Wollen Leser authentische historische Romane?

  • Zitat

    Original von Charlie
    Ich moechte nur mal darauf hinweisen duerfen, dass ich mich hier ein bisschen aus dem Zusammenhang gerissen und fehl am Platz fuehle. Ich hatte - im Rezensionsthread zu Ines' "Hoellenknecht" - lediglich sagen wollen, was Iris oben praegnanter zusammenfasst, dass ich naemlich Ines' Haltung verstaendlich und nachvollziehbar finde.
    Nicht eine Diskussion dieser Art lostreten, in der "die einen" (Romane) gegen "die anderen" (oder gar "die bemuehten" und "die miesen") gehalten werden.
    (Und "fromm" und "aberglaeubisch" hab ich wirklich nicht geschrieben, das ist auch WIRKLICH nicht meine Art, ueber die, die vor uns gelebt haben, zu denken, das bitte ich, mir zu glauben.)


    Ich hatte Dir die besagten Worte auch nicht in den Mund legen wollen, sondern habe lediglich versucht zusammenzufassen, was Ines und du geschrieben hattet. Darum hatte ich die Link zu dem Rezithread gesetzt, damit jeder nachlesen kann, wer genau was gesagt hat.


    Darum, dass die "einen" Romane nicht gegen die "anderen" gehalten werden, möchte ich auch nachdrücklich bitten. Ich plädiere schließlich selbst immer wieder für Vielfalt in diesem Genre und habe mich schon aufgeregt, wenn jemand z.B. alles Fantastische im historischen Gewand am liebsten ausrotten würde, denn ich liebe auch die Bücher im Zwischenbereich von historischem Roman und Märchen, wie z.B. von Ganß oder Marillier.


    Mir geht es hier um die Beschränkung auf die Frage: Will und kann der Leser sich überhaupt mit Figuren identifizieren, die nicht unseren heutigen Wertvorstellungen gemäß handeln und denken?


    Zitat

    Fuer mich als Leser hatte der historische Roman immer auch noch eine andere Funktion, naemlich die einer Uebersetzung/Uebertragung von Ereignissen/Erscheinungen/Aspekten der eigenen Zeit in eine andere, weil man aus verschiedenen Gruenden (vornehmlich aus Mangel an Distanz) in der eigenen nicht erzaehlen kann (oder will. Oder auch mal darf).
    Als Autor suche ich nach Geschichten in der Geschichte, die ich wiedererkenne, die sich mir aufdraengen, weil sich mir der Vergleich, die Parallele, das uebertragbare Element aufdraengt. Beim Erzaehlen, bei der Vorbereitung des Erzaehlens halten mich diese beiden Fragen (und die Spannung zwischen ihnen) am staerksten bei der Stange, treiben mich um: Was ist gleich/aehnlich/vergleichbar? Und: Was ist anders?
    Das gilt fuer die Figurengestaltung wie fuer andere Bereiche.


    Dazu möchte ich gern auch die "Zehn Thesen zum historischen Roman" von Peter Prange verlinken.


    Zitat

    Original von janda
    Als Leserin muß ich aber sagen: mein Grund keine historischen oder historisierten Romane zu lesen ist der, dass ich es nicht mag, wenn vor einem historischen Setting Figuren sind, die denken und handeln, wie im hier und jetzt. Wenn eine Frau des Mittelalters emanzipatorische Thesen des 20. Jahrhunderts propagiert - um es mal überspitzt zu schreiben - fühle ich mich verschaukelt.


    Ich höre dieses Argument von "Nicht-HR-Lesern" sehr häufig. Aber wie in jedem Genre gibt es nicht nur die unterschiedlichsten Leserbedürfnisse, sondern auch die entsprechenden Angebote. Meines Erachtens gibt es keinen Grund, irgendein Genre ganz zu meiden.

  • Hallo, nochmal!


    Zitat

    Original von Charlie
    Als Autor suche ich nach Geschichten in der Geschichte, die ich wiedererkenne, die sich mir aufdraengen, weil sich mir der Vergleich, die Parallele, das uebertragbare Element aufdraengt. Beim Erzaehlen, bei der Vorbereitung des Erzaehlens halten mich diese beiden Fragen (und die Spannung zwischen ihnen) am staerksten bei der Stange, treiben mich um: Was ist gleich/aehnlich/vergleichbar? Und: Was ist anders?


