Nirgendwo im Haus meines Vaters- Assia Djebar

  • Verlag: Fischer
    Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
    September 2009


    Aus dem Französischen von Marlene Frucht


    Kurzbeschreibung:
    Assia Djebar: Die größte Gegenwartsautorin aus Algerien hat mit »Nirgendwo im Haus meines Vaters« ihr persönlichstes Buch geschrieben.
    Fatima liebt ihren Vater abgöttisch. Er befolgt streng die arabischen Bräuche und hat Sorge, dass die Röcke seiner Tochter zu kurz geraten. Die Mutter ist eine selbstbewusste Frau von europäischer Eleganz. Zwei Welten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Dazwischen bahnt sich das kleine Mädchen seinen eigenen Weg zur jungen Frau, der manchmal schmerzhaft ist und dann wieder voller Glück. »Nirgendwo im Haus meines Vaters« ist Assia Djebars persönlichstes Buch. Mal mit kühler Prägnanz, mal in poetischen Bildern erzählt sie ihre eigene Geschichte, die zugleich die Algeriens ist.


    Über die Autorin:
    Assia Djebar, geboren 1936 in Algerien, Schriftstellerin, Historikerin, Filmemacherin, ist eine bedeutende Autorin des Maghreb. Auszeichnungen: 1996 Neustadt-Literaturpreis, 2000 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 Premio Grinzane Cavour für ihr Lebenswerk.


    Über die Übersetzerin:
    Marlene Frucht wurde 1980 geboren. Sie hat Literaturübersetzen studiert. 2009 erhielt sie das Bode-Stipendium des deutschen Übersetzerfonds und nahm am Goldschmidt-Programm teil. Sie übersetzt aus dem Französischen und Englischen.


    Meine Meinung:
    Assia Djebat hat bereits ein großes Werk vorgelegt, in dem ihr Leben durchaus oft eine große Rolle gespielt hat, aber „Nirgendwo im Haus meines Vaters“ ist eine literarisch hoch verdichtete Autobiographie, ein Erinnerungswerk, dass bis tief in ihre Kindheit eintaucht.


    Was sofort ins Auge sticht, ist die wundervolle Sprache. Eine Sprache, die Erinnerungen in sinnlichen, visuellen und hochemotionalen Sätzen umsetzt.


    Die Art und Weise wie die Autorin ihre tief verborgenen Erinnerungen hervorholt und gemeinsam mit dem Leser noch einmal durchlebt, ist bewegend. Dieses Erinnern ist das schwerste, von Assia Djebar aber mit einer einmaligen Leichtigkeit umgesetzt. Dabei bleibt sie nicht gelassen. Die Emotionen von früher sind plötzlich wieder vorhanden. Dabei versucht sie diese Gefühle nur leicht aus der Distanz zu kommentieren, immer wieder ruft sie sich selbst zurück, wenn sie vorgreift. Das Wissen, dass sie erst später besitzt, darf nicht das Mädchen beeinflussen, das sie damals war. Trotzdem ist dieses Mädchen nicht unwissend. Nicht zuletzt aufgrund ihrer gesonderten Stellung in der Gesellschaft, z.B. auch in der Schule, lässt sie einiges vorausfühlen, was später für sie wichtig und entscheidend sein wird. Früh ist ihre Liebe zu Büchern erwacht.


    Es gelingt der Autorin außerdem, nebenbei einen intensiven Blick auf ihre Eltern zu werfen.
    Dem geliebten Vater, modern und aufgeschlossen, der dann doch immer wieder in starre Konventionen verfallen kann. Er ist der arabische Lehrer der Schule. Die Mutter, die Maurin, besitzt ebenfalls eine Sonderstellung. Assia Djebar betont die ernsthafte, zärtliche Liebe ihrer Eltern. Es ist anzunehmen, dass das ihr Werk mit beeinflusst hat.


