes Auge aus

    und flog mit ihm davon

    die Krähe durfte das

    ich war ja keine

    (von Marlowe, warum sich mit fremden Federn schmücken, wenn die Krähe einem so nahe kommt)

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Marlowe hat eine neue Gattung erschaffen: postpostmoderner Ornitho-Neoexpressionismus - als Reminszenz an Poes "Der Rabe".


    Mitternacht umgab mich schaurig, als ich einsam, trüb und traurig,

    Sinnend saß und las von mancher längst verklung’nen Mähr’ und Lehr’ –

    Als ich schon mit matten Blicken im Begriff, in Schlaf zu nicken,

    Hörte plötzlich ich ein Ticken an die Zimmertüre her;

    „Ein Besuch wohl noch,“ so dacht’ ich, „den der Zufall führet her –

    Ein Besuch und sonst Nichts mehr.“

    Wohl hab’ ich’s im Sinn behalten, im Dezember war’s, im kalten,

    Und gespenstige Gestalten warf des Feuers Schein umher.

    Sehnlich wünscht’ ich mir den Morgen, keine Lind’rung war zu borgen

    Aus den Büchern für die Sorgen – für die Sorgen tief und schwer

    Um die Sel’ge, die Lenoren nennt der Engel heilig Heer –

    Hier, ach, nennt sie Niemand mehr!

    Jedes Rauschen der Gardinen, die mir wie Gespenster schienen,

    Füllte nun mein Herz mit Schrecken – Schrecken nie gefühlt vorher;

    Wie es bebte, wie es zagte, bis ich endlich wieder sagte:

    „Ein Besuch wohl, der es wagte, in der Nacht zu kommen her –

    Ein Besuch, der spät es wagte, in der Nacht zu kommen her;

    Dies allein und sonst Nichts mehr.“

    Und ermannt nach diesen Worten öffnete ich stracks die Pforten:

    „Dame oder Herr,“ so sprach ich, „bitte um Verzeihung sehr!

    Doch ich war mit matten Blicken im Begriff, in Schlaf zu nicken,

    Und so leis scholl Euer Ticken an die Zimmertüre her,

    Dass ich kaum es recht vernommen; doch nun seid willkommen sehr!“ –

    Dunkel da und sonst Nichts mehr.

    Düster in das Dunkel schauend stand ich lange starr und grauend,

    Träume träumend, die hienieden nie ein Mensch geträumt vorher;

    Zweifel schwarz den Sinn betörte, Nichts die Stille draußen störte,

    Nur das eine Wort man hörte, nur „Lenore?“ klang es her;

    Selber haucht’ ich’s, und „Lenore!“ trug das Echo trauernd her –

    Einzig dies und sonst Nichts mehr.

    Als ich nun mit tiefem Bangen wieder in’s Gemach gegangen,

    Hört’ ich bald ein neues Pochen, etwas lauter als vorher.

    „Sicher,“ sprach ich da mit Beben, „an das Fenster pocht’ es eben,

    Nun wohlan, so laß mich streben, dass ich mir das Ding erklär’ –

    Still, mein Herz, dass ich mit Ruhe dies Geheimnis mir erklär’

    Wohl der Wind und sonst Nichts mehr.“

    Riss jetzt das Fenster auf, und herein stolziert’ – o Wunder!

    Ein gewalt’ger, hochbejahrter Rabe schwirrend zu mir her;

    Flog mit mächt’gen Flügelstreichen, ohne Gruß und Dankeszeichen,

    Stolz und stattlich sonder Gleichen, nach der Türe hoch und her –

    Flog nach einer Pallasbüste ob der Türe hoch und her –

    Setzte sich und sonst Nichts mehr.

    Und trotz meiner Trauer brachte er dahin mich, dass ich lachte,

    So gesetzt und gravitätisch herrscht’ auf meiner Büste er.

