Wie immer verstecke ich Details, die näher auf den Inhalt eingehen für die Freunde der Minimal-Information mittels der Spoiler-Funktion.
Arno Strobel: Castello Cristo – Thriller, München 2009, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21136-9, 316 Seiten, 12 x 19 x 1,8 cm, EUR 8,95 (D), EUR 9,20 (A).
Eine makabere Mordserie erschüttert Rom: Mit den Leichen unbekannter junger Männer wird der Kreuzweg Christi nachgestellt. Eine Station an jedem Tag. Und vierzehn Stationen gibt es. Was all den toten jungen Männern gemeinsam ist: eine verblasste Tätowierung im Nacken, deren Bedeutung niemand kennt. Auch nicht Bruder Matthias, ein Deutscher, der in einem sizilianischen Kloster lebt und sich als Experte für religiöse Geheimbünde einen Namen gemacht hat.
Commissario Daniele Varotto, der die zuständige „Sonderkommission Judas“ leitet, ist alles andere begeistert, als das Justizministerium ihm Bruder Matthias als Berater zuteilt. Auf „kirchlichen Beistand“ pfeift er. Seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau hat er ein Problem mit Gott und der Kirche und diese Abneigung lässt er ungehemmt an Bruder Matthias aus, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Dieses unfaire Verhalten mag der psychischen Verfassung des Commissarios geschuldet sein, denn der Tod seiner Frau ist erst 10 Monate her, und Varotto leidet seitdem an Alpträumen und Panikattacken. Vielleicht spürt er auch, dass Bruder Matthias mehr ist als ein belesener Sekten-Experte ... und dass die Kirche und er einiges zu verbergen haben.
Dass die Mordserie zu komplex für einen durchgeknallten Einzeltäter ist, darin sind sich Polizei und Kirche einig. Die Leichen so zu arrangieren bedarf einer aufwändigen Vorbereitung und Logistik. Und auch die Opfer selbst, all die jungen Männer, die man schon in früher Kindheit mit dem unbekannten Symbol tätowiert haben muss, sprechen für eine Organisation, eine Sekte, eine Kommune. Dass es da nahe lag, Bruder Matthias als Fachmann hinzuzuziehen, leuchtet selbst Commissario Varotto ein.
Die vierte Kreuzweg-Station und damit der vierte Mord bringt die Polizei einen Schritt weiter. „Eine Witwe hat ihren Sohn tot aufgefunden. Bei sich im Wohnzimmer.“ (...) „Er hat die gleiche Tätowierung wie alle bisherigen Opfer. Und er ist als Kind entführt worden ... vor zwanzig Jahren ... er war damals acht.“ (Seite 45)
Sind vielleicht auch die anderen Toten Entführungsopfer, die vor 20 Jahren verschwanden und deren Fälle nie geklärt wurden? Die Polizei durchforstet ihre Dienstakten und kommt auf 20 Fälle, die in dieses Raster passen. Die Recherchen ergeben, dass die Toten noch einiges mehr gemeinsam hatten als Tätowierung und Entführung. Die Polizisten sind wie vom Donner gerührt. Diese Zusammenhänge hätte man schon viel früher erkennen müssen!
Was die grausige Mordserie zu bedeuten hat, bleibt nach wie vor ein Rätsel. Irgend eine geheime Organisation muss ein Ziel verfolgen, das diesen enormen Aufwand über Jahrzehnte hinweg rechtfertigt. Aber welches Ziel? Und wer steckt dahinter?
Commissario Varotto, Bruder Matthias und die Journalistin Alicia Egostino, eine langjährige Freundin der Varottos, sind bei ihren Nachforschungen auf einem viel versprechenden Weg. Und sie haben sich zu einem schlagkräftigen Team zusammengerauft. Da kommt es zu einem Vorfall, der in der sofortigen Suspendierung Varottos gipfelt. Eine Intrige, zweifellos. Und der Vatikan hat die Finger drin, wie Alicia sehr schnell herausfindet. Sind die Ermittler da jemandem zu dicht auf den Fersen?
Unterdessen gehen die Morde weiter. Während die Serienmörder die Polizisten auf eine grausig-makabere Schnitzeljagd kreuz und quer durch Rom jagen, verschwindet der Papst. Und ein Gemälde taucht auf, das ihn als Gekreuzigten zeigt ...
Verschwörungstheorien haben etwas Bizarres, Unerhörtes und Überlebensgroßes. Das macht ihre Faszination aus. Und das macht sie auch zu einer idealen Grundlage für einen Thriller. Weil der Leser mit seiner Lebenserfahrung und seinem gesunden Menschenverstand nicht in der Lage ist, sich die Motive, Hintergründe und Zusammenhänge zusammenzureimen, ist ein Verschwörungsthriller in der Regel nicht vorhersehbar. So verquer und pervers wie Menschen, die eine wirklich groß angelegte Intrige anzetteln können, kann man als Durchschnittsleser einfach nicht denken. Wenn der Autor es kann, kommt dabei ein ungeheuer packendes Stück Unterhaltung heraus.
Von atemloser Spannung ist CASTELLO CRISTO, das ist keine Frage! Es besteht durchaus die Gefahr, dass man das Essen anbrennen lässt, es verpasst, an der richtigen Haltestelle auszusteigen oder vergisst, die Kinder vom Fußballtraining abzuholen, weil man unbedingt wissen will, ob Varotto und seine Leute den Papst retten können und wer nun tatsächlich mit welchem Ziel hinter all den grausigen Aktivitäten steckt.
Wer nicht zum angestammten Publikum der Verschwörungsthriller zählt, kann vielleicht nicht alles glauben was er hier liest:
Und da wir gerade bei der Glaubwürdigkeit sind: Kann sich ein Polizist, der in seinem Beruf so viel Schreckliches zu sehen bekommt, tatsächlich so lange seinen kindlichen Glauben an einen guten und beschützenden Gott bewahren, dass er beim ersten persönlichen Schicksalsschlag total aus der Spur gerät und über Nacht zum zynischen Stinkstiefel wird? Müsste ihm in seinem Job nicht lange vor dem Tod seiner Frau aufgegangen sein, dass das Leben fies und ungerecht sein kann?
CASTELLO CRISTO ist eine Fortsetzung von Arno Strobels Roman MAGUS – DIE BRUDERSCHAFT, den man nicht zwangsläufig kennen muss, um den vorliegenden Roman zu verstehen. Was man von der Vergangenheit wissen muss, schildert der Autor so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig. Wer MAGUS gelesen hat, wird manche Zusammenhänge vermutlich schneller verstehen als Neulinge, die erst auf die entsprechenden Erklärungen warten müssen. Aber das tut dem packenden Lesevergnügen keinen Abbruch.
Zwei kleine Anmerkungen noch zum Schluss: Das düstere, in metallischen Gold- und Kupfertönen schillernde Buchcover sieht ungeheuer eindrucksvoll aus. Und die Art und Weise, in der Commissario Varottos Ehefrau den Tod fand, ist – Entschuldigung, Herr Strobel – von unfreiwilliger Komik. Das wäre im richtigen Leben ein Fall für den Darwin-Award ...
Autor
Arno Strobel, 1962 in Saarlouis geboren, studierte Informationstechnologie. Nach einigen Jahren Selbständigkeit als IT-Unternehmensberater ging er nach Luxemburg, wo er seitdem bei einer großen deutschen Bank mit der IT-Projektdurchführung betraut ist. Mit dem Schreiben begann er im Alter von fast vierzig Jahren. Arno Strobel lebt heute mit seiner Familie in der Nähe von Trier.