Charles Stross: Die Kinder des Saturn

  • Robotersklaven



    In einer nicht allzu fernen Zukunft ist das gesamte Sonnensystem besiedelt; sogar im Kuipergürtel und darüber hinaus befinden sich Raumhäfen und Städte. Nur Menschen gibt es nicht mehr. Das Geschlecht der "Schöpfer" ist irgendwann einfach ausgestorben. Ihren Nachlass verwalten Androiden. Diese Roboter besitzen - je nach Zweck - sehr unterschiedliche Körper, von der humanoiden, sexfähigen Gespielin bis hin zur "Spinne", einer Art intelligentem Fortbewegungsmittel. Gemein sind all diesen Geschöpfen zwei Dinge: Erstens sind sie als Sklaven der Menschen gebaut und konditioniert worden. Und zweitens stellen ihre Gehirne Nachahmungen der menschlichen Gehirne dar, weil es den Menschen vor der eigenen Ausrottung nie gelungen ist, echte "künstliche" Intelligenz zu erschaffen. Deshalb hat man irgendwann einfach das menschliche Gehirn direkt technologisch nachempfunden. Aus diesem Grund haben die Kunstwesen auch langjährige Erziehungsphasen hinter sich - jedenfalls die ersten Generationen, die zur Kopiervorlage für spätere wurden. Sie sind denk-, empfindungs- und entwicklungsfähig. In sogenannten "Seelenchips" können sie ihre Bewusstseine und Erfahrungen - bis zu einer gewissen Grenze - speichern. Andere Chips dienen dazu, Roboter zu Sklaven anderer (Roboter) zu machen. Sterbende Roboter vermachen ihre Chips den "Seelenfriedhöfen" der jeweiligen Art, wodurch ihre Erfahrungen zum Bestandteil derjenigen der "Geschwister" werden.
    Die Gesellschaft ist archaisch und brutal, es herrschen Intrigen und diffizile Klassensysteme. Einige Gruppen sind offenbar damit befasst, weit draußen am Rand des Sonnensystems in geheimen Labors die Schöpfer wiederauferstehen zu lassen.


    Freya stammt aus der zweiten Folgegeneration weiblicher Roboter, die ursprünglich als Lustobjekte für Menschen entwickelt wurden. Ihre Libido ist stark ausgeprägt, aber da es keine Menschen mehr gibt, fehlt ihr der Einsatzzweck. Eine obskure Firma namens Jeeves wirbt sie für Kuriertätigkeiten an, die sie durch das gesamte Sonnensystem führen.


    Der aus Freyas Sicht im Präsens erzählte, fast fünfhundert Seiten starke Roman des Autors u.a. von "Accelerando" und "Glashaus" beeindruckt durch seine Dichte, seine dramaturgische Klugheit, die vielen mythologischen und literaturgeschichtlichen Anspielungen - und überaus plausibel geschilderte Technologie. Freyas Odyssee über mehrere Planeten, Monde und Asteroiden ist zugleich rasant, nachdenklich, schmerzhaft, verwirrend und ziemlich politisch. Denn das Buch handelt von Sklaverei - die Menschen hatten jene Roboter konstruiert, um sich aller missliebigen Tätigkeiten entledigen zu können. Sklaverei aber führt in die Stagnation, was in der Konsequenz das Aussterben der Menschheit bewirkte. Ihre Hinterlassenschaft besteht aus häufig sehr depressiven, vor allem aber unfreien Wesen, die nach wie vor nicht davon ablassen können, an die eigenen Schöpfer zu glauben, schlicht weil sie ihren Daseinszweck darstellen.


    Es ist schon verblüffend, wie es Stross gelingt, die Gedankenwelt eines zerrissenen, aber im Wortsinn selbstbewussten Kunstwesens zu skizzieren. Der anfängliche innere Widerstand gegen einen Roboter als Erzählfigur löst sich alsbald auf. "Die Kinder des Saturn" ist spannend, intelligent und vielschichtig - zuweilen allerdings ein bisschen zu vielschichtig. So muss Stross am Schluss einiges erklären, um das komplexe Gebilde zu einem Ende zu führen, wobei hier und da ein Handlungsstrang auf der Strecke bleibt, was dem Roman aber nicht schadet. Clevere, hochklassige Science Fiction, die Stross' Ruf untermauert, zu den wenigen Autoren zu gehören, die einen Schritt weiter denken.

