Titel: Mindeles Liebe
Autor: Memo Anjel
Originaltitel: Mindele 1955
Verlag: Rotpunktverlag
€ 19,50
Autorenportrait:
Memo Anjel, 1954 in Medellín/Kolumbien geboren, stammt aus einer sephardischen Familie. Neben der Arbeit an seinem literarischen Werk ist Anjel seit 17 Jahren als Hochschulprofessor in Medellín tätig und schreibt unter anderem eine Kolumne für eine Tageszeitung. Anjel geht in vielen seiner Werke der Frage nach, was es bedeutet, in der heutigen Assimilationskultur ein sephardischer Jude zu sein. Zuletzt erschien in deutscher Sprache der Familienroman Das meschuggene Jahr. Der vorliegende Band entstand während seines einjährigen Aufenthalts in Berlin.
Klappentext:
Der Eßtisch der vielköpfigen sephardischen Familie im kolumbianischen Medellin ist sozusagen der Nabel der Welt. Hier wird verhandelt was wichtig ist im Leben.
Mit eindringlicher Erzählweise und feinem Humor entführt uns Memo Anjel -seinem Vorbild Isaac B. Singer sehr nahe kommend- in den Mikrokosmos einer faszinierenden jüdischen Lebenswelt, deren liebevoll gezeichnete Figuren dem Leser lange unvergesslich bleiben.
Meine Meinung:
Mindele und Chaim lieben einander aus ganzem Herzen. Aber beide sind verheiratet und zwar nicht miteinander. Da jeder jeden kennt, in dieser kleinen Gemeinschaft wird das Zusammenleben auf eine harte Probe gestellt.
"Meine Schwester behielt also Recht: Uns trieb nichts in den Wahnsinn, sondern wir durchquerten den Wahnsinn, wie man ein stürmisches Meer voller Ungeheuer durchquert."
Und so werden sie besprochen, die kleinen und die großen Dinge des Lebens, bei Tisch währen die ganze Familie beisammen sitzt und die Kinder so tun als ob sie essen, in Wirklichkeit aber Ohren "wie Radaranlagen" hatten.
Besonders Victoria, das älteste der Kinder, die jedes Buch in ihrer Reichweite gelesen hat und entsprechend (alt)klug durch ihr junges Leben schreitet hat auf alles eine Antwort:
"Ich lese, damit ich nicht den heiraten muß, den du für mich aussuchst."
"Einen Mann für dieses Kind zu finden, wird ein so großes Wunder sein, wie die Überquerung des Roten Meeres."
Eine überaus schöne und mit viel feinem Humor erzählte Familiengeschichte. Die Figuren mit all ihren Schrulligkeiten sind mir ganz schnell ans Herz gewachsen und ich hätte sehr gerne noch mehr gelesen.
Ich möchte an dieser Stelle den Großonkel noch zu Wort kommen lassen, der den Leuten mit denen er sich unterhielt gerne ins Gesicht sah:
"Links und rechts verlieren die Dinge an Kontur. Deshalb haben wir die Augen nicht an den Seiten, wie die Hühner, sondern vorne, um geradeaus zu blicken."
Wer komische, skurille und manchmal auch melancholische Geschichten mag kommt hier auf jeden Fall auf seine Kosten.