So 'n Gedicht ...

  • Zwischen Weinen und Lachen

    schwingt die Schaukel des Lebens.

    Zwischen Weinen und Lachen

    fliegt in ihr der Mensch.


    Christian Morgenstern

  • Wieviel Küsse ich gerne von dir hätte,

    Fragst du, Lesbia, bis ich einmal satt bin?

    Soviel Sandkörner sind in Libyens Wüste

    Bei Kyrene, dem laserpflanzenreichen,

    Von dem Ammonsorakel, hitzeglühend,

    Bis zum heiligen alten Battusgrabmal,

    Soviel Sterne in stiller Nacht am Himmel,

    Auf das heimliche Lieben schaun der Menschen:

    Soviel Küsse zu küssen würde reichen

    Dem Catull, der von Liebe toll und krank ist;

    Soviel, das kein Schnüffler sie zählen kann und

    Keine boshafte Zunge sie verhexen.


    ASIN/ISBN: B00A3NY76W

  • Ich sitze hier am Schreibetisch

    Und schreibe ein Gedichte

    Indem ich in die Tinte wisch

    Und mein Gebet verrichte.


    So giebt sich spiegelnd Vers an Vers

    In ölgemuter Glätte.

    Nur selten fragt man sich: Wie wärs,

    Wenn es mehr Seele hätte?


    Die Seele tut mir garnicht weh,

    Sie ist ganz unbeteiligt.

    Nackt liegt sie auf dem Kanapee

    Und durch sich selbst geheiligt.


    Des Abends geh ich mit ihr aus,

    Im Knopfloch eine Dalie.

    Ich selber heiße Stanislaus,

    Sie aber heißt Amalie.


    ( Alfred Georg Hermann Henschke, genannt Klabund 1890 - 1928)


    ASIN/ISBN: 1482589885

  • Ach, du zerrinnender

    und schon gestürzter Laut,

    eben beginnender

    Lust vom Munde getaut,

    ach so zerrinnst du

    Stunde, und hast kein Sein,

    ewig schon spinnst du

    weit in die Nebel dich ein.


    Ach, wir sagen es immer,

    daß es nie enden kann

    und vergessen den Schimmer

    Schnees des Neige d'antan,

    in das durchküsste, durchtränte

    nächtedurchschluchzte Sein

    strömt das Fließend - Entlehnte,

    spinnen die Nebel sich ein.


    Ach, wir rufen und leiden

    ältesten Göttern zu:

    ewig über uns beiden

    "immer und alles: du",

    aber den Widdern, den Zweigen

    Altar und Opferstein,

    hoch zu den Göttern, die schweigen,

    spinnen die Nebel sich ein.


    ASIN/ISBN: 3257200994

  • Mir fallen sonst oft bei Benn zuerst die fiesen, nihilistischen Sachen ein :grin, aber hier mal was Nettes:



    Was meinte Lutter mit dem Apfelbaum ?

    Mir ist es gleich – auch Untergang ist Traum – ich stehe hier in meinem Apfelgarten

    und kann den Untergang getrost erwarten – ich bin in Gott, der ausserhalb der Welt

    noch manchen Trumpf in seinem Skatblatt hält – wenn morgen früh die Welt zu Bruche geht,

    ich bleibe ewig sein und sternestet –

    meint er das, der alte Biedermann und blickt noch einmal seine Käte an ?

    und trinkt noch einmal einen Humpen Bier und schläft, bis es beginnt – frühmorgens vier?

    Dann war er wirklich ein sehr großer Mann, den man auch heute nur bewundern kann.

    Gottfried Benn

  • Gustav Renner war bestimmt die beste

    Kraft im Toggenburger Stadttheater.

    Alle kannten seine weiße Weste.

    Alle kannten ihn als Heldenvater.


    Alle lobten ihn, sogar die Kenner.

    Und die Damen fanden ihn sogar noch schlank.

    Schade war nur, daß sich Gustav Renner,

    wenn er Geld besaß, enorm betrank.


    Eines Abends, als man "Hamlet" gab,

    spielte er den Geist von Hamlets Vater.

