Hallo,
im Rezensionsthread zu Ines Thorns "Höllenknecht" ist eine Diskussion entstanden, die ich so spannend finde, dass ich sie gern weiterführen möchte.
(Es hat wohl ein ähnliches Thema schon einmal gegeben, wenn es mehr als ähnlich war, bitte ich, diesen Thread dort anzuhängen.)
Es geht um die Frage: Kann es den authentischen historischen Roman überhaupt geben? Wird er von den Lesern überhaupt gewünscht?
Ich wiederhole einige der Äußerungen aus dem Thread:
ZitatDie Alltagssorgen der damaligen Frauen (und Männer) sind zum Teil den unseren so fremd, dass es schwierig sein würde, meine Leser dafür zu begeistern. Eine spätmittelalterliche Frau hatte Angst, im Kindbett zu sterben, sie war sehr gläubig und abergläubig, sie sprach anders, dachte anders, hatte andere Prioritäten.
ZitatUnbestritten ist, dass sich das Alltagsleben so stark unterscheidet, dass wohl vieles für heutige Leser fremd ist. Gerade diese Fremdheit ist wohl aber auch ein Reiz historischer Romane.
ZitatEtwas ketzerisch könnte man sich sonst fragen, wozu überhaupt historische Romane schreiben? Wäre es dann nicht glaubwürdiger und stimmiger einen Roman zu schreiben, der in der Gegenwart handelt?
ZitatIch glaube, die Mehrheit der Leser sieht das etwas anders.
Ich hoere ueber meine eigenen Figuren sehr oft von enttaeuschten Lesern: "Nee, der XY war mir zu religioes - staendig dieses Gebete." Oder: "So wie YZ kann man sich doch nicht verhalten - mein Ex-Freund war auch mal in der Lage, aber der hat das ganz anders gemacht..." oder: "Ja, mag ja sein, dass das damals so war, aber ich kann mir solche verqueren Leute nicht vorstellen."
Ich hoere dieses und aehnliches auch oft ueber Buecher, die ich grossartig finde, weil ihnen eben das von euch geforderte gelingt.
Neben der Bedeutung des Glaubens, die als stoerend empfunden wird, kommt besonders haeufig Kritik an "unmenschlichem" Verhalten, z.B. an Eltern, die die Zuechtigung von Kindern fuer unabdingbar halten, Maennern, die Frauen nicht als gleichberechtigt empfinden, die lieber Soehne wollen als Toechter wollen und auch nicht der Ansicht sind, Treuegeluebde muessten von Maennern gehalten werden wie von Frauen, Adligen, die nicht auf die Idee kommen, ihre Bediensteten haetten dieselben Rechte wie sie etc.
Wenn ich aber eine Figur (und zwar nicht nur "die Boesen") mit diesen Denkmustern nicht ausstatten darf, ohne dass die Figur - und ich! - die Sympathien der allermeisten Leser verlieren, kann ich sie nicht in eine Umgebung aus Jahrhundert 13 oder 16 einbetten. Das geht einfach nicht.
ZitatIch vermute, dass es in einem Literaturforum wie hier zahlreiche Leser meiner Art gibt, die eine historisch wahrheitsgetreue Darstellung vorziehen. Ich selbst bin überzeugter Nicht-Christ und Agnostiker, trotzdem lese ich gern Romane, in denen die Figuren äußerst religiös sind, da ich gerade dieses "Anderssein" des mittelalterlichen Menschen faszinierend finde und zwischen dem mittelalterlichen und meinem Weltbild differenzieren kann.
Ich bin gespannt auf eure Meinungen!