Zoé Ferraris: Totenverse

  • Zoé Ferraris lichtet mit Totenverse ein wenig den Schleier für einen Blick auf Saudi Arabien, einen Staat zwischen kaufkräftiger Modernität und strenger muslimischer Tradition


    Eine junge Filmemacherin wird tot am Strand von Dschidda in Saudi Arabien aufgefunden. Ist sie wegen ihres Filmprojektes umgebracht worden, in dem sie über die absurde Sexualmoral des streng muslimischen Königreichs berichten wollte? Und in welchem Zusammenhang steht das plötzliche Verschwinden des Ehemanns der jungen US-Amerikanerin Miriam Walker zu dem Todesfall?


    Die staatliche Pathologin Katya und ihr männlicher Begleiter, der strenggläubige Wüstenführer Nahir, gehen der Sache nach und stoßen auf einen Fall, der sich ganz anders entwickelt, als anfänglich angenommen.


    Mein Fazit:


    Strikte Geschlechtertrennung und allgegenwärtige Glaubenswächter, doch auch unverhohlene Doppelmoral und kreative Schlupflöcher für Verliebte: Wie schon in ihrem Debütkrimi „Die letzte Sure“ beschäftigt sich Zoe Ferraris in „Totenverse“ (im englischen Original: City of Veils – Stadt der Schleier) mit der besonderen gesellschaftlichen Situation im Wüsten- und Ölstaat Saudi Arabien, dem strenggläubigsten muslimischen Land der Welt. Erst jüngst schlug dort die Eröffnung einer gemischt-geschlechtlichen Universität durch den pro-westlichen König Abdullah hohe politische Wellen.


    Neben ihrem clever inszenierten Kriminalfall beschreibt sie das alltägliche Leben aus der Sicht der Frauen, die weder Autofahren noch alleine einkaufen dürfen und dennoch nach Wegen aus der häuslichen Isolation suchen. Zoe Ferraris, die selbst ein Jahr in Dschidda am Roten Meer verbrachte, lichtet ein wenig den Schleier für einen Blick auf einen Staat zwischen kaufkräftiger Modernität und strenger muslimischer Tradition - spannend und lesenswert zugleich.

  • Klasse Buch. Hat mir wieder genauso gut, wie das erste gefallen. Der Kriminalfall hat mich zwar auch diesmal nicht vom Hocker gerissen, ist aber auch egal, da es mir hauptsächlich um das Leben in Saudi Arabien geht. Mit Osama kam neben Katya und Nayir noch eine charismatische Figur dazu. Ich hoffe es wird noch mehr Teile dieser Reihe geben.

  • Ein beeindruckender Krimi, zwar eigentlich ein klassischer Who-dune-it, aber hier geht es mehr um die Suche nach dem Warum. Dabei bringt die Autorin dem Leser so viel über die Kultur im heutigen Saudi- Arabien nahe, dass die Motive der handelnden Personen begreifbar werden- begreifbar heisst nicht verstehbar und nachvollziehbar, den diesen kulturellen Graben schaffe zumindestens ich nicht zu überwinden. Eine Kultur in der Frauen nicht Autofahren dürfen, in der ein Polizist sich weigert eine Frau zu verhaften weil er dann alleine mit ihr im Auto sitzen müsste, in der der Anblick einer Frau selbst im verhüllenden Gewand unrein macht vor dem Gebet- in der aber die Männer im Dessousgeschäft als Verkäufer arbeiten, Männer Pornovideos besitzen oder eine "Ehe auf Zeit" eingehen und die Ehefrau in der Zeit versorgen- weil das dann ja keine Prostitution ist- diese Welt ist zu weit weg um sie verstehen zu können. Aber- und das gelingt Zoe Ferraris- einen Einblick, einen kurzen Blick hinter den Schleier, den gewinnt der Leser von diesem Buch und das macht seinen Reiz aus. Das daneben noch viele falsche Spuren verfolgt werden, bis die Bestrafung des Mörders erfolgt steigert die Spannung und damit Lesefreude, aber dies ist kein Actionkrimi oder Thriller, bei dem die Spannug durch die Seiten treibt, mehr ein Regionalkrimi, der Land und Leute näherbringt und letztlich die Erkenntnis, wie unterschiedlich die Kultur, die Bräuche und die Religion- Menschen handeln als Menschen mit menschlichen Motiven überall auf der Welt.
    Wirklich empfehlenswert.

  • Wieder einmal ein Buch, das man gelesen haben muss.


    Der Mordfall, der sich zu Beginn als etwas kompliziertes darstellt, ist am Ende ein einfacher unsinniger Mord, aber das Dazwischen hat es in sich.
    Verschwundene Amerikaner, verfälschte Koranschriften und ein merkwürdiger Forscher sind Teil der Geschichte. Außerdem die altbekannten Charaktere Nayir und Katya. Dazu kommt ein neuer Ermittler, Osama, der zwischen Moderne und Tradition gefangen ist.


    Der Kriminalfall ist spannend, ohne Frage, aber was mich an diesen Büchern mehr reizt, ist die saudi-arabische Welt. Irgendwie erscheint es einem unwirklich und wiedersprüchlich, aber ich zweifel keinen Moment daran, das es so ist.


    Unvorstellbar, dass in einem Dessousgeschäft nur Männer arbeiten, wo doch die Frauen nicht mit ihnen reden dürfen und dann noch über solche Details. Auch immer wieder interssant zu lesen, wie Männern reagieren, wenn die Frau ihren Nequab hebt und man das Gesciht sehen kann. Dann wiederum gibt es Bordelle, Ehescheine, wo man nur den Namen eintragen muss und Sommerehen.
    Das alles scheint allerdings die Männer mehr zu beschäftigen wie die Frauen, die unter all diesen Umständen, gar kein so anderes Leben zu führen scheinen. Trotz allem kommen mir die Frauen recht modern vor und haben ihre Männern gut im Griff. Es sind die Männern, die sich mit ihrem Gewissen rumschlagen, was in Gottes Augen gefällig ist und was nicht. Eigentlich sind es die Männer, die einem leid tun müssten, nicht die Frauen.


    In mir wecken diese Bücher, immer den Wunsch nach Saudi-Arabien zu reisen und mir das Leben dort mit eigenen Augen ansehen zu wollen.


    Ich hoffe sehr, es wird noch einen Folgeband geben und ich finde das Ende lässt ja auch hoffen. Von mir 10 Punkte.

  • Zitat

    Original von BeowulfDabei bringt die Autorin dem Leser so viel über die Kultur im heutigen Saudi- Arabien nahe, dass die Motive der handelnden Personen begreifbar werden- begreifbar heisst nicht verstehbar und nachvollziehbar, den diesen kulturellen Graben schaffe zumindestens ich nicht zu überwinden


    Ich empfinde das ganz genauso. Und den Wunsch dorthin zu reisen, wie Cathrine schreibt habe ich aus diesem Grund überhaupt nciht, obwohl ich die Wüste liebe.


    Interessant ist so nebenbei der Mordfall, faszinierender aber zugleich abschreckend sind die ganzen Zwänge, denen Frauen unterliegen, die Diskrepanzen, die ihre Berufstätigkeit schafft und die Verlogenheit der Männergesellschaft.


    Ein lesenswertes Buch.

  • Saudi-Arabien – für mich und wohl die Mehrzahl der Bevölkerung hier ein völlig unbekanntes und exotisches Land. Ein Land hinter einem Schleier. Zoe Ferraris lässt uns nicht nur an den Ermittlungen der jungen Araberin Katya, ihres Bekannten Nayir und Inspektor Osamas teilhaben, sondern erzählt dabei vom vielfältigen Leben in dem muslimischen Staat am Rande unseres Gesichtsfeldes. Gerade diese völlig unbekannte Welt, von der hier berichtet wird, macht für mich den Reiz dieser Reihe aus. Durch die Sichtweise verschiedener Personen, darunter auch das amerikanische Ehepaar Walker, das durch ihren westlichen Blick eine ganz anderen Erfahrung beschreibt, wird ein sehr detailliertes und vielschichtiges Bild dieses Landes gezeichnet. Dabei wirkt diese Darstellung sehr liebevoll und behutsam und für mich ausschließlich beschreibend und nicht wertend.


    Die Krimihandlung ist durchdacht, aber eher untergeordneter Natur. Eher der rote Faden, der das Gesellschaftsporträt zusammenhält. Sehr spannend fand ich die Szenen in der Wüste, da konnte ich gar nicht mehr aufhören zu lesen. Auch ansonsten ist das Buch sehr lebendig, es lässt die Bilder vor meinem inneren Auge auftauchen und die Hitze und staubige Luft geradezu „mitfühlen“.

    Durch die Vielzahl der Personen, die aber niemals verwirrend sind, wird ein sehr vielfältiges Bild gezeichnet. Allerdings kommt dabei zu meinem großen Bedauern die zarte Liebesgeschichte zwischen Katya und Nayir, die mir im ersten Band so sehr gefallen hat, zu kurz. Schade, gerade von Katya und ihrer Sicht auf die Dinge hätte ich gerne mehr erfahren.


    Fazit: Ein faszinierender und vielschichtiger literarischer Einblick in ein für uns sehr exotisches Land. Ich schwankte lange zwischen 8 und 9 Punkten, da mir das Buch zwar sehr gefällt, ich mir aber mehr Katya und Nayir gewünscht hätte. Lesens- und empfehlenswert finde ich es allemal und so habe ich mich doch für 9 Punkte entschieden.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021