Tom Liehr - Pauschaltourist

  • Ihr kennt ja schon das Spiel: Alles, was näher auf den Inhalt eingeht, verstecke ich mittels Spoilerfunktion.


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    Tom Liehr: Pauschaltourist, Berlin 2009, Aufbau Verlag, ISBN 978-3-7466-2533-1, 335 Seiten, Softcover, 11,5 x 19 x 2,2 cm, EUR 8,96 (D), EUR 9,20 (A)


    „Ich bin achtunddreißig, lebe mit einer Frau und zwei Katzen zusammen, habe Publizistik studiert und im Nebenfach Literaturgeschichte, arbeite als Hiwi für ein Reisemagazin und hocke in einem gefängnisartige Touristen-Lager, das sich auf einer Insel befindet, die wie ein Atomwaffentestgebiet aussieht. Dazu trinke ich mit Erdöl verschnittenen Wodka und Bier, das vermutlich als Abfallprodukt bei der Kunststoffherstellung gewonnen wird.“ (S. 45)


    Nikolas Sender, 38, reißt in der Redaktionskonferenz die Klappe ein bisschen zu weit auf und hat plötzlich einen sechswöchigen Höllenjob an der Backe. Aus dem Mund seines Chefredakteurs hört sich das so an: „Wir könnten jemanden losschicken, der sich nur Pauschalangebote anschaut, vier, vielleicht sogar drei Sterne und weniger. Anonym. Und darüber berichtet. Jeweils eine Woche, mit allem Drum und Dran.“ (S. 21)


    Nicks Partnerin auf diesem Horrortrip ist ausgerechnet Nina Blume, die trinkfeste Chefin des Ressorts Weltreisen, die unter Flugangst leidet, eine Vorliebe für geschmacklos-enge Kleidung hat und stets ihren Pudel Bimbo mitschleppt. Na, Mahlzeit, das kann ja heiter werden! Wird es auch, zumindest für den Leser, wenn Nick und Nina samt Pudel mehrere Wochen lang durch die Pauschaltouristen-Hölle gehen.


    Gran Canaria: Abgezockt und ausgeknockt
    Ihre erste Station ist Gran Canaria. Dort treffen die beiden auf ein merkwürdiges Ritual, das sie fortan begleiten wird: das Reservieren der Hotelliegen am Pool mittels Badetüchern – morgens um halb fünf.


    Nach einer Nacht mit einer elfengleichen Schönheit sind Nicks gesamte Wertsachen weg. Dafür hat er nun Filzläuse. Die Ersatzbeschaffung von Laptop und Kamera endet im Fiasko, weil Nick sein Helfersyndrom nicht im Griff hat.


    Was ihre Mitmenschen beißt, für den Aufenthalt in so einer Touristen-Massenabfertigungsanlage einen Haufen Geld zu bezahlen und das ganze auch noch toll zu finden, erschließt sich weder Nick noch Nina. Ihr erster Artikel über dieses Reisefiasko schlägt ein wie eine Bombe. Privat läuft’s eher bescheiden: Nicks langjährige Lebensgefährtin Silke schickt ihn telefonisch in die Wüste, weil sie einen anderen hat. Sie räumt die gemeinsame Wohnung aus und verschwindet.


    Marokko: Fischnudeln und Reptilienschnitzel


    Nick und Nina begegnen einer Freundesclique aus Rostock und zwei, äh, Filmproduzenten. Bei einem peinlichen Showauftritt trifft Nick das Komikzentrum des Publikums, beim Bogenschießen trifft er etwas, worauf er gar nicht gezielt hat. Und bei einem Ausflug trifft er auf einen Reiseleiter, der mit missliebigen Gästen kurzen Prozess macht.


    Auch der zweite Artikel kommt hervorragend an. „Auf diesem Niveau muss es weitergehen“, befiehlt Chefredakteur Heino Sitz (S. 172), drückt Nick und Nina etwas Schmerzensgeld in die Hand und schickt sie weiter nach Mallorca.


