Schreibwettbewerb November 2009 - Thema: "Ende"

  • Thema November 2009:


    "Ende"


    Vom 01. bis 20. November 2009 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb November 2009 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von Mira Martha



    Mein Schwiegervater war leidenschaftlicher Hypochonder. Ein beneidenswertes Hobby, wenn es richtig ausgelebt wird, so, wie es mein Schwiegervater mit Herzblut tat. Er war in seiner Hingabe für uns nahezu ein Vorbild.


    Ich weiß noch, als ich meiner Schwiegermutter zu Weihnachten einen Kunststoff-Blumen-Strauß mitbrachte. Was passiert war, als ich einmal echte Blumen mitbrachte, mag ich an dieser Stelle gar nicht niederschreiben.
    Kurz nachdem mein Schwiegervater den Raum betrat, ging es aber doch los. Seine Augen sammelten sich mit überschwappendem Wasser, seine Nase lief und im ganzen Gesicht wurde er rot. Fasziniert starrte ich ihn an. Wie schafft er es, das seinem Körper abzuverlangen? Dann kam das übliche Gebrülle: „Ich habe Heuschnupfen! Wieso stehen da Blumen? Wollt ihr mich umbringen?!“ Herrlich.


    Letzten Sommer hatte er eine Zecke am Arsch. Wie sie dahin kam, lassen wir an dieser Stelle unbeantwortet, zweifeln aber am gesunden Zeckenverstand der selbigen. Meine Schwiegermutter hatte sich dem guten Stück (dem Hintern ihres Mannes) angenommen und das Tier vorschriftsmäßig(!) entfernt. Ein bildliches Vorstellen der Situation ist an dieser Stelle aus ethischen Gründen nicht angebracht. Sie dokterte mit diversen Mittelchen an seinem Gesäß herum. Danach beobachteten die Beiden genauestens das rosa Pünktchen, aus dem das Köpfchen des Zeckchens gezogen wurde. Nach einer Stunde war das Löchlein noch zu sehen. Besonnen, wie die Beiden waren, fuhren sie auf dem schnellsten Wege ins Krankenhaus. Mein Schwiegervater lag bäuchlings auf der Rückbank, seinen Allerwertesten hoch erhoben. Ein Sitzen auf dem selbigem war ihm bereits nicht mehr zuzumuten. Borreliose und Meningoenzephalitis waren kaum noch aufzuhalten. Mein Schwiegervater verspürte bereits die ersten Lähmungserscheinungen.
    Im Krankenhaus angekommen wagte man, sie WARTEN zu lassen. Wussten die nicht, dass es hier um LEBEN und TOD ging? Nach STUNDEN erklärte ihm ein junger Arzt, nach Besichtigung seines Hinterteils, dass er mit etwas prophylaktischem Antibiotika wieder NACH HAUSE könne. Ja, werden denn die Mediziner heutzutage nicht vernünftig ausgebildet?
    „Jetzt lassen wir uns ganz gegen Zecken impfen!“ sagte mein Schwiegervater später heroisch am Telefon. Das wird die Zeckenwelt hart treffen.


    Letzte Woche verstarb mein Schwiegervater überraschend. Für nicht-nahestehende Personen, kam es nicht gerade plötzlich, da seine Krankheiten natürlich über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt waren. Für uns war es aber doch unerwartet. Nicht, dass wir ihn zu spät gefunden hätten. Nein. Er saß die ganze Zeit neben uns. Erst nach gewisser Zeit, als es auf 18Uhr hinging und damit auf sein Tabletten-Rondell-Ritual, bemerkten wir, dass er selbst für seine Verhältnisse unangemessen dramatisierte.
    Als der Notarzt (Der erst „nicht schon wieder“ kommen wollte.) sagte, dass er bereits seit zwei Stunden tot sei, sagte meine Schwiegermutter nur: „Das kann aber nicht sein! Ich habe mich vor einer halben Stunde noch mit ihm unterhalten!“ Und das können wir bezeugen. SIE hatte sich unterhalten.
    Später erfuhren wir, dass er an "Antimonium arsenicosum D200" erstickt war. Er hatte es gegen das Rasseln und Pfeifen in der Lunge genommen. Wenn er sich abends auf die rechte Seite in einen 42°-Winkel gelegt hatte, konnte er vor Krach nicht einschlafen.
    Gewirkt hat es dann ja.

