Zum Inhalt (laut Buch):
Die wohlbehütete Elisabeth verlässt das warme heimatliche Nest, um im rauhen Westen Kanadas eine Stelle als Lehrerin anzutreten. Eines hat sie sich ganz fest vorgenommen: Auf keinen Fall wird sie sich mit einem dieser „Rotjacken“ einlassen, einem kanadischen berittenen Polizisten.
Auch der junge Wynn Delaney trägt sich nun wirklich nicht mit Heiratsgedanken. Doch als Elisabeth und Wynn sich begegnen, wird plötzlich alles anders...
Zur Autorin (laut Buch):
Janette Oke wurde 1935 auf einer Farm in Alberta, Kanada, geboren. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Kindern. Mit ihrem Ehemann Edward wohnt sie in Alberta nahe der Farm ihrer Eltern, die zu einem Museum umgebaut wurde.
Meine Meinung:
Janette Oke ist Autorin zahlreicher Bücher bzw. Buchserien, zum Beispiel der Siedler-Serie oder der Kanada-Serie, von denen „Wenn die Liebe siegt“ Band 1 ist. Der erste Band einer Serie ist quasi verpflichtet, die Protagonisten einzuführen, den Leser, sei er weiblich oder männlich, mit ihnen und den Gegebenheiten, dem Umfeld bekannt zu machen. So auch hier.
Elisabeth ist eine junge Frau, um die 20 Jahre alt, die mit dem Großteil ihrer Familie in Toronto lebt. Wir schreiben das Jahr 1910, Elisabeth ist berufstätig und zwar- wie es sich für diese Zeit gehört – als Lehrerin. Sie schätzt die Arbeit mit den Kindern sehr und geht darin auf, so sehr, dass sie eine Heirat für sich ausschließt. Ein Brief ihres in Calgary lebenden Bruder Jonathan lockt sie in den wilden Westen Kanadas, wo sie, anstatt wie geplant in oder um Calgary herum als Lehrerin zu wirken, buchstäblich in der Wildnis, nämlich in Pine Springs, eine Schule führen wird.
Der Roman wird in der „Ich“-Form erzählt, der Leser erlebt alles aus Elisabeths Sicht. Selten habe ich diese Erzählweise so konsequent durchgehalten verfolgen können. Elisabeth entstammt einem wohlhabenen Elternhaus, sie ist sehr gut erzogen, sie ist wohlbehütet aufgewachsen und gilt innerhalb der Familie als „praktisch veranlagt“ (Seite 8). Sie besitzt eine gute Portion Humor und, was mich immer wieder hat lächeln lassen, eine geradezu köstliche Naivität. Ihr Nichtverstehen und ihr Missverstehen, zum Beispiel in Bezug auf das Verhalten des Direktors der Schulaufsichtsbehörde, ihr Nichtwissen in Bezug auf die Flora und Fauna in der Prärie machen für mich einen Großteil des Charmes dieses Buches aus. Ihre Angst vor den Wölfen, die gar keine sind, ihr Ärger über ihre Untermieter, deren letzten Überlebenden sie allerdings liebevoll Napoleon nennt und der die eine oder andere Essensration bekommt, die Begegnung mit dem Bären, ihr Verzaubertsein von den Bergen, das alles ist beinahe zärtlich beschrieben, hat einen ganz eigenen Witz, wird aber nie der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch die Begegnung mit den Kindern, die ihre Schüler werden, mit deren Eltern, mit Elisabeths Familie, sei es in Toronto, aber in viel größerem Maße in Calgary, auch mit dem unsäglichen Mr. Higgins und – natürlich – mit Wynn Delaney sind lebendig gezeichnet, konsequent auch hier die Sicht nur aus Elisabeths Augen. Gerade in Bezug auf Wynn Delaney, der in ihrem Leben eine große Rolle spielen wird, könnte das zum Nachteil gereichen, denn der Leser erfährt eben nicht ein Fitzelchen mehr als Elisabeth. Ihre anfängliche Empörung, dann die Bezauberung und zunehmende Liebe zu diesem gestandenen Mountie sind für mich aber durchaus nachvollziehbar geworden.
