OT: No Guns At My Son’s Funeral 2005
Aftab ist zwölft und er lechzt nach Abenteuern. Elternhaus, Geschwister, Freunde, Schule, alles ist langweilig. Aftab will etwas Richtiges erleben, wichtig sein, ein Mann sein. Akram, der Fremde mit den grünen Augen und der Narbe im Gesicht, kommt ihm gerade recht. Akram erzählt vom Kämpfen, von der ‚Sache’. Die Sache, das ist Kaschmir. Das Land muß frei werden. Irgendwie, auf jeden Fall bald und mit Gewalt. Der Einsatz von Gewalt ist Aftab eigentlich ziemlich unheimlich, tatsächlich wird ihm übel, wenn er Blut sieht. Aber das, was Akram zu erzählen weiß, klingt zu verlockend. Zudem ist Akram der einzige, der ihn ernst nimmt. Für ihn ist er kein kleiner Junge, für ihn ist er ein zukünftiger Kämpfer, ein Mann von Bedeutung. Was gibt es Schöneres für einen Mann, als ein Held zu sein?
Immer tiefer gerät Aftab in das Netz, das Akram spinnt. Als die kleine Gruppe auffliegt und Akram vor dem indischen Militär in die Berge flüchten muß, beweist ihm Aftab, daß er sich auch weiterhin auf ihn verlassen kann. Bis zum Ende.
Paro Anand (geb. 1957 in Shimla) ist Lektorin, Journalistin und Kinderbuchautorin. ‚Heldenspiel’ ist ein Jugendroman, der sich einem schwerwiegenden Thema widmet, der Lage in Kaschmir und dem Phänomen, das unter dem Namen ‚Terrorismus’ heutzutage in aller Munde ist.
Mittelpunkt, Dreh - und Angelpunkt der Geschichte ist der kleine Aftab. Leserinnen und Leser folgen einem Jungen, der hin - und hergerissen ist zwischen dem Wunsch, Kind bleiben zu dürfen und erwachsen sein zu wollen. Er ist in einem Entwicklungsstadium angekommen, mit dem er nirgends einen Platz zu finden scheint. Er will selbständig sein und zugleich verwöhnt werden, er möchte die schützende Höhle des Elternhauses nicht verlassen und zugleich die verlockende Welt draußen kennenlernen. Er will mehr ausprobieren als seine Schlagtechnik beim Kricketspiel mit den gleichaltrigen Freunden verbessern. Überhaupt möchte er einmal andere Freunde haben, geheimnisvolle, aufregende Freunde, nicht nur die, die er kennt, seit sie alle in den Windeln lagen. Aftab liebt und respektiert seine Eltern, will sich von ihnen aber nichts mehr vorschreiben lassen. Gleichzeitig wirft er ihnen vor, daß sie sich nicht um ihn kümmern, sie haben ja nur Augen für seinen kleinen Bruder oder machen sich Gedanken, wie sie die ältere Schwester am besten verheiraten können!
Gut getroffen sind auch die inneren Konflikte des Jungen, die in seiner Beziehung zu Akram entstehen, die Faszination, die Anhänglichkeit, die Schwärmerei, geradezu Hingabe und zugleich die Angst, die sich streckenweise in eine böse Lust am Entsetzen an sich verwandelt.
Das ist aber das einzige Positive, das sich über diesen Jugendroman sagen läßt. Eingebettet ist Aftabs Entwicklung zum ‚Terroristen’ in eine wenig schlüssige Geschichte, die in der zweiten Hälfte noch dazu sprunghaft und überfrachtet wird. So sorgfältig die Autorin zunächst zu arbeiten scheint, so gefühlig-kitschig, wirr und falsch wird der Rest.
