So 'n Gedicht ...

  • Eigentlich wäre mir nach dem Silvestergedicht von Wedekind,

    dass doch wieder sehr aktuell ist, aber es ist sehr lang und sehr düster.

    Deshalb etwas von Johann Peter Hebel:


    Neujahrslied


    Mit der Freude zieht der Schmerz

    traulich durch die Zeiten.

    Schwere Stürme, milde Weste,

    bange Sorgen, frohe Feste

    wandeln sich zur Seiten.


    Und wo eine Träne fällt,

    blüht auch eine Rose.

    Schon gemischt, noch eh wir´s bitten,

    ist für Thronen und für Hütten

    Schmerz und Lust im Lose.


    War's nicht so im alten Jahr?

    Wird's im neuen enden?

    Sonnen wallen auf und nieder,

    Wolken gehn und kommen wieder,

    und kein Wunsch wird's wenden.


    Gebe denn, der über uns

    wägt mit rechter Waage,

    jedem Sinn für seine Freuden,

    jedem Mut für seine Leiden

    in die neuen Tage.


    Jedem auf des Lebens Pfad

    einen Freund zur Seite,

    ein zufriedenes Gemüte

    und zu stiller Herzensgüte

    Hoffnung ins Geleite.

  • Ich liebe das Vaterland, aber mit einer seltsamen Liebe! / Meinen Verstand wird sie nicht besiegen. / Weder der durch Blut erkaufte Ruhm, / noch der Friede voll stolzen Vertrauens, / noch die vertrauten Sagen der dunklen alten Zeiten, / werden in mir freudige Schwärmerei erregen.


    Aber ich liebe - weshalb, weiß ich selbst nicht - / seiner Steppen kaltes Schweigen, / seiner uferlosen Wälder sanfte Bewegung, / die Hochwasser seiner Flüsse, die Meeren ähneln, / ich liebe es, auf einem Feldweg in einem Fuhrwerk geschüttelt dahinzufahren, / und, wenn ich mit langsamem Blick den Schatten der Nacht durchdringe, / und mich nach einem Nachtlager sehne, zu beiden Seiten, / den flimmernden Lichtern der traurigen Dörfer zu begegnen; / ich liebe den Rauch des abgebrannten Stoppelfeldes, / den in der Steppe übernachtenden Wagenzug, / und auf dem Hügel inmitten der gelben Flur, / das Paar weißschimmernder Birken. / Mit einer Freude, die vielen unbekannt ist, / sehe ich die volle Tenne, / die strohbedeckte Hütte, / das Fenster mit den geschnitzten Fensterläden; / und am Feiertag, am tauigen Abend, / mag ich bis Mitternacht zusehen, / dem Tanz mit Getrampel und Gepfeife, / beim Schwatzen der betrunkenen Bauern.


    (Michail Jurjewitsch Lermontow 1814 - 1841)


    ASIN/ISBN: 315003051X

  • Du weißt ja wie das ist:

    Betrachte ich

    den kristallenen Mond, den roten Zweig

    des säumigen Herbstes an meinem Fenster,

    berühre ich

    beim Feuer

    die ungreifbare Asche

    oder den runzligen Körper des Holzes,

    bringt mich alles zu dir,

    als wäre alles, was da ist,

    Düfte, Licht, Metalle,

    nichts anderes als ein Schwarm kleiner Schiffe,

    hinsegelnd zu deinen Inseln,

    die mich erwarten.


    ASIN/ISBN: 3518010999

  • Noch ist gelb das Gras, grau und schwarz der Wald;

    Aber am Abend dämmert ein Grün auf.

    Der Fluss kommt von den Bergen kalt und klar,

    Tönt im Felsenversteck; also tönt es,

    Wenn du trunken die Beine bewegst; wilder Spaziergang

    Im Blau; und die entzückten Schreie der Vögelchen.

    Die schon sehr dunkel, tiefer neigt

    Die Stirne sich über bläuliche Wasser, Weibliches;

    Untergehend wieder in grünem Abendgezweig.

