Walter Kempowski - Alkor. Tagebuch 1989

  • Titel: Alkor. Tagebuch 1989
    Autor: Walter Kempowski
    Verlag: btb
    Erschienen: Juli 2003
    Seitenzahl: 608
    ISBN-10: 3442730937
    ISBN-13: 978-3442730933
    Preis: 12.00 EUR


    Nach „Sirius“ ist „Alkor“ das zweite Tagebuch welches ich von Kempowski gelesen habe. „Alkor“ ist das Tagebuch des Jahres 1989.


    Eine sehr interessante Lektüre, ist doch 1989 ein ganz wichtiges Jahr der deutschen Zeitgeschichte gewesen. Und gerade der biographische Hintergrund Kempowski macht das Tagebuch dieses Jahres so interessant. Aber Kempowski bleibt sich auch mit diesem Tagebuch treu. Verbohrt, selbstgerecht, kleingeistig und teilweise auch peinlich spießbürgerlich lässt er den Tagebuchleser an seinem Leben teilhaben.


    Kempowskis Paranoia gegen alles was auch nur annähernd „links“ ist führt leider dazu, dass man ihn nicht so richtig ernst nehmen kann. Aber das Tagebuch ist auch ein Spiegelbild seiner fast schon unglaublichen Zerrissenheit. Einerseits ist er ein durchaus ernstzunehmender zeitgenössischer Autor, andererseits ist er aber auch nichts anderes als ein nervtötender Erbenszähler. Zudem hat man den Eindruck, dass er auch neidisch auf erfolgreichere oder vermeintlich erfolgreichere Kolleginnen und Kollegen ist.


    Kempowski ist sicher ein Schriftsteller der aufgrund seiner Tagebuchaufzeichnungen polarisiert. Manchmal wünschte man ihm mehr Gelassenheit, gerade auch bei den alltäglichen Dingen des Lebens. Seine Sicht auf die Dinge ist sehr oft verbohrt und wie bereits gesagt kleingeistig. Oftmals schimpft er erst im Nachhinein über die Menschen die ihm auf diese oder jene Art begegnet sind – direkt und gradlinig diesen Menschen seine Kritik offen ins Gesicht zu sagen scheint nicht so sein Ding zu sein.


    Ein wirklich interessantes Stück erlebte Zeitgeschichte, eine Sichtweise die sicher polarisiert – zum Lesen empfohlen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Voltaire ()

  • Danke für die Rezension, ich habe mir den Band gleich bestellt. Obwohl ich mich angesichts der zahlreichen Dokumentationen zum Jahr 1989 eh schon ein wenig erschlagen fühle, ist Kempowski vielleicht eine ganz gute Erweiterung.


    Wobei ich mich schon frage, warum Du ein Tagebuch liest, wenn Du eh schon weißt, dass der Autor und seine Ansichten Dich ärgern? Sind seine Beschreibungen und Beobachtungen so interessant und so gut geschrieben, dass sie das Kleingeistige und Sturköpfige überwiegen?


    Edit: Ich habe gerade auf die Seitenzahl geschaut - endet das nicht in etwas weitschweifiger Schwafelei?

  • Zitat

    Original von Vulkan


    Wobei ich mich schon frage, warum Du ein Tagebuch liest, wenn Du eh schon weißt, dass der Autor und seine Ansichten Dich ärgern? Sind seine Beschreibungen und Beobachtungen so interessant und so gut geschrieben, dass sie das Kleingeistige und Sturköpfige überwiegen?


    Edit: Ich habe gerade auf die Seitenzahl geschaut - endet das nicht in etwas weitschweifiger Schwafelei?


    Auch wenn Kempowski mich nervt - so finde ich seine Tagebücher trotzdem interessant und wirklich lesenswert. Er polarisiert halt. Und zudem scheint er wirklich auch das aufzuschreiben was er denkt. Er versucht nicht - und das muss man ihm zugute halten - "Everbodies Darling" zu sein.


    Ich habe nicht den Eindruck das Kempowski schwafelt. Er beschreibt seine Sicht der Dinge und man weiß eigentlich auch immer bei ihm woran man ist. Drumreden tut er eigentlich nicht.