Akram, für den man sich als LeserIn mindestens ebenso stark interessiert wie für Aftab und dem die Autorin zunächst durchaus Raum gibt, wird von einem Kapitel zum nächsten zum Psychopathen und letztlich bösen Dämon aller, die mit ihm in Berührung kommen. Die eingewobene Liebesgeschichte ist eine echte Überraschung, wird aber dann in einem Maß sentimentalisiert, daß man kaum noch weiß, wo einer der Kopf steht. Das Ende, zu dem auch die Worte gehören, die zum englischen Originaltitel wurden, ist nur herzergreifend, aber nicht denkerisch überzeugend.
Überhaupt steht das Gefühl im Vordergrund. Immer wieder wird an Freundschaft, friedliches Zusammenleben, Zusammenhalt appelliert, ohne daß diese Werte aber wirkliches Gewicht gewinnen. Sie bleiben bloße Wort, vage Gefühle, in denen sich jeder irgendwie wiederfinden kann. Eine solche blasse allgemein-humanistische Vagheit ist entschieden kein Mittel ausgerechnet mit dem Thema Terrorismus umzugehen.
Die wesentlichen Gründe, die dafür angegeben werden, daß Kinder und junge Männer diesen Weg wählen, sind Geltungssucht und Selbstüberschätzung. Das ist so einfach gedacht, daß es schon gefährlich ist. Männerbilder und Männlichkeitsvorstellungen werden zugleich im ganzen Buch nicht ein einziges Mal infrage gestellt.
Überhaupt wird nichts infrage gestellt. Die Anwesenheit des indischen Militärs ist ebenso selbstverständlich, wie die immer wiederholte Behauptung, daß die, die den Terrorismus nach Kaschmir bringen, Fremde sind. ‚Haltet Euch von den Fremden fern’ so lautet die unterliegende Botschaft.
Die Verantwortung liegt demnach draußen und auf keinen Fall drinnen. Das ist ein Bild, das sich zur Zeit weltpolitisch überall finden läßt, deswegen ist es aber trotzdem nicht richtig. Hier auf Komplexität zu verzichten, ist nahezu fahrlässig.
Natürlich fehlen auch alle Hinweise auf wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge. Daß es andere Bevölkerungsgruppen in Kaschmir gibt als Moslems ist der Autorin klar, aber sie schiebt es sehr abrupt und an einer Stelle ebenso tränenselig wie dramaturgisch hölzern in die Handlung ein. Es gibt ein Nachwort zu diesem Roman, von Jochen Buchsteiner, das deutschen LeserInnen zumindest einige Grundinformationen zur Lage in Kaschmir liefert. Das sollte man zuerst lesen, damit man wenigstens eine schwache Ahnung davon bekommt, worum es eigentlich geht. Das Buch selbst, vom Mitfühlen getragen, vermittelt das nur ansatzweise.
Auf den ersten Blick als humanistischer und damit unparteiischer Beitrag zur Überwindung eines tiefgreifenden Konflikts angelegt, muß sich das Ganze schließlich beim näheren Betrachten den Vorwurf gefallen lassen, daß die Geschichte alles andere als unparteiisch ist. Die Figur des indischen Majors, in dessen Händen der Fall Akram liegt, ist so angelegt, daß sie sehr subtil, aber erkennbar, den Standpunkt Indiens in der Kaschmirfrage übermittelt. Unter diesem Aspekt bekommt die Botschaft ‚wir wollen doch nur friedlich leben’, die ‚die Bevölkerung’ dort angeblich äußert, unseligerweise den Ton von ‚wir wollen uns um nichts selber kümmern’, was den Tatsachen völlig widerspricht.
Als Roman sowohl von der Handlung wie in der Zeichnung der Figuren unausgewogen, im letzten Drittel sprunghaft bis wirr erzählt, als Beitrag zum Ergründung der Motive von sog. Terroristen verantwortungslos vereinfachend, als Appell an die Menschlichkeit äußerst vage und in seiner Grundaussage parteiisch, ist das Buch für Kinderköpfe nicht geeignet.