    Bingo!


    Der allgemeine Umgang mit der Historie ist m.A.n. ohnehin ein Spiegel unseres Umgang mit dem Anderen, Fremdartigen überhaupt! Aber genau darum geht es eigentlich in der Historie: das uns nächste Fremde, das Ähnliche im Andersartigen und das Andersartige im Ähnlichen zu entdecken. Zu erkennen, dass wir über die Jahrtausende und über alle Kontinente hinweg Menschen sind, die sich im Kern ihrer Menschlichkeit gleichen, so verschieden sich das kulturell auch ausprägen mag.


    Um ein passendes Zitat anzubringen:
    »Ich habe das Historische nie als eine Flucht aus der eigenen Zeit empfunden, sondern als einen Abstand, von dem aus man die eigene Zeit schärfer erkennt.« (Gertrud von le Fort)


    Gründliche Recherche, die sich nicht nur auf das jeweils passende Detail beschränkt, hat einen gewaltigen Vorzug: Man bewegt sich weitgehend sicher im rekonstruierten Raum, trotz der vielen Lücken in diesem Mosaik. Man ist imstande, die Lücken behutsam zu füllen, denn man erkennt viele Zusammenhänge. Man wächst am eigenen Staunen auch über sich selbst hinaus. Und hoffentlich gelingt es einem auch, nicht an den Vorstellungen und Vorurteilen, mit denen die Arbeit an diesem Projekt begann, zu kleben, sondern den Horizont um das Verstehen anderer Positionen zu erweitern, die sicherlich nicht dem entsprechen, was man zunächst glaubte.


    Aber natürlich zeigt sich im Roman von alledem nur die Spitze des Eisbergs, denn für die meisten Leser spielt natürlich eine in das Mosaik eingefügte Geschichte die Hauptrolle.

  • Ich finde es nicht mehr wörtlich, aber mein Lieblingsbild zu diesem Thema ist von Nicole C.Voseller, die hier bei den Eulen sinngemäß schrub sie schreibe ihre Bücher wie ein Teppichweber seinen Teppich knüpft. die Längsfäden sind ihr vorgegeben, an denen darf sie nicht manipulieren und sie nicht verschieben, diese werden von der dem heutigen Forschungsstand entsprechenen historischen Erkenntnis gebildet und sie webt jetzt die Geschichte ihrer Protagonisten um diese Längsfäden, um die Lücken zu füllen und im Idealfall einen schönen bunten Teppich zu erzeugen.

  • Der historische Roman soll mich in erster Linie unterhalten. Das ist mein Anspruch, den ich aber an jedes Buch habe.
    Sollte er noch dazu gut recherchiert sein, ist es noch besser. Handys dürfen natürlich im Text nicht auftauchen. Gut verzichten kann ich dagegen auf die 'historische Sprache'. Das wäre mir zu anstrengend zu lesen.

  • Katerina hat recht, finde ich. Es gibt unheimlich viele historische Romane auf dem Markt, sodass jeder Leser, jede Leserin die Romane entdecken kann, die er/sie gerne liest.


    Eine Diskussion, welcher Leser was bevorzugt, bringt in diesem Fall nur wenig.
    Beim historischen Roman spielt fast alles eine Rolle: die Zeit, in der er angesiedelt ist, die Vorlieben und das Interesse des jeweiligen Lesers für die Geschichte, die Stimme des Autors. Manche Leser/Leserinnen lassen sich lieber auf eine leichte Geschichte ein, weil sie evtl. gerade am Strand liegen, andere lieben es durchgehend fundierter. Das ist allerdings bei Krimis und Thriller auch nicht anders.


    Liebe Grüße


    Helene Luise




    _________________
    2009: "Carcassonne. Das Schicksalsrad", Buch&Spiel, Amazon.de
    HP: www.koeppel-sw.de

  • Diese Diskussion passt gut zu dem Thread, den ich vor einigen Tagen aufgemacht habe.
    Auf die Frage, ob Leser authentische "historische" Romane wollen, kann ich für mich nur sagen, dass ich sehr gerne gut recherchierte "historisierende" Romane lese. Leider ist der Markt mittlerweile so übervoll mit Romanen, deren Handlung zu allen Zeiten spielen kann und deren Protagonisten Denkstrukturen aufweisen, die allein in die heutige Zeit passen, und die so beliebig und austauschbar sind, dass es schwer fällt, gute Einzelstücke zu finden, in denen das nicht so ist.
    Ich möchte das Lebensgefühl der damaligen Zeit vermittelt bekommen, möchte über Essen, Kleidung, Wohnverhältnisse und medizinische Versorgung wissen und nicht die x.ste "in", die (evtl. auch noch in Männerkleidung) ihren Mann steht...