  • Danke für die Rezi Tom!
    Auch wenn ich normalerweise nicht so viel von Robotern halte, ist das Buch prompt auf meiner WL gelandet. Klingt doch interessant, so ganz ohne Menschen...;)

  • Hallo, Arill.


    Obwohl Stross es selbst benutzt, ist "Roboter" eigentlich nicht das richtige Wort für diese Wesen. Sie sind eigenständig, empfindungs- und entwicklungsfähig, sie denken und planen, herrschen und werden beherrscht. Sie sind irgendwie auch Menschen (denen sie ja nachempfunden sind), aber in hochgezüchteten Körpern, die in vielen Fällen bestimmten Zwecken dienen, in Freyas etwa der Befriedigung sexueller Interessen. Sie sind weniger umweltempfindlich, aber sehr emotional und keineswegs linear. Ihr Problem besteht darin, dass sie für etwas geschaffen wurden, das es nicht mehr gibt - nämlich die Menschheit.


    Ich kann dieses Buch wirklich nur dringend empfehlen. Aber es ist keine leichte Lektüre. Charles Stross ist ähnlich anspruchsvoll wie etwa Iain Banks - nein, eigentlich noch anspruchsvoller.

  • Liegt einem das Buch sehr schwer im Magen, wenn man sonnst nur Fantasy und Fachbücher liest?
    Bitte nicht falsch verstehen, aber es hört sich sehr interessant an und ich würde einfach gern noch eine weitere Entscheidungshilfe haben.
    Danke.
    Lg Merrit

  • Zitat

    Original von Tom
    Ich kann dieses Buch wirklich nur dringend empfehlen.


    Mir wirds langsam unheimlich. Nicht nur, daß ich in den letzten Wochen bei vielen Posts von Tom voll und ganz :write im Stillen gemacht habe (mir nur das posten dieses Smilies erspart habe), jetzt folge ich auch noch seiner Empfehlung und bestelle dieses Buch. So heute geschehen.


    Danke für die Rezi; das Buch klingt wirklich interessant (wenngleich ich momentan noch nicht weiß, wann ich zum Lesen komme). Das ist seit längerer Zeit das erste "richtige" Science Fiction Buch, das ich kaufe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Mir wirds langsam unheimlich.


    Ja, mir auch. ;-)


    In diesem Buch geht es übrigens auch - allerdings am Rande - um Glaubensfragen. Es gibt nämlich einige Roboter, die der Meinung, ihre Art wäre von den "Schöpfern" (also den Menschen) kreiert worden, die Evolutionstheorie entgegensetzen - also den Glauben vertreten, sie selbst wären zufällig durch Mutationen entstanden. :grin

  • @ Tom


    Das ist mir schon klar (mit dem Anklang von Glaubensfragen), zumindest habe ich für mich Deine Rezi so verstanden. Doch den Gedankenansatz des Buches finde ich interessant. Und bisweilen schaue sogar ich über meinen Tellerrand. :grin ;-)



    Das mit dem "unheimlich" bezieht sich darauf, daß in den letzten Wochen vor allem im Weltgeschehen-Bereich einige Diskussionen waren, in denen (fast) jedes Mal Deine Äußerungen sich mit meiner nicht geposteten (meist über die Vorschaufunktion nicht hinausgekommen - also das Posten, nicht die Ansicht ;-) ) Meinung völlig gedeckt hat. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hallo, SiCollier.


    Zitat

    Das mit dem "unheimlich" bezieht sich darauf, daß in den letzten Wochen vor allem im Weltgeschehen-Bereich einige Diskussionen waren, in denen (fast) jedes Mal Deine Äußerungen sich mit meiner nicht geposteten (meist über die Vorschaufunktion nicht hinausgekommen - also das Posten, nicht die Ansicht Augenzwinkern ) Meinung völlig gedeckt hat.


