'Hexenschwester' - Seiten 001 - 096

  • Ganz kurze Zwischenfrage:


    Findet noch jemand den Einstieg auf dem Weinberg so unwiderstehlich wie ich?


    Ich fuerchte jetzt schon, dass ich - auch beim dritten Lesen - nicht viel mehr zur Leserunde werde beitragen koennen als: Find ich toll, find ich toll, find ich toll.


    Einen historischen Roman aus einer einzigen Perspektive zu schreiben, erscheint mir eine Herkulesaufgabe, die vielen Autoren misslingt - und an die andere (ich zum Beispiel) sich gar nicht erst wagen wuerden, weil die Informationsuebermittlung an den Leser auch dann noch schwer genug ist, wenn man sie auf mehrere Perspektivtraegerschultern verteilen kann.
    Ausserdem haette ich dabei hoellische Angst: Geraet mit der eine Traeger nervig, so nervt die Leser das ganze Buch - waehrend ich bei multiperspektivischer Erzaehlhaltung zumindest noch den netten Kunz und den frischfroehlichen Kunz zum Ausgleich aufzubieten haette ...
    ... Katerina aber gelingt das Kunststueck so (scheinbar) leichthaendig, dass ich nach wenigen Seiten denke: Hoffentlich wechselt sie nie die Perspektive. Und nach mehr Seiten denke: Diese Geschichte geht gar nicht anders. Die muss Lene erzaehlen und niemand als Lene.
    Mein Applaus!
    Ausserdem hat jemand, ich glaube Tweedy, in einer schoenen Rezension geschrieben, beim Zuklappen des Buches habe sie: "Ach Lenchen" gedacht. Das hat mir so sehr gefallen. Ich glaube, ich denke "Ach Lenchen" fortwaehrend. Diese Lene ist eins derart geniale Figur, dass sie gar keine Figur ist. Stimmt's, Katerina, die hat's doch gegeben, die Lene? Die kann sich doch gar keiner ausdenken.
    Und die muss man doch einfach liebhaben.


    Alles Liebe von Charlie


    P.S.: Voellig unsachlich - dass einer den Velten nicht mag, kann ich ja nun ueberhaupt nicht verstehen ... eigentlich bin ich doch der Koenig der Hauptfigur-nicht-Moeger ... aber den nehm' ich sofort! Unbesehen.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Welche Religion herrscht in Büdigen in dieser Zeit Calvinismus? Ich hätte vermutet, dass die Katholiken von den Lutheranern "vertrieben" wurden, weil ja beschrieben ist, dass aus den Kirchen die Heiligenfiguren entfernt und die Wandbilder übertüncht wurden. Es fällt aber auch der Begriff "die Reformierten, da vermute ich den Calvinismus. Der ist in seiner Ausprägung glaub ich noch puristischer als das Luthertum.


    Die Reformation veränderte Kirche und Gottesdienst in Büdingen weniger als der Wechsel vom lutherischen Protestantismus zum Calvinismus, der 1601 von Graf Wolfgang Ernst gegen den Widerstand der Bevölkerung vollzogen wurde. Erst in dieser Zeit kam es zu den beschriebenen Veränderungen, die auf wenig Begeisterung bei der Bevölkerung stießen.


    Zitat

    Kirchliche Ehe ist zwar offenbar noch möglich (Contz Rede auf der Hochzeit von Clara), die Zivilehe vor dem Zusammenführer scheint aber eher Usus zu sein.


    Die Trauung allein durch den Zusammensprecher und die Bedeutung der Verlobung ist die ältere Form. Erst allmählich gewann die kirchliche Trauung an Bedeutung, und auch das Verbot vorehelichen Geshlechtsverkehrs.


    Zitat

    Hexerei wiederum wurde glaub ich von sowohl von Katholiken als auch von Reformierten angeprangert und verfolgt.


    Genau. Das nahm sich nichts. Luther war fest davon überzeugt, eine Hexe habe seiner Mutter Schaden zugefügt, und auch Calvin sprach sich für die Verfolgung der "Hexen" aus.


    Zitat

    Die religiöse Vorstellung, dass von vorneherein festgeschrieben ist, ob man am Ende vor der Himmelstür steht oder im Fegefeuer landet, egal, welchen Lebenswandel man führt, finde ich schon erschreckend. Ebnet eigentlich den Weg für Vorverurteilungen, Denunziationen und hat vermutlich auch den Grund für viele Todesurteile geliefert.