    Das ist natürlich nur mein persönlicher Geschmack. :-)

  • Zitat

    Original von Sabine_D
    Der historische Roman soll mich in erster Linie unterhalten. Das ist mein Anspruch, den ich aber an jedes Buch habe.
    Sollte er noch dazu gut recherchiert sein, ist es noch besser.


    :write Das ist auch für mich das A und O. Wenn ich neben einer Vollzeitarbeitswoche Romane lese, sollen mich diese gut unterhalten und gefangen nehmen.
    Und da werde ich ganz bestimmt nicht über jeden Punkt X oder Y nachgrübeln, ob der jetzt z.B. historisch korrekt ist.

  • Zitat

    Original von Sabine_D
    Der historische Roman soll mich in erster Linie unterhalten. Das ist mein Anspruch, den ich aber an jedes Buch habe.
    Sollte er noch dazu gut recherchiert sein, ist es noch besser. Handys dürfen natürlich im Text nicht auftauchen. Gut verzichten kann ich dagegen auf die 'historische Sprache'. Das wäre mir zu anstrengend zu lesen.


    Das klingt nach mir.:winkt

  • Zitat

    Wenn eine Frau des Mittelalters emanzipatorische Thesen des 20. Jahrhunderts propagiert - um es mal überspitzt zu schreiben - fühle ich mich verschaukelt.


    Das sehe ich auch so, es sei denn, dass die historische Persönlichkeit nachgewiesenermaßen wirklich emanzipatorische Bestrebungen hatte wie etwa Christine de Pizan.


    Zitat

    mein Lieblingsbild zu diesem Thema ist von Nicole C.Vosseler, die hier bei den Eulen sinngemäß schrub sie schreibe ihre Bücher wie ein Teppichweber seinen Teppich knüpft. die Längsfäden sind ihr vorgegeben, an denen darf sie nicht manipulieren und sie nicht verschieben, diese werden von der dem heutigen Forschungsstand entsprechenen historischen Erkenntnis gebildet und sie webt jetzt die Geschichte ihrer Protagonisten um diese Längsfäden, um die Lücken zu füllen und im Idealfall einen schönen bunten Teppich zu erzeugen.


    Das ist wirklich ein sehr treffender Vergleich.


    Zitat

    Ich möchte das Lebensgefühl der damaligen Zeit vermittelt bekommen, möchte über Essen, Kleidung, Wohnverhältnisse und medizinische Versorgung wissen und nicht die x.ste "in", die (evtl. auch noch in Männerkleidung) ihren Mann steht...


    Dieses ausgelutschte Sujet mit der Frau in Männerkleidung regt mich auch schon lange auf. Das einzige mir in letzter Zeit untergekommene Buch, bei dem das glaubwürdig ist, ist der Abenteuerroman über Anne Bonny von Katja Doubek. Anne Bonny war eine der nicht sooo zahlreichen Frauen, die wirklich in Männerkleidung unterwegs waren.


    Ich will nicht abstreiten, dass manche der zur Zeit angesagten "Die ...in"-Romane ganz unterhaltsam zu lesen sind, wenn man einfach nur entspannende Unterhaltung sucht. Aber mich persönlich reizen nur die "authentischen" historischen Romane, auch - oder gerade - wenn sie alte Quellen zitieren und dadurch mühsamer zu lesen sind.

  • Zitat

    Original von Iris
    Der allgemeine Umgang mit der Historie ist m.A.n. ohnehin ein Spiegel unseres Umgang mit dem Anderen, Fremdartigen überhaupt! Aber genau darum geht es eigentlich in der Historie: das uns nächste Fremde, das Ähnliche im Andersartigen und das Andersartige im Ähnlichen zu entdecken. Zu erkennen, dass wir über die Jahrtausende und über alle Kontinente hinweg Menschen sind, die sich im Kern ihrer Menschlichkeit gleichen, so verschieden sich das kulturell auch ausprägen mag.


