John Niven: Kill Your Friends

  • British Psycho


    Die britische Musikindustrie der ausgehenden Neunziger befasste sich, glaubt man John Niven, ausschließlich damit, Partys zu feiern, Drogen einzuwerfen und auf Teufel komm raus herumzuhuren. Immerhin war Niven selbst in dieser Branche tätig, was diese Behauptungen in gewisser Weise stützt.


    Sein Protagonist Steven Stelfox, Mitte zwanzig, arbeitet im Bereich "Artist & Repertoire" (A&R) eines Londoner Plattenlabels. Stevens Aufgabe besteht darin, neue Acts zu "signen" und im Idealfall Hits aus ihnen zu machen. Stelfox hält das Publikum für Deppen, die Musiker und den Rest der Welt aber eigentlich auch. Er ist ein Misanthrop reinsten Wassers, sogar mehr als das - der gedankliche Hass des Ich-Erzählers richtet sich gegen alles und jeden. Und irgendwie auch gegen sich selbst, wenigstens gegen die eigene Arbeit. So muss er - unter anderem - aus einem Haufen prolliger Mädchen, die weder singen, noch tanzen oder sich fehlerfrei sprachlich ausdrücken können, eine Antwort auf die "Spice Girls" formen. Der Druck, neue, erfolgreiche Bands zu "bauen", ist enorm. Gleichzeitig wächst Stelfox' Finanzbedarf quasi täglich an, weil die vielen Drogen und Prostituierten ganz schön ins Geld gehen. Das aber sind die einzigen Dinge, die ihn wirklich interessieren.


    Als sich abzeichnet, dass ein anderer den begehrten Posten in der Company ergattern wird, nimmt dieser Hass auch physische Züge an. Stelfox tötet den Widersacher, beinahe beiläufig, und es bliebe für ihn auch ohne Folgen, wären da nicht ein junger Polizist und die eigene Sekretärin namens Rebecca. Doch der Polizist träumt davon, selbst Rockstar zu werden, und Rebecca wäre gerne Stelfox' Ehefrau. Zwei gute Hebel, um mit dem Problem fertig zu werden. Und zwar ziemlich endgültig.


    Das Buch ist in zwölf Abschnitte unterteilt, die die Monatsnamen des Jahres - die Handlung spielt 1997 - als Titel tragen. Am Ende wird sich scheinbar nicht viel verändert haben.


    Nivens Roman zeichnet das Bild einer weltfremden, arroganten, partysüchtigen und geldgeilen Branche, die von den Träumen der Kunden lebt, ohne sie auch nur ansatzweise ernstzunehmen. Neue Acts entstehen in der Retorte, jeder Mist wird auf den Markt geworfen, Talent oder Ambitionen spielen keine Rolle. Die Plattenfirmen der ausgehenden Neunziger, die kurz darauf das digitale Zeitalter verschliefen, weil sie ihre eigene Macht überschätzten, werden als korrupte Unternehmen dargestellt, die Musiker verheizen und sich gegenseitig wie Hyänen belauern. Insofern ist "Kill Your Friends" möglicherweise ein Zeitdokument.


    Aber mit negativen Protagonisten ist das so eine Sache. Eine Figur, die ungestraft tun und lassen kann, worauf immer sie auch Lust hat, jede denkbare Form von Brutalität eingeschlossen, dient nur sehr eingeschränkt einerseits der Identifikation und andererseits als Symbol. Eine solche Person als Held eines Romans bedarf einer sprachlichen wie dramaturgischen Unterfütterung, die das permanente Unwohlsein des Lesers ausgleicht. Das gelingt in "Kill Your Friends" nicht immer. Im letzten Dritteln schleifen sich die literarischen "Special Effects" zusehends, das leicht Epigonenhafte des Buches drängt in den Vordergrund, Leserermüdung setzt ein.


    Nichtsdestotrotz. Eine sehr brachiale, manchmal amüsante, gelegentlich erhellende und meistens unterhaltsame Lektüre. Und ein interessantes Buch über eine Branche, der zu der Zeit, in der der Roman spielt, noch von sich glaubte, über den Dingen zu stehen. Wofür sie den Gegenbeweis mithin ja selbst erbracht hat.


    (Randbemerkung: Den Umschlag ziert ein lobendes Zitat von Bela B. - der allerdings das Hörbuch eingesprochen hat.)

  • Was soll ich sagen, einfach großartig! Ich habe das Buch schon einige male in der Hand gehabt, habe es aber nie gekauft. Und nun im Urlaub lag es in der Finca und wollte gelesen werden. Punktum, zwei Tage später war ich damit durch, es war klasse!


    Für Fans von Glamourama und/oder American Psycho von B. E. Ellis durchaus empfehlenswert. Hat mich teilweise sogar ein wenig an "Drecksau" erinnert.