    „Ob auch alt und nah dem Grabe,“ sprach ich, „bist kein feiger Knabe,

    Grimmer, glatt geschor’ner Rabe, der Du kamst vom Schattenheer –

    Sprich, welch’ stolzen Namen führst Du in der Nacht pluton’schem Heer?“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“

    Ganz erstaunt war ich, zu hören dies Geschöpf mich so belehren,

    Schien auch wenig Sinn zu liegen in dem Wort bedeutungsleer;

    Denn wohl Keiner könnte sagen, dass ihm je in seinen Tagen

    Sonder Zier und sonder Zagen so ein Tier erschienen wär’,

    Das auf seiner Marmorbüste ob der Tür gesessen wär’

    Mit dem Namen „Nimmermehr.“

    Dieses Wort nur sprach der Rabe dumpf und hohl, wie aus dem Grabe,

    Als ob seine ganze Seele in dem einen Worte wär’.

    Weiter Nichts ward dann gesprochen, nur mein Herz noch hört’ ich pochen,

    Bis das Schweigen ich gebrochen: „Andre Freunde floh’n seither –

    Morgen wird auch er mich fliehen, wie die Hoffnung floh seither.“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

    Immer höher stieg mein Staunen bei des Raben dunklem Raunen,

    Doch ich dachte: „Ohne Zweifel weiß er dies und sonst Nichts mehr;

    Hat’s von seinem armen Meister, dem des Unglücks finstre Geister

    Drohten dreist und drohten dreister, bis er trüb und trauerschwer –

    Bis ihm schwand der Hoffnung Schimmer, und er fortan seufzte schwer:

    ‚O nimmer – nimmermehr!‘“

    Trotz der Trauer wieder brachte er dahin mich, dass ich lachte;

    Einen Armstuhl endlich rollte ich zu Tür und Vogel her.

    In den sammt’nen Kissen liegend, in die Hand die Wange schmiegend,

    Sann ich, hin und her mich wiegend, was des Wortes Deutung wär’ –

    Was der grimme, finst’re Vogel aus dem nächt’gen Schattenheer

    Wollt’ mit seinem „Nimmermehr.“

    Dieses saß ich still ermessend, doch des Vogels nicht vergessend,

    Dessen Feueraugen jetzt mir das Herz beklemmten sehr;

    Und mit schmerzlichen Gefühlen ließ mein Haupt ich lange wühlen

    In den veilchenfarb’nen Pfühlen, überstrahlt vom Lichte hehr –

    Ach, in diesen sammtnen Pfühlen, überstrahlt vom Lichte hehr –

    Ruhet sie jetzt nimmermehr!

    Und ich wähnte, durch die Lüfte wallten süße Weihrauchdüfte,

    Ausgestreut durch unsichtbare Seraphshände um mich her.

    „Lethe,“ rief ich, „süße Spende schickt Dir Gott durch Engelshände,

    Dass sich von Lenoren wende Deine Trauer tief und schwer!

    Nimm, o nimm die süße Spende und vergiss der Trauer schwer!“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

    „Gramprophet!“ rief ich voll Zweifel, „ob Du Vogel oder Teufel!

    Ob die Hölle Dich mir sandte, ob der Sturm Dich wehte her!

    Du, der von des Orkus Strande – Du, der von dem Schreckenlande

    Sich zu mir, dem Trüben, wandte – künde mir mein heiß Begehr:

    Find’ ich Balsam noch in Gilead! ist noch Trost im Gnadenmeer?“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

    „Gramprophet!“ rief ich voll Zweifel, „ob Du Vogel oder Teufel!

    Bei dem ew’gen Himmel droben, bei dem Gott, den ich verehr’ –

    Künde mir, ob ich Lenoren, die hienieden ich verloren,

    Wieder find’ an Edens Toren – sie, die thront im Engelsheer –

    Jene Sel’ge, die Lenoren nennt der Engel heilig Heer!“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

    „Sei dies Wort das Trennungszeichen! Vogel, Dämon, Du musst weichen!

    Fleuch zurück zum Sturmesgrauen, oder zum pluton’schen Heer!