    Bin sehr gespannt was du zu diesem Buch sagst. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich hábe alle seine erschienen Tagebücher gelesen, weil ich ein Kempowski Fan bin, ich fand sie klasse und vertritt viele meiner Ansichten. Ich habe auch alle Romane von ihn, sowie das die Werke vom Echolot. Schade das er zu früh gegangen ist, sonst hätte man vielleicht noch mehr zu lesen bekommen. :lesend

    Zitat

    Bücher haben Ehrgefühl, wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück. T.Fontane


    :lesend :fruehstueck
    Ich lese Thomas Mann; Der Zauberberg;

  • Könntet Ihr mir kurz auf die Sprünge helfen?
    Ich stutze gerade, weil am Anfang jedes Tagebucheintrages die Schlagzeile aus "Bild" und "ND" genannt wird. Wisst Ihr, ob er das ND (ich musste erst mal prüfen, ob wirklich das DDR-Blatt gemeint ist) immer las? Konnte man das in der Bundesrepublik abonnieren? Ich fand es immer selbstverständlich, dass DDR-Bürger bundesrepublikanische Nachrichten sahen (wenn möglich), aber dass DDR-Presse auch wahrgenommen wurde, ist mir nie in den Sinn gekommen.

  • Zitat

    Original von Vulkan
    Könntet Ihr mir kurz auf die Sprünge helfen?
    Ich stutze gerade, weil am Anfang jedes Tagebucheintrages die Schlagzeile aus "Bild" und "ND" genannt wird. Wisst Ihr, ob er das ND (ich musste erst mal prüfen, ob wirklich das DDR-Blatt gemeint ist) immer las? Konnte man das in der Bundesrepublik abonnieren? Ich fand es immer selbstverständlich, dass DDR-Bürger bundesrepublikanische Nachrichten sahen (wenn möglich), aber dass DDR-Presse auch wahrgenommen wurde, ist mir nie in den Sinn gekommen.



    Es war das "DDR-gestützte" ND. Aber auch das konnte man hier im Westen übrigens abonnieren. Das ND wurde ja auch nach der Wende weitergeführt.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich kann mich im Großen und Ganzen Voltaire anschließen. Im ersten Halbjahr überwiegen Einträge zu Kempowskis Arbeit - sowohl in seine Arbeit zum Echolot, als auch in seine Seminare bekommt man einen Einblick, v. a. in seine diversen Gedanken über seine Mitmenschen (wo ich mich manchmal frage, ob man mit 60 nicht schon langsam altersweise und -friedlich werden sollte), als auch über die Rezeption seiner Arbeit. Dies scheint ein wunder Punkt zu sein - Kommentare über Menschen, die seine Bücher nicht kennen, Buchhandlungen, in denen seine Bücher nicht stehen und Veranstalter, die ihn nicht einladen, finden sich doch sehr häufig. Irgendwann muss ich mal herausfinden, woraus der schlechte Ruf Kempowskis resultierte, der sich ja anscheinend in den 1990er Jahren dann etwas gemildert hat? :gruebel Er macht seine politische Haltung - die mir noch etwas nebulös ist - dafür verantwortlich. Einschätzen kann ich das nicht.
    Im zweiten Halbjahr gewinnen Einträge über die politische Entwicklung in Deutschland und Osteuropa zunehmend Bedeutung - das fand ich persönlich ganz spannend.
    Interessant fand ich die Passagen, in denen er über seine Arbeit am Echolot schreibt. Wobei ich mich da immer wieder fragte, warum der Mensch keine Bibliotheken nutzt, zumal der Materialaufwand für die Arbeit finanziell durchaus belastend war.


    Für Menschen, die gern Tagebücher lesen und sich ein Bild von Kempowski machen möchten, ist der Band sicher zu empfehlen.
    Ein bisschen gewundert hat mich, dass Kempowski mehr über Musikstücke geschrieben hat, die er gehört hat,als über Bücher, die er gelesen hat - ein Verhältnis, dass man bei einem Schriftsteller nicht unbedingt erwartet. Aber sein Musikgeschmack ist mir durchaus sympathisch. :grin