    Mallorca: Die Mütter-Mafia schlägt zu


    Auf Mallorca gibt es Ärger mit einer wild gewordenen Mütterhorde, die kollektiv auf einen vermeintlichen Kinderschänder losgeht. Mit Nick geht wieder der gute Samariter durch, und Oliver von Papening, das Müttermobbingopfer, erweist sich als dankbar, wohlhabend und gut vernetzt. Er kennt sogar Nicks und Ninas Chef. „Mutterschutz“ heißt der Artikel, den die beiden über Mallorca abliefern. Und schon sitzen sie im Flugzeug nach Portugal.


    Portugal: Angeschmiert und abgeführt


    Ein junges niederländisches Ehepaar entpuppt sich ebenfalls als nette Bekanntschaft. Weniger erfreulich hingegen verläuft Nicks zufälliges Zusammentreffen mit einer Dame des horizontalen Gewerbes und ihrem Beschützer. Selbst das filmreife Eingreifen des beherzten Niederländers kann da nichts mehr retten: Nick landet im portugiesischen Knast.


    Durch Zufall erfährt unser Redakteur nun auch noch, wer ihm Lebensgefährtin Silke ausgespannt hat –und ist wie vom Donner gerührt. Wenigstens Nina ist glücklich. Ihr Lover hat versprochen, sich scheiden zu lassen.


    Ägypten: Hühnchen rupfen im Nobelrestaurant
    Ägypten ist die letzte Station dieser Touri-Ochsentour. Diese Etappe der Reise beginnt mit einer erfreulichen Begegnung beim Abflug und geht damit weiter, dass jemand gleich nach der Landung Ninas Koffer klaut. Ferner stellt sich die Frage, ob man eine naive Verkäuferin vor einem Heiratsschwindler warnen sollte oder nicht. Die Reise endet mit einem geschickt eingefädelten Showdown, bei dem in einem Nobelrestaurant diverse Personen zusammentreffen, die noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen haben. Das hat Konsequenzen ...


    Kaputte Typen, kaputte Träume
    Zart besaitet sollte man für diese Lektüre nicht sein. Hier fallen schon mal deutliche bis derbe Worte. Wer das abkann, wird sich köstlich amüsieren und nicht umhin können, bei der einen oder anderen Szene laut loszulachen.


    Manchmal bekommt man direkt Mitleid mit den schonungslos durch den Kakao gezogenen Urlaubszielen. Nein, möchte man am liebsten ausrufen, so öde und schrecklich ist es dort wirklich nicht! Und gar so kaputt und bescheuert wie im Buch sind die Leute in Wahrheit auch nicht. Oder doch ...? Es kommt einem erschreckend vieles bekannt vor. Das Körnchen Wahrheit in den Geschichten hat schon Felsbrockengröße.


    Doch das Buch ist mehr als eine saukomische Ballermann-Satire. Die Personen in dem Roman machen sich Gedanken über das Leben, über Ziele, Pläne und Träume. Ihre eigenen, und die der anderen. Freundschaften, Liebes- und Geschäftsbeziehungen werden hinterfragt, in Frage gestellt, beendet oder begonnen. Und am Schluss ist nichts mehr wie es war.


    Was aus den Personen (werden) wird, denen Nick und Nina auf ihrem Horrortrip begegnet sind, das erzählt uns der Autor im Epilog. Diese höchst vergnüglichen Ausblicke setzen den abgefahrenen Geschichten in dem Buch noch die Krone auf. Manch einem gönnt man sein Schicksal von Herzen. Bielefeld-Barbara, zum Beispiel. Und auch Emad, dem ägyptischen Hallodri.


    Der PAUSCHALTOURIST bietet tierisch komische Unterhaltung mit Sinn und Verstand – und fernab jeder political correctness. Vielleicht sollte man das Buch im Urlaub lesen. Egal, was einem dort dann widerfährt: Es wird einem halb so schlimm vorkommen ...

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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  • Ich kann mich den durchgehend positiven Rezensionen eigentlich nur anschließen. :-)


    Dieses Buch ist Toms erwachsenstes Buch, finde ich. Wir begeben uns darin in die Niederungen des Pauschaltourismus – einem Terrain, das ich bislang so noch nicht betreten habe und das ich auch keinesfalls betreten möchte. Lieber kaufe ich mir eine Dauerkarte fürs Freibad und bleibe daheim als an den Orten zu logieren, an denen Nikolas und Nina dienstlich absteigen müssen und als den ungenießbaren Fraß zu essen, der ihnen als „Lebensmittel“ deklariert wird.