    Um ein passendes Zitat anzubringen:
    »Ich habe das Historische nie als eine Flucht aus der eigenen Zeit empfunden, sondern als einen Abstand, von dem aus man die eigene Zeit schärfer erkennt.« (Gertrud von le Fort)


    Und deshalb bleibt fuer mich - als Leser zuerst, aber auch als Erzaehler - der historische Roman auch unwiderstehlich, weil er das koennen kann, wenn er das koennen will.
    (Aber nicht koennen muss.


    Und Katerina danke ich herzlich fuer den nochmaligen deutlichen Hinweis, dass der Moeglichkeiten viele sind - und dazwischen ja auch noch immer individuelle Mittelwege.)


    Unterhalten soll mich bitte und unbedingt jeder Roman!
    Wenn er das nicht kann, ist er verschwendetes Geld, verschwendete Zeit.
    Aber wenn er mich "nur" unterhaelt, unterhaelt er mich, fuercht' ich, nicht.
    Und ist dann eben verschwendetes Geld usw.


    "Gefangen nehmen" hat Rosenstolz sehr treffend geschrieben. Um das zu schaffen, bei allem, was wir tagsueber so durchwirbeln, braucht ein Roman viel Kraft. Wenn er an mir rueckt und ruettelt, weil er in mir etwas aufklappen will, was bisher zugeschweisst war, hat er ziemlich gute Chancen.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    :write Das ist auch für mich das A und O. Wenn ich neben einer Vollzeitarbeitswoche Romane lese, sollen mich diese gut unterhalten und gefangen nehmen.
    Und da werde ich ganz bestimmt nicht über jeden Punkt X oder Y nachgrübeln, ob der jetzt z.B. historisch korrekt ist.


    Da kommt bei mir der Punkt, wo ich sagen muss: Ein wirklich gut erzählter historischer Roman weckt in mir NIE das Bedürfnis, nachgrübeln zu müssen, ob das so auch passt. Einem Autor, der seine Arbeit richtig gemacht hat, nehme ich alles ab. Einem Autor, der ganz ganz tief reingeht in die Lebensweisen, in das Denken und auch in Medizin, Handwerk, Essen (so als Beispiele), dem merke ich schon an der Schreibe an, dass er mir keinen Bären aufbindet.


    Es sind die "anderen" (ich setz das jetzt bewusst in Gänsefüßchen), die Bücher, die mich nicht zu fesseln vermögen, die an der Oberfläche kratzen, wo ich immer denke na, ob das wohl so passt? Hin und wieder passt es sogar - aber leider oft genug auch eben nicht.
    Aber bei denen, die mich reinziehen, die mich miterleben lassen, wie es war - da denke ich darüber überhaupt nicht nach. Da genieße ich nur, und da weiß ich irgendwo auch tief drinnen, hier hat ein Autor seine Hausaufgaben gemacht, hier stimmt einfach alles.


    Atmosphäre.


    Wenn die stimmt, schwelge ich.

  • Zitat

    Original von CorinnaV
    [ Ein wirklich gut erzählter historischer Roman weckt in mir NIE das Bedürfnis, nachgrübeln zu müssen, ob das so auch passt. Einem Autor, der seine Arbeit richtig gemacht hat, nehme ich alles ab.


    Und woher weisst du, dass er seine Arbeit richtig gemacht hat? Ich habe weder das Thema Mittelalter oder so studiert noch verfüge ich über ein solch umfangreiches Wissen. :gruebel


    Edit: Ok, du hast es eigentlich schon erklärt. Es ist mehr eine Gefühls- und Vertrauenssache.

  • Ich habe lange keine historischen Romane, oder wie immer man sie nennen will gelesen, da das im Augenblick nicht mein Genre ist. Und da die meisten Romane, die ich gelesen habe sind eben das, was vorne schon angesprochen wurde. Ziemlich häufig agieren einfach Charaktere nach unseren aktuellen Handlungsmustern vor historischer Kulisse.


    Allerdings frage ich mich, wie man "authentische" historische Romane überhaupt schreiben will. Kann man wirklich heute nachvollziehen, wie damalige Leute sich gefühlt haben, wie sie wirklich dachten?