    :-)


    Tja, dann wird es wohl mal wieder Zeit für einen Thread über:


    - Bibelauslegung
    - Säkularisation
    - Die Wirkung von Glauben
    - Eines der Bücher von Dawkins, Onfray, Hitchens und Konsorten


    Aber - wir können das auch lassen und feststellen, dass man nicht genötigt ist, jemanden (oder dessen Meinung) grundsätzlich abzulehnen, nur weil man in anderen Fragen solide aufeinander eindrischt. ;-)

  • Hallo Tom,


    Zitat

    Original von Tom
    Tja, dann wird es wohl mal wieder Zeit für einen Thread über:


    - Bibelauslegung
    - Säkularisation
    - Die Wirkung von Glauben
    - Eines der Bücher von Dawkins, Onfray, Hitchens und Konsorten


    Also wegen mir überhaupt nicht.


    Lassen wir es doch für eine Weile lieber dabei:

    Zitat

    Original von Tom
    Aber - wir können das auch lassen und feststellen, dass man nicht genötigt ist, jemanden (oder dessen Meinung) grundsätzlich abzulehnen, nur weil man in anderen Fragen solide aufeinander eindrischt. ;-)


    :-)


    Das Buch habe ich, wie geschrieben, bestellt. Ich werde versuchen, es noch im Oktober oder November zu lesen. Dann wird sich ja weisen, ob wir hier zum Buch die gleiche Meinung haben oder nicht.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich habs mir heute gekauft und gleich mal angefangen.


    Nachdem ich mit dem Anfang- erstes Kapitel- ein paar Schwierigkeiten hatte, um zu verstehen, wer mir da was zu erzählen versucht, fand ich es umwerfend. Natürlich hab ich es noch nicht durch, aber bist jetzt ist es echt klasse. Besonders erstaunt hat es mich, wie ähnlich die Androiden den Menschen sind... //schwer zu verstehen, die die es gelesen haben, wissen, was ich meine ;-)//
    Und man merkt doch deutlich, zu welchem Zweck Freya erschaffen wurde...

  • Hallo, Arill.


    Zitat

    Besonders erstaunt hat es mich, wie ähnlich die Androiden den Menschen sind...


    Nun, sie wurden im Wortsinn nach dem Vorbild der Menschen erschaffen. Weil die Menschen nicht verstanden haben, wie das Gehirn bzw. Intelligenz funktioniert, haben sie es einfach nachgebaut.

  • Ich bin schon ein gutes Stück weiter und ich glaube, mir ist soeben etwas aufgegangen. Ansonsten finde ich die Handlung im Moment ein wenig verstrickt, was vor allem an den Träumen/Rückblenden liegt.
    Warum für den Titel der Saturn gewählt wurde weiß ich nach der Hälfte des Buches noch nicht, ich hoffe es offenbart sich mir noch...
    Trotzdem ist das Buch herrlich und ich glaube es wird eins meiner Lieblinge... :-]

  • Ich muss Tom eindeutig Recht geben: am Ende verstrickt sich die Sache ein bisschen zu sehr. o.O Und bei einigen Dingen hab ich irgendwann vollends den Faden verloren. :help Wird sich aber hoffentlich aufklären, wenn ich das Buch zum zweiten Mal lese. Dafür ist es wirklich ein wunderbares Buch und ich hoffe doch sehr dass die Zukunft nicht so aussehen wird.

  • Geschafft, ich hab’s durch. Dieser Seufzer der Erleichterung deutet schon an, daß ich nicht ganz so begeistert wie meine Vorschreiber bin. Ich habe mich denn doch entschlossen, in einem Rutsch durchzulesen, einfach, um es hinter mich zu bringen. :rolleyes


    Das Ausgangsszenario ist interessant und mal was ganz anderes. Es passiert auch eigentlich eine ganze Menge; dabei halten sich die „aktiven“ Teile mit den „passiven“ (wie Sinnieren, Erklären oder gar Philosophieren) gut die Waage, und dennoch konnte mich das Buch nicht fesseln, habe ich mich eher durchgekämpft denn es durchgelesen und bin jetzt einfach erleichtert, durchgehalten zu haben, das abhaken und zu etwas Erfreulicheren übergehen zu können.


