Mission Gottesreich - Oda Lambsrecht & Christian Baars

  • Fundamentalistische Christen in Deutschland


    Kurzbeschreibung
    Sie sind radikal, sendungsbewusst und zunehmend erfolgreich: christliche Fundamentalisten in Deutschland. Die Bibel ist für sie Lebens- und Glaubensgrundlage, andere Religionen lehnen sie ab, alle Nichtchristen wollen sie bekehren. Homosexualität gilt als Sünde, Sex vor der Ehe ist verpönt, die Evolutionstheorie stellen sie in Frage. Nach Schätzungen leben in Deutschland mehr als eine Million von ihnen. Die Autoren haben zahlreiche fundamentalistische Gemeinden und deren Veranstaltungen besucht, mit Anhängern, Aussteigern und Theologen gesprochen, Internetforen beobachtet, Veröffentlichungen der bibeltreuen Christen ausgewertet, unzählige Predigten analysiert. Das Buch zeigt die Arbeit von entsprechenden Vereinen, Missionswerken und Lobbygruppen, informiert über autoritäre Strukturen, angebliche Wunderheilungen und Dämonenaustreibungen. Und es fragt, wie Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland mit diesen radikalen Gruppen umgehen.


    Meine Meinung
    Für mich war dieses Lektüre eine Reise in eine fremde, manchmal nahezu abstoßende aber doch irgendwie vertraute Welt, bin ich doch mit dem Pietkong, Zeltmission und einem Pfarrer, der einst in Pakistan missionierte, großgeworden.


    Fundamentalisten, damit sind im heutigen Sprachgebrauch in den meisten Fällen Islamisten gemeint. Doch eigentlich stammt der Begriff aus der christlichen Szene, als durch die Verbreitung der Naturwissenschaften im 19. Jhd viele fromme Amerikaner um ihr Fundament, eben die Bibel bangten. Diese bis zum heutigen Tage wortgläubigen Christen, Evangelikale, bekommen auch in Deutschland immer mehr Zulauf. Dabei ist schon die Begriffsbestimmung ausgesprochen schwierig, zum einen, weil sich unter diesem Sammelbegriff die verschiedensten freikirchlichen Vereinigungen tummeln, zum anderen sind auch die Übergänge zu den „etablierten“ Religionsgemeinschaften fließend.


    Dieses Buch versucht nun dieses Phänomen zu erklären und Glaubensgrundsätze aber auch Entwicklung dieser Gruppen nachzuzeichnen. Zunächst werden die Besonderheiten dieser bibeltreuen Christen thematisiert, etwa die radikale Ablehnung von Homosexualität als Sünde und Perversion, dem teilweise ziemlich martialischen Missionsauftrag oder den Glauben an Wunderheilung. Dafür haben die Autoren evangelikale Veranstaltungen besucht, Interviews mit Gläubigen, aber auch Aussteigern geführt und jede Menge Werbematerial, Bücher, CDs und Filme, ausgewertet.
    Und da fühlte ich mich plötzlich wieder in die 70er Jahre zurückversetzt, als ich als Achtjährige in einem Zelt auf dem Dorfplatz saß und fassungslos zuhörte, wie da vorne ein erwachsener Mensch mit dem Teufel drohte und den Herrn Jesus anflehte, diese armen Seelen zu retten, wenn sie nun auf der Stelle auf die Bühne treten würden, um ihre Sünden zu bekennen.
    Heutzutage füllen solche Prediger jedoch Konzerthallen, betreiben Radio- und Fernsehsender und sind auch im Internet vielfältig präsent.


    Nun könnte man meinen: lass die doch muddeln. Doch offensichtlich zeitigt die massive Überzeugungsarbeit ihrer Lobbyisten deutliche Erfolge. So scheinen sich vor allem die evangelischen Landeskirchen eine Scheibe vom evangelikalen Erfolg abschneiden zu wollen und vertreten immer bibeltreuere und erzkonservative Positionen, während Bundesminister als Schirmherren evangelikaler Veranstaltungen auftreten, auf denen offen verfassungswidrige Standpunkte vertreten werden, und diese sogar mit erheblichen Summen unterstützen. Eine derartige Aufweichung der Grenzen zwischen Staat und Kirche und eine damit einhergehendes Einsickern reaktionärer gesellschaftlicher Vorstellung in die aktuelle Politik ist meines Erachtens ausgesprochen bedenklich.


    Nun ist dieses Buch, ebenso wie meine Rezension, weder unparteiisch noch emotionslos. Doch die gründliche Recherche und die Fülle an Quellenangaben in diesem Buch lassen es durchaus legitim und sogar wichtig erscheinen, Position zu beziehen. Und das tun die Autoren.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von DraperDoyle ()

  • So, was soll ich sagen. DraperDoyle hat eigentlich schon alles geschrieben.


    Das Buch deckt sich mit den Erfahrungen, die ich in meiner Zeit unter überwiegend evangelikalen Kollegen sammeln konnte. Wobei es noch einmal etwas anderes ist, das Buch zu lesen oder die Menschen persönlich kennen zu lernen, denn obwohl ich am Anfang sehr misstrauisch war, mochte ich dann doch viele meiner Kollegen sehr gern, auch wenn sie komisches Zeug geglaubt haben und zum Teil Ansichten hatten, die ich nicht immer teilen konnte (wahrscheinlich sagen sie von mir das Gleiche ;-)).


    Wobei ich dann auch doch erstaunt war, wie unterschiedlich die Meinungen zu manchen Themen, z.B. Homosexualität dann doch waren, wenn man sich mal länger darüber unterhalten hat - unterschiedlicher als das Buch vermuten lässt. Es würde mir daher schwer fallen, eine ganze Gruppe pauschal zu dämonieren, auch wenn ich meine, dass einzelne Haltungen schlichtweg gefährlich sind und unnötiges Leid schaffen.


    Vieles, was ich in dem Buch gelesen habe, war mir nicht neu, aber mich hat doch sehr erschrocken, dass Schulen, die nicht dem Lehrplan folgen, die den Schülern beibringen, dass Homosexualität eine Sünde ist und Kreationismus in den Biologieunterricht einschleusen staatliche Unterstützung bekommen. Und dass das Familienministerium das "Christival" mit 250.000 Euro unterstützt hat. Ich wusste zwar, dass Ursula von der Leyen 2008 die Schirmherrschaft übernommen hatte, und dass das ziemlich umstritten war, aber mir war nicht klar, dass da solche Summen im Spiel waren.


    Insgesamt fand ich das Buch ein wenig Pfingstler-lastig. Als Beispiele wurden oft charismatische Gemeinden herangezogen, was ich ein bisschen einseitig fand. Aber ansonsten fand ich es sehr informativ und lesenswert.