    Das unterscheidet den Calvinismus von den Lutheranern, die glaubten, man könne durch ein gottgefälliges Leben die Gnade Gottes erlangen.


    Zitat

    Warum war eigentlich der Beruf des Scharfrichters ein unehrlicher Beruf? Die Ausgrenzung dieses Berufsstandes war ja doch ziemlich heftig.


    Meiner Meinung nach muss man den Begriff "unehrlich" eher mit etwas wie "unehrenhaft" übersetzen. Ich denke, dass die Einteilung in "ehrliche" und "unehrliche" Berufe zumindest zum Teil auf Angst vor dem Tod zurückgeht, denn sie betraf vor allem Berufe, die mit Tod oder der Verarbeitung toten Materials zu tun hatten, z.B. gehörten auch die Abdecker und die Gerber dazu. Wichtig ist, dass die "Unehrlichkeit" sozusagen ansteckend war.
    Es gibt den absurden Fall eines Försters, der vor Gericht dagegen klagte, dass sein Beruf als "unehrlich" bezeichnet worden sei. Die absurde Begründung der Gegenseite war, ein Förster habe einmal einem Scharfrichter während dessen Amtshandlungen den Wein gebracht.
    Auch der Schuster steht ja an der Grenze zur "Unehrlichkeit". Meine persönliche Vermutung ist, dass das daher kommt, weil er von dem Gerber das Leder bezieht.
    Falls uns das heute absurd erscheint, brauchen wir uns lediglich vorzustellen, dass nur wenige Eltern davon begeistert wären, wenn die Tochter sich in einen Bestatter verliebt. (Es sei denn, die Eltern sind sehr gothic-mäßig drauf.)

  • Zitat

    Original von SabineW
    War die winzige Szene aus Muddis (oder auktorialer) Sicht vorher schon drin?


    O Gott, hoffentlich werde ich jetzt nicht dauernd fragen, war das schon, war das nicht.


    Ich hab keine Ahnung, von welcher Szene Du sprichst. Bitte präzisieren oder auf einen späteren Thread vertagen, wo ich dann was zum Thema Perspektive sagen werde. Kann ich hier noch nicht tun, nämlich.


    Zitat

    Z.B. dass Velten "net" statt "naut" sagt (naut?, das soll wirklich NICHT heißen? Schwer vorstellbar *g*).


    Etwas sagt mir, dass Gnädigste gewaltige Probleme damit haben werden, dieses Gedicht zu übersetzen. :lache


    Zitat

    Was er in seinen Dialogen ja dann nie benutzt.


    Er spricht ja auch eher frankfurterisch. Der heutige Büdinger neigt ebenfalls dazu, ein eher frankfurterisches Hessisch zu sprechen. In den umliegenden Dörfern oder bei den alten Leuten heißt es aber durchaus "naut" statt "net".


    Zitat

    Ist die Sprache sozusagen eine übersetzte Version? Und nur die abgeknapsten Vokale am Wortende sollen signalieren, dass hier allerübelster :grin Dialekt gesprochen wird?


    Genau das. Und da Du ja wohl schon mit dem Gedicht Probleme hattest, wollte ich den Lesern allerübelsten Dialekt nur andeuten ... :grin


    Zitat

    Wo kommt der Glaube an eine Frau Holle her?


    Das ist wirklich was uralt Heidnisches. Frau Holle (die Holde) war die Gattin Wotans und mutierte erst später zur Märchenfigur. Wobei in der Märchen-Frau Holle durchaus noch Teile des alten Glaubens steckten, nämlich dass sie gute Taten belohnt und böse bestraft.

  • Zitat

    Original von Charlie
    Einen historischen Roman aus einer einzigen Perspektive zu schreiben, erscheint mir eine Herkulesaufgabe, die vielen Autoren misslingt - und an die andere (ich zum Beispiel) sich gar nicht erst wagen wuerden, weil die Informationsuebermittlung an den Leser auch dann noch schwer genug ist, wenn man sie auf mehrere Perspektivtraegerschultern verteilen kann.


    Ich war auch ziemlich geschockt, als ich merkte, dass das auf eine einzige Perspektive rausläuft.
    Weniger wegen der Informationsübermittlung. Da ich eine Freundin überraschender Wendungen bin, hab ich eher Probleme mit zu vielen Perspektiven, weil andere Perspektivträger ja oft irgendwas wissen, was meine Hauptperson (und damit der Leser) noch nicht wissen soll.
    Nee, ich hab mich eher gefragt: Darf man das?


    Zitat

    Stimmt's, Katerina, die hat's doch gegeben, die Lene?


    Jetzt gibt es sie jedenfalls!
    Und ihren Nachnamen hab ich mir in der eigenen Familiengeschichte geklaut. Meine Vorfahren hießen Kalkhof.

  • Zitat

    Original von Charlie
    Ich fuerchte jetzt schon, dass ich - auch beim dritten Lesen - nicht viel mehr zur Leserunde werde beitragen koennen als: Find ich toll, find ich toll, find ich toll.


    Das geht mir allerdings auch so.


    Zitat


    Ausserdem haette ich dabei hoellische Angst: Geraet mit der eine Traeger nervig, so nervt die Leser das ganze Buch


    Na toll, jetzt macht sie mir Angst. Ich hab beim nächsten doch auch nur eine.


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    Diese Geschichte geht gar nicht anders. Die muss Lene erzaehlen und niemand als Lene.


    Ich gebe zu, dass ich bei der winzigen Stelle, wo die Lene-Perspektive verlassen wurde, richtig traurig war. Ich mag auch nur bei Lene bleiben. Katerina, ich meinte die Szene S. 62/63. Aber jetzt, beim nochmaligen Angucken, ist das gar nicht so klar, weil von "der Mutter" die Rede ist, könnte also durchaus aus Lenes Sicht geschildert sein. Nur tritt sie da halt nicht auf.

  • Zitat

    Original von Katerina
    Etwas sagt mir, dass Gnädigste gewaltige Probleme damit haben werden, dieses Gedicht zu übersetzen. :lache


    Äh ... :wow


    Zitat


    Das ist wirklich was uralt Heidnisches. Frau Holle (die Holde) war die Gattin Wotans und mutierte erst später zur Märchenfigur.


    Was meint später? Nach der Romanhandlung?


    Wotans Gattin hat sich dann aber lange gehalten.


    Awwer vergess mer jetzt net die Sach mit dene Schuh, gell.

  • Zitat

    Original von SabineW
    Ich gebe zu, dass ich bei der winzigen Stelle, wo die Lene-Perspektive verlassen wurde, richtig traurig war. Ich mag auch nur bei Lene bleiben. Katerina, ich meinte die Szene S. 62/63. Aber jetzt, beim nochmaligen Angucken, ist das gar nicht so klar, weil von "der Mutter" die Rede ist, könnte also durchaus aus Lenes Sicht geschildert sein. Nur tritt sie da halt nicht auf.


    Sie ist aber dabei. Dacht ich mir. Dasse dabei ist. Hinten steht. Gewissermaßen. Also, bei mir steht sie da. Zumindest. :-)

  • Zitat

    Original von SabineW


    Was meint später? Nach der Romanhandlung?


    Genau. Wobei sie sicher schon damals am Mutieren war. Und halt nur später von Grimms festgehalten wurde.


    Zitat

    Wotans Gattin hat sich dann aber lange gehalten.


    Das finde ich immer wieder so faszinierend. Dass mancher Faden dünner wird im Gewebe, aber nie ganz verlorengeht.


    Zitat

    Awwer vergess mer jetzt net die Sach mit dene Schuh, gell.


    Ja, ist denn heut schon Pfingsten? Frau Wassermann redet in Zungen!!! :rofl
    Wobei es genau genommen natürlich heißen müsste: Awwer dej Schohw werrn naut vrgehrjse. :lache

  • Zitat

    Original von Sabine_D
    Ich werde euch morgen zuposten. Ich habs Buch fertig und es hat mich so gerissen, dass ich nicht zwischendrin posten wollte. Aber Notizen habe ich gemacht.


