Die Insassen - Katharina Münk

  • Deutscher Taschenbuch Verlag, November 2009
    Taschenbuch, 220 Seiten


    Kurzbeschreibung
    Vier Insassen der Nervenklinik St. Ägidius bringen ihre Anstalt zunächst auf Kurs und anschließend an die Börse. Schließlich sind sie vom Fach – handelt es sich doch um drei ehemalige Topmanager und eine Chefsekretärin. Ohnehin ist Exfinanzvorstand Dr. Wilhelm Löhring überzeugt, die Klinik sei seine eigene Firma. Sofort will er sein Unternehmen mithilfe der drei Insider flottmachen. Da im Zeitalter der anonymen digitalen Kommunikation und mit einer entsprechenden Reputation in der Wirtschafts-Community alles möglich ist, gerät der Börsengang zu einem vollen Erfolg.


    Über die Autorin
    Katharina Münk ist Chefsekretärin und Autorin von ›Und morgen bringe ich ihn um! Als Chefsekretärin im Top-Management‹ (2006), das in kürzester Zeit zum Bestseller wurde.


    Meine Meinung
    Im Hochreitner-Trakt der Nervenheilanstalt St. Ägidius treffen drei Männer aus dem Topmanagement und eine Chefsekretärin aufeinander. Ihr stressiger Alltag hat sie in den „Wahnsinn“ getrieben und in dieser speziellen Abteilung sollen sie wieder neu in ihren Beruf eingegliedert werden.
    Dr. Wilhelm Löhring glaubt jedoch, er sei in St. Ägidius, um das Unternehmen unter seiner Führung wieder fit für die Wirtschaftswelt zu machen.
    Mit Keith Winter, Hubert Wienkamp und Karin Schlick stellt Löhring ein Kompetenzteam, die Projektgruppe „Bad Homburg“, zusammen, um seinen Wirtschaftsplan durchzuführen: das Unternehmen muss an die Börse.
    Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und der damit verbundenen Reputation gelingt es den Herren, zunächst zumindest, Investoren zu finden. Die WMC Klinik AG wird gegründet.


    Mit sehr hohem Tempo erzählt Katharina Münk in diesem Roman von der Einweisung ihrer Protagonisten in die St. Ägidius-Kliniken bis hin zum Ausgang des heimlichen Börsenganges der Klinik. Leider lässt sich die Autorin dabei keine Zeit, die Figuren zu entwickeln, die flach und konturlos bleiben.
    Auch die Geschichte selbst überrascht nicht durch besonderen Humor. Viele Klischees werden bedient, aber die Autorin versäumt es, abstruse Situationen, die durchaus vorkommen, pointiert herauszuarbeiten.
    Unklar ist auch, wie die Insassen neben ihrem Alltagsprogramm in der Klinik, Einzel- und Gruppengespräche, Bewegungs- und Ergotherapie, ihren eigenen Ideen in so ausgedehnten Maße an der Klinikleitung vorbei nachgehen können.


    Katharina Münk hat mit „Die Insassen“ die aktuelle wirtschaftliche Lage als Thema aufgegriffen und in eine unterhaltsame Geschichte verpackt.
    Wie eng Wahn und Wirklichkeit in der Wirtschaft zusammenhängen ahnt man. Oder wie Löhring sagt:“Denn letztendlich ist selbst an der Börse alles Psychologie, meine Herren. Es menschelt gewaltig!“


    Mein Fazit: Ein schnell zu lesendes, nettes Streiflicht auf unsere Gesellschaft, das man genauso schnell wieder vergessen hat.


    6/10 Punkte

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Vielen Dank Sigrid für die ausführliche Rezi.
    Jetzt weiß ich Bescheid ;-)

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Danke für die Rezi, Sigrid. Ich hatte das Buch vor ein paar Wochen in einer Buchhandlung in der Hand, der Klappentext klang sehr vielversprechend. Nach deiner Rezi wird das Buch allerdings nicht auf meine Wunschliste wandern.

  • Ja, aufgrund des Klappentextes habe ich es gekauft. Dachte, das sei eine gute, witzige Geschichte. Hätte es auch werden können, vielleicht, aber die Umsetzung :rolleyes.......