    Dann folgen Schul- und Studienzeiten. Nicht ganz so spannend, wie die Kinderzeit, da Fatima diese Zeit fern des Dorfes größtenteils in einem Internat verbringt.


    Man darf gespannt sein, ob Assia Djebar ihre Erinnerungen in einem weiteren Band weiterführen wird. Dann sind erste Schreibunternehmungen der Autorin und kommende große Erfolge zu erwarten.

  • In diesem autobiographischen Roman erinnert sich Assia Djebar, geboren 1936 bei Algier, an Szenen aus ihrer Kindheit und Jugend, die bis ins Jahr 1953 reichen, ein Jahr vor Ausbruch des Algerienkrieges.
    Die erinnerten Szenen wirken, als durchlebe die Autorin diese erneut, so plastisch sind die Bilder, die von der jungen Fatima (Fatima-Zohra ist der Geburtsname der Autorin) entworfen werden.


    Eine frühe Erinnerung der dreijährigen Fatima führt in der Kleinstadt Caesarea, in der ihre junge verschleierte Mutter nur an der Hand ihrer Tochter das Haus verlassen darf.
    Die Mutter, die aus einer angesehenen maurischen Familie stammt, folgt ihrem Ehemann, „Sohn eines Armen“, in ein Dorf, in dem er als einziger „einheimischer“ Lehrer an der École Normale d'Instituteurs arbeitet. Fatima wird an dieser Schule die einzige arabische Schülerin in ihrer Klasse.


    Es ist die Zeit der französischen Kolonisation in Algerien, das Land gespalten. Fatima wächst als „Einheimische“ fast ausschließlich in Gesellschaft von Frauen auf, „zusammengepfercht“, „Frauen, die sich nach nichts anderem sehnen als der Welt draußen“.
    Dabei fühlt sich Fatima als die „Tochter ihres Vaters“, des geliebten und idealisierten. Er ist Befreier und Richter gleichermaßen. Fortschrittlich einerseits, bietet er seiner Frau Gleichberechtigung an, strenggläubig anderseits, verbietet er Fatima das Fahrradfahren, da sie dabei „ihre Beine zeigt“. Diese Verbot löst bei der Vierjährigen eine Verletzung aus, die auch noch ein halbes Jahrhundert später wirkt.


    Als Fatima auf das Collège in der Garnisonstadt Blida kommt, lernt sie die Welt der Bücher kennen, die ihren Horizont erweitern und ihre Fantasie beflügeln. Unter überwiegend Europäerinnen bleibt sie in den Augen ihrer Mitschülerinnen auch hier die „Andere“.
    Auch in den Szenen, die im Internat spielen, wird die Zweiteilung deutlich, so, wie sie auch im Land herrscht. Auch wenn Fatima eine europäische Freundin findet, die ihre Leidenschaft für Bücher teilt. Neben den Büchern sind es die Musik, das Tanzen und das Basketballspiel das Fatima aus ihrer beengten Welt fliehen lässt.


    1953 zieht die Familie nach Algier und Fatima bereitet sich aufs Studium vor. Dieser Umzug bringt eine kleine Revolution mit sich. Fatimas Mutter verwandelt sich in eine westlich aussehende, unabhängige Städterin, Fatima besucht eine gemischte Klasse. Aber Fatima bleibt maskiert in Algier, maskiert durch die französische Sprache. Sie trifft sich heimlich mit ihrem „Verlobten“, bis es zu einem „Unfall“, ihrem persönlichen Absturz kommt.


    In „Nirgendwo in Haus meines Vaters“ ist die Hauptprotagonistin zugleich die Autorin, die „erste Erinnerungen“ aufschreibt, die sich ihr „aufgedrängt“ haben.
    Bewundernswert ist, wie Assia Djebar ihre persönlichen Schlüsselerlebnisse ihrer frühen Jahre reflektiert und in eine Sprache verpackt, die poetisch und klar zugleich ist. Ob aus Sicht der jungen Fatima oder aus der Distanz der Jahre, beschreibt die Autorin mit intensiver Schärfe ihre Unwissenheit, aufrechterhalten durch die jahrhundertelange Einsperrung ihrer weiblichen Vorfahren.
    Dabei wollte die junge Fatima nur „die wahre Tochter ihres Vaters“ sein.