  • von churchill



    Vor dem Ersten
    Das Thema registrieren
    Kurze Gedanken machen
    Sacken lassen


    Um den Zehnten
    Ans Thema erinnern
    Alte Gedanken verwerfen
    Zurück lehnen


    Nach dem Fünfzehnten
    Vom Thema getrieben
    Neue Gedanken entwickeln
    Kribbeln spüren


    Am Zwanzigsten
    Das Thema persiflieren
    Letzte Gedanken jonglieren
    Taste drücken


    Am Einundzwanzigsten
    Bearbeitetes Thema betrachten
    Fremde Gedanken bewerten
    Punkte geben


    Nach dem Fünfundzwanzigsten
    Variiertes Thema analysieren
    Kommentierende Gedanken formulieren
    Frech werden


    Am Neunundzwanzigsten
    Bearbeitetes Thema einordnen
    Frustrierte Gedanken unterdrücken
    Manchmal freuen


    Vor dem Ersten
    Kein Thema erfahren
    Alle Gedanken stoppen
    Leise weinen

  • von Quetzalcoatlus



    Als der Baiji den chinesischen Fluss Jangtse für immer verließ, um in eine für ihn neue Sphäre überzuwechseln, bestand seine erste Wahrnehmung aus drei Worten.
    „Alles geht vorbei.“
    Der Atlasbär sah ihn bedächtig aus wässrigen Augen an.
    „Ich weiß“, entgegnete der Baiji. „Ich hatte nur gehofft, meine Zeit würde noch ein wenig länger währen.“
    „Gehofft haben wir alle bis zuletzt“, quiekte der Seenerz. „Aber eigentlich weiß jedes Lebewesen, dass der Kampf verloren ist, bevor das Ende tatsächlich kommt.“
    Die Goldkröte quakte bestätigend. „Wenn sie erst einmal den eigenen Lebensraum erreicht haben, ist sehr schnell erkennbar, ob der Untergang über kurz oder lang unvermeidlich ist.“
    Im Hintergrund zirpte es leise. „Bei mir war es anders“, meinte die Felsengebirgsschrecke. „Ich hatte kaum Gelegenheit zu reagieren. Seht ihr, manchmal greifen sie nicht unmittelbar an. Sie verändern jedoch die Umgebung. Und ohne es zu merken, findest du dich plötzlich in einer fremden Welt wieder.“
    „Letztlich spielt es keine Rolle, wie rasch die Vernichtung voranschreitet“, zwitscherte der Fadenhopf. „Eine Weile kannst du ausweichen. Irgendwann sind sie überall.“
    „Es ist der Lauf der Welt“, knurrte der Beutelwolf. „Unsere Zeit war nun mal abgelaufen.“
    „Man nennt es Schicksal“, bestätigte der Paradiessittich.
    „Ich weiß“, sagte der Baiji erneut. „Ich hadere nicht mit den Schmerzen der Vergangenheit. Ich möchte nur gerne die Gründe erfahren. Warum benötigen sie so viel Raum und so viele Ressourcen? Warum besetzen sie jeden verfügbaren Lebensraum für sich allein? Wenn man sie doch fragen könnte …“
    „Keine Sorge“, dröhnte die Riesenseekuh. „Du wirst die Gelegenheit erhalten.“ Die Falten auf ihren Flossen schienen sich zu bewegen wie gemütliche graue Raupen. „Alles geht vorbei.“

