So 'n Gedicht ...

  • Seltsam, im Nebel zu wandern!

    Einsam ist jeder Busch und Stein.

    Kein Baum sieht den andern,

    Jeder ist allein.


    Voll von Freunden war mir die Welt,

    Als noch mein Leben licht war,

    Nun, da der Nebel fällt,

    Ist keiner mehr sichtbar.


    Wahrlich, keiner ist weise,

    Der nicht das Dunkel kennt.

    Das unentrinnbar und leise,

    Von allen ihn trennt.


    Seltsam, im Nebel zu wandern!

    Leben ist einsam sein.

    Kein Mensch kennt den andern,

    Jeder ist allein.


    ASIN/ISBN: 3518035908

  • Hast du ein Fenster -

    Nachts klopft es dran.

    Grauer Gespenster

    Grausamer Bann

    Macht dir Angst,

    Macht dir Angst

    Und du bangst.


    Tags sind die Straßen

    Hell, doch dir graut,

    Du bist verlassen

    Mitten im Laut

    Hast du Angst,

    Hast du Angst -

    Und du bangst.


    Wälder und Wände

    Starren so stumm,

    Wünsche und Hände,

    Die gehen um,

    Bist du allein,

    Bist du allein,

    Hörst du sie schrein.


    Mitten im Leben

    Schmerz, Lust und Not,

    Du gehst daneben -

    Und nur der Tod

    Ist ohne Angst,

    Ist ohne Angst,

    Aber du bangst.


    (Wolfgang Borchert 1921 - 1947)


    ASIN/ISBN: B09GTCKT19

  • Ich fühle, wie die graue Zeit durch mich zieht.

    Sie höhlt mich aus.

    Sie bleicht meine Träume.

    Sie zieht schon lange durch mich.

    Ich liege am Strand eines ausgeflossenen Meeres,

    Am Rand einer ungeheuren Muschel.

    Es zerbröckelt, es verwittert um mich

    Und rinnt in die Tiefe.

    Langsam zerfällt der Raum.

    Ich liege am Strand eines ausgeflossenen Meeres,

    Am Rand einer ungeheuren Muschel.

    Ein Mond glänzt darin.

    Ein großes Auge,

    Eine Perle,

    Eine große Träne glänzt darin.

    Ich fühle, wie die graue Zeit durch mich zieht....

    Die Monde, Augen, Perlen zerfallen.

    Ich fühle, wie die graue Zeit durch mich zieht.

    Ich träume schon so lange.

    Ich träume mich grau in graue Tiefe.


    Hans Arp

    ASIN/ISBN: 3716023035

  • Welch schönes Jenseits

    Ist in deinen Staub gemalt.

    Durch den Flammenkern der Erde,

    Durch ihre steinerne Schale

    Wurdest du gereicht.

    Abschiedsgewebe in der

    Vergänglichkeiten Maß.


    Schmetterling

    Aller Wesen gute Nacht!

    Die Gewichte von Leben und Tod

    Senken sich mit deinen Flügeln

    Auf die Rose nieder

    Die mit dem heimwärts reifenden Licht welkt.


    Welch schönes Jenseits

    Ist in deinen Staub gemalt.

    Welch Königszeichen

    Im Geheimnis der Luft.


    ASIN/ISBN: 3518015494

  • Ich liebe die rote Rose mein,

    Die vor meinem Fenster blüht.

    Die anderen mögen schöner sein,

    Die meine ist halb verblüht.


    Draußen, da glühen sie hell und licht,

    Die meine zauste der Wind.

    Doch das der Mond sie küsste,

    Das wisst ihr ja nicht

    Und das sie nachts im Traume spricht,

    Wenn wir alleine sind.



    Jean de Joinville (1224 - 1317)

    Kreuzritter, Troubadour und Biograph Ludwigs IX von Frankreich

    ASIN/ISBN: 2876160919

  • Was heute die "Bunte" ist, war damals wohl als ernstzunehmende Zeitung gedacht. Vermutlich von Fallersleben schnell und sehr gekonnt dahingeworfen, treffsicher, witzig:


    Wie ist doch die Zeitung interessant

    für unser liebes Vaterland !

    Was haben wir heute nicht alles vernommen !

    Die Fürstin ist gestern niedergekommen,

    und morgen wir der Herzog kommen,

    Hier ist der König heimgekommen,

    dort ist der Kaiser durchgekommen,

    bald werden sie alle zusammenkommen -

    Wie interessant ! wie interessant !

    Gott segne das liebe Vaterland !


    Wie ist die Zeitung doch interessant

    für unser liebes Vaterland !

