OT: Kung Tulle: Om grundandet av Tulavall (1972)
Tulle ist zwar der Sohn eines Königs, aber klein und schmächtig und ein wenig langsam, wie er ist, finden seine Halbbrüder Steinulf und Bork, daß sie gut auf ihn verzichten können. Kurzerhand werfen sie ihn hinaus. Dem Umstand, daß Bork und Steinulf sich auch nicht besonders gut vertragen, verdankt er es, daß er sein mütterliches Erbe, zwölf Ziegen, mitnehmen darf. Oder war es doch der eigenartige Ausdruck, der plötzlich in Tulles sonst so sanften Augen erschien, der Bork weich werden ließ?
Tulle seinerseits ist nicht übermäßig traurig, daß er fortziehen muß. Allerdings sieht er zu, daß er mitsamt seine Ziegen möglichst rasch viele Meilen zwischen sich und die Halle seines verstorbenen Vaters legt. Nicht daß seine Brüder es sich anders überlegen und ihm am Ende doch noch erschlagen. Weit im Westen, nahe der Küste, findet er ein Fleckchen Erde, das ihm gefällt. Er beschließt, sich hier niederzulassen. Das ist nicht ganz einfach. Zwar gibt es keine Menschen in der Gegend, dafür aber wilde Tiere und jede Menge Geister. Mit nicht wenig Mühe und einigem Nachdenken, dem Schall seines frischgeschnitzten Horns aus Erlenrinde. entschlossen abgefeuerten Feuerpfeilen und nicht zuletzt viel Höflichkeit gegenüber Geisterwesen gelingt es Tulle, sich sein Stück Land zu erobern. Er ist festentschlossen, sich hier eine Königshalle zu bauen.
Seinen Brüdern, die gehofft haben, daß er in der Wildnis zugrunde geht, paßt das überhaupt nicht. Flugs schicken sie ihm Mörder nach. So schmächtig Tulle auch ist, so geschickt entledigt er sich der beiden. Doch es bleibt nicht bei diesem einen Kampf.
Tulle aber findet auch Unterstützer. Zuerst das seltsame Wesen, das auf den Namen Halber Mensch hört, dann den alten Håbard, der zwar fest an Tulles guten Stern glaubt, aber trotzdem immer zuerst schwarz sieht. Zu den dreien (und den Ziegen) gesellen sich bald Leute, die von Tulles Brüdern ausgeschickt wurden, um ihn zu erschlagen, denen es aber bei Tulle besser gefällt als bei Bork und Steinulf. Tulles kleines Reich wächst und wächst. Die erträumte Halle entsteht, er findet eine seltsame Frau, Libite, ein Waldwesen, das seine Königin wird.
Seine Brüder geben aber immer noch keine Ruhe und obwohl Tulle alles versucht, ihnen auszuweichen, wird er in einen Streit zwischen Steinulf und Bork hineingezogen. Auf einmal steht alles auf dem Spiel, sein kleines Reich, sein treues Schwert Schlagfest und sein Leben. Seine streitlustigen Brüder sind dabei nicht die einzige Gefahr.
Irmelin Sandman, geb. 1936, ist eine schwedischsprachige Autorin aus Finnland. Seit Mitte der 1950er Jahre schreibt sie Bilderbücher und Kinderbücher, aber auch Romane für Erwachsene. In Finnland und Schweden ist sie überdies für ihre Lyrik bekannt. Dafür und für ihre Kinderbücher hat sie einige Literaturpreise erhalten, 2002 kam ihre Name auf die Ehrenliste des IBBY.
Die Geschichte von Tulle und wie er König wurde, ist in Deutschland als Kinderbuch erschienen, aber es ist nicht ausschließlich ein Kinderbuch. König Tulles Geschichte ist den klassischen nordischen Sagas nachempfunden. Geisterwelt und Menschenwelt, Alltag und Fantastisches verschmelzen zu einer Einheit. Gleich, ob Tulle gegen Trolle kämpft oder gegen die Mörder, die seine Brüder geschickt haben, gleich, ob er mit seinen Knechten oder Geistern spricht, alles gehört zusammen und wirkt zusammen. Der Bau der Halle wird mit der gleichen Ernsthaftigkeit beschrieben, wie der Kampf gegen den Eisenwaldvogel, Tulle ist ebenso lebensecht wie seine Frau, die eine Gestaltwandlerin ist. Magie ist allgegenwärtig, aber ebenso der Lauf der Jahreszeiten, die Ernten und das Kinderlachen, das bald Tulles kleines Reich erfüllt. Erzählt wird in kurzen Kapiteln, sie sich auch gut zum Vorlesen eignen - nicht nur Kindern - , mit eher kurzen klaren Sätzen, die unvermutet ins Magisch-Poetische fallen können.
Es fließt nicht wenig Blut, doch es gibt auch genug weise Worte über Frieden, Gerechtigkeit und Habgier oder aber über die Folgen von zu großer Milde. Wie es sich gehört, enthalten die Geschichten einen Tugendkatalog, was man tut und was man nicht tut, was sich gehört und was sich nicht gehört, wird einer nicht vorenthalten. Eingewoben sind eine Fülle von Informationen über das Alltagsleben, die Feuerstellen in der Halle, wie Zäune gebaut und Dächer gedeckt werden oder wie man sich ausrüstete, wenn man mitten im Winter tagelang übers Eis reiten muß. Auch der Witz fehlt nicht, es gibt manche humorvolle Szene, Wortwitz und den gleichfalls für klassischen Sagas erforderlichen Schlagabtausch mit der Zunge. Doppelzüngigkeit und Gemeinheit werden auf die gleiche Weise offenbar. Ein wahrer Held ist der, der stets weiß, wann der rechte Moment zum Reden, wann zum Schweigen gekommen ist.
Es ist abenteuerlich und äußerst spannend, Tulles hartnäckigen Kampf um sein eigenes kleines Reich mitzuverfolgen. Man gerät leicht in Versuchung zu vergessen, daß das alles erfunden ist, so ‚echt’ klingt es. Wer die echten Sagas kennt, bekommt Lust, sie wieder einmal zu lesen, wer sie noch nicht kennt, kann durchaus neugierig auf sie werden.
‚Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erlogen’ sagte ein Sprichwort und das ist Tulles Geschichte wahrhaftig. Der rein fiktive Gründer des fiktiven Tulavall kann sich mit vollen Recht und voller Stolz in die Reihe der historischen wie alten literarischen Helden der Wikingerzeit stellen.
Die Illustrationen von Manfred Schlüter geben auf sehr gelungene Weise sowohl die Stimmung einzelner Szenen, als auch die Mischung zwischen nachgemachter Mittelalter-Saga, fantastischer Abenteuergeschichte, Kinderbuch und Geschichte für jedes Lesealter, die der Text ausmachen, wieder.
Das Buch ist inzwischen leider vergriffen, sowohl die erste Ausgabe von 1980 bei Thienemann, als auch die neue, hier verlinkte, von 1993. Wer es noch ausgräbt, darf sich auf eine ausgesprochen angenehme Lesezeit voll Unerwartetem und Schönem freuen.