    Die Charaktere sind durch die Bank interessant gestaltet. Lediglich Bimbo, sofern man ihn als Protagonist mit nennen möchte, blieb ein wenig blß. Ein vierbeiniger Statist eben. :lache


    Ich habe ein paar vergnügliche Lesestunden auf den Kanaren etc. mit Tom verbracht, heilfroh darüber, zuhause auf der Couch oder in der U-Bahn zu sein und nicht in der Hölle des Pauschalurlaubs. Was Jahr für Jahr Millionen Deutsche bewegt, für allerwenigstes Geld sich so etwas anzutun, konnte ich bereits vor der Lektüre des Buches nicht verstehen.


    Natürlich übertreibt Tom auch vieles in seinem Buch, aber da steckt sicher mehr Wahrheit dahinter als sich der eine oder andere vorstellen mag.


    Einziger kleiner Kritikpunkt von meiner Seite: so sehr ich auch Toms kreative Sprachspielereien und Wortschöpfungen liebe – aber diesmal waren es mir dann doch eine Handvoll zuviel. Meinem Lesevergnügen hat das allerdings keinen Abbruch getan. Alles in allem hatte ich viel Spaß mit diesem Buch, nur leider viel zu wenig Lesezeit, so daß ich kaum mit der Lektüre vorankam. :-(

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Wäre ich letzte Woche nur zwei Stunden länger unterwegs gewesen, hätte ich das Buch in einem Rutsch gelesen. So habe ich eine Woche gebraucht, weil ich im Moment wirklich zu gar nichts komme.


    "Pauschaltourist" ist das zweite Liehr-Buch, das ich gelesen habe ("Idiotentest" steht noch ungelesen im Regal), und ich fand, dass hier der Foren-Tom ganz deutlich durchkam. An einigen Stellen hatte ich das Gefühl, die Grundaussage schon einmal hier im Forum gelesen zu haben. Das mochte ich, und gleichzeitig hat es mich irritert, weil ich dadurch das Gefühl hatte, den Autoren zu kennen, was allerdings nicht der Fall ist.


    Die Charaktere des Buches fand ich sehr lebendig, Nina Blume mochte ich besonders, weil sie mich an eine Freundin erinnerte. Die Beschreibung der Urlaubsorte fand ich ebenfalls großartig, auch wenn einiges vermutlich überzogen war.


    Nur eines hat mich massiv gestört: Die ständigen Betonungen bestimmter Wörter durch Kursivdruck. Ich habe mich belehrt gefühlt, und das mag ich in Romanen nicht. Ich finde, man sollte dem Leser durchaus zutrauen, die Aussage des Satzes von alleine zu kapieren. Die Betonung hat vielen Sätzen ein bisschen den Witz genommen, weil dadurch meines Erachtens teilweise sogar die Pointe erklärt wurde. Und das geht bei Witzen nun gar nicht.


    Ansonsten fand ich das Buch aber großartig und werde endlich mal "Idiotentest" aus dem SuB befreien. :-)

  • Vandam , Batcat und Nikana: :anbet :anbet Freut mich sehr, dass Euch das Buch so gefallen hat. Übrigens wird gerade die zweite Auflage gedruckt.


    Nikana : Das mit den Kursiven ist so eine Sache - ich liebe sie. In meinen vorigen Büchern habe ich das noch intensiver betrieben; ich habe mich also schon gebessert (in "Radio Nights", meinem Erstling, flackert das Schriftbild nachgerade). Aber ganz davon loskommen werde ich vermutlich nie. :grin

  • Für mich war dieses Buch eins der Besten die ich diesen Monat gelesen habe, wenn nicht sogar das Beste. Augen zu, und man sah alles bildlich vor sich. Diese ganze Situationskomik war schon herzerfrischend und beim Bogenschießen in Tunesien dachte ich nur "da jetzt", aber es kam ja noch besser... :grin Orte die man selbst schon besucht hat erschienen auf einmal in einem ganz anderen Licht.
    Ein echt tolles Buch für vergnügliche, aber leider viel zu wenige Lesestunden.

