Pssst! Geschichte einer Kindheit – Raymond Federman

  • Weidle Verlag, 2008
    Gebundene Ausgabe


    OT: Chut. Historie d’une enfance.
    Aus dem Französischen von Andrea Spingler


    Kurzbeschreibung:
    Am 16. Juli 1942 gegen 5:30 Uhr drang französische Polizei in die Wohnung der Federmans in Montrouge ein, um die jüdische Familie festzunehmen. Raymond Federmans Mutter schubste ihren 14jährigen Sohn mit einem Bündel Kleider in eine Abstellkammer. Sie sagte"Chut"("Pssst !") und schloß die Tür. Federman sollte sie, seinen Vater und seine beiden Schwestern nie wiedersehen, sie wurden deportiert und in Auschwitz ermordet. Federman blieb über 24 Stunden in dieser dunklen Kammer, bevor er sich aus dem Haus stahl und in einem Güterzug nach Süden floh. Raymond Federman hat in vielen seiner Bücher über diese Tragödie geschrieben, jedoch immer betont, daß er kaum Erinnerungen an die Zeit davor habe."Pssst !"nun ist das Buch seiner Kindheit, in dem er aus den Bruchstücken seiner Erinnerungen ein Puzzle zusammenfügt, das zu einem leicht verwischten, gleichwohl plastischen Bild wird. Immer wieder schweift er dabei ab, konfrontiert sich als Erzähler mit sich selbst, springt in der Zeit, und doch läßt er die Magie einer jeden Kindheit erstehen. Seine Kindheit aber endet, als er die Abstellkammer verläßt, ab diesem Zeitpunkt muß er für sich selbst sorgen. Das Stundenprotokoll seiner Flucht aus dem Haus bis zum Übertritt in die unbesetzte Zone Frankreichs ist das Protokoll eines Erwachsenwerdens im Zeitraffer."Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, was mir meine Mutter mit diesem Pssst ! sagen wollte. Sie wollte mir sagen: Wenn du nichts sagst. Wenn du ruhig bleibst. Still. Pssst ! Dann wirst du überleben."


    Über den Autor:
    RAYMOND FEDERMAN wurde am 15. Mai 1928 in Montrouge, nahe Paris, geboren. 1947 emigrierte er in die USA, studierte Literatur und nahm am Koreakrieg teil. Sein literarisches Werk, französisch und englisch geschrieben, ist sehr umfangreich und wurde zu großen Teilen ins Deutsche übersetzt.


    www.federman.com


    Meine Meinung:
    Dem Buch sind Zitate von Samuel Beckett und Paul Valery vorgestellt. Das sagt schon einiges über Raymond Federmans literarische Intentionen aus.


    Ich habe von Ray Federmann den Eindruck eines charmanten Mannes gewonnen. Dieser Charme und seine Feinfühligkeit fühle ich auch in seiner Prosa. Es gibt sogar etwas Lyrik zwischendurch in Pssst! Zum Beispiel „Demütigung in Gelb“, über das Tragen des Judensterns.


    Ray Federman hat in seinem letzten Roman, wie der Titel schon andeutet, die Geschichte seiner Kindheit erzählt. Eine Kindheit, die endete als seine Mutter ihn im Schrank versteckte, als in Frankreich 1942 die Polizei im Auftrag der Nazis die Wohnung stürmte. Er war 14 und Jude. Seine ganze Familie (Mutter, Vater und Schwestern) wurde deportiert und in Auschwitz vernichtet. Das ist natürlich bitter zu lesen und nicht immer einfach für den deutschen Leser zu verdauen, auch ich habe mich streckenweise schwer getan.. Doch Raymond Federman lässt in diesem Text seine Familie für den Zeitraum vor diesem schrecklichen Tag wiederauferstehen, indem er von der Zeit davor erzählt. Es ist somit auch ein Portrait seiner Eltern. Offensichtlich eine Erfüllung einer lebenslangen Sehnsucht. Die Frage, warum er überlebte, seine Schwestern aber nicht, begleitet ihn durchs Leben. Vieles Autobiographsiches hat Federman schon in anderen Büchern beschrieben.
    „Das Buch ist für meine Mutter“, das steht sogar auf der Rückseite dieses Buches.


    Zwischen den Kapiteln der Kindheitserinnerungen gibt es immer wieder Einschübe, in der der Autor mit sich selbst diskutiert. „Nein, das hast du schon in … erzählt. Federman, das wird deine Lektorin nicht mögen … „ usw. Er rügt sich selbst wegen seinen Abschweifungen. Diese Zwischenpassagen sind also voller Ironie, lockern den Text auf. Eine Spielerei, ein ironischer Dialog auch mit dem Leser. Trotzdem werden diese postmodernen Anteile im Buch viele Leser verschrecken. Eine kontinuierliche Diskussion wie und was man schreiben kann, und Federman hat nicht zuletzt mit seiner surfiction Grenzen überschritten.


    Dieser Roman (?) bricht die herkömmlichen Lesegewohnheiten auf. Aufgrund der vielen Referenzen an Federmans bisheriges Werk sollte man ihn vielleicht nicht unbedingt lesen ohne wenigstens noch etwas anderes von dem Autor zu kennen.