Zur Autorin:
Lena Falkenhagen wurde 1973 in Celle geboren, studierte Germanistik und Anglistik und arbeitete dann als Übersetzerin, Lektorin und Autorin für Fantasy-Rollenspiele.
„Das Mädchen und der schwarze Tod“ war der erste historische Roman der Autorin, "Die Lichtermagd" ihr zweiter.
Kurzinhalt:
Luzinde hat ein Geheimnis, das sie für immer bedrücken wird: Sie hat ein uneheliches Kind geboren, das ihr nach der Geburt von der reichen Familie des leiblichen Vaters weggenommen wurde. Als Luzinde ihre Heimat im Kloster verliert, hilft ihr als Einziger der Jude Gottschalk. Er nimmt sie in Nürnberg als Magd in seinen Haushalt auf. Zunächst skeptisch entdeckt die Christin eine Welt, die so fremdartig wie faszinierend ist. Dann erhält sie endlich eine Nachricht über den Verbleib ihres Sohnes. Um ihn wiederzusehen, muss sie allerdings Gottschalk verraten.
Meine Meinung:
Das Leben ist kein Zuckerschlecken und Träume haben oft genug die unangenehme Eigenschaft, nicht in Erfüllung zu gehen. Diese Erfahrung macht auch Luzinde, viel zu früh schwanger geworden, noch dazu von einem Mann, der es nicht wert war, ihre Liebe nicht nur zu erringen, sondern auch zu genießen. Das Kind wird ihr sofort nach der Geburt weggenommen, sie selber dient später bei Beginen als Magd. Auch von dort durch ihre intrigante Nebenbuhlerin (und zu meiner Beruhigung mit dieser) vertrieben, gelangt sie nach Nürnberg und sieht sich in ihrer Notlage gezwungen, in den Dienst des Juden Gottschalk zu treten.
Diese fiktive Geschichte Luzindes verwebt Lena Falkenhagen mit einer der bittersten und dunkelsten Stunden der Stadt Nürnberg, nämlich des Pogroms im Jahre 1349. Der Aufmarsch an historischen Personen ist beeindruckend: Neben zwei Mitgliedern der Familie Stromer treten unter anderem Gottschalk von dem Steyne und der spätere Kaiser Karl IV. auf. All diesen Persönlichkeiten begegnet neben dem Leser auch Luzinde, alle spielen sie eine mehr oder weniger große Rolle in ihrem Leben, sie verliebt sich in den einen, lernt neben einigen Einblicken in die jüdische Religion auch den Respekt davor von dem anderen, bittet und wird enttäuscht von dem Dritten.
„... denn die Juden mussten sich auf der Straße von den Christen unterscheiden. So wollte es das Gesetz“ (Seite 123).
Wüsste man den einen vom anderen zu unterscheiden, wären sie gleich gekleidet, würden sie mit der gleichen Zunge sprechen? Wohl kaum. Doch unterschieden werden mussten sie, die Juden von den Christen, auf das man beim ersten Blick sah, wem man gegenüber stand. Doch das Gesetz konnte nur über das Äußere gebieten, über den Wert eines Menschen sagte es nichts aus, auch wenn das einige nicht wahrhaben wollten:
Da trägt so mancher einen reichen Wams, doch war ist darunter zu finden? Mitnichten lassen die Juwelen an Kleidung und Fingern den Schluss zu, unter dieser wäre auch ein Herz aus Gold zu finden. Man könnte in dem Roman eher zu dem gegenteiligen Schluss kommen: Wer den Prunk nach außen hin trägt, braucht vielleicht auch auch den Glanz des Schmucks, um die Kälte seines Herzens und seines Gewissens zu überstrahlen.
Da trägt einer eine Krone und ist doch kein Ritter, ja nicht einmal das, was ich unter einem edlen Menschen verstehe. Seine politische und kaufmännische Ader lässt ihn rechnen, lässt ihn abwägen, wer seiner Krone noch mehr Glanz verleihen kann und lässt ihn da schweigen, wo die Moral dessen gefordert wird, der auch für die Schwachen in seinen Landen da sein sollte, seien sie nun Bettler, seien sie nun Juden.
Da trägt einer die Rüstung eines Ritters, versteht sein Schwert wohl zu führen, doch daneben handelt er, wie es manchem Fürsten, sei er weltlich oder kirchlich, wohl zu Gesicht stünde.
Da ist einer, dem Namen nach ein Schalk Gottes, doch trägt er keine Narrenkappe, sondern die Weisheit seines Glaubens und die Güte seines Wesens offen auf der Zunge, weiß er die Hand zu reichen denen, die ihrer bedürfen.
Und da ist eine, angetan mit ärmlicher Kleidung und beschimpft, die sich zunehmend stört an der Ungerechtigkeit, die wahrzunehmen sie erst lernen muss, die begreift, dass Freundschaft und Hilfsbereitschaft nicht allein den Christen vorbehalten sind.
Meine sich hin und wieder fatal auswirkende Neigung, ein Buch nicht nur zu lesen, sondern es zu leben, verhindert, dass ich von „Die Lichtermagd“als einem „schönen“ Buch sprechen möchte. Es ist ein sehr lebendiges Buch, es ist ein mehr als lesenswertes Buch, es ist ein Buch, das mich hat leiden lassen, denn die Schilderungen, welchen abfälligen Bemerkungen, welchen Repressalien die Juden ausgesetzt waren, erst recht aber die des Pogroms mit all seiner Brutalität und Gewalt haben mir schlicht die Fassung geraubt. Zu genau hat Lena Falkenhagen die Hintergründe erzählt, zu genau auch, wie die Hetzjagd vonstatten ging, als das ich unbeteiligt mein Auge über die Seiten gleiten lassen konnte. Eine Romanhandlung, gewiss, erzählt in einem für mich sehr passendem Stil, von dem der jiddische Dialekt nur ein Detail ist, aber: Es könnte sich genau so abgespielt haben. Luzindes Geschichte ist daneben aber keineswegs in den Hintergrund getreten, sondern sie und ganz besonders ihre persönliche Entwicklung sind für mein Empfinden wunderbar eingebunden in den historischen Kontext. Das ein wenig offene Ende habe ich als sehr passend empfunden.
In einem „historischen Nachwort“ verrät Lena Falkenhagen, welche der Handelnden historische Persönlichkeiten sind. Lebendig geworden sind sie alle für mich, so wie das Buch mich für ein paar kurze Stunden beinahe mit allen Sinnen entführt hat in eine Zeit, die mitzuerleben mir erspart geblieben ist (und bitte auch erspart bleiben möge). Dieser Roman wird mir nicht so schnell aus dem Sinn gehen. Ihn quasi am Vorabend des 09.11. zu lesen, hat mich vielleicht der Geschichte des Pogroms eine etwas stärke Gewichtung beimessen lassen, als es im Sinne der Autorin ist.