    Nur als Vergleich, wenn ich Romane westlicher Autoren lese, die in China spielen, habe ich in den seltensten Fällen den Eindruck, dass da wirklich Chinesen agieren oder denken, meistens sind es Personen westlichen Musters vor chinesischer Kulisse, und es handelt sich dabei "nur" um eine andere Kultur unserer Zeit, die ein paar tausend Kilometer von hier entfernt ist und manche der Autoren waren sogar längere Zeit vor Ort - - vergleicht man das dann mal wie in einem Roman chinesischer Autoren die Charaktere handeln, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht.


    Wie will ein Autor heutiger Zeit dann also wirklich "authentische" historische Romane schreiben, die vor 500 Jahren oder wann immer spielen sollen? Europa vor 500 Jahren ist meiner Meinung nach mindestens genausweit von uns und unserem Denken entfernt wie das China der heutigen Zeit. Mal abgesehen davon, dass der heutige Leser ja gar nicht in der Lage ist zu beurteilen, ob es authentisch ist, und ich mal meine, den meisten wäre es sowieso egal.

  • Hallo, Katerina!


    Zitat

    Original von Katerina
    Will und kann der Leser sich überhaupt mit Figuren identifizieren, die nicht unseren heutigen Wertvorstellungen gemäß handeln und denken?


    Diese Frage kannst du dir getrost mit NEIN beantworten. Kein Leser kann sich mit irgendeiner Romanfigur identifizieren -- es würde bedeuten, er und die Figur würden in der Lektüre zu einer und derselben Person werden. Das ist -- offen gestanden -- Humbug! :grin


    Es geht doch im Grunde darum, die Leser für die Figuren in einer Geschichte zu interessieren, sie intensiv mitfühlen zu lassen, was diese Figuren bewegt -- erst in der Vorstellung der Leser erwachen Figuren eigentlich zum Leben.


    Eine Identifikation findet niemals statt! Es kann ein Rückbezug auf die eigene Person stattfinden ("Was würde ich in dieser Situation tun?") oder eine gedankliche Verallgemeinerung ("Menschen sind nun einmal so, dass ..."), und manchmal geschieht auch ein kurzzeitiges träumerisches Sich-an-Stelle-der-Figur-Setzen, aber beide, Leser und Figur, verschmelzen nicht zu einer Person.


    Man kann Leser durchaus für Figuren interessieren und intensiv mitfühlen lassen, obwohl diese Figuren Dinge tun, die die betreffenden Leser niemals tun würden. Eine Einschränkung ist dabei (abgesehen den erzählerischen und sprachlichen Fertigkeiten des Autors!) die Tatsache, dass das nicht jeder kann oder auch nur will! Und offenbar machen Verlage die Erfahrung, dass es eine Menge Leser (vor allem Leserinnen) gibt, die einfach nur kurzzeitig in eine andere Welt wegträumen wollen. Das funktioniert im Grunde nur mit anachronistischen Puppen in prallbunter Kulisse.


    Aber daran kann man nicht jeden Leser messen. Und möglicherweise ist das bei vielen Lesern auch auch ein wechselndes Lesebedürfnis: mal Klischees, mal Denkanstoß.


    Wenn es wirklich so wäre, dass man Leser grundsätzlich nicht für ihnen zunächst fremd(artig)e Figuren interessieren und bis zum tiefen Mitfühlen begeistern könnte, dann sollten wir uns ganz schnell von der Hoffnung auf die Möglichkeit eines friedlichen Miteinander der Kulturen verabschieden! Denn die Voraussetzungen sind in beiden Fällen die gleichen: Interesse für das Andere gewinnen, Ähnlichkeiten und Gemeinsames entdecken, nachempfinden können -- und trotzdem die eigene Identität nicht blind preisgeben.


    Natürlich muss man seine Leser abholen, um sie auf die Reise einer Geschichte mitzunehmen -- die Frage ist, ob man sie in eine Geisterbahn oder einen LoveTunnel hockt oder sie auf eine richtige Reise mitnimmt. Letzteres macht natürlich mehr Arbeit, aber auch viel mehr Freude.

  • Ich lese keine sogenannten "historischen Romane",da meist Humbug enthalten ist....


    Oft sind so viele falsche Informationen enthalten,dass es schon weh tut.
    Trotzdem verkauft sich so ein Schund wie geschnitten Brot. :rolleyes


    Daher lautet meine Antwort: Ja,ich als Leserin würde gerne gut recherchierte und faktengetreue Romane lesen (Eco z.B.).