    Manchmal ist es besser durch Schweigen den Eindruck von Inkompetenz zu erwecken, als durch Reden letzte Zweifel daran auszuräumen.


  • Eigentlich ist das Buch ganz anders als die bisherigen von Tom Liehr, eigentlich ist er genauso wie die anderen Bücher von Tom Liehr. Es geht nicht um die verspätete Erkenntnis eines Menschen in der Entwicklung zur Reife, zum Erwachsen werden. Er geht aber durchaus um eine Entwicklung.


    Nikolas Sender steckt in einer Sackgasse. Als Leserbrief und Rätselonkel lebt er so vor sich hin, die langjährige Beziehung zu Freundin Silke ist längst in Gewöhnung aneinander abgeglitten, die Einsicht in das drohende Ende der Beziehung aber fällt schwer, ausbrechen, etwas Neues anfangen, Risiko eingehen ist Nikolas Ding eigentlich nicht und so geht er lieber mit Freund Steini auf ein Bier als sich um eine Neuorientierung sei Nachdem der mit ihm über die Arbeit und das Magazin dessen Rätselseite Nikolas bearbeitet philosophiert kommt Nikolas auf die Idee in der Redaktionskonferenz in der er eigentlich als Looser nur geduldet ist einen Vorschlag zu machen- mit weitreichenden Folgen für ihn und seine Entwicklung. Ausgerechnet mit Nina Blume- Ressortleiterin Weltreisen, Trägerin von Wurstpellenhosen, sonnenstudiogebräunt und wegen ihrer Flugangst für Reisereportagen absolut ungeeignet soll er entgegen der klassischen sieben Sterne Hochglanzreportagen der klassischen vom Hotelier umschwärten Reisejournalisten eine Undercoverreportage aus den Bettenburgen des Grauens unternehmen. Sechs Wochen an den Stränden der Pauschalurlauber- Gran Canaria, Antalya, Marroko, Algave, Hurghada und natürlich Malle. Nina Blume ist Niklas bisher nur damit aufgefallen, dass im Hause das Gerücht umgeht, sie habe ein Verhältnis mit dem Chef, Heino Sitz und dadurch, dass sie nie unterwegs ist ohne ihren Pudel Bimbo, früher Heino umbenannt weil der Chef den Ruf "Heino, sitz" nicht mehr ertragen konnte.


    Was die beiden Protagonisten da so alles mit anderen, aber auch mit sich selbst erleben, welche Horrorgeschichten mt all-inklusive Hotels und Hotelliers, mit Badetuchliegenreservierern und mit Ausflugsfahrten, welche persönlichen Konflikte ausbrechen und wie sich das entwickelt- das muss man selber lesen. Gewohnt mit hintersinnigem Humor, aber eben auch mit einer Entwicklung der Charactere, einer Reifung der Persönlichkeiten, ein echter Tom Liehr eben. Großes Lesevergnügen ohne Comedyplattheiten.

  • Hallo zusammen,


    da schon zwei gute Rezis hier stehen, möchte ich nur noch anfügen, dass der, dem Toms Schreibstil zusagt, sicher ganz schnell auch die anderen Bücher lesen wird.
    So geht es mir zumindest immer, wenn mir etwas gefällt.


    Angeregt durch Toms Beiträge hier im Forum -auch, wenn ich teilweise anderer Meinung bin- habe ich sein erstes Buch gelesen.
    Jeder hat sicher so seine Schreibstile, die er/sie bevorzugt liest.


    Mit einem herzlichen Glückauf
    Uli

  • Ein großartiger Lesespaß :-). Kann mich da nur den vorangegangenen Rezensionen anschließen. Großartig wie ein Autor versuchen kann Vorurteile zu schüren, nur um dann die Figur gegen jedes Klischee handeln zu lassen. Auch diese Bemerkungen in Nebensätzen haben dieses Buch lesenswert gemacht.
    Einziger Kritikpunkt von meiner Seite ist eigentlich das letzte Kapitel.