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Katharina Münk: Die Insassen - Roman, München 2009, Deutscher Taschenbuch Verlag dtv, ISBN 978-3-423-24752-8, 215 Seiten, Format: 13,5 x 21 x 2 cm, EUR 13,90 [D], EUR 14,30 [A], SFR 24,20.


    Drei Topmanager und eine Chefsekretärin lernen einander in der Psychiatrie kennen und beschließen aus unterschiedlichen Motiven, die Anstalt zu sanieren und an die Börse zu bringen. Wie lange kann es wohl dauern, bis von den Geschäftspartnern da draußen jemand bemerkt, dass er es hier nicht mit dem normalen Wahnsinn des Alltags zu tun hat sondern mit psychisch Erkrankten?


    Dr. Wilhelm Löhring ist ein Meister der Verdrängung. Dass er einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hat und nicht mehr im Vorstand einer Versicherungsgesellschaft tätig ist, übergeht er und erscheint einfach weiterhin im Büro. Als er auch noch erwähnt, auf Wiedereinstellung klagen zu wollen, erklärt Ex-Vorstandskollege Förster: „Du hast ja eine Vollmeise, Wilhelm! Ich rufe jetzt deine Frau an! (S. 20) Frau Löhring sieht das genauso, und der Gatte landet im exklusiven und diskreten psychiatrischen Privatbereich der St. Ägidius-Klinik.


    Das Dumme ist, dass Löhring denkt, seine Frau habe die Klinik gekauft und er sei dort um sie zu sanieren. Schon träumt er einer weltweiten Privatklinik-Kette und dem Börsengang. Auch wenn er im Innersten ahnt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt.


    Löhring kommt in eine Therapiegruppe mit den Berufskollegen Keith Winter und Hubert Wienkamp sowie der Chefsekretärin Karin Schlick. Details zu deren Schicksal, aber kein Spoiler verstecke ich hier:



    Dass er krank ist und die anderen auch, das ist ihm vollkommen klar. Der kognitive Verstand funktioniert, nur sein Verhalten grenzt ans Autistische. Er kann seinen Mitmenschen nicht mehr in die Augen sehen und seine Kommunikation beschränkt sich auf Stichwörter, die für seine Gesprächspartner nicht unbedingt einen Sinn ergeben. Halt findet er bei Zahlen, ob er nun Kieselsteine zählt oder die Kügelchen in seinen Medikamentenkapseln.


    Dritter im Bunde ist Hubert Wienkamp, der ehemalige Personalchef eines großen Beratungsunternehmens. 20 Jahre seines Lebens hat er einfach vergessen, hat die Zeit, in der er ein professionelles Arschloch war, von seiner Festplatte gelöscht und sich neu erfunden. Jetzt ist er auf eine onkelhafte Weise nett und geschwätzig und hält sich für einen Seelsorger. Oder, wie er sagt: für einen Soul Manager.


    Eine Chefsekretärin gehört auch zur Gruppe, und die hat noch am meisten Bodenhaftung von allen. Karin Schlick, Ende 30, hat irgendwann keinen Sinn mehr darin gesehen, ihren ebenso unfähigen wie undankbaren Chef zu bemuttern. Als er einen besonders dämlichen Spruch reißt, rastet sie aus und schüttet den Inhalt eines Lochers über ihn aus. „Er stand da wie die Freiheitsstatue in der Schneekugel, regungslos vor Entsetzen, inmitten eines weißen Konfettiregens, und es rieselte bis in die letzte Ecke seines Büros.“ (S. 106). Eine herrliche Vorstellung! Danach lässt sie sich in die Psychiatrie einweisen.


    Als Wilhelm Löhring seine Therapiegruppenmitglieder mit der Idee von der Gründung einer St.-Ägidius-Sanatorien-AG konfrontiert, fallen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. „Soul Manager“ Wienkamp, bei dem nicht klar ist, wie viel von der Realität noch zu ihm vordringt, sagt seine Mitwirkung zu, um Löhring einen Gefallen zu tun. Der nahezu autistische Keith Winter hat mehr Interesse an der Arbeit im klinikeigenen Gewächshaus und betrachtet Löhrings Projekt als Testfall: Wenn dieses verrückte Vorhaben funktioniert, dann ist das Geschäftsleben derart meschugge, dass er damit für den Rest seines Lebens nichts mehr zu tun haben will.


