Unter der Asche - Tom Finnek

  • Kurzbeschreibung
    London 1666. Vier Tage lang brennt die Stadt. Es ist eine Stadt voller Menschen, die in den Schatten leben. Der Straßenjunge Geoff, der in einem Taubenschlag lebt. Seine schöne Schwester Jezebel, die abends in der verrufenen Kneipe »Boar's Head« Bier ausschenkt und eines Tages spurlos verschwindet. Der junge Jamie Hollar, der ein Bild von ihr gemalt hat. Der Gauner Ray Webster, der vom Dieb zum Dichter wird. Und viele andere mehr, Menschen besessen von Kunst, von Religion, von Hass oder dem schieren Hunger nach Leben. Sie alle sind Akteure in einem Drama, das sich vor dem Panorama dieser Stadt entfaltet. Ein Mord in einer dunklen Gasse, ein seltsamer Eremit auf einem Friedhof, ein Grabstein, der eine alte Geschichte von Schuld und Sühne erzählt. Aus diesem Gemisch entspringt der Funke, der ganz London in Brand setzen wird. Der Roman für alle, die London lieben.

    Über den Autor:

    Tom Finnek, 1965 in Westfalen geboren, lebt als Filmjournalist und Schriftsteller in Berlin. Als Autor beschäftigt er sich schon länger mit historischen Stoffen, insbesondere zum Münsterland. Für ihn ist London mit seiner langen, wechselhaften Geschichte genauso faszinierend wie Berlin. Tom Finnek ist verheiratet und hat zwei kleine Söhne, auf die er sehr stolz ist.



    Meine Meinung:
    London im Spätsommer 1666. Drückende Hitze liegt wie eine Dunstglocke über der Stadt und ihren Bewohnern. Während sich die Bevölkerung langsam wieder von einer wenige Monate zurückliegenden Pestwelle erholt, ahnt sie nicht, dass ihr noch eine viel größere Katastrophe bevorsteht. In Mitten dieser Zeit des Aufbruchs begegnen wir dem 13-jährigen Geoffrey, der nicht nur unter seinem trunksüchtigen Vater leidet sondern auch noch vor dem Rätsel steht, was mit seiner Schwester Jezebel passiert ist, die von einem auf den anderen Tag spurlos verschwunden ist. Als er sich nach einem belauschten Gespräch auf die Suche nach ihr macht, setzt er Dinge in Gang, die das Schicksal der Menschen in seinem Umfeld dauerhaft verändern werden.


    Tom Finneks Geschichte setzt einige Zeit nach dem großen Brand von London an, der die Stadt vom 2. bis zum 5. September 1666 zu vier Fünftel zerstört hat und dessen Ursache bis heute nicht ganz geklärt ist. Das Feuer spielt in diesem Roman aber nur eine kleinere Rolle und ist die Konsequenz sämtlicher Handlungen, die das Buch bis zu diesem Zeitpunkt erzählt. Tom Finnek erzählt in Rückblicken die Geschichte von Geoffrey, seiner Schwester Jezebel, dem Eremiten von St. Olave, dem Ranzigen Ray und dem verrückten Rat Scabie und weiteren Protagonisten aus unterschiedlichen Perspektiven. Während Geoffrey die Geschehnisse in der Ich-Perspektive erzählt, kommen die anderen Protagonisten in der dritten Person zum Zug. Hin und wieder kreuzen sich die Erzählstränge, sodass man die gleiche Geschichte aus dem Blickwinkel der jeweils agierenden Figur erfährt. Der Leser kann sich eigentlich nie sicher sein, welche Sicht der Dinge stimmt, wer die Wahrheit erzählt oder wer sich die Wahrheit nach eigenem Ermessen zurechtbiegt. Es ist ein grandioses Verwirrspiel, das der Autor mit dem Leser treibt und oft genug glaubt man, auf dem richtigen Weg zu sein, um and Ende festzustellen, dass man doch wieder in einer Sackgasse gelandet ist.


    Tom Finneks Figuren sind nicht gefällig. Es gibt keine Superhelden, es gibt auch keinen bloßen Schurken. Statt dessen gibt es Figuren wie aus dem richtigen Leben. Jeder trägt sein Päckchen, jeder trägt seine Schuld, jeder hat angenehme und weniger angenehme Wesenszüge. Tom Finneks Figuren sind skurril, komisch, tragisch, liebenswert, verachtenswert. Man mag sie, man lehnt sie ab. Aber eines haben sie alle gemeinsam - sie sind Kinder ihrer Zeit und der Umstände, in denen sie leben. Es gab in der letzten Zeit selten ein Buch, bei dem mich Figuren so beschäftigt haben. Durch die ungewöhnliche Erzählweise - das Buch besteht aus 8 Teilen plus Prolog und Epilog, bei denen immer abwechselnd eine der Figuren im Mittelpunkt des Geschehens ist, gibt es so gut wie keine Nebenfiguren. Alle stehen im Laufe der Geschichte irgendwann einmal im Licht der Scheinwerfer und haben ihre 15 Minuten Ruhm.


    Tom Finneks London des 17. Jahrhunderts ist die Bühne, seine Protagonisten das Ensemble und die Leser das Publikum eines grandiosen Theaterstücks über Liebe, Wahnsinn, Rache, Schuld und Vergebung. Ein Theaterstück, bei dem die Darsteller nicht nur auf der Bühne sondern auch im Publikum agieren und es ganz tief in die Vorstellung mit einbeziehen.


    Ich habe mich großartig unterhalten gefühlt und mich durch die ausgeklügelte Handlung gerne und oft an der Nase herumführen lassen. Wenn die letzte Seite umgeschlagen ist und der Vorhang gefallen, sage ich mit einem großen Bedauern "Alle ab" und hoffe, dass ich in Tom Finneks Theater des Lebens bald wieder zu Gast sein darf.

  • Uff! Also du kannst echt super Rezis schreiben, Bouquineur!! :)


    Ich stimme dir in allen erwähnten Sachen zu und war auch so begeistert von dem Buch, dass ich es nun meiner Mutter andrehen werde!


    Danke für die großartige Zeit im 17. Jahrhundert in London, Tom! :anbet

  • Vielen Dank für die tolle Rezi Bouquineur! :anbet


    Ich kann mich nur anschließen. Ein wunderschönes Buch mit interessanten Charakteren - für mich 10 von 10 Punkten! (Mein Mann wird das Buch als nächster lesen - nachdem ich es so begeistert war...). Ich freue mich schon auf das nächste London-Buch! :wave