    Was ist uns nicht alles berichtet worden !

    Ein Portepeefähnrich ist Leutnant geworden,

    ein Oberhofprediger erhielt einen Orden,

    die Lakaien erhielten silberne Borden,

    die höchsten Herrschaften gehen nach Norden,

    und zeitig ist es Frühling geworden -

    Wie interessant ! wie interessant !

    Gott segne das liebe Vaterland !


    Hoffmann von Fallersleben

  • Rilke hat's einfach drauf <3


    Es gibt so wunderweiße Nächte,

    drin alle Dinge Silber sind.

    Da schimmert mancher Stern so lind,

    als ob er fromme Hirten brächte

    zu einem neuen Jesuskind.


    Weit wie mit dichtem Diamantstaube

    bestreut, erscheinen Flur und Flut,

    und in die Herzen, traumgemut,

    steigt ein kapellenloser Glaube,

    der leise seine Wunder tut.


    Rainer Maria Rilke

  • Allerdings!


    DER PANTHER



    IM JARDIN DES PLANTES, PARIS



    Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

    so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

    Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

    und hinter tausend Stäben keine Welt.



    Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

    der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

    ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

    in der betäubt ein großer Wille steht.



    Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

    sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,

    geht durch der Glieder angespannte Stille –

    und hört im Herzen auf zu sein.

  • In der Fußgängerzone


    Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?

    Sie sind eine Knalltüte.

    Ja, Sie meine ich, ich sehe,

    daß Sie schon wieder einmal

    zuviel Schrott eingekauft haben.

    Das ist typisch für Knalltüten

    wie Sie. Entschuldigung, aber

    wen soll man eine Knalltüte nennen,

    wenn nicht Sie? Was kann ich dafür?

    Das ist Ihre Privatsache. Nicht

    daß Sie glauben, ich hätte etwas

    gegen Knalltüten. Woher denn?

    In einer Demokratie hat jeder

    das unveräusserliche Recht,

    eine Knalltüte zu sein.

    Sie auch. Das wird man doch

    noch sagen dürfen. Also,

    alles Gute als Konsument.


    ASIN/ISBN: 3518470132

  • Bereue nicht die Jahre, die vergeudet,

    Bereue nicht der Seele Fliederblühn.

    Im Garten brennt der Vogelbeeren Feuer,

    Doch keinen kann's erwärmen wenn sie glühn.


    Kein Brand verbrennt die Vogelbeerentrauben,

    Dem welken Kraut droht nicht sogleich Verfall.

    So wie die Blätter leise falln vom Baume,

    So lass ich traurig meine Worte falln.


    Und fegt die Zeit mit kalter Winde Besen,

    Als unnütz sie, als Kehricht sie zuhauf,

    So sagt, das sei ein goldner Hain gewesen,

    Hätt ausgeflüstert nun und ausgerauscht.


    (Sergej Jessenin 1895 - 1925)


    ASIN/ISBN: 3866601026

  • Mein absolutes Lieblingsgedicht von Hermann Hesse:


    Ich bin ein Stern


    Ich bin ein Stern am Firmament,

    der die Welt betrachtet, die Welt verachtet,

    und in der eignen Glut verbrennt.


    Ich bins das Meer, das nächtens stürmt,

    das klagende Meer, das opferschwer

    zu alten Sünden neue türmt.


    Ich bin von eurer Welt verbannt,

    vom Stolz erzogen, vom Stolz belogen,

    Ich bin der König ohne Land.


    Ich bin die stumme Leidenschaft,

    im Haus ohne Herd, im Krieg ohne Schwert,

    und krank an meiner eignen Kraft.


    Hermann Hesse


    ASIN/ISBN: 3518404555

  • Und das zweitliebste Gedicht von ihm:


    Traurigkeit


    Die mir noch gestern glühten,

    sind heut dem Tod geweiht.

    Blüten fallen um Blüten

    vom Baum der Traurigkeit.


    Ich seh sie fallen, fallen

    wie Schnee auf meinem Pfad,

    die Schritte nicht mehr hallen,

    das lange Schweigen naht.


    Der Himmel hat nicht Sterne,

    das Herz nicht Liebe mehr,

    es schweigt die graue Ferne,

    die Welt ward alt und leer.


    Wer kann sein Herz behüten

    in dieser bösen Zeit?

    Es fallen Blüten um Blüten

    vom Baum der Traurigkeit.


    Hermann Hesse

  • Hier eines seiner letzten Gedichte, gleich mal in 3 Fassungen:

    Knarren eines geknickten Astes

    Erste Fassung

    Geknickter Ast, an Splittersträngen

    Noch schaukelnd, ohne Laub noch Rinde,

    Ich seh ihn Jahr um Jahr so hängen,

    Sein Knarren klagt bei jedem Winde.

