Siri Hustvedt, "Was ich liebte"

  • Der Roman beginnt wie eine - fast will man sagen: typische -
    Beziehungsgeschichte aus dem New York der späten Sechziger. Zwei
    junge Männer lernen sich kennen, einer (der Ich-Erzähler)
    Kunsthistoriker, der andere Künstler, am Beginn seiner Karriere. Der
    Historiker Leo hat das Gemälde "Selbstportrait" von William "Bill"
    Wechsler gekauft (auf dem dieser nicht zu sehen ist, dafür aber seine
    spätere Frau Violet) und war so beeindruckt, daß er den Maler kennenlernen
    wollte. Die beiden verheirateten Männer freunden sich an, wohnen
    schließlich auch nahe beieinander, irgendwo im Village - der Beginn einer
    Freundschaft, die sehr, sehr lange anhalten wird. "Was ich liebte" liest
    sich anfangs etwas verkopft, ist durchsetzt von vielen klugen, manchmal
    belehrend erscheinenden Anmerkungen, Querverweisen, Zitaten, Hinweisen auf
    Bilder, Künstler, Autoren und andere Zeitgenossen. Hier besteht die
    Gefahr, daß sich Leser abwenden, die - zu unrecht - vermuten, daß die
    etwas eitel erscheinende Erzählweise anhält, daß es über sämtliche 500
    Seiten darum gehen wird, wer was gelesen und welches Bild wie
    interpretiert hat.


    Nach dieser etwas zähen, allerdings durchaus notwendigen Ouvertüre
    entwickelt sich eine sehr liebevoll, sanft, bestimmend, fein und
    intelligent beobachtete Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt die
    beiden alternden Männer, ihre Frauen und insbesondere Kinder stehen -
    Matthew und Mark, fast zeitgleich geboren. Die tragischen Schicksale der
    Jungs werden zum Spiegelbild für die Männer, zur Nagelprobe für die
    Beziehungen, zur Herausforderung für die Frauen. Die Kunst, die bildende
    und abbildende Kunst, steht als Hintergrundthema über allem, dient dem
    Vergleich, aber auch als Kontext, moralische Ebene und Schlüssel zum
    Verstehen.


    Diesem zärtlichen, aber auch brutalen, zuweilen sehr schonungslosen, sehr
    gut geschriebenen, intelligenten und komischen, hauptsächlich
    optimistisch-traurigen Buch muß man unbedingt die Chance geben, die der
    erste Teil braucht, um das zu entwickeln, was Siri Hustvedt auf sehr
    eindringliche Art (und aus Sicht eines Mannes) erzählen will. Ein großer,
    schöner Roman, dessen Wirkung lange anhält, glücklicherweise.

  • So, nun hab ich dieses Buch auch endlich gelesen. Ich kann Toms positive Eindrücke und Meinung zum Buch wirklich nur bestätigen. Siri Hustvedt hat eine tolle Sprache - sehr klar und offen, das Buch zieht sowohl inhaltlich als auch sprachlich in seinen Bann. Ich hatte vorher leichte Bedenken, dass mich der Kunstaspekt im Buch eventuell abschrecken könnte, wenn er zu ausführlich behandelt wird, zumal Tom schrieb, die ersten 100 Seiten wären langatmig. Im Nachhinein muß ich sagen, dass sich das Buch mE von Seite zu Seite steigert, aber nie fad oder zäh war für mich. Eine fantastische Geschichte von einer Autorin, die ich mir sicher noch genauer ansehen werde!

  • Eine sehr schöne Rezi hast Du da geschrieben Tom :-). Trotzdem konnte ich leider dem Buch nichts abgewinnen. Wahrscheinlich, weil ich in denen von Dir prophezeiten 100 Seiten nicht reingekommen bin. Für mich blieb das Buch bis weit über die Hälfte zäh, und ich hab es irgendwann genervt in die Ecke gelegt. Freu mich aber, dass es Euch so gefällt!

    LG Katja :wave


    "Die reinste Form des Wahnsinns ist es ,
    alles beim alten zu lassen .
    Und gleichzeitig zu hoffen , das sich etwas ändert."-Albert Einstein ."