    Keine Feder lass zurücke mir als Zeichen Deiner Tücke;

    Lass allein mich dem Geschicke – wage nie Dich wieder her!

    Fort und lass mein Herz in Frieden, das gepeinigt Du so sehr!“

    Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

    Und der Rabe weichet nimmer – sitzt noch immer, sitzt noch immer

    Auf der blassen Pallasbüste ob der Türe hoch und her;

    Sitzt mit geisterhaftem Munkeln, seine Feueraugen funkeln

    Gar dämonisch aus dem dunkeln, düstern Schatten um ihn her;

    Und mein Geist wird aus dem Schatten, den er breitet um mich her,

    Sich erheben – nimmermehr!


    Edgar Allen Poe


  • - Es ist Zeit! für dieses Feuer -

    Ich bin alt!

    - Älter als ich - die Liebe!

    - Fünfzig Januare übersteigt

    sie, diesen Berg!

    - Älter - Die Liebe!

    Alt wie der Schachtelhalm, die Schlange,

    Älter als Livlands Bernstein,

    Als Geisterschiffe älter,

    Steine - als die Meere...

    Doch in der Brust das Weh

    ist älter als die Liebe, älter noch als sie.


    (Marina Zwetajewa, 23. Januar 1940)


    ASIN/ISBN: 3458350489

  • Man muß weggehen können

    und doch sein wie ein Baum:

    als bliebe die Wurzel im Boden,

    als zöge die Landschaft und wir ständen fest.

    Man muß den Atem anhalten

    bis der Wind nachlässt,

    und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,

    bis das Spiel von Licht und Schatten,

    von Grün und Blau,

    die alten Muster zeigt,

    und wir zuhause sind,

    wo es auch sei,

    und niedersitzen können und uns anlehnen,

    als sei es an das Grab

    unserer Mutter.


    ASIN/ISBN: 3596122074

  • Äußerst fragwürdige Poesie zur Abwechslung, das Lachen bleibt einem im Halse stecken: Es geht um den "Generalissimus", diesen Massenmörder der Superlative, der von Medwedew erst kürzlich wieder zitiert wurde.



    IM KREML IST NOCH LICHT


    Wenn du die Augen schließt, und jedes Glied

    und jede Faser deines Leibes ruht -

    dein Herz bleibt wach; dein Herz wird niemals müd;

    und auch im tiefsten Schlafe rauscht dein Blut.


    Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;

    zum nahen Kreml wend ich mein Gesicht.

    Die Stadt hat alle Augen zugemacht.

    Und nur im Kreml drüben ist noch Licht.


    Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht

    zum Kreml hin. Es schläft die ganze Welt.

    Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht.

    Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt.


    Spät leg’ ich meine Feder aus der Hand,

    als schon die Dämmrung aus den Wolken bricht.

    Ich schau’ zum Kreml. Ruhig schläft das Land.

    Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht.


    Erich Weinert

  • Doch geht auch im Kreml das Licht mal aus

    Weil das verlogene Herz nicht mehr schlagen will

    Dann flieht das Böse aus diesem Haus

    Und die Kanonen bleiben endlich still


    (Auch wenn das Böse noch so rennt

    der Stellvertreter grinst- die Lunte brennt.)

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Der Baum



    Am Wassergraben, im Wiesenland,

    Steht ein Eichbaum, alt und zerrissen,

    Vom Blitze hohl, und vom Sturm zerbissen,

    Nesseln und Dorn umstehn ihn in schwarzer Wand.


    Ein Wetter zieht sich gen Abend zusammen,

    In die Schwüle ragt er hinauf, blau, vom Wind nicht gerührt,

    Von der leeren Blitze Gekränz umschnürt,

    Die lautlos über den Himmel flammen.


    Ihn umflattert der Schwalben niedriger Schwarm,

    Und die Fledermäuse huschenden Flugs,

    Um den kahlen Ast, der zuhöchst entwuchs,

    Blitzverbrannt seinem Haupt, eines Galgens Arm.