    Ach, er kam betrunken aus dem Grab!

    Und was man Dummes tun kann, tat er.


    Hamlet war aufs Äußerste bestürzt,

    denn der Geist fiel gänzlich aus der Rolle.

    Und die Szene wurde abgekürzt.

    Renner fragte, was man von ihm wolle.


    Man versuchte hinter den Kulissen,

    ihn von seinem Rausche zu befrein,

    legte ihn lang hin und gab ihm Kissen,

    darob schlief Gustav Renner ein.


    Die Kollegen spielten nun exakt,

    weil er schlief und sie nicht weiter störte.

    Jedoch er kam! Und zwar im nächsten Akt,

    wo er nun absolut nicht hingehörte!


    Seiner Gattin trat er auf den Fuß.

    Seinem Sohn zerbrach er das Florett.

    Und tanzte mit Ophelia Blues.

    Und schmetterte den König ins Parkett.


    Alles zitterte, riß aus.

    Doch dem Publikum war das egal.

    So was von donnerndem Applaus

    gab's in Toggenburg das erste Mal.


    Und die meisten Toggenburger fanden:

    Endlich hätten sie das Stück verstanden.


    ASIN/ISBN: 3518016776

  • Oh“, rief ein Glas Burgunder


    „Oh“, rief ein Glas Burgunder,

    „Oh Mond, du göttliches Wunder!

    Du gießt aus silberner Schale

    Das liebestaumelnde, fahle,

    Trunkene Licht wie sengende Glut

    Hin über das nachtigallene Land –“

    Da rief der Mond, indem er verschwand:

    „Ich weiß, ich weiß! Schon gut! Schon gut!“


    Ringelnatz

  • Seepferdchen und Flugfische von Hugo Ball


    tressli bessli nebogen leila

    flusch kata

    ballubasch

    zack hitti zopp


    zack hitti zopp

    hitti betzli betzli

    prusch kata

    ballubasch

    fasch kitti bimm


    zitti kittillabi billabi billabi

    zikko di zackobam

    fisch kitti bimm


    bumbalo bumbalo bumbalo bambo

    zitti kittillabi

    zack hitti zopp


    treßli beßli nebogen grügü

    blaulala violabimini bisch

    violabimini bimini bimini

    fusch kata

    ballubasch

    zick hiti zopp


    ASIN/ISBN: 3940531324

  • Na ja, Seepferdchen liebe ich nur in natura. Sah mal eins beim Tauchen im Indik. Ich saß 2011 auf der Leipziger Buchmesse mal kurz bei zwei Damen, die Gedichte in diesem Stil tiefernst und bedeutungsschwanger vortrugen und musste mir ein Grinsen verkneifen, aber das muss natürlich 0 und nix heißen. So hat eben jeder seine Vorlieben und Abneigungnen. Ich pariere mal mit:


                                       


    Fisches Nachtgesang

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    Christian Morgenstern

  • Auch nett, das Versmaß stimmt zumindest.

    Aber vortragen möchte ich das jetzt auch nicht eben. ;)

  • Abend


    Hauche über den Frost meines Herzens

    Und wenn du es zwitschern hörst,

    Fürchte dich nicht vor seinem schwarzen Lenz.


    Immer dachte das kalte Wundergespenst an mich

    Und säete unter meinen Füßen - Schierling.


    Nun prägt in Sternen auf meine Leibessäule

    Ein weinender Engel die Inschrift.


    (Else Lasker - Schüler)


    ASIN/ISBN: 3150205980

  • Mascha Kaléko: Die Leistung der Frau in der Kultur

    (Auf eine Rundfrage)


    Zu deutsch: „Die klägliche Leistung der Frau“.

    Meine Herren, wir sind im Bilde.

    Nun, Wagner hatte seine Cosima

    Und Heine seine Mathilde.

    Die Herren vom Fach haben allemal

    Einen vorwiegend weiblichen Schatz.

    Was uns Frauen fehlt, ist „Des Künstlers Frau“

    Oder gleichwertiger Ersatz.