    Schritt und Schwermut tönt einträchtig in purpurner Sonne.


    ASIN/ISBN: 3423124962

  • Es erfordert schon eine Menge Mut ;), das in einem von Damen dominierten Forum zu posten :grin, aber so in etwa stelle ich mir tatsächlich die Interaktionen zwischen den Mitarbeiter(IIII (!)) nnen auf einem Gut im 17. Jhdt vor. Also, ausschließlich (!) aus rein historischem Interesse, quasi als Dokumentation eines Zeitzeugen stelle ich das mal ein, denn ich find's immer noch witzig - und gekonnt ist es sowieso:

    Weiber-Zank

       Weiber-Händel, die, wie bräuchlich, unter ihnen stets entstehn,

    Pflegen endlich auf ein Sagen und auf nichts mehr auszugehn.

    Jene sagte dieses neulich, und es sagte jenes die;

    Dieses hat sie nicht gesaget; jene sagte solches nie.

    Eine sagte, daß da sagte diese: jene sagte das;

    Nein! sie sagte, daß sie sagte dieses nicht, nur sonsten was.

    O, ich weiß wohl, was sie sagte; will sie, sagt ihr, sagen nicht,

    Was sie sagte, will ich sagen, was sie sagte, frey ans Licht;

    Ey, sie sage, was ich sagte; eh ich sagte, sagt sie vor;

    Sagt nur, daß sie solle sagen, was sie mir sagt in ein Ohr.

    Dieses Sagen will nun währen, weil das Leder währt ums Maul;

    Dann zum Sagen und zum Plaudern, sind die Weiber selten faul.


    Friedrich Logau

  • :crazy


    Lob der Frauen


    Nun will ich mit dem reinsten Klang

    Mein Saitenspiel wohl rühren,

    Nun soll sich meines Liedes Sang

    Die höchste Wette küren,

    Dass Aller Augen auf mich schau'n,

    Wenn ich die Kunst erprobe,

    Euch holden Mädchen, schönen Frau'n

    Zu Liebe und zu Lobe.

    Gegrüßet seid mit allem Preis,

    Ihr Zarten, Süßen, Losen,

    Ihr stolzen, schlanken Lilien weiß

    Und ihr, ihr roten Rosen!

    Ihr aller Schuld ein Schirm und Dach,

    Ein Schild vor allem Leide,

    Voll milder Güte ein klarer Bach,

    Eine schimmernde Augenweide.

    Ihr seid ein edler Würzewein,

    Der Liebe Ingesiegel,

    Voll süßer Lust ein goldner Schrein,

    Der Treue starker Riegel.

    Wenn ihr euch lieb und hold mir neigt

    Mit eurem Gruß und Segen,

    Mir's inniglich zu Herzen steigt

    Wie duftiger Maienregen.

    Und lächelt mir euer roter Mund,

    So bin ich schon eu'r eigen,

    Und was mir blüht auf Herzensgrund,

    Das kann ich nicht verschweigen.

    Minniglich will ich sel'ger Mann

    Euch in die Augen schauen,

    So lang' ich singen und sagen kann,

    Will ich lieben und loben die Frauen.


    Julius Wolff

  • Schöne Dinge gibt es dutzendfach.

    Aber keines ist so schön wie diese:

    eine ausgesprochen grüne Wiese

    und paar Meter veilchenblauer Bach.


    Und man kneift sich. Doch das ist kein Traum.

    Mit der edlen Absicht, sich zu läutern,

    kniet man zwischen Blumen, Gras und Kräutern.

    Und der Bach schlägt einen Purzelbaum.


    Also das, denkt man, ist die Natur?

    Man beschließt, in Anbetracht des Schönen,

    mit der Welt sich endlich zu versöhnen.

    Und ist froh, daß man ins Grüne fuhr.


    Doch man bleibt nicht lange so naiv.

    Plötzlich tauchen Menschen auf und schreien.