    :lesend "FÜNF "- Ursula Poznanski

  • Ja, eine schöne Rezi von Tom und es bleibt mir eigentlich nur - mangels eigenem Vermögen - ganz banal zu schreiben, dass ich voll und ganz zustimme.
    Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich erinnere mich immer noch und gerne daran.


    Zwar fand ich den Anfang gar nicht soo zäh, aber ich hatte trotzdem nicht erwartet, dass es ein so stimmungsvolles und schönes Buch wird. Da hat einfach alles gepaßt und ich war fast ein wenig traurig, als ich es zu Ende gelesen hatte.


    Ich habe es auch schon weiter empfohlen, damit aber nicht wirklich einen Treffer gelandet. Schade drum.


    Viele Grüße
    Shirat

    Viele Grüße
    Shirat


    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere. (Groucho Marx)

  • Ich gestehe, dass mir das Lesen dieses Buch nach und nach zur Last wurde.
    Aber weil ich dann eben doch wissen wollte, wie die Geschichte ausging, habe ich mich durchgekämpft.
    Für mich lag die Unterwältigung nicht am etwas zögerlichen Beginn. Was mir mehr und mehr auf den Wecker ging, war die Spannung, die beständig neu aufgebaut wurde, sich türmte, alles auf einen wirklich besonderen Moment zusteuern ließ und dann - geht jemand eine Treppe hinunter. Das war's dann schon.
    Klar. Schlüsselszene. Sicher. Aber ich schätze eben mehr das behutsame Understatement gerade in solchen Momenten.
    Zwar habe ich mein Glück nicht mit der deutschen Ausgabe versucht sondern mit der Originalversion, aber einstweilen hält mich dieses "Leseerlebnis" davon ab, es mit einem anderem Hustvedt-Buch zu versuchen.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • ..ich habe das buch Dezember 2004 gelesen und habe es in guter Erinnerung - auch mir ist es am Anfang etwas schwer gefallen, aber von Seite zu seite hat es mir mehr gefallen und am ende war ich faziniert davon - ich finde unbedingt lesenswert !!

  • Hey, ich hab ein kleines Problem und zwar hatte ich das Buch irgendwann mal ausgeliehen und nun hat mich ne bekannte nach einem bestimmten wort gefragt, das im zusammen hang mit der beschreibung von Platanen gefallen ist. Mir fällt das wort jedoch nicht wieder ein, ich glaube mich aber an die anfangsbuchstaben Ps.... zu erinnern kann mir da vielleicht jemand helfen, weil mir diese Frage nicht mehr aus dem Kopf geht.


    Liebe grüße

  • Tom : du hast recht. bei den ersten 100 seiten musste ich mich auch "durchkämpfen", doch dann wird man schliesslich mit einer tollen geschichte, einem schönen schreibstil und einem interessanten nebenthema - der kunst - belohnt.



    mein lieblingsbuch 2008

  • Bin gerade auf diesen Thread gestoßen. Er hat mich direkt angeregt, dieses Buch, dass ich vor mehreren Jahren gelesen habe, wieder zur Hand zu nehmen.


    Siri Hustvedt ist für mich eine der besten Autorinnen der Gegenwart. Sie versteht es, mit Understatement zu erzählen und den Leser sowohl zu fesseln als auch menschlich zu berühren.


    Ihre anderen Bücher sind ebenfalls sehr empfehlenswert.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Von Hustvedts "Die Leiden eines Amerikaners" war ich recht angetan, doch was diese faszinierende und aufregende Autorin mit "Was ich liebte" vorgelegt hat, spielt noch einmal in einer eigenen Liga. Von der ersten Seite an packend, mit Kunst als Grund- und Hintergrundthema, ohne je belehrend oder ermüdend zu wirken, erzählt sie eine famose, einfühlsame, gefühlige, aber nie kitschige Familiengeschichte, die (mich) gefangennimmt, fesselt und schlichtweg begeistert.


    Hustvedt hat einen sehr angenehmen Erzählton, unaufgeregt, aber doch so, daß man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht, schön ausformuliert, die Worte klar und überlegt gesetzt, mitunter symbolhaft. Die Figuren und ihre Beziehungen und Wechselwirkungen untereinander sind überzeugend gezeichnet, die Beziehung zwischen Violet und Bill ist ungemein intensiv und berauschend dargestellt. Aber auch der Ich-Erzähler Leo, der mir an manchen Stellen fast schon zu gut war, wird mit seinen unterdrückten Begierden, seinen zeitweise auftretenden Impulsen und seinen Entbehrungen glaubhaft dargestellt.