    Mag sie auch keine Venus sein

    Mit lieblichem Rosenmund,

    So tippt sie die Manuskripte doch fein

    Und kocht im Hintergrund.

    Und gleicht sie auch nicht Rautendelein

    Im wallenden Lockenhaar,

    So macht sie doch täglich die Zimmer rein

    Und kassiert das Honorar.


    Wenn William Shakespeare fleißig schrieb

    An seinen Königsdramen,

    Ward er fast niemals heimgesucht

    Vom „Bund Belesner Damen“.

    Wenn Siegfried seine Lanze zog,

    Don Carlos seinen Degen,

    Erging nur selten an ihn der Ruf,

    Den Säugling trockenzulegen.


    Petrarcas Seele, weltentzückt,

    Ging ans Sonette-Stutzen

    Ganz unbeschwert von Pflichten, wie

    Etwa Gemüseputzen.

    Doch schlug es Mittag, kam auch er,

    Um seinen Kohl zu essen,

    Beziehungsweise das Äquivalent

    In römischen Delikatessen.


    Gern schriebe ich weiter

    In dieser Manier,

    Doch muß ich, wie stets, unterbrechen.

    Mich ruft mein Gemahl.

    Er wünscht, mit mir

    Sein nächstes Konzert

    Zu besprechen.


    aus: In meinen Träumen läutet es Sturm

    ASIN/ISBN: 3423012943

  • Die Unruh kommt von dir.

    Nichts ist, was dich bewegt,

    du selber bist das Rad,

    das aus sich selbsten läuft

    und keine Ruhe hat.


    Man weiß nicht, was man ist.

    Ich bin und weiß nicht wer,

    ich komm' und weiß nicht woher,

    ich geh' und weiß nicht wohin

    - mich wundert, dass ich so fröhlich bin!


    ( Angelus Silesius, 1624 - 1677, schlesischer Arzt, Theologe und Mystiker)


    ASIN/ISBN: 3257206445

  • Manchmal wollen wir stehen

    Am Rand des dunkelen Brunnens,

    Tief in die Stille zu sehn,

    Unsere Liebe zu suchen.


    Oder wir treten hinaus

    Vom Schatten der goldenen Wälder,

    Groß in ein Abendrot,

    Das dir berührt sanft die Stirn.


    Göttliche Trauer,

    Schweige der ewigen Liebe.

    Hebe den Krug herauf,

    Trinke den Schlaf.


    Einmal am Ende zu stehn,

    Wo Meer in gelblichen Flecken

    Leise schwimmt schon herein

    Zu der September Bucht.


    Oben zu ruhn

    Im Hause der durstigen Blumen,

    Über die Felsen hinab

    Singt und zittert der Wind.


    ASIN/ISBN: 3730611585

  • Es ist ein Weinen in der Welt,

    Als ob der liebe Gott gestorben wär,

    Und der bleierne Schatten, der niederfällt,

    Lastet grabesschwer.


    Komm, wir wollen uns näher verbergen...

    Das Leben liegt in aller Herzen

    Wie in Särgen.


    Du! wir wollen uns tief küssen -

    Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,

    An der wir sterben müssen.


    Else Lasker - Schüler

    ASIN/ISBN: 3150205980

  • De profundis


    Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt.

    Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.

    Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist.

    Wie traurig dieser Abend.


    Am Weiler vorbei

    Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren ein.

    Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung

    Und ihr Schoss harrt des himmlischen Bräutigams.


    Bei der Heimkehr

    Fanden die Hirten den süßen Leib

    Verwest im Dornenbusch.


    Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.

    Gottes Schweigen

    Trank ich aus dem Brunnen des Hains.


    Auf meine Stirne tritt kaltes Metall

    Spinnen suchen mein Herz.

    Es ist ein Licht, das in meinem Mund erlöscht.


    Nachts fand ich mich auf einer Heide,

    Starrend vor Unrat und Staub der Sterne.

    Im Haselgebüsch

    Klangen wieder kristallene Engel.


    ASIN/ISBN: 3701312826