  • von Bildersturm



    „Heute ist ein guter Tag zum Sterben.“ Es klang ein bisschen gekünstelt.
    „Hm“, machte ich abwesend und kickte einen Dreckklumpen ins Gurkenbeet.
    „Nein, ernsthaft.“
    „Okay.“
    Die Katze und ich saßen auf der flachen Steinmauer, die das Laubengrundstück von den anderen Parzellen trennte. Die Sonne war vor einer Stunde hinter den Hügeln aufgetaucht und hatte die laue Luft dieses Sommermorgens bereits in behäbige Wärme verwandelt. In der Ferne, irgendwo hinter den Ligusterhecken am Ende des Feldweges, war das gedämpfte Rattern eines vorbeifahrenden Güterzuges zu hören und aus einem anderen Garten wehte ein altes Kofferradio Shakin’ Stevens herüber. And when I'm looking in those big blue eyes, I start a'floating round in paradise, you drive me cra-a-azy. Die Katze wiegte versonnen ihren Kopf im Takt der Melodie, während sie dem Nachklang ihrer Worte lauschte. Dann leckte sie ihre Pfote und begann hinter dem linken Ohr mit ihrer Morgenwäsche.
    „Moment mal“, sagte ich.
    „Was ist?“ Die Katze hielt mitten in der Bewegung inne. Es sah umwerfend komisch aus.
    „Du wirst doch keinen Blödsinn machen?“, fragte ich besorgt.
    „Nee“, sagte die Katze.
    „Gut“, erwiderte ich. „Das Leben ist viel zu kostbar, um es wegzuwerfen.“
    „Phrasendrescher“, entgegnete die Katze. „Ich will mich nicht umbringen. Wär’ auch ’ne Menge Arbeit, mit neun Leben und so. Nein, ich meine die da.“
    Sie deutete mit der Pfote auf einen Holunderbusch. Es raschelte geschäftig, und ein paar Zweige wackelten. Ich kniff angestrengt die Augen zusammen, aber ich sah nichts.
    „Die da“, wiederholte die Katze ungeduldig. „Die Graufelle halt. Ratten.“
    Aus dem Busch war aufgeregtes Geflüster zu hören. Ich schaute die Katze ungläubig an.
    „Du und welche Armee?“
    Die Katze grinste und machte einen vielsagenden Kopfschlenker nach hinten. Mein Blick folgte ihrer Geste. Am gegenüberliegenden Wegesrand schob sich etwa ein Dutzend zerstrubbelter Katzenköpfe nach oben. Ich pfiff anerkennend.
    „Die sehen aber mies gelaunt aus.“
    „Und motiviert“, ergänzte die Katze. „Durch nichts aufzuhalten.“
    „Aha.“
    Die Katze musterte mich enttäuscht. „Sonderlich enthusiastisch klingt das aber nicht.“
    „Entschuldige, wenn ich nicht zum Adjutanten eines geborenen Kriegsherrn tauge.“
    „Nun überdramatisiere mal nicht.“ Die Katze sprang von der Mauer und drehte sich zu mir um. „Es geht hier um unser Revier. Wir verteidigen nur unser Eigentum.“
    „Du weißt schon, dass das mein Garten ist, oder? Ich kann mich nicht erinnern, dich hier schon mal mit ’ner Gießkanne am Gurkenbeet gesehen zu haben. Und deine Kumpels auch nicht.“
    Die Katze winkte ab. „Du wirst unsachlich. Das Ergebnis zählt. Das, was am Ende dabei rauskommt. Ich muss zur Lagebesprechung.“ Sie reckte sich wichtig und spazierte davon.
    Ich stand ebenfalls auf. „Viel Spaß. Ich geh frühstücken.“
    Die Katze blieb so plötzlich stehen, dass ich beinahe über sie gefallen wäre. „Oh.“
    „Ja?“
    „Weißt du, so wichtig sind die Graufelle auch nicht.“ Sie richtete sich auf und stieß einen Pfiff aus. Drüben kamen wieder die Köpfe nach oben.
    „Jungs, Krieg ist heute abgesagt,“ brüllte die Katze hinüber. Ein enttäuschtes Miauen ertönte als Antwort. Sie drehte sich wieder zu mir. „Gehen wir frühstücken?“