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Hallo,


    das ist ein sehr interessanter Thread. Nur würden bei all den Aussagen Beispiele helfen. Was ist ein historischer Roman, der zu jeder Zeit spielen könnte? Jeder Text, der in der Vergangenheit spielt, aber nicht auf dokumentierten historischen Ereignissen beruht? In diesem Fall beginnt man aber wieder Urteile über konkrete Bücher zu fällen und das wollen wir ja vermeiden.


    Ein Autor kann mit einem Roman vor historischer Kulisse ganz verschiedene Absichten verfolgen. Vielleicht will er die Leser nur mit einer dramatischen Geschichte unterhalten, vielleicht will er spannend aufbereiteten Geschichtsunterricht erteilen oder er will ganz bewusst Parallelen zur Gegenwart ziehen, um dadurch zum Nachdenken anzuregen. Jeder historische Roman ist für die Leser der Gegenwart geschrieben. Ich frage mich auch, ob es uns modernen Autoren trotz aller Mühe wirklich möglich ist, sich völlig in die Psyche von Menschen aus vergangenen Jahrhunderten einzufühlen. Es bleibt immer bei einem Versuch - ebenso, wie wenn man über Menschen aus anderen Kulturkreisen schreibt. Wir können nur darauf bauen, dass Menschen zu jeder Zeit und überall auf der Welt eben immer nur Menschen sind und waren.


    Nun zu der häufig geäußerten Kritik an allzu emanzipierten Frauen in historischen Romanen. Ich habe mich lange mit der Geschichte der Frauenemanzipation beschäftigt. Das ist sozusagen mein Hobby. Und ich weiß: es gab zu allen Zeiten Frauen, die auf irgendeine Art gegen ihre Benachteiligung aufbegehrten. Wichtig ist für mich nur, dass es vor der historischen Kulisse glaubwürdig geschildert wird. Warum denkt die Frau anders als ihre Zeitgenossen? Welche Erlebnisse bringen sie dazu? Es sollte ein allmähliche Entwicklung sein, ein mühsamer Kampf mit gegebenen Erwartungen in dem Bewusstsein, dass sie anecken wird und muss. Der Siegeszug zum freien, selbstbestimmten Leben ohne Selbstzweifel und ohne große Widerstände ist unglaubwürdig, das stimmt.


    Wenn kein Mensch in vergangenen Jahrhunderten an der gegebenen Standesordnung gezweifelt hätte, hätte es keine Bauernaufstände gegeben. Es gab auch vereinzelte Stimmen gegen die Erziehung von Kindern mit der Rute. Diese Leute waren natürlich Ausnahmen. Wenn sie in modernen historischen Romanen als Hauptfiguren sehr beliebt sind, liegt es wohl daran, dass wir solche Menschen eben sympathischer finden, ihr Denken besser nachvollziehen können. Das macht sie für den modernen Leser interessant.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von newmoon
    Ich lese keine sogenannten "historischen Romane",da meist Humbug enthalten ist....


    Oft sind so viele falsche Informationen enthalten,dass es schon weh tut.
    Trotzdem verkauft sich so ein Schund wie geschnitten Brot. :rolleyes


    Daher lautet meine Antwort: Ja,ich als Leserin würde gerne gut recherchierte und faktengetreue Romane lesen (Eco z.B.).


    Super! Du liest die Bücher nicht und weißt doch, das es Schund ist oder Humbug. Nicht das du nicht bei vielen Büchern dieses riesigen Genres Recht hättest- aber so alles pauschaliert ist nicht unbedingt eine Beurteilung, die den Autoren gerecht wird.


    Zitat

    Original von iris
    Und möglicherweise ist das bei vielen Lesern auch auch ein wechselndes Lesebedürfnis: mal Klischees, mal Denkanstoß.


    Natürlich befriedige ich ein unterschiedliches Lesebedüfnis, wenn ich den Pfaffenkönig oder die Die liebenden von San Marco lese- das die Geschichte in der Geschichte stimmt erwarte ich bei beiden Büchern. Vor Google las ich historische Romane mit dem Ploetz auf dem Nachttisch, jetzt suche ich historische Personen und Orte im Netz.


