Kompletter Titel
Fromms: Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel
Kurzbeschreibung
Die Geschichte der Firma "Fromms Act" und ihres Gründers Julius Fromm ist ein eindrucksvolles Stück politischer Sittenkunde der Deutschen im 20. Jahrhundert. Götz Aly und Michael Sontheimer erzählen, wie der Sohn armer jüdischer Wirtschaftsmigranten aus Russland 1923 in Berlin mit der Massenproduktion von Kondomen anfing und das begehrte wie umstrittene Produkt in Deutschland zum Erfolg führte. Hermann Göring ließ die florierende Firma 1938 seiner Patentante zukommen. Im Gegenzug schenkte sie ihm zwei Ritterburgen. Fromms erhebliches Vermögen überführten deutsche Beamte in Hitlers Kriegskasse. Der Gummifabrikant und die meisten Mitglieder seiner Familie konnten aus Berlin fliehen und überlebten den Holocaust - über den Globus verstreut. Doch nach dem Krieg enteigneten deutsche Kommunisten Julius Fromm ein zweites Mal.
Über den Autor
Götz Aly, geb. 1947, Historiker uns Publizist, zahlreiche Gastprofessuren, u.a. am Fritz Bauer Institut der Universität Frankfurt/M.; Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste zu Berlin und Marion-Samuel-Preis der "Stiftung Erinnern". In den Fischer Verlagen u. a.: "Vordenker der Vernichtung" (mit Susanne Heim); "'Endlösung'"; "Das letzte Kapitel. Die Ermordung der ungarischen Juden" (mit Christ. Gerlach); "Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen"; "Im Tunnel. Das kurze Leben der Marion Samuel 1931-1943", "Hitlers Volksstaat", "Volkes Stimme" (als Hg.) sowie "Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück".
Michael Sontheimer, geboren 1955, studierte Geschichte, Politologie und Publizistik. 1979 - 1983 Gründungsmitglied der "tageszeitung"; anschließend Redakteur bzw. Autor der "Zeit", 1992 - 1994 Chefredakteur der "tageszeitung", danach Mitarbeiter beim "Spiegel" und Autor in- und ausländischer Zeitungen. Zahlreiche Bucher, darunter: "Antes & Co. - Geschichten aus dem Berliner Sumpf" (zus. mit J. Vorfelder, 1986) und "Bilder des Zweiten Weltkriegs" (als Hg., 2005).
Meine Meinung:
Aly und Sontheimer haben hier eine Geschichte ausgegraben, die in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück der jüngeren deutschen Vergangenheit darstellt.
Dabei hat mich dieses Buch auf verschiedenen Ebenen beeindruckt.
Da ist zunächst einmal die klassische Tellerwäschergeschichte des Israel Fromm, Kind armer Ostjuden und eines von acht Geschwistern, der Anfang des 20 Jhd. mit seiner Familie aus Konin in Polen nach Berlin kam. Trotz einfachster Lebensbedingungen im Berliner Scheunenviertel, geringer Schulbildung und dem frühen Tod der Eltern schafft es dieser Israel, der sich nun Julius nannte, innerhalb kürzester Zeit nicht nur, Chemie zu studieren, sondern auch Bahnbrechendes in der Gummiverarbeitung zu erfinden und eine Kondom-Weltmarke zu etablieren.
Und da sind wir schon beim zweiten interessanten Aspekt dieser Biografie: der Verbreitung des Kondoms als Massenverhütungsmittel. Als ein wirkungsvoller Schutz vor der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten vor allem in Kriegszeiten, wurden Kondome zwar von den Machthabenden durchaus wohlwollend betrachtet (und waren in Feldbordellen Pflicht), aber der verhütende und somit moralisch fragwürdige Effekt der Kondome, spaltete die Gesellschaft und führte zu wunderbar verklausulierten Formulierungen bei der Bewerbung dieses Produktes in den 20er, 30er Jahren.
Am eindrucksvollsten war jedoch für eine in historischer Quellenforschung vollkommen Unerfahrenen wie mich die Akribie, mit der in NS-Akten das dokumentiert wurde, was nun folgte: Julius Fromm floh 1938 nach England, sein Besitz wurde verteilt. Aber nicht einfach so, bürokratisch wurden alle Rechtswege verfolgt, Fromm gerichtlich nach seiner Ausbürgerung als feindlicher Ausländer formal wieder eingebürgert, um die deutschen Gesetze anwenden zu können. Peinlichst wurde der Verkauf seines Haushaltes an Ausgebombte dokumentiert, welches Lieschen aus welcher Straße für wieviel Mark eine Suppenterrine ersteigerte und wer sich die wertvolle Standuhr unter den Nagel riss. Zwar ist dieser Aspekt ein Lieblingsthema Alys und hätte deshalb durchaus ein bisschen komprimierter ausfallen dürfen, im Großen und Ganzen aber fand ich diese Biografie thematisch und formell sehr gelungen.