    Auch das Ende konnte mich voll und ganz überzeugen, hier widersteht die Autorin der Versuchung auf ein allzu billiges, märchenhaftes Klischeeende, sondern entscheidet sich für den realistischen Weg.


    Mein Lesehighlight des Jahres 2011, egal was noch nachkommt.

  • Zitat

    Original von mankell
    Mein Lesehighlight des Jahres 2011, egal was noch nachkommt.


    Gestern abend damit angefangen, weil ich schon so viel Gutes gehört/gelesen habe. Jetzt bin ich noch zusätzlich motiviert :-)

  • Bin gestern erst fertig geworden und die lange Lesezeit ist schon Indiz dafür, dass ich den Roman jetzt nicht unbedingt verschlungen habe.
    Es nervt mich selber, dass ich wieder meckern und kritisieren muss und nicht einfach mal restlos begeistert sein kann, aber ich habe mich mit dem Buch echt schwergetan.
    Einmal wegen dieses Künstlermilieus, das mir ziemlich fremd ist. Ich fand die ellenlangen Beschreibungen von Gemälden und Installationen sehr ermüdend und bin mit meiner Vorstellungskraft da schnell an Grenzen gestoßen.
    Dann hat mich die Fülle an Themen einfach erschlagen. Für mich wird da viel zu viel "durchgenudelt", das wirkt sehr überladen und lässt einem kaum Raum, das Erzählte auf sich wirken zu lassen ... Wirklich berühren konnten mich nur einige wenige Passagen.
    Während der Lektüre hatte ich immer das Gefühl, dass da unter der Oberfläche etwas gewaltig schwelt ... Dass da noch eine Art Enthüllung auf mich wartet ... In dieser Hinsicht hat mich die Autorin dann allerdings am ausgestreckten Arm verhungern lassen.
    Alles in allem habe ich keinen rechten Zugang zu diesem Roman gefunden. Von einem Highlight war er für mich leider weit entfernt. Ich fand ihn eher befremdlich.

  • Nachdem mir das Buch mehrfach empfohlen wurde bin ich glücklich es jetzt gelesen zu haben. Ich bin angetan vom Schreibstil, habe mich an der Geschichte begeistert und wünsche mir mehr solche Bücher. Für mich eins der Jahreshighlights 2011.
    Volle Punktzahl



    :wave

    :lesend Jonathan Tropper - Sieben verdammt lange Tage


    Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.
    Albert Einstein

  • Liebe Miteulen,
    lieber Tom et al,


    es ist schon eine Weile her, seit ich Siri gelesen habe (sieben Jahre? acht?) – und mir ging es ähnlich wie Tom: Die ersten 100 Seiten (bzw. sogar für mich die gesamte erste Hälfte des Romans) von "Was ich liebte" waren… nun ja… eher langsam, reizarm und handlungsscheu. Es passierte so wenig –


    aber dann!
    Und vielleicht ist das auch die Kunst, eine der vielen von Paul Austers Ehefrau Hustvedt – das, was danach folgt, die Brutalität des zu frühnen, viel zu frühen Todes, die abgelehnten Lieben, das Implodieren aller Leben, das Auseinanderbrechen der Bindungen und das Neufinden, Garnichtmehrfinden, Sich-verlieren – wirkt umso mehr und heftiger, weil der Auftakt so betulich, so unauffällig, so aktionsarm war.
    Als ob all das Nicht-Passieren erst den Resonanzboden konstruierte für den großen Gong und sein Echo.
    ((Himmel, wie liebte ich diese Briefgeschichte, wie eine der (Nicht)Heldinnen um eine Liebe kämpfte! (Ich mag nicht zuviel verraten).))


    Siri schreibt - meine ich - besser und vor allem weniger selbstverliebt als ihr Mann Paul Auster; komplexer sind ihre Figuren (Sie mag sie außerdem und führt sie nicht so vor wie Paul), ergreifender ihre Abgründe, außergewöhnlicher ihre Geschichten.