    Und schon wieder ist die Welt zum Speien.

    Und das Gras legt sich vor Abscheu schief.


    Eben war die Landschaft noch so stumm.

    Und der Wiesenteppich war so samten.

    Und schon trampeln diese gottverdammten

    Menschen wie in Sauerkraut herum.


    Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,

    wieder mal zu folgendem Ergebnis:

    Diese Menschheit ist nichts weiter als

    eine Hautkrankheit des Erdenballs.


    ASIN/ISBN: 3518016776

  • Der Dichter so; wenn auch vom Glück getragen,

    Umjubelt von des Beifalls lautem Schall.

    Es ist der welke Baum, vom Blitz geschlagen,

    Das arme Muscheltier, der Wasserfall.

    Was ihr für Lieder haltet, es sind Klagen,

    Gesprochen in ein freudenloses All;

    Und Flammen, Perlen, Schmuck, die euch umschweben,

    Gelöste Teile sind's von seinem Leben.


    ASIN/ISBN: 148238051X

  • Gestern Abend kam ich an einer Bushaltestell mit einer Frau ins Gespräch, und sie fragte mich, warum ich nachts arbeite. Ich rezitierte:


    Das Nachtlied

    [362] Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.

    Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.

    Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.


    Nietzsche


    Nein, nein, hätte ich mal statt einer normalen Antwort einfach deklamieren sollen. :grin

  • Mein Wappen ist nicht adelig,

    Mein Leben nicht untadelig,

    Und was da wert sei mein Gedicht,

    Fürwahr, das weiß ich selber nicht.


    Hab' ich aus dem eignen Garten

    Nichts von Früchten aufzuwarten:

    Hinter meines Nachbarn Hecken

    Gibt es, die noch besser schmecken.


    (Eduard Mörike, 1804 - 1875, nach meiner Ansicht oft unterschätzter deutscher Dichter)

    ASIN/ISBN: 3458342400

  • Ostern ist zwar schon vorbei,

    Also dies kein Osterei;

    Doch wer sagt, es sei kein Segen,

    Wenn im Mai die Hasen legen?

    Aus der Pfanne, aus dem Schmalz

    Schmeckt ein Eilein jedenfalls,

    Und kurzum, mich tät’s gaudieren,

    Dir dies Ei zu präsentieren,

    Und zugleich tät es mich kitzeln,

    Dir ein Rätsel drauf zu kritzeln.

    Die Sophisten und die Pfaffen

    Stritten sich mit viel Geschrei:

    Was hat Gott zuerst erschaffen,

    Wohl die Henne? wohl das Ei?

    Wäre das so schwer zu lösen?

    Erstlich ward ein Ei erdacht:

    Doch weil noch kein Huhn gewesen,

    Schatz, so hat’s der Has gebracht.


    Mörike


    (der selbst als Pfaffe gejobbt hat :grin)

  • Er hat so viele Schöne Sachen gemacht. Mein Liebstes von ihm ist immer noch dies:



    Nacht am Flusse

    Liegen eine Sternennacht und lauschen,

    wie der Kahn an seiner Kette zieht

    und die Welle flüstert und entflieht

    und die Wipfel leis dawiderrauschen –.

    Wie es seufzt und rüttelt ohne Ruh,

    Freiheit wider Knechtschaft einzutauschen.

    Armes Herz, so zerrst und stöhnst auch du.

    Eine Nacht so seinem Schicksal lauschen...


    Christian Morgenstern

  • Mir ist vorhin ein Backenzahn gezogen worden. Mein erster Zahnverlust.

    In Analogie dieses herrliche Teil von Scheffel, das auch im Kommersbuch meines Großvaters einen Ehrenplatz hat:



    Letzte Hose, die mich schmückte

    fahre wohl! dein Amt ist aus.

    Auch, auch dich, die mich entzückte

    schleppt ein andrer nun nach Haus.

    Selten hat an solchen Paares

    Anblick sich ein Aug´ erquickt.

