'Madame Bovary' - Teil 1, Kapitel 06 - 09

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    Original von Anahid


    Am Anfang haben mich die langen Ausführungen Flauberts genervt. Nun muss ich zugeben, dass diese Beschreibungen super das innerliche Bild von Emma beschreiben, und man ihre Gefühle dadurch gut nachvollziehen kann.


    Stimmt, hier passt das wieder. Allerdings mag das auch daran liegen, dass ich eher die ausführliche Beschreibung von Charakteren mag als die von Landschaften.


    Emma tat mir wirklich leid und ich kann total gut verstehen, dass sie sich so sehr langweilt. Mir würde das auch nicht anders gehen. Allerdings nervt sie mich auch ein wenig. Sie scheint in ihrer Langeweile aufzugehen und sucht sich keinen Vertrauten bzw. keine Vertraute. Sie scheint sehr einsam zu sein. Warum hat sie sich überhaupt überlegt, dass das Leben mit Charles so toll wird? Auf mich hat er von Anfang an nicht den Eindruck des Lebemanns gemacht. Das hätte sie doch auch merken müssen.


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    Original von Rouge


    Mit dem Mann kann ich bis jetzt gar nicht mitfühlen und für ihn kann ich auch kein Mitleid aufbringen. Obwohl er es theoretisch verdient hätte. Aber ich finde über ihn wird aus so großer Distanz geschrieben, dass ich mir über seine Gefühle gar keine Gedanken machen kann. Und ich glaube auch, dass er sich gar nicht groß die Mühe macht nachzuforschen, was in Emma vorgeht oder ob sie glücklich ist. Er nimmt das einfach als gegeben hin solange er selber glücklich und zufrieden ist.


    Ich glaube, nicht mal darüber denkt er nach. Er existiert einfach und lebt so vor sich hin. Er musste sich ja auch kaum mit einem anderen Menschen und seinem Innenleben befassen.


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    Original von made
    Wow! Eine ganze Wissenschaft, das Bügeln.


    Das wusste ich auch noch nicht. Ich hätte auch gedacht, dass plätten und bügeln das gleiche ist. Allerdings ist mir das auch gar nicht aufgefallen beim Hören.


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    Original von Rumpelstilzchen


    Was ich nicht weiß ist, wie weit Flaubert auch ganz einfach die bürgerliche Lebensweise kritisieren wollte, ein Leben, gerade für Frauen, das einfach nur langweilig war und ihnen kaum eine Möglichkeit ließ, sinnvolle Dinge zu tun.


    Die Idee ist mir noch gar nicht gekommen. Ich bin so beschäftigt damit, die Beschreibungen nicht an mir vorbei rauschen zu lassen ;-)
    Hätte ich in der damaligen Zeit gelebt, ich wäre auch depressiv geworden. Ich habe ja immer irgendwas mehr oder weniger wichtiges zu tun. So gar nichts machen ist gar nicht mein Ding.


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    Original von Lesebiene


    Und wenn Emma im Kloster geblieben wäre? Wäre sie als Braut Jesu glücklich geworden?


    Das glaub ich nicht. Momentan bin ich der Meinung, dass sie einfach ein unzufriedener Mensch ist. Da hätte dieser Umstand wohl auch nichts geändert. Sie hätte ja weiterhin romantische Fantasien gehabt und hätte so leben wollen.

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    Original von Booklooker
    Ich glaube, nicht mal darüber denkt er nach. Er existiert einfach und lebt so vor sich hin. Er musste sich ja auch kaum mit einem anderen Menschen und seinem Innenleben befassen.


    Das kommt vielleicht daher, dass er schon als Kind und später in seiner ersten Ehe unter der Fuchtel stand. Er ist wohl eher ein schwacher Charakter.

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    Warum hat sie sich überhaupt überlegt, dass das Leben mit Charles so toll wird? Auf mich hat er von Anfang an nicht den Eindruck des Lebemanns gemacht. Das hätte sie doch auch merken müssen.


    Ich glaube, sie hat es wirklich nicht gemerkt.
    Von Flaubert weiß man, dass er sich wirklich über jeden einzelnen Satz den Kopf zerbrochen hat, da ist jede Einzelheit bewusst gesetzt.
    Und mir ist es zum Beispiel aufgefallen, dass es in einer der ersten Begegnungen von Emma und Charles heißt, dass er mit seinen Stiefeln beim Gehen ein weiches Geräusch macht, während ihre Absätze klappern - ein schönes Bild. Später dann - Rodolphe Boulanger hat, als er Emma das erste Mal zum Reiten abholt, extra "lange weiche Stiefel" angezogen, weil er meint, er könne sie damit beeindrucken.
    Ich denke, Charles ist Emma vor der Heirat wirklich viel männlicher und quasi heldenhafter erschienen, als es sich später dann herausgestellt hat.
    Und warum auch nicht, ich habe gerade einen Roman aus den dreißiger Jahren gelesen, in dem der Mann eine hingebungsvolle sanfte Frau geheiratet hat, und nachher war sie ein Zankteufel und obendrein nicht ganz compos mentis. Die Leute heiraten einfach zu schnell, ohne einander wirklich zu kennen.