    Es fällt mir schwer, mein „Bauchgrummeln“ und meine Probleme mit dem Buch in Worte zu fassen. Sicher ist die beschriebene Welt relativ gut durchdacht. Es tauchen „robotertypische“ Details, wie das Messen der Zeit in Sekunden, auf; Raumreisen dauern länger als ein paar Tage und auch ans „Verpacken“ zum Aushalten der auftretenden Beschleunigungskräfte wird gedacht. Aber wenn dann die einzelnen Planeten (bzw. Monde), Häuser, Hotels beschrieben werden, habe ich ständig das Gefühl, daß sich alles auf einer großen Müllkippe abspielt. Alle Orte visualisieren sich bei mir schlicht als dunkel, schmutzig, müllhaltig. Selbst die Sonne gibt schmutzige Lichtstrahlen ab. Das ist mir so noch nie passiert.


    Immer wieder hatte ich Probleme, der Handlung zu folgen, denn ich fand es schwierig, zwischen Juliette und Freya zu unterscheiden, und wann welche „aktiv“ ist. Einige Szenen konnte ich überhaupt nicht einordnen, wem da nun wann was passiert.


    Als spannend habe ich das Buch nicht empfunden, vielschichtig schon eher, wenngleich sich mir manche Schicht schlicht nicht erschlossen hat. Wie Tom geschrieben hat, ist Sklaverei ein Thema, aber auch Politik (wobei ich mich bisweilen schon an unsere Welt erinnert gefühlt habe). Aber hier liegt vermutlich eine Inkonsistenz mit meiner Grundeinstellung vor. Denn ich vermag einfach nicht nachzuvollziehen, weshalb Sklaverei für eine Maschine ein Problem sein sollte. Auch nicht innerhalb dieses Buches. Das hat mich an das Buch von Karl Olsberg „Schöpfung außer Kontrolle“ erinnert (Leserunde), in dem der Autor ähnliche Theorien/Meinungen zum Thema „was ist Leben“ wie hier im Buch vertritt, und das mir schon dort erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat.


    Alles in allem war es eine interessante (Lese-)Erfahrung und mein erster Ausflug ins Genre der modernen Science Fiction. Allerdings vermutlich für längere Zeit auch mein letzter.



    Ich hatte im „Ich lese gerade“-Bereich einen Thread angefangen:
    Die Kinder des Saturn - Charles Stross. ACHTUNG: SPOILER!
    Wo man ggf. inhaltliche Dinge ohne Angst, zu viel zu spoilern, ansprechen kann.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Geschafft, ich hab’s durch. Dieser Seufzer der Erleichterung deutet schon an, daß ich nicht ganz so begeistert wie meine Vorschreiber bin. Ich habe mich denn doch entschlossen, in einem Rutsch durchzulesen, einfach, um es hinter mich zu bringen. :rolleyes


    .


    Genau so erging es mir auch. Ic hhabe mich gequält und mit mehreren Whisky ging es dann. Sicher, das Buch ist "anders" und für sich genommen, oder speziell für SF -Fans ist es wahrscheinlich ein sehr gutes Buch.


    Mir persönlich fiel es SEHR schwer mich in die Zusammenhänge reinzudenken, was ist Erinnerung, was Gegenwart. Auch die dargestellten Welten...nicht mein Ding.


    Auch das immer wiederkehrende Thema "Sex" wollte mir HIER so gar nicht schmecken, im Gegenteil - es begann mich zu langweilen.


    Nein, dieses Experiment kann ich für mich persönlich nicht als gelungen bezeichnen und SF lasse ich bis auf weiteres erst mal liegen.