    Und nun habe ich eine ganz andere Sichtweise, wenn ich zufällig auf irgendeine TOP 10 Liste schaue.. :-]

  • Titel: Kill Your Friends
    Autor: John Niven
    Übersetzt aus dem Englischen von: Stephan Glietsch
    Verlag: Heyne
    Erschienen: März 2008
    Seitenzahl: 379
    ISBN-10: 3453675444
    ISBN-13: 978-3453675445
    Preis: 12.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Erfolg um jeden Preis. Steven Stelfox ist A & R-Manager in einer großen Plattenfirma, immer auf der Suche nach dem nächsten Hit, immer am oberen Level. Doch als die Erfolge ausbleiben, greift er zu radikalen Mitteln. Plötzlich verwandeln sich die guten Freunde in Todfeinde. In einer Welt, in der sich die Protagonisten krampfhaft über Sex, Drugs & Rock n Roll definieren, gerät sein Leben zunehmend außer Kontrolle. Die Folgen sind verheerend.


    Meine Meinung:
    „Ein Hooligan von einem Buch.“ So äußerte sich Bela B. über „Kill Your Friends“ von John Niven. Guter Einstieg, aber je weiter man liest, umso mehr kommt man als Leser ins Gähnen. Einmal hart gesagt: Auf den 379 Seiten dieses Buches wiederholt sich Niven mehr oder weniger permanent. Zudem nervt sein Schreibstil spätestens ab Seite 50 oder auch 55. Da versucht jemand locker und rotzig zu schreiben, aber das Ergebnis dieses Versuches ist nicht gerade berauschend. Es wirkt alles irgendwann nur noch peinlich verkrampft. Und kaum etwas ist so peinlich wie die verkrampfte Lockerheit bzw. die vermeintliche Lockerheit. Niven will sicher cool rüberkommen, kriegt aber dazu eigentlich nie die Kurve. Was bei Walsh beispielsweise wirklich lesenswert prollig wirkt, das schafft Niven nicht einmal in Ansätzen. Ein Flop ist dieses Buch sicher nicht, aber es ist eben auch kein Buch das man unbedingt gelesen haben muss. Und es als „American Psycho der Musikindustrie“ zu bezeichnen ist mehr als lächerlich. Niven schafft es immer wieder sich selbst ein Bein zu stellen. Immer dann wenn er es wirklich mal hin bekommt eine gute oder ordentliche Passage zu Papier zu bringen, dann kann man sicher sein, dass er das mit den Händen Aufgebaute bei nächster Gelegenheit mit dem Hintern wieder umwirft. Man verpasst im Leben nichts, aber auch rein gar nichts, wenn man dieses Buch von Niven nicht gelesen hat. Wenn man aber meint es unbedingt lesen zu müssen, dann bleibt in jedem Falle der Trost, dass es sehr viele weitaus schlechtere Bücher gibt. Ein Highlight der Weltliteratur ist „Kill Your Friends“ ganz sicher nicht, es ist allenfalls gerade noch durchschnittliche Unterhaltung und vielleicht sollte man es nur dann lesen, wenn man selbst zugedröhnt ist.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Natürlich kann man sich mit Stelfox nicht identifizieren, aber ich muss gestehen, mir hat es erschütternd viel Spaß gemacht, seinen menschen(- und sonstigem)feindlichen Äußerungen zu lauschen, lesend. Das Buch hat sich für mich praktisch von selbst gelesen, nur gegen Ende fand ich es dann ein bisschen überdreht. Bis dahin klang es wie eine zu Papier gebrachte Fantasie, da ja Niven selbst einst in dieser Branche gearbeitet hat. Wir gehen mal davon, dass er ein netterer Mensch ist als Stelfox - was nicht schwer ist - und niemanden ermordet hat. Aber vielleicht hat er Stelfox benützt, um durch ihn so ein bisschen rückwirkend die Sau komplett rauszulassen.


    Die Betrachtungen über das Musikgeschäft dieser Zeit, wobei man fast versucht ist, "Musik" zu sagen, sind an Zynismus nicht zu überbieten, aber ob sie, wenn auch vielleicht verzerrt, wirklich so falsch sind? Geschmack ist ja bekanntlich nichts, worüber man streiten sollte, aber guckt man sich manche tatsächlichen Acts so an, fragt man sich zeitweise wirklich, was das mit Musik zu tun haben soll. Und die Schilderung, wie aus den "Songbirds" ein Erfolg gemacht wird, ob die so falsch ist, wenn man sich gewisse Retortengroups, aus der geschilderten aber auch der aktuellen Zeit ansieht.


    Mir ist das Buch recht gut gefallen, es hat sich, wie gesagt, fast von selbst gelesen, ich fand es erschütternd unterhaltsam und durchaus interessant. Ich habe die englische Version gelesen und bin mir wegen der ausgesprochen rüden Sprache nicht sicher, ob es auf Deutsch wirklich wirkt.
    Aber ob ich unbedingt noch einen Niven lesen muss, weiß ich nicht. Zu dem hier hatte mich das Thema gelockt.

  • Eigentlich ist jedes Wort über diesen Haufen Müll schon zuviel, aber da ich mich gerade dermaßen darüber aufrege, Geld dafür ausgegeben zu haben, sage ich es mal so....


    Bela B hat vollkommen Recht, wenn er den Roman einen Hooligan von Buch nennt..


    Den Kopf voller Scheiße und nur auf Krawall aus.