    Nichts desto trotz ein wirklich gelungenes Werk :-)

  • Ich hab das Buch ja einem kampferprobten ehemaligen Reiseleiter geschenkt, der jetzt im Unruhestand ist. Er meinte, er habe so manches aus seiner aktiven Zeit wiederkannt und an einigen Stellen laut gelacht. Allerdings war ihm die Sprache ein wenig zu, äh, explizit. Das könnte auch eine Generationenfrage sein.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Heute morgen begonnen, eben fertig gelesen!
    Wunderbare Unterhaltung, wie ich sie mag!
    Sprachstil, Humor, Charaktere ...ach, was soll ich sagen: mir hat einfach alles gefallen! Ein rundum gelungener Roman!
    Danke sehr dafür!

    Das Leben ist bezaubernd, man muss es nur durch die richtige Brille sehen.
    Alexandre Dumas [fils, Sohn, der Jüngere] (1824 - 1895), französischer Schriftsteller
    LG
    Christiane

  • Gestern in einem Rutsch durchgelesen und für sehr gut befunden:


    Rätselecken – Redakteur Nikolas Sender wird per Redaktionssitzung dazu verdonnert, zusammen mit seiner Kollegin Nina Blume dem „Pauschaltourismus“ auf die Spur zu gehen. Den beiden steht eine sechswöchige Tour durch verschiedene Touristenghettos bevor. Zusammen müssen sie sich nicht nur Ninas Flugangst stellen, sondern auch undefinierbaren Speisen und mit Salzwasser gekochtem Kaffeeersatz. Auf seiner Tour durch die Hochburgen der „All – inklusiv – Erholung“ triff Nikolas auf willige Damen, alte Freunde, unerwünschte Haustiere und jede Menge komischer Zeitgenossen. Und während er sich aus beruflichen Gründen im vermeintlichen Paradies befindet, zerfällt zu Hause auch noch der Rest seiner Beziehung.


    Kurzweilig, lustig und mit überspitzter Treffsicherheit beschreibt Tom Liehr genau das, was tausende Urlauber lieben und genau soviele abgrundtief hassen: Pauschalreisen. Dieses Buch empfiehlt sich selbst perfekt als Urlaubslektüre. Natürlich kann man es dazu nutzen morgens um halb sechs irgendwo in einem Betonkomplex in Hurghada seine Sonnenliege zu reservieren oder Kakerlaken in grau gefliesten Nasszellen totzuschlagen. Vom zweiten Punkt rate ich allerdings ab, nicht nur aus Respekt vor dem Autor.
    Ich muss gestehen, dass ich noch nie solch einen wie hier beschriebenen Urlaub gebucht habe, aber aus zahlreichen Erzählungen meiner Familienmitglieder kann ich mit Sicherheit bestätigen, dass es genau SO DA ist. Und vielleicht buche ich noch heute eben solch einen Urlaub. Ich weiß ja jetzt was mich erwartet, denn Tom Liehr hält der allgemeinen Reisegesellschaft auf sehr interessante Art einen (Klapp)Spiegel vor. Seine Ironie und sein Blick für die kleinen Details macht dieses Buch zu einem tollen Lesevergnügen.
    Fazit: Urlaub geplant? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Tom Liehr.

  • :anbet


    Zitat

    Natürlich kann man es dazu nutzen morgens um halb sechs irgendwo in einem Betonkomplex in Hurghada seine Sonnenliege zu reservieren


    Dafür empfiehlt sich aber eher "Das Handtuch zum Buch", das es in limitierter Auflage gibt:


    http://shop.berlinfabrik.de/pr…_RESERVIERT-Handtuch.html

  • Soo...mein erstes Buch von Tom Liehr. Ich habe lange gezögert, hauptsächlich deshalb, weil Tom selbst seine Bücher irgendwo (weiß gerade nicht mehr wo :gruebel) als Popliteratur bezeichnet hat, und ich dagegen eine leichte Abneigung habe...Vor ein paar Wochen sprang mit der "Pauschaltourist" dann aber doch in der Buchhandlung ins Auge, ich habe kurzen Prozess gemacht, das Buch gekauft - und es nicht bereut.