„Wenn die Liebe siegt“ könnte durchaus als Liebesroman durchgehen, allerdings wird dieses Thema äußerst dezent behandelt. Zwei, drei Küsse, das war es auch schon an „Liebes-Leibesertüchtigung“. Diese Zurückhaltung, einerseits geschuldet der Zeit, in dem der Roman spielt, und seiner gläubigen Protagonistin, andererseits, so vermute ich, auch der Haltung und Einstellung der Autorin, hat mir gut gefallen; manchmal ist weniger eben doch mehr. Als wohlerzogene junge Dame errötet Elisabeth zwar ein wenig oft, einigen jüngere Herren steigt diese Röte auch hin und wieder in die Wangen und sie müssen die junge Lehrerin mit weit aufgerissenen Augen anstarren, aber auch diese Reaktionen habe ich in der Regel als passend empfunden. Eher erstaunlich finde ich da die Anpassungsfähigkeit Elisabeths, sie ist Luxus gewöhnt, vermag sich aber sehr rasch auf bescheidenere Verhältnisse einzustellen. Ihre prächtige Kleidung tauscht sie ohne großes Lamentieren gegen die einfachen Kleider einer Lehrerin, auch mit der kargen Ausstattung ihres Lehrerhäuschens kommt sie ohne großes Aufbegehren klar. Man mag darüber trefflich streiten können, inwieweit hier eventuell der Moralkodex der Autorin die Feder führt oder ob der Leser zu der Ansicht kommen kann, in früheren Zeiten habe eine Anpassung an die Gegebenheiten eher stattfinden können als in unserer heutigen technisierten Epoche.
In diesem Buch habe ich mich äußerst wohl gefühlt. Dazu mag beigetragen haben, dass das „Negative“ fast völlig fehlt, sprich, dass beispielsweise Elisabeth unliebsame Bekanntschaften macht, dass sie bestohlen wird. Ärgere Dinge als Mr. Higgens, der Bär und ihre Untermieter widerfahren ihr nicht. Selbst mit ihren Schulkindern hat sie ausgesprochenes Glück. Ihr schlechtes Gewissen drückt sie zwar ab und an und mit ihr habe ich um Andy geweint, ein ganz besonderes Kind. Das Buch habe ich dennoch nicht als Leichtgewicht empfunden, denn es werden, wenn auch dezent und manchmal „zwischen den Zeilen“ durchaus ernste Themen angesprochen, wie der Lehrermangel und der daraus resultierende Bildungsnotstand, auch die Situation der Indianer, der Frauen-“Mangel“ im wilden Westen Kanadas und die Härte des alltäglichen Lebens in der Wildnis. Diese Themen scheinen in den Folgebänden vertieft zu werden. So man will und sich die Mühe macht, ihn zu entdecken, kann man sicherlich den erhobenen moralischen Zeigefinger zur Kenntnis nehmen; man kann ihn aber ebenso gut überlesen. Mich hat er jedenfalls nicht gestört.
Lange habe ich überlegt, wie ich diesen Roman nennen könnte, und mir fällt tatsächlich nur ein Wort ein: charmant. Er ist ein zauberhafter erster Band einer Serie, bei der ich beinahe befürchte, dass etwas von diesem Ton verloren gehen wird in den nachfolgenden Bänden. Elisabeth, Wynn und viele andere Figuren sind mir ans Herz gewachsen und auch in der Wildnis Kanadas habe ich mich wohl gefühlt.
„Wenn die Liebe siegt“ ist ein sogenannter Inspirational, also ein (Liebes-)Roman mit mehr oder weniger starken religiösen Bezügen. Der Glaube spielt in Elisabeths Leben eines große Rolle, sie liest oft und gerne in der Bibel, sie betet, sie schätzt den Gottesdienst und wendet sich auch hin und wieder direkt an Gott. Der Leser wird auch Zeuge eines für mein Empfinden doch sehr ernsten und sehr „glaubensfesten“ Gesprächs zwischen Jonathan und seinem Sohn William, in dem es um Sünde und um Vergebung geht. Das alles ist fester Bestandteil des Lebens der Protagonisten, gleichwohl wirkt es auf mich nicht aufgesetzt. Diese Passagen haben mich in keiner Weise gestört, sondern es war für mich einfach ein Kennenlernen quasi eines anderen Lebensentwurfes, bei dem (gelebter) Glaube, Kirche und die Gemeinschaft innerhalb einer Gemeinde im Mittelpunkt stehen. Auch wenn ich mir ein Leben in dieser Form für mich nicht vorstellen kann, habe ich dennoch Respekt davor, Respekt, der durch die Bücher von Deeanne Gist und Janette Oke vertieft worden ist.
Das Kennenlernen der Erstgenannten verdanke ich Herrn Palomar, der Zweitgenannten SiCollier. Ohne sie hätte ich weder von der einen noch von der anderen ein Buch in der Hand genommen, einfach schon deshalb, weil sie mir nicht einmal aufgefallen wären oder – wie im vorliegenden Fall – mich der Titel eher abgeschreckt hätte (mein Englisch reicht immerhin dazu aus, um „When Calls the Heart“ dem deutschen Titel vorzuziehen). Daher an dieser Stelle meinen Dank für die Anregungen, auch SchriftstellerInnen eine Chance zu geben, die in mein „Beuteschema“ auf den ersten Blick so überhaupt nicht passen.
Janette Okes Buch werde ich mit neun Punkten bewerten, einen Punkt Abzug gibt es für zwei, drei kleine sprachliche Schnitzer, die vermutlich der Übersetzung anzurechnen sind.