    8/10 Punkten



    @ Herr Palomar: irgendwo im www (weiß leider nicht mehr wo) stand, dass dies der erste Teil einer Trilogie sei. Aber die Autorin selbst schreibt, im Nachwort glaube ich, dass sie kein Buch mehr in dieser Art schreiben werde.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Sigrid, mich freut Deine zutreffende Rezension sehr! :-]


    Zitat

    Original von Sigrid2110
    Aber die Autorin selbst schreibt, im Nachwort glaube ich, dass sie kein Buch mehr in dieser Art schreiben werde.


    Assia Djeba ist eine umsichtige Autorin.
    ich habe vollsten Vertrauen in ihr Urteill, was zum Veröffentlichen geeignet ist und was nicht.
    Auf jeden Fall bin ich bei hrem nächsten Buch wieder dabei! :-)

  • Titel: Nirgendwo im Haus meines Vaters
    OT: Nulle part dans la maison de mon père
    Autorin: Assia Djebar
    Übersetzt aus dem Französischen von Marlene Frucht
    Verlag: S. Fischer
    Erschienen: September 2009
    Seitenzahl: 441
    ISBN-10: 3100145003
    ISBN-13: 978-3100145000
    Preis: 21.95 EUR


    Assia Djebar wurde 1936 in Algerien geboren. Sie gilt als eine der renommiertesten Autorinnen Algeriens. 2000 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Assia Djebar kämpft täglich neu für die Rechte der Frauen, sie wendet sich gegen Diskriminierungen und ihr Ziel ist ein freiheitliches und demokratisches Algerien. Sie lebt und lehrt in New York.


    „Nirgendwo im Haus meines Vaters“ dürfte ein autobiographischer Roman sein. Es ist in jedem Falle aber ein sehr persönliches Buch. Die Autorin erzählt über die Kindheit und Jugend des Mädchens Fatima. Ein Mädchen gefangen in den Traditionen des Vaters. Der Vater lebt kompromisslos nach den muslimischen Glaubensgrundsätzen. Doch das ist nicht Fatimas Welt. So sehr sie ihren Vater auch liebt, so sehr strebt sie aber auch nach Freiheit und Gleichberechtigung. Sie möchte nicht wie ihre schöne Mutter werden. Total angepasst und offenbar dem Ehemann in unbedingten Gehorsam ergeben.


    Fatima geht gern zur Schule und ist sehr wissbegierig. Sie entdeckt schon frühen Kindesalter ihre Liebe zur Literatur. Bücher bedeuten ihr sehr viel.


    Auf dem Klappentext kann man folgenden Satz lesen: „Mal mit kühler Prägnanz, mal in poetischen Bildern erzählt Assia Djebar ihre eigene Geschichte die zugleich die Algeriens ist.“


    Hier muss man als Leser allerdings widersprechen. Über die Geschichte Algeriens erfährt der Leser genau genommen herzlich wenig. Da hätte man sich schon die eine oder andere Exkursion in die Geschichte Algeriens gewünscht. Denn diese Geschichte wird allenfalls nur mal am Rande gestreift. Also, Abzüge in der B-Note.


    Die Autorin erzählt die packende Geschichte eines algerischen Mädchens, das dabei ist seinen ganz eigenen Weg zu finden. Tradition und der Drangen nach Freiheit prallen aufeinander. Aber sie schafft den Weg in die Freiheit und nicht nur den Weg in die gedankliche Freiheit.


    Assia Djebar weiß was sie will und sie weiß genau worüber sie schreibt. Wer mehr über die Rolle der Frau in einem muslimischen Land erfahren möchte, der ist bei diesem Buch an der richtigen Adresse. Ein lesenswertes Buch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.