    Die Rahmenhandlung war sehr witzig, auch wenn ich sagen muss, dass ich selbst wenig Erfahrung mit Pauschaltourismus habe (ist wohl auch besser so...) und sich ein: "Oho, das kenn ich"-Effekt nicht eingestellt hat, manche Dinge kamen mir auch einfach krass übertrieben vor. Macht aber nix, das meiste - Streit um die Handtücher, der Typ der Nikolas grunzend auf sein Buch anquatscht :grin- war ziemlich lustig. Das einzige was mich genervt hat, war die Betonung, WIE schlecht der Kaffee ist, bei jedem Urlaubsort aufs neue (außer bei einem Urlaubsort - weiß nicht mehr, welcher). Irgendwann dachte ich mir dann: Ja, ich WEIß, dass der Kaffee schlecht ist. ;-)


    Was den Reiz der Geschichte für mich ausgemacht hat, waren vor allem die Charaktere - allen voran Nina. Ich habe sie wirklich in mein Herz geschlossen. Mitsamt Wurstpellhose, Flugangst und Alkoholkonsum. Ich finde es toll, wie sich die Beziehung zwischen ihr und Nikolas mehr und mehr entwickelt, bis die beiden dicke Freunde sind. Es wirkt einfach sehr echt.


    Noch ein paar Worte zum Kursivdruck: Hat mich nicht gestört, ich finde, es verleiht manchen Sätzen nochmal eine besondere Note. Finde es auch nicht so ungewöhnlich, mir fällt noch mindestens ein Autor (Stephen King) ein, der das mindestens genauso oft macht...

  • Zitat

    Original von Vandam
    Allerdings war ihm die Sprache ein wenig zu, äh, explizit. Das könnte auch eine Generationenfrage sein.


    Aehnliches hab ich allerdings auch noch beim Lesen des ersten Teils gedacht. Das war mir auch etwas zu schwanzlastig und nicht wirklich mein Fall ... Doch danach war es eigentlich nicht mehr so schlimm und die Sprache stoerte mich nicht mehr.


    Ein wirklich gelungenes Buch, das seine Protagonisten mit viel Witz und dennoch auch realistisch durch die Welt des Pauschalurlaubes schickt. Ich hab mich wirklich sehr gut unterhalten. Und der Epilog ist einer der besten, den ich je gelesen hab :grin

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • An Anfang dachte ich, ich hätte wohl nicht den richtigen Humor für dieses Buch, mir kam es vor wie griesgrämige Miesmacherei, vielleicht für Männer witzig, aber sicher nicht für mich.


    Doch weiterlesen musste ich trotzdem, der Schreibstil ist packend. Das Buch wurde immer besser, die Personen waren sympatisch. Spätestens in Mallorca konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen


    Als das Schwein mit den altersschwachen Urenkeln dann auftauchte, hatte das Buch mich endgültig begeistert.


    Ich freue mich schon auf unseren nächsten Pauschalurlaub. :lache

  • Habe nun gerade diesen meinen ersten "Liehr" beendet.
    War witzig. Wirklich. Ich war überrascht, hatte ich doch eher etwas in Richtung "Brit-Lit" erwartet. Positiv überrascht.


    Vor allem auf Seite 166 habe ich Tränen gelacht - sogar längere Zeit. Ich schreibe nur "Hurg-Hurg". Ja; ich habe Katzen zu Hause, das erklärt vielleicht das brüllende Gelächter. Es waren eigentlich sowieso eher Randbemerkungen, die mich zum Lachen gebracht haben, als die herausgearbeiteten Pointen.


    Interessant, dass man, gaaaaanz anders als in amerikanischen Büchern, bei denen man das Gefühl hat, alle Autoren wären im selben Schreibkurs gewesen, hier bei Liehr erst auf den Seiten 112 und 197 erfährt, wie die Hauptprotagonisten überhaupt aussehen :grin


    Was ich allerdings überflüssig fand, war der Hund. Den hätte ich persönlich entweder mehr eingebracht, denn ihn ewig lange unerwähnt zu lassen, obwohl er einige Reisen mitgemacht hat, fand ich unrealistisch, ist es doch weit komplizierter, mit einem Haustier zu verreisen... oder ich hätte ihn komplett weggelassen. Aber das ist nur eine Kleinigkeit an "Kritik".


    Der Schreibstil, lange Sätze, "gutes" Deutsch, das gefällt mir, ebenso wie ich kursiv betonte Wörter gerne sehe.