    Hab ich`s mir doch gedacht! ;-)


    "Holl" oder "die Holde" war wohl schon vor ca. 5.000 Jahren eine weibliche Gottheit, die von einigen, damals noch matriarchalisch orientierten Volksstämmen verehrt wurde (kürzlich in einem Roman gelesen: hier)

  • So, jetzt komme ich auch endlich zum Posten. Ich muss gestehen, dass ich schon weit vorangeprescht bin – viel weiter als bis zum Ende des ersten Teils :-)


    Viele Fragen, die ich auch gehabt hätte (zum Beispiel nach Frau Holle), sind schon gestellt worden – vielen Dank für die Antworten, Katerina.
    Obwohl ich den Prolog sehr aufwühlend fand, habe ich doch einige Seiten benötigt, bis ich mich auf die Sprache einlassen konnte – was sicher auch daran liegt, dass ich so selten historische Romane lese. Doch je mehr ich las, desto passender empfand ich sie, bis ich das Gefühl hatte: So und nicht anders muss ein Buch geschrieben sein, das von einem einfachen, mäßig gebildeten und doch mit Wissensdurst und Mitgefühl gesegneten Mädchens getragen wird. An Lenes Geschichte gefällt mir ausnehmend gut, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten agiert und ihn nicht sprengt – auch wenn sie sich immer wieder die Nase an den Grenzen blutig stößt. Dadurch ist bei mir ein sehr eindringliches Bild des Stadtalltags in einer grässlichen Zeit entstanden. Und das, obwohl Katerina komplett ohne Beschreibungen der Gräueltaten auskommt (was ich ja sowas von gut finde!!!).
    Apropos grässliche Zeit: Jedes Mal, wenn ich etwas über den Dreißigjährigen Krieg und die Hexenverfolgung lese, schüttelt es mich. Da hat Italien die Renaissance schon fast wieder hinter sich, und in deutschen Landen hat der Aberglaube selbst die Kreise erfasst, die es eigentlich besser hätten wissen müssen. Diese Borniertheit, diese Ablehnung alles Neuen hat Katerina ja an einem wunderbaren Beispiel im zweiten Teil festgemacht. Aber ich greife vor ....


    Ah, Charlie, ich fand den Velten irgendwie auch nicht so dolle. Ich meine nicht, wie Katerina ihn als Romanfigur lebendig werden lässt, das ist super, sondern, dass ich ihn auch nicht unbedingt hätte haben wollen. Warum nicht, ist mir selbst unklar. Ein schicker Mann, ein schlauer Mann, ein liebevoller Mann ... :gruebel Frauen sind schon komisch :lache

  • Hallo,


    ich wollte nur sagen, dass ich auch dabei bin. Heute habe ich mit dem Lesen angefangen. Ich hinke etwas hinterher, weil ich vorher noch Sabines "Eiserne Welt" zu Ende elsen wollte und weil überhaupt viel los war und ich nicht so vorankam wie erwartet.


    Habe gerade die ersten dreißig Seiten und bin schon ganz drin. Ein schönes Buch. Bei Velten dachte ich mir aber. "Was für ein Klugscheißer!".
    War nur mein erster Eindruck, ich muss sehen, wie er sich so entwickelt.


    Bald gibt'smehr von mir. :wave


    Tereza

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Ah, Charlie, ich fand den Velten irgendwie auch nicht so dolle. Ich meine nicht, wie Katerina ihn als Romanfigur lebendig werden lässt, das ist super, sondern, dass ich ihn auch nicht unbedingt hätte haben wollen. Warum nicht, ist mir selbst unklar. Ein schicker Mann, ein schlauer Mann, ein liebevoller Mann ... :gruebel Frauen sind schon komisch :lache


    Zitat

    Original von Tereza
    Bei Velten dachte ich mir aber. "Was für ein Klugscheißer!".
    War nur mein erster Eindruck, ich muss sehen, wie er sich so entwickelt.


    Nach diesem Buch werde ich endgültig meine Hoffnung begraben, einen mehrheitsfähigen Mann entwickeln zu können ... :lache

  • .... und ich sag immer nicht, ach Lenchen, sondern:... ach Velten! :kiss


    Ok, wer so einen kennt, darf mir seine Nummer geben!
    Ich finde Ihn sehr männlich und möchte auch wie ein Vögelchen nach seinem ersten Flug wieder auf der Erde landen wenn er mich küßt...


    Die Süßigkeiten, die er mir dann mitbringt werden auch nicht mit Euch geteilt :schlaeger
    Süßes Marzipan mit Zuckerguß....