Judith Butler, Krieg und Affekt

  • Judith Butler dürfte den meisten als diejenige bekannt sein, die Anfang der 90er zu der Protagonistin des dekonstruktiven Feminismus wurde, damit den Differenzfeminismus herausgefordert hat und zu einer der wirkmächtigsten Theoretikerinnen auf dem Gebiet der Genderforschung wurde.
    Über diesem Umstand vergisst man gern, dass Judith Butler eine sehr viel vielseitigere Philosophin ist, deren Arbeiten - auch die über Gender - alle auch Auseinandersetzungen mit grundlegenden subjekttheoretischen Fragestellungen sind: Wie funktioniert Willensbildung? Nach welchen Kriterien ist unsere Gesellschaft gegliedert, was wird als gegeben, was als verhandelbar hingenommen, wenn es um einzelne Menschen geht? Gerade diese letzte Frage hat Butler nun offenbar in Bezug auf die kriegerischen Handlungen, die von Amerika unter Bush ausgegangen sind, umgetrieben. Das vorliegende Bändchen enthält ein Interview mit ihr, das in den Tagen nach dem Beginn des Irakkriegs im Jahr 2003 geführt wurde, einen Aufsatz, der hauptsächlich eine Buchbesprechung von Susan Sontags letztem Buch ist, in dem sie sich noch einmal mit der Macht der Fotografie auseinandersetzt, und schließlich als Hauptteil einen Vortrag, der gleichzeitig das erste Kapitel ihrer in diesem Jahr auf Englisch erschienenen Aufsatzsammlung "Frames of War" ist. Hier geht es vor allem um die Wahrnehmung von Leben und Tod im Zeichen des Krieges, darum, dass bestimmte Leben keine mediale Präsenz haben (manchmal auch von oben sanktioniert, Butler gibt hier interessante Einblicke in die Praktiken nicht nur der amerikanischen Regierung, sondern auch in flankierende Maßnahme einzelner Medien, die sich weigern bestimmte Informationen zugänglich zu machen, wenn sie das sind, was von offizieller Seite gern "unamerikanisch" genannt wird.
    Hauptthese ist, dass der Mensch die Grenzen seiner Subjektivität nicht einfach als etwas Gegebenes vorfindet, sondern dass es eine Reihe von Mechanismen gibt, die eben bestimmte Leben als zerstörbar begreifen, während andere als verteidigungswürdig und betrauerbar dargestellt werden. Butler vertritt dabei die Auffassung, dass es sinnlos ist, die eigene Subjektivität als unabhängig von einem Gegenüber zu begreifen, mit dem diese immer und notwendig ausgehandelt werden muss, das als Spiegel oder Ergänzung oder radikal Anderes begriffen und konzeptualisiert wird.
    Wie immer unterfüttert Butler ihre Argumentation mit praktischen Beispielen, an denen sichtbar wird, wie widersprüchlich oftmals die Haltung des Westens zur Gewalt ist. Gewalt ist nämlich zu rechtfertigen, wenn sie sich gegen bestimmte Individuen oder Gruppen richtet, die aus verschiedenen Gründen nicht zu denen gehören, deren Leben grundsätzlich als schützenswürdig erachtet wird. Sie geht dabei nicht einmal auf die offenkundigen Widersprüche einer Kriegsrechtfertigung ein, die einerseits bestimmte Bevölkerungsgruppen "befreien" will, die sie andererseits als Opfer in Kauf nimmt.


    Alles in allem ein Bändchen, dem man anmerkt, dass es ein bisschen zusammengestückelt und nicht furchtbar systematisch ausgearbeitet ist. Starke Thesen und Lösungsansätze fehlen weitgehend. Ich werde demnächst dann "Frames of War" lesen und sehen, wie diese Ansätze weiterentwickelt worden sind.