    Alles in allem nicht schleimerisch gemeinte 10 Punkte
    vom Killerbinchen

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • ich habe alle bisherigen tom liehr-bücher gelesen. sie gefielen mir gut. radio nights, idiotentest und geisterfahrer fand ich einander ähnlich, eine steigerung war erkennbar. das filmbuch lasse ich jetzt mal außen vor.
    obwohl mir die bisherigen titel wie erwähnt gefielen, freute ich mich doch, von diesem autor einmal etwas anderes lesen zu können. trotzdem stelte ich fest, dass mich noch kein liehr-buch so beschäftigt hat, im guten wie auch im negativen sinne.
    positiv fand ich wieder, dass der autor (alles natürlich nur, soweit ich das beurteilen kann*g*) wieder sehr gekonnt mit worten zu spielen wusste und mich oft zum schmunzeln brachte.
    die vergleiche (an einer stelle zB der sich nach dem pipipausenadler umschauende geier) sind einfach nur köstlich, wenn ich mich auch manchmal fragte, ob tom wirklich wissen kann, wie es um die zehenzwischenräume eines marathonläufers geschmacklich bestellt ist.
    will sagen, gelegentlich wandelte der ausdruck sehr hart an meiner persönlichen grenze zum übertrieben-finden. diese grenze fand ich an manchen stellen auch überschritten und zwar hauptsächlich, was die beschreibungen älterer und übergewichtiger mitbürger betrifft. sie waren durchwegs zwar wortgewandt, aber negativ beschrieben. gewiss ist an speckrollen und falten nicht viel positives zu finden, aber ich fand es hier etwas herbe.
    manchmal ertappte ich mich dabei, mich - wie ich dann feststellte zu sehr - vom locker-lustig-eloquent-frechen stil mitreißen zu lassen und dabei fast kritiklos zu werden. woher, fragte ich mich dann, will der autor wissen, dass es in einem mobilfunkladen nach angestellten- (und nicht nach kundenschweiß) müffelt.
    einige dinge habe ich nicht verstanden (v-jayne oder so ähnlich zB), aber ich hatte keine lust zum recherchieren (wahrscheinlich bin ich für derartige insiderdinge bereits zu alt und zu faul, und deshalb auch zu dick*g*). achja und nach meinem wissen heißt san augustin nicht san augustin, sondern san agustin, ohne "u" vorne. aber das habe ich bisher erst ein einziges mal korrekt gehört/gelesen.vielleicht wurde es ja im laufe der jahre auch dem allgemeinen sprachgebrauch angepasst.
    die gedanken auf seite 287/288 haben mir so gut gefallen, dass ich das hier hervorheben will.
    und gleich darauf wieder eine kühle dusche: eben noch die schadenfroh-lächelnde und vor allem zustimmende begeisterung, wie hier mit geizgeil- und anderen werbekampagnen umgegangen wird, und unmittelbar danach der käsegesichtige rütli-schüler. nein, ich habe diese schule nicht besucht, kenne aber jemanden, der dies getan hat - und trotzdem ein geschätztes mitglied meines realen bekanntenkreises ist. mir ist auch klar, dass der autor hier nicht bewusst beleidigen wollte, sondern nur eine charakterisierung vornehmen, ein bild vermitteln wollte. aber gerade, dass das klappt, macht mich ebenso betroffen wie skeptisch.
    den eulenautoren-watte-thread habe ich großteils gelesen, die bisherigen rezensionen und die leserundenkommentare bewusst nicht, um meine meinung nicht beeinflussen zu lassen.
    sollte ich etwas angesprochen haben, das sich bereits "erledigt" hat, sorry.


    edit: habe jetzt auch die anderen rezis hier gelesen.
    das mit der schwanzlastigen sprache konnte ich verkraften, auch das häufige herumgemache, aber allzuviel mehr hätte es nach meinem geschmack nicht sein sollen.
    gerade richtig dosiert also...

    Mögen wir uns auf der Lichtung am Ende des Pfades wiedersehen, wenn alle Welten enden. (Der Turm, S. King)


    Wir fächern die Zeit auf, so gut wir können, aber letztlich nimmt die Welt sie wieder ganz zurück. (Wolfsmond, S. King)


    Roland Deschain

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