Anita Shreve: Alles was er wollte

  • Inhalt (Kurzbeschreibung bei amazon)


    Das Feuer mußte in der Hotelküche ausgebrochen sein, und sofort griff
    es auf den Speisesaal über. Ehe Nicholas Van Tassel es sich versah,
    stürzten die Gäste auf die Straße, hinaus in die schützende Kälte des
    eisigen Dezembertags 1899. Und mitten in dem heillosen Durcheinander
    der überwältigende Anblick einer jungen Frau, die ihn nicht einmal
    wahrnahm und von der er doch in derselben Sekunde wußte, daß er sie
    besitzen mußte. Es gelingt ihm, der gerade erst als Dozent nach New
    Hampshire zurückgekehrt ist, Etna Bliss wiederzutreffen – die seine
    Leidenschaft nicht erwidert, seinem selbstbewußten Werben aber
    nachgibt. Die Liebe, so macht Nicholas sich glauben, die Liebe kommt
    mit der Zeit. Etna wird schnell seine Frau, bringt eine Tochter [und einen Sohn] zur
    Welt und begegnet seiner wachsenden Eifersucht beherrscht und
    freundlich. Und doch scheint auch sie dieses Gefühl zu kennen,
    bedingungslos für jemanden zu glühen…


    Meine Meinung


    Nicholas Van Tassel unterrichtet an einem amerikanischen College Englische Literatur und Rhetorik. Er ist in allen Dingen ein mittelmäßiger, sehr durchschnittlicher Mensch: gewissenhaft, ein bisschen altbacken, nicht gerade brilliant und Neuerungen eher abgeneigt. Auch äußerlich ist er unauffällig, nicht missgestaltet, aber auch nicht gutaussehend. So ist die geradezu besessene Leidenschaft, die er für Etna Bliss entwickelt und die ihn sein ganzes weiteres Leben über begleiten wird, recht erstaunlich. Obwohl er weiß, dass Etna seine Gefühle nicht erwidert, gibt er nicht auf, bis sie seine Frau wird.
    Die Ehe und das Familienleben mit den zwei Kindern verlaufen die ersten 14 Jahre ruhig und weitgehend zufriedenstellend, am Tage sind die Eheleute ein gut eingespieltes Team und der Umgangston ist höflich, die Nächte bergen allerdings Konfliktpotential, da Etna die Annäherungen ihres Mannes nur gleichgültig und pflichtbewusst über sich ergehen lässt. Frustriert über seine Unfähigkeit, seiner Frau Liebe und Leidenschaft zu entlocken, versucht Nicholas schließlich, sie immer mehr zu besitzen und zu kontrollieren und steuert dabei unaufhaltsam auf einen Abgrund zu...


    Der Roman ist eine Ich-Erzählung des inzwischen 64-jährigen Nicholas, der während einer mehrtägigen Zugfahrt zur Beerdigung seiner Schwester sein Leben Revue passieren lässt und seine Erinnerungen niederschreibt. Die Erzählung über die letzten 30 Jahre wird immer wieder von kurzen Episoden der Gegenwart unterbrochen. Der Sprachstil ist ziemlich altmodisch, wie man es von einem konservativen Mann höherer Bildung an der Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert erwarten würde. Trotz des etwas umständlichen und behäbigen Erzählstils wird auf subtile Art Spannung erzeugt, je mehr der Leser die Entwicklung der Hauptfigur vom eher harmlosen "Minuskavalier" zum Psychopathen verfolgt.
    Die Thematik des Buchs, eine gewisse Freiheit und Persönlichkeitsentfalung in der Ehe - auch unabhängig vom Ehepartner -, ist zeitlos und auch für das 21. Jahrhundert aktuell.


    Mich hat dieses Buch sehr gefesselt. Wenn man keinen blutigen Action-Roman erwartet, sondern auch eine "psychologische Studie" interessant findet, ist dieser Roman zu empfehlen.

  • Ich fand das Buch trotz der wenigen Geschehnisse recht spannend und psychologisch nachvollziehbar.


    Von den zeitgenössischen Ereignissen erfährt man nur am Rande, Anita Shreve setzt ihre Figur zwar in spannende Zeiten, zeigt aber auf die ihr eigene Art, wie wenig die Personen von den großen Ereignissen beeinflusst werden, wenn sie sich nicht direkt ins Geschehen stürzen. Mit beeinflusst beziehe ich mich auf direkte und dramatischen Auswirkungen wie Tod, Mord, Krieg, Leid, Vertreibung, Hunger ... Aufgezeigt werden dagegen die schleichenden Veränderungen, vor allem gesellschaftlicher und kultureller Art.
    Direkte Teilhabe ist Nicolas van Tassels Sache nicht, er ist ein ruhiger, privater Mensch, der sich Neuerungen beruflicher wie privater Art ablehnend gegenüber zeigt. Als amerikanischer Durchschnittsbürger und Mann hat er Probleme, seine Frau und vor allem ihre Ambitionen, und seinen sie noch so zart, zu verstehen. Anita Shreve ist die Darstellung eines konservativen Mannes gelungen, dem es trotzdem nicht genügt, eine Frau als Schmuckstück und Mutter seiner Kinder neben sich zu haben sondern mehr möchte, mehr, als sie zu geben bereit ist. Seine Art, damit umzugehen führt unweigerlich zu Problemen.
    Seine Frau dagegen ist auf eine ruhige und beherrschte Art zwischen den Zeiten als Frau und Mutter und moderner selbstbestimmter Frau gefangen.


    Erinnerungswerte Stellen des Buches sind die Beschreibung des Zugunfalls van Tassels, während er seinen Bericht verfasst. Witzig finde ich den Namen seines Sohnes: Nicodemus.