    So knarrt und klagt es in den Knochen

    Von Menschen, die zu lang gelebt,

    Man ist geknickt, noch nicht gebrochen,

    Man knarrt, sobald ein Windhauch bebt.

    Ich lausche deinem Liede lange,

    Dem fasrig trocknen, alter Ast,

    Verdrossen klingts und etwas bange,

    Was du gleich mir zu knarren hast.

    Knarren eines geknickten Astes

    Zweite Fassung

    Splittrig geknickter Ast,

    Hangend schon Jahr um Jahr,

    Trocken knarrt er im Winde sein Lied,

    Ohne Laub, ohne Rinde,

    Kahl, fahl, zu langen Lebens,

    Zu langen Sterbens müd.

    Hart klingt, rauh sein Gesang,

    Klingt trotzig, klingt bang

    Noch einen Sommer, noch einen Winter lang.

    Knarren eines geknickten Astes

    Dritte Fassung

    Splittrig geknickter Ast,

    Hangend schon Jahr um Jahr,

    Trocken knarrt er im Wind sein Lied,

    Ohne Laub, ohne Rinde,

    Kahl, fahl, zu langen Lebens,

    Zu langen Sterbens müd.

    Hart klingt und zäh sein Gesang,

    Klingt trotzig, klingt heimlich bang

    Noch einen Sommer,

    Noch einen Winter lang.

  • Ich schaue mir gerade das TV-Programm für heute an, auf arte läuft der Western "Faustrecht der Prärie"- die berühmte Geschichte von Wyatt Earp und Doc Holiday - längst ein amerkanischer Mythos. Selbst bei Star Trek geriet einst Käpt'n Kirk ins Geschehen kurz vor der legendären Schießerei am O.K .Corall :lache

    'zig Mal verfilmt, meist schlecht und recht. Doch dieser Klassiker hat es in sich. Mir lief es damals eiskalt den Rücken runter :grin, als der todkranke Revolverheld und studierte Zahnarzt Doc Holiday einspringt - bei einem der berühmtesten Monologe der Weltliteratur, den ich noch heute auswendig kenne - natürlich nur in der kongenialen Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel:


    Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:

    Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern

    Des wütenden Geschicks erdulden oder,

    Sich waffnend gegen eine See von Plagen,

    Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –


    Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf

    Das Herzweh und die tausend Stöße endet,

    Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,

    Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen –

    Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:


    Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,

    Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,

    Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,

    Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.

    Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,


    Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,

    Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,

    Den Übermut der Ämter und die Schmach,

    Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,

    Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte


    Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten

    Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?

    Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,

    Das unentdeckte Land, von des Bezirk

    Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,


    Daß wir die Übel, die wir haben, lieber

    Ertragen als zu unbekannten fliehn.

    So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;

    Der angebornen Farbe der Entschließung

    Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;


    Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,

    Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,

    Verlieren so der Handlung Namen. – Still!

    Die reizende Ophelia! – Nymphe, schließ

    In dein Gebet all meine Sünden ein!

    Hamlet/Shakespeare

  • Einsiedlers Heiliger Abend


    Ich hab' in den Weihnachtstagen

    Ich weiß auch warum -

    Mir selbst einen Christbaum geschlagen,

    Der ist ganz verkrüppelt und krumm.

    Ich bohrte ein Loch in die Diele

    Und steckte ihn da hinein

    Und stellte rings um ihn viele

    Flaschen Burgunderwein.

    Und zierte, um Baumschmuck und Lichter

    Zu sparen, ihn abends noch spät

    Mit Löffeln, Gabeln und Trichter

    Und anderem blanken Gerät.

    Ich kochte zur heiligen Stunde

    Mir Erbsensuppe mit Speck

    Und gab meinem fröhlichen Hunde

    Gulasch und litt seinen Dreck.

    Und sang aus burgundernder Kehle

    Das Pfannenflickerlied.

    Und pries mit bewundernder Seele

    Alles das, was ich mied.

    Es glimmte petroleumbetrunken

    Später der Lampendocht.

    Ich saß in Gedanken versunken.

    Da hat's an die Türe gepocht,

    Und pochte wieder und wieder.

    Es konnte das Christkind sein.

    Und klang's nicht wie Weihnachtslieder!

    Ich aber rief nicht: "Herein!"

    Ich zog mich aus und ging leise

    Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,

    Und dankte auf krumme Weise

    Lallend dem lieben Gott.


    Joachim Ringelnatz