    Chefsekretärin Karin Schlick hält das „Projekt Bad Homburg“ für komplett irrsinnig. „Wie wollen Sie denn den Börsengang an der Führungsgremien vorbei durchziehen? Das fliegt doch auf. Das wird ja die reinste Wahn-AG!“ (S. 115) Nach einigem Zögern beschließt sie dennoch mitzuspielen und das ganze als Arbeitstherapie zu betrachten. Sie wird den Jungs – und sich selbst – beweisen, wozu sie fähig ist. Und vielleicht besteht ja der einzige Unterschied zu ihren früheren Jobs ohnehin nur darin, dass sie diesmal weiß, dass sie an der Vorspiegelung falscher Tatsachen, Bilanzbetrug, Urkundenfälschung und Lügen beteiligt ist.


    Mit einem gefundenen Blackberry, dem Stationslaptop, Karins Insiderwissen aus ihrer stundenweisen „Arbeitsbelastungs-Probe“ im Büro der Klinikleitung und mit Löhrings alten Kontakten machen sich die vier ans Werk und legen dabei eine gehörige Portion Improvisationstalent, Chuzpe und kriminelle Energie an den Tag.


    Kann der Coup tatsächlich gelingen? Merkt wirklich niemand da draußen, dass er es hier nicht mit dem normalen Irrsinn der Geschäftswelt zu tun hat sondern mit Windeiern und deren Wahnvorstellungen? Und ist man innerhalb der Klinik tatsächlich so naiv und unorganisiert, dass niemand erkennt, was die Patienten unter dem Deckmantel der „kognitiven Verhaltenstherapie“ treiben? Ein dummer Zufall weckt das Misstrauen des Bankers Christian Steinfeld. Ist jetzt alles aus? Lässt er die Bombe platzen? Das darf nicht sein! Löhring und seine Gruppe laufen noch mal zu ganz großer Form auf ...


    Es ist immer eine Gratwanderung, komische Geschichten mit psychisch erkrankten Protagonisten zu erzählen. „Hihihi, guck mal, der Bekloppte!“ – das wäre diskriminierend und denkbar unwitzig. So läuft es hier zum Glück nicht. Die Komik entsteht aus dem Zusammenprall von objektiver und subjektiver Realität. Der eine glaubt, er sei der Chef, der andere sieht ihn als Patienten, und konsequent redet man aneinander vorbei. So kommt es zu allerlei für den Leser vergnüglichen Missverständnissen und zu einem Durcheinander, das streckenweise an klassische Verwechslungskomödien erinnert.


    Stets schwebt auch die Frage im Raum wo eigentlich die Grenze zwischen Normalität und Wahn verläuft. Nicht nur Keith Winter gewinnt den Eindruck, dass es in der Geschäftswelt weitaus irrer zugeht als in der Psychiatrie. Wer sich in der freien Wirtschaft herumtreibt und vielleicht schon mal mit dem Private-Equity-Zirkus in Berührung kam, wird für diese Ansicht Verständnis haben – und sich oft genug an Szenen aus dem eigenen Berufsleben erinnert fühlen.


    Katharina Münch liefert hier keine tiefgründigen Charakterstudien ab. Aber das war sicher auch nicht ihre Intention. Die Geschichte ist ein Gedankenspiel: Was geschieht, wenn Wahnsinn auf Wirtschaft trifft – und wer gewinnt? Die Umsetzung ist ihr auf amüsante Weise gelungen. Und man wird sich fortan fragen, ob der eine oder andere Mitmensch, mit dem man es beruflich zu tun bekommt, nicht vielleicht aus St. Ägidius kommt ...


    Die Autorin:
    Katharina Münk ist Chefsekretärin und Autorin von „Und morgen bringe ich ihn um! Als Chefsekretärin im Top-Management“ (2006), das in kürzester Zeit zum Bestseller wurde.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner