Kurzbeschreibung
Das eindrucksvolle Bild einer Lebenserfahrung unter absoluter Herrschaft: Herta Müller, die bedeutende und sprachmächtige Autorin, wuchs auf im Rumänien unter der Diktatur Ceausescus. Hier erfuhr sie Sprache als Instrument der Unterdrückung, aber auch als Möglichkeit des Widerstands und der Selbstbehauptung gegenüber der totalitären Macht. Und dieses Sprachbewusstsein stellt sie neben Erinnerungen an die Kindheit in den Mittelpunkt ihrer poetischen und politischen Selbstbefragung.
Meine Meinung
In diesem Band sind neun autobiographische Aufsätze, Essays und aus Vorträgen entstandene Texte versammelt. Sie verbindet thematisch zum Einen der Bezug zur rumänischen Vergangenheit der Autorin - sowohl das Aufwachsen in einem kleinen deutschen Dorf im Nachkriegsrumänien als auch später die politische Verfolgung durch den Staat - zum Anderen die Reflexion der Autorin über ihre Beziehung zur Sprache, zu einzelnen Begriffen und über deren Wahrnehmung.
Diese Passagen, in denen sie Sprachwendungen verschiedener Sprachen und Dialekte vergleicht und ihren Bedeutungswandel darstellt, sind m. E. wirklich gelungen: geschliffen, klar, überraschend und teilweise brillant.
Inhaltlich habe ich etwas mehr Probleme mit den Texten, die sich immer wieder um die politische Verfolgung der Autorin drehen und über ihren Umgang mit der Angst. Dass der Leser nie erfährt, warum die Autorin verfolgt wurde und was die Vorwürfe der Verfolger waren, ist ihr gutes Recht. Auch, dass sie über das rumänische Regime kaum Fakten verarbeitet, sondern sich auf ihre Angst und ihre Verfolgung konzentriert, kann man nachvollziehen.
Auffällig ist zudem, dass zumindest auf mich der Text - trotz des ständigen Elements der Angst, die er inhaltlich vermittelt - emotional keine Wirkung entfaltete, sondern merkwürdig kalt wirkte. In den Texten tauchen kaum menschliche Beziehungen, nie werden Verhaltensweisen von Personen - ob Freund oder Feind - versucht zu analysieren oder zu verstehen. Selbst die immer wieder bezeugte eigene Angst konnte oder wollte die Autorin in diesem Text für mich nicht transportieren.
Statt dessen äußert sich die Autorin sehr radikal und fast überheblich gegen die, die - aufgrund mangelnder Erfahrung mit Totalitarismus, wie sie meint - einen anderen Bezug zu Sprache haben als sie. So nennt sie die bekannte Frage, welche Bücher man auf eine einsame Insel mitnehmen würde, "naiv", weil die Befragten und Fragesteller nicht ihre Assoziationen von Verfolgung, Zwang und Flucht bei dem Begriff "Insel" hätten.
Fünfjährige Kinder nennt sie "fertig" zerstört, weil sie wie jeden Morgen ihre Nationalhymne singen wollen - ein Verhalten, für das man vielleicht auch eine unpolitische Erklärung finden könnte, wenn man wollte. Ähnlich radikal kritisiert sie deutsche Schriftsteller, die ohne Exilerfahrung sagen würden "Sprache ist Heimat" und ihnen abspricht, sich mit der Bedeutung und Prägung dieses Satzes auseinandergesetzt zu haben.
Ich könnte noch einige dieser Beispiele aufzählen, aber ich denke es reicht, um zu illustrieren, welches Problem ich dabei habe: Natürlich verändert und prägt Verfolgung und jahrelange Angst die Wahrnehmung. Das hat sie bei vielen Personen und bei ausreichend Schriftstellern getan. Aber das ist für mich kein Grund, die eigene Wahrnehmung als die einzig richtige und legitime darzustellen, und andere Sichtweisen als naiv oder unwissend darzustellen. Die Menschlichkeit oder gar Hoffnung, die sich selbst in den Erzählungen Schalamows oder Solschenizyns noch findet, fehlt hier für mich vollkommen und ich frage mich momentan noch, ob es an mir oder Herta Müller liegt. Und wenn es an Müller liegt, was ich damit anfangen soll.
Daher lässt mich dieses Buch etwas ratlos zurück, wenngleich ich die Autorin sprachlich für eine Künstlerin halte.