    Feinster Winterbucksin war es

    grosskarriert und nie geflickt!

    Mit Gesang und vollen Flaschen

    grüsst‘ ich einst in dir die Welt;

    zum Hausschlüssel in der Tasche

    klang noch froh das bare Geld.

    Aber längst kam das Verhängnis

    die Sechsbätzner zogen fort,

    und das Brückentorgefängnis

    ist ein dunkler stiller Ort…

    Längst entschwand, was sonst versetzlich

    Frack- und Rock- und Mantels Pracht.

    Nun auch du! .. es ist entsetzlich! ..

    Letzte Hose, gute Nacht!

    Tag der Prüfung, o wie bänglich

    schlägt mein Herz und fühlt es hell:

    alles Irdische ist vergänglich

    und das Pfandrecht schreitet schnell!

    Nirgend winkt uns ein Erlöser

    letzte Hose! .. es muss sein! ..

    Elkan Levy, dunkler, böser

    Trödler, nimm sie! .. Sie sei dein!

    Doch wenn auch ein Beinkleidloser

    werd‘ ich nie zum Sansculotte.

    Ha! noch schützt ein falt’ger, grosser

    Schlafrock vor der schwersten Not.

    Er auch wäre längst entschwunden

    doch, o Glück! er ist zerfetzt;

    vor des Ellenbogens Wunden

    hat selbst Elkan sich entsetzt.

    Stiefelfuchs, du alter, treuer

    komm und stütz mein Dulderhaupt!

    Noch ein einz’ger Schoppen Neuer

    sei dem Trauernden erlaubt.

    Dann will ich zu Bett mich legen

    und nicht aufstehn, wenn’s auch klopft,

    bis ein schwerer goldner Regen

    unverhofft durchs Dach mir tropft.

    Zeuch denn hin, die ich beweine

    grüss den Rock und’s Kamisol!.

    Weh! schon friert’s mich an die Beine! ..

    Letzt Hose, fahre wohl!

    Text: Josef Victor von Scheffel

  • Dämmerung


    Hell weckt Dunkel

    Dunkel wehrt Schein

    Der Raum zersprengt die Räume

    Fetzen ertrinken in Einsamkeit!

    Die Seele tanzt

    Und

    Schwingt und schwingt

    Und

    Bebt im Raum

    Du!

    Meine Glieder suchen sich

    Meine Glieder kosen sich

    Meine Glieder

    Schwingen sinken sinken ertrinken

    In

    Unermesslichkeit

    Du!


    Hell wehrt Dunkel

    Dunkel frißt Schein!

    Der Raum ertrinkt in Einsamkeit

    Die Seele

    Strudelt

    Sträubet

    Halt!

    Meine Glieder

    Wirbeln

    In

    Unermesslichkeit

    Du!


    Hell ist Schein!

    Einsamkeit schlürft!

    Unermesslichkeit strömt

    Zerreißt

    Mich

    In

    Du!

    Du!


    ASIN/ISBN: 1482759489

  • Eine unglaublich spannende Zeit. Großartige Dichtkunst, und die zumeist kurzen, aber intensiven Leben dieser Dichter haben mich immer fasziniert. Hier gleich mal eines der berühmtesten Gedichte des Expressionismus:


    Weltende


    Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,

    In allen Lüften hallt es wie Geschrei.

    Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei

    Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.



    Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

    An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

    Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

    Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.



    Jakob von Hoddis


  • Halte Rast am Bachlauf, siehe

    den Vorübergang des Lebens,

    denn dies Zeichen von der Welt

    des Vorüber soll genügen.

    Sieh die Ernte dieser Welt

    und die Plagen, die sie schickt:

    dir mag gern nach mehr gelüsten,-

    mir genügt dies mehr, dies Schwinden!

    Komm, denn das Wunschgebäude ist zerbrechlich,

    bring Wein herbei,

    denn des Lebens Fundament

    ist auf dem Wind errichtet!


    ASIN/ISBN: 1482557118