    Andererseits- ist Ben Hur ein schlechter Film- wegen der einen Armbanduhr?

  • Zitat

    Super! Du liest die Bücher nicht und weißt doch, das es Schund ist oder Humbug. Nicht das du nicht bei vielen Büchern dieses riesigen Genres Recht hättest- aber so alles pauschaliert ist nicht unbedingt eine Beurteilung, die den Autoren gerecht wird.


    Fühlt sich da jemand womöglich persönlich angegriffen?
    Beim "Reinlesen" erhält man doch schon einen ersten Eindruck.Das Geschreibsel ist oft völlig ahistorisch,ausserdem ist mir schleierhaft,warum die Protagonistinnen oft als das,was der jeweilige Autor für eine Feministin hält,dargestellt werden.


    Lobend erwähnt habe ich jedoch Umberto Eco. "Der Name der Rose" zeugt von Ecos Wissen & Bildung.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Zitat

    Original von Iris
    Hallo, janda!



    Glaubst du ensthaft, liebe Janda, dass ALLE historischen Romane nach diesem einen Muster gestrickt sind?


    So gerät ein "Genre in seiner Gesamtheit in Misskredit.


    Es ist meine persönliche subjektive Wahrnehmung. Ich habe vor einigen Jahren viele historische Romane gelesen und aufgrund der mir zugeteilten Abteilung auch lesen müssen.
    Ich weiß, dass nicht alle nach dem Muster gestrickt sind, aber mein Eindruck ist, es wurden immer mehr und es ist inzwischen die Mehrheit der als historisch veröffentlichten Romanen.
    Für mich ist das Genre in Mißkredit geraten, schon vor Jahren, aber nicht wegen meiner Meinung, sondern wegen der Neigung der Verlage einen erfolgreichen Trend aufzuspringen und ohne Rücksicht auf Qualität zu veröffentlichen.
    Mit historisch lässt sich Geld verdienen - und das nicht schlecht - und da wird gedruckt, was die Presse die hergibt.
    Aber auch die großen Namen sind für mich inzwischen ein sehr negatives Beispiel. Der letzte Follett trifft genau das von mir überspitzt geschilderte Schema und war ein Buch mehr, was mich davon überzeugt, dass ich keine historische Kulisse für Jetzt-Zeit - Charaktere brauche.


    Fazit: ich weiß, dass nicht alle historischen Romane nach dem Strickmuster gestrickt sind. Aber ich weiß auch, dass ich viele Frösche küssen muß, bevor ich einen Prinzen finde. Und da verzichte ich lieber gleich drauf.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

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  • Zitat

    Original von Eskalina
    Auf die Frage, ob Leser authentische "historische" Romane wollen, kann ich für mich nur sagen, dass ich sehr gerne gut recherchierte "historisierende" Romane lese. Leider ist der Markt mittlerweile so übervoll mit Romanen, deren Handlung zu allen Zeiten spielen kann und deren Protagonisten Denkstrukturen aufweisen, die allein in die heutige Zeit passen, und die so beliebig und austauschbar sind, dass es schwer fällt, gute Einzelstücke zu finden, in denen das nicht so ist.
    Ich möchte das Lebensgefühl der damaligen Zeit vermittelt bekommen, möchte über Essen, Kleidung, Wohnverhältnisse und medizinische Versorgung wissen und nicht die x.ste "in", die (evtl. auch noch in Männerkleidung) ihren Mann steht...


    Das ist natürlich nur mein persönlicher Geschmack. :-)


    :write Dieser Meinung bin ich auch.
    Mich Interessiert es meistens auch, ob es diese Handelnden Personen die in einem Buch mitwirken, auch wirklic gab oder nur frei erfunden. Wenn es solche Leute wirklich gab und viell. auch die Handlung um die es sich dreht (oder eauch nur ein Bruchstück davon), es sich auch noch zu getragen hat, dann find ich, das es der perfekte Buch für mich. Ich kann mich dann besser in das Buch hineinversetzen, wenn ich weiss, davon ist einiges wirklich passiert oder gewesen, bzw diese Person gab es.

    :oha Lg Bellamissimo
    ~~~~~~~~~~~~~~
    Habent sua fata libelli- Bücher haben ihre Schicksale:pferd
    :lesend Der Fluch der Hebamme- Sabine Ebert
    Mit offenen Karten- Agatha Christie