  • Damals hatten die jungen Leute gar keine Chance sich vor der Hochzeit gründlich kennenzulernen. Sicher waren viele danach ernüchtert und mussten versuchen, sich irgendwie zu arrangieren. Ich möchte nicht wissen, wieviele Paare später nur noch nebeneinander herlebten, vor allem nachdem die Pflicht der Vermehrung erledigt war. Und nicht wenige sind unglücklich geworden. Umso mehr Emma, die noch dazu übertriebene romantische Vorstellungen vom Traumprinz hatte, die sie auch später nicht aufgab. Sie will einfach nicht aufwachen!
    Charles schneidet bei ihr auch deshalb so schlecht ab, weil sie ihn mit ihrem Traumprinzen vergleicht.

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    Original von Zefira


    Und mir ist es zum Beispiel aufgefallen, dass es in einer der ersten Begegnungen von Emma und Charles heißt, dass er mit seinen Stiefeln beim Gehen ein weiches Geräusch macht, während ihre Absätze klappern - ein schönes Bild. Später dann - Rodolphe Boulanger hat, als er Emma das erste Mal zum Reiten abholt, extra "lange weiche Stiefel" angezogen, weil er meint, er könne sie damit beeindrucken.


    Interessant!

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    Original von made


    Das kommt vielleicht daher, dass er schon als Kind und später in seiner ersten Ehe unter der Fuchtel stand. Er ist wohl eher ein schwacher Charakter.


    Fürchterlich! Aber er kommt ja auch nicht wirklich viel im Buch vor, zumindest nehme ich ihn kaum wahr. Anfangs schon, ja, aber als dann Emma erscheint, ist er eher eine Randfigur. Was auch gut ist. Ich finde ihn schrecklich ;-)


    Das mit den Stiefel wusste ich auch nicht und habe ich auch nicht wahr genommen. Vermutlich liegt das daran, dass vieles an mir vorbei rauscht, weil der Sprecher einfach monoton spricht. So kenne ich den gar nicht. :cry


    Zefira, warum kennst du dich so gut mit Flaubert und Bovary aus?

  • Es gibt kein Buch, mit dem ich mich so lange und intensiv befasst habe wie mit Madame Bovary. Ich habe auch einiges von Flauberts Briefwechsel mit seiner Freundin Louise Colet gelesen sowie andere flankierende Literatur.
    Was mich an dem Buch fasziniert, ist: ich habe es Anfang der Neunziger das erste Mal gelesen und danach lange Zeit regelmäßig jedes Jahr von Neuem. Jedes Mal hat es komplett anders auf mich gewirkt, je nach meiner eigenen persönlichen Situation. Beim ersten Lesen fand ich Emma hoffnungslos dämlich, später tat sie mir leid, eine Zeitlang habe ich sie sogar bewundert - immer wieder anders. Einen ähnlichen Effekt hat auf mich nur noch Thomas Hardys "Tess" auf mich gehabt.

  • Ich habe im nächsten Abschnitt geschrieben, dass ich es abbrechen werde. Daher kann ich das gar nicht verstehen, dass du es so oft gelesen hast :wow Aber womöglich ist bei mir tatsächlich der sonst eigentlich sehr gute Sprecher schuld oder die Tatsache, dass ich es höre statt lese? Ich weiß es nicht.


    Beeindruckend, dass es jedes Mal anders auf dich gewirkt hat. Ich werde mal weiterhin die Kommentare hier in der LR mitlesen und entscheide mich dann, ob ich es doch noch mal versuche. Dann würde ich aber von Anfang an anfangen und es lesen.

  • Meiner Meinung nach behandelt das Buch ein universelles Thema, das in unterschiedlichen Formen in jeder Generation präsent ist, nämlich, wie weit ein Mensch sich von seinen Träumen beherrschen lässt - Träume, die nicht originär aus der Seele heraus entstanden sind, sondern sich aus unrealistischen Medienberichten herleiten.


    Heute würde Emma nicht aufhören, sich bei DSDS zu bewerben, trotz weitgehender Talentfreiheit und begrenzter Arbeitslust (die ja zu einer Sängerkarriere dazugehört, nehme ich mal an). Oder ersetzt DSDS durch Germanys Next Topmodel ...


    Die Beharrlichkeit - oder Uneinsichtigkeit - mit der Emma jeden reality-check verweigert, ihren Traum lebt und dabei jede Möglichkeit, zu einem tatsächlichen kleinen Glück zu kommen - schließlich ist sie Mutter!! - fahrenlässt, hat für mich etwas Irres und zugleich Heldenhaftes.