    Was ich liebte ist dennoch auch ein Roman, von dem ich nicht hätte sagen können, wenn mir die Autorin nicht bekannt wäre, ob es ein Mann oder eine Frau geschrieben hätte.
    Und das halte ich für ein Merkmal großer, zeitloser Literatur, die sich nicht um Mainstreamthemen kümmert, schon gar nicht um die ewig selben Themen der Romane von Frauen über bestimmte Sorten Frauen für Frauen – wenn es jenseits von Gender und Politik von Menschen, die mit sich selbst beschäftigt sind, und den Dingen, die ihnen sehr wahrscheinlich so passieren, erzählt.


    Ich muss mich oft eine Weile von Hustvedt erholen, wenn ich sie gelesen habe. So sehr unterhalte ich mich noch mit dem Gelesenen, taste den Absichten nach, versuche zu ergründen, warum manchmal die Distanz, die sie aufbaut, dennoch intim wirkt - ich weiß nicht, WIE sie das tut, was sie kann, und als Schriftstellerin macht mich das übrigens auch rasend.
    Aber angenehm.


    Ob "man" Hustvedt lesen sollte?
    Um sich eine andere Art Sprache und Betrachungskunst anzulesen: Ja, klar!
    Um es leicht zu haben: Sicher nicht.
    Um ein Buch für immer zu haben. Definitiv. Manchmal kommen Bücher in unser Leben, für das wir noch nicht lang genug gelebt haben. Manchmal ist es erst später Zeit dafür, und für so ein Buch halte ich "Was ich liebte".


    Ich glaube es lohnt sich vor allem dann, wenn man aus einem Lebensabschnitt in einen anderen gleitet; ob nach einer Trennung, Krankheit oder während des Neuverliebens. Man muss die Wucht, die Hustvedt dann in einem zündet, allerdings aushalten können; manchmal wirken ihre Geschichten so, als ob das, was einem zustößt, für immer so furchtbar bleibt.


    (Tut es nicht).


    herzlichst in die Nacht


    _Nina Mondspielerin

  • Ich habe das Buch gestern begonnen und bin mittlerweile auf Seite 64 angekommen. Obwohl ich den Schreibstil und die Beobachtungsgabe der Autorin bewundere, hält sich meine Begeisterung für den Roman bisher in Grenzen. Das literarisch ausgeleierte Setting (Hochschullehrer und Künstler aus der finanziell gesicherten jüdisch-intellektuellen Klasse im Village - fällt denen einfach nichts Neues ein, oder kennen sie überhaupt nichts anderes?) birgt keine Überraschungen mehr, die intellektuelle Wichtighuberei ("...und dann sprachen wir eine Stunde lang über Adorno") lässt mich bestenfalls nachsichtig schmunzeln. Die größten Probleme habe ich allerdings mit den Protagonisten. Außer zu Violet, die sich mit einem neugierig machenden Auftritt einführt und dann postwendend wieder abtaucht, finde ich zu keiner einzigen Person Zugang. Dabei stört mich weniger, dass mir keine der vier Hauptpersonen sympathisch ist, sondern vor allem, dass mich ihre Befindlichkeiten so herzlich wenig interessieren. Eure Probleme möchte ich haben, war ich schon mehrfach versucht, ihnen zuzurufen. Am stärksten nervt mich der knochenlose Erzähler Leo mit seinem unterschwelligen Selbstmitleid - wie ist der eigentlich zu seinem Sohn gekommen? Mir diesen Jammerlappen beim Sex vorzustellen, hat etwas Erheiterndes.


    Nachdem viele von euch mit dem Anfang des Romans ihre Schwierigkeiten hatten, hege ich die Hoffnung, dass er sich auch für mich positiv entwickelt. Ich werde nicht abbrechen, sondern ungeduldig darauf warten, dass die Autorin die Geschichte in Schwung bringt und ihr fraglos großes Talent auf interessantere Konflikte verwendet.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau
    Eure Probleme möchte ich haben, war ich schon mehrfach versucht, ihnen zuzurufen.


    Ich glaube nicht, dass du diesen Satz nach Beenden des Buches immer noch sagen würdest, also bleib dran.


    Ich bin jemand, der das Buch ziemlich eindrucksvoll fand und irgendwie berührt es mich noch immer - ich habe es allerdings nur Freundinnen empfohlen.