    Woran denkst du, Baum, in der Wetterstunde

    Am Rande der Nacht? An der Schnitter Gered,

    In der Mittagsrast, wenn der Krug umgeht,

    Und die Sensen im Grase ruhn in der Runde?


    Oder denkst du daran, wie in alter Zeit

    Einen Mann sie in deine Krone gehenkt,

    Wie, den Strick um den Hals, er die Beine verrenkt,

    Und die Zunge blau hing aus dem Maule breit?


    Wie er da Jahre hing, und den Winter trug,

    In dem eisigen Winde tanzte zum Spaß,

    Und wie ein Glockenklöppel, den Rost zerfraß,

    An den zinnernen Himmel schlug.


    ASIN/ISBN: 3743713446

  • Der Tag und die Sonne


    Die Sonne:


    Bin von Seimen überließend!

    Tag rings in die Runde gießend,

    Wohin meine Blicke schenkten,

    Alles sprießend!



    Der Tag:


    Tagvergießerin,

    Blumensprießerin,

    Traubensüßerin,

    Erdengrüßerin,

    Glutansauserin,

    Licht-Erbrauserin,

    Raumaufspalterin,

    Kraftzaumhalterin,

    Siehe dein Sohn!


    ASIN/ISBN: 3861998696

  • Unter der linde

    an der heide,

    da unser zweier Bette was,

    Da muget ihr vinden

    schone beide

    gebrochen bluomen unde gras

    Vor dem walde in einem tal,

    tanderadei,

    schöne sanc diu nahtegal.


    Ich kam gegangen

    zuo der ouwe:

    do was min friedel komen e.

    Da wart ich empfangen,

    here frouwe,

    daz ich bin saelic immer me.

    Kuster mich? wol tusentstunt:

    tanderadei,

    seht wie rot mir ist der munt.

    ...


    (Walther von der Vogelweide, geb. um 1170 - gest. 1230 in Würzburg)


    ASIN/ISBN: B019ZYU646

  • Gleichgewicht


    Wir gehen

    jeder für sich

    den schmalen Weg

    über den Köpfen der Toten

    - fast ohne Angst -

    im Takt unseres Herzens,

    als seien wir beschützt,

    solange die Liebe

    nicht aussetzt.


    So gehen wir

    zwischen Schmetterlingen und Vögeln

    in staunendem Gleichgewicht

    zu einen Morgen von Baumwipfeln

    - grün, gold und blau -

    und zu dem Erwachen

    der geliebten Augen.


    ASIN/ISBN: 3596122074

  • Das Mädchen:


    Vorüber! Ach vorüber!

    Geh wilder Knochenmann!

    Ich bin noch jung, geh Lieber!

    Und rühre mich nicht an.


    Der Tod:


    Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!

    Bin Freund, und komme nicht, zu strafen:

    Sei guten Muts! Ich bin nicht wild,

    Sollst sanft in meinen Armen schlafen.


    (Matthias Claudius)


    ASIN/ISBN: 384969187X

  • Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

    Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

    Und kam die goldene Herbsteszeit

    Und die Birnen leuchteten weit und breit,

    Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

    Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

    Und kam in Pantinen ein Junge daher,

    So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«

    Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,

    Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«

    So ging es viel Jahre, bis lobesam

    Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

    Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,

    Wieder lachten die Birnen weit und breit;

    Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.

    Legt mir eine Birne mit ins Grab.«

    Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

    Trugen von Ribbeck sie hinaus,

    Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

    Sangen »Jesus meine Zuversicht«,

    Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

    »He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«

    So klagten die Kinder. Das war nicht recht -

    Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

    Der neue freilich, der knausert und spart,

    Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

    Aber der alte, vorahnend schon

    Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,

    Der wußte genau, was damals er tat,

    Als um eine Birn' ins Grab er bat,

    Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

    Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

    Und die Jahre gingen wohl auf und ab,

    Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

    Und in der goldenen Herbsteszeit

    Leuchtet's wieder weit und breit.

    Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,

    So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«

    Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,

    Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«

    So spendet Segen noch